Europa: Wachsende Nervosität über Trump

Eine Woche vor der Amtseinführung des neuen amerikanischen Präsidenten wächst in Europa die Nervosität. Anfängliche Hoffnungen, Donald Trump werde sich nach Abschluss des Wahlkampfs mäßigen und einen Kurs verfolgen, der sich im konventionellen Rahmen republikanischer Politik bewegt, haben sich nicht bestätigt. Vor allem Trumps Pressekonferenz am Mittwoch gilt vielen als Beweis, dass sich die schlimmsten Befürchtungen bestätigen.

Je näher Trump dem Weißen Haus komme, desto berechtigter werde die Sorge über die Zukunft, kommentiert die spanische Zeitung El Pais. Laut dem italienischen Corriere della Sera tritt im Oval Office nun ein Mann an, der die Kraft seines Landes nicht „in der ständigen Suche nach einem Konsens“ sieht, sondern „seinen eigenen Erfolg auf den eigenen Befindlichkeiten, Ressentiments und der ständigen Mobilmachung gegen jemanden aufgebaut hat“.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt: „Von einer Verwandlung in einen Staatsmann, der lieber Gräben zuschüttet, als Mauern zu bauen, ist noch nichts zu erkennen.“ Und der Kölner Stadtanzeiger bemerkt: „Wer noch Hoffnungen hatte, dass sich der pöbelnde Wahlkämpfer Trump in einen besonnenen Staatsmann verwandeln würde, der sollte diese Hoffnungen besser fahren lassen.“

Die europäischen Befürchtungen beziehen sich auf die innere Stabilität der amerikanischen Gesellschaft, auf die Auswirkungen von Trumps „America first“-Politik auf die Weltwirtschaft und vor allem auf die Folgen der zukünftigen amerikanischen Außenpolitik.

Die relative Stabilität während der letzten 70 Jahre in Europa, wo vom Hundertjährigen Krieg bis zum Zweiten Weltkrieg 600 Jahre lang in regelmäßigen Abständen Krieg herrschte, hing eng mit der globalen Vormachtstellung der USA und dem transatlantischen Bündnis zusammen.

Ursprünglich gegen die Sowjetunion gerichtet, entwickelte sich die Nato zum mächtigsten Militärbündnis der Welt. Sie blieb auch nach der Auflösung der Sowjetunion erhalten und diente, obwohl nicht frei von inneren Konflikten, den westlichen Mächten als Werkzeug für gemeinsame imperialistische Interventionen. So wurden die Krieg in Jugoslawien, in Afghanistan und in Libyen unter dem Dach der Nato geführt.

Die bloße Möglichkeit, Trump könnte sich auf Kosten der Nato mit Moskau einigen, hat deshalb in vielen europäischen Regierungen Panik ausgelöst. Obwohl der aggressive Kurs der Obama-Administration gegen Russland in Europa teilweise auf Kritik gestoßen ist, greifen nun fast alle europäischen Medien den Vorwurf, Moskau habe den amerikanischen Wahlkampf manipuliert und könne Trump erpressen, begierig auf und unterstützen ihn.

Mehrere Kommentare geben der Hoffnung Ausdruck, mit dem Skandal könne Druck auf Trump ausgeübt werden, damit er sich von Moskau distanziere. So kommentiert der französische Le Figaro die jüngsten Vorwürfen gegen Trump: „Die vom künftigen Präsidenten gewünschte Annäherung mit Russland verkompliziert sich, er läuft Gefahr, ständig als Lakai Putins behandelt zu werden.“

Stefan Kornelius erklärt in der Süddeutschen Zeitung, man müsse das Papier, laut dem der russische Geheimdienst kompromittierendes Material über Trump besitzt, „ungeachtet aller unbelegter Darstellungen ernst nehmen, … weil es die Geheimdienste der USA ernst nehmen“. Er räumt sogar die Möglichkeit ein, dass es sich um eine Geheimdienst-Provokation handle: „dass die Dienste lediglich außergewöhnliche Mittel ergreifen, um den selbsterklärten System-Zerstörer Trump im letzten Moment von seinem Werk abzuhalten“.

Kornelius gibt der Hoffnung Ausdruck, die „toxische Mischung aus sexuellem Extremismus und Erpressbarkeit, verborgen unter der Fellmütze des russischen Geheimdienstes“, werde „auch jene Trump-Wähler erreichen, die ihrem Idol bisher jede Verfehlung und Großmäuligkeit verziehen haben. Diese Wähler sind Trumps einzige Machtbasis. Wenn er sie verliert, verliert er alles.“

Die Neue Zürcher Zeitung fordert die US-Spionageabwehr auf, „die Vorwürfe zu Trumps Verflechtungen mit Russland lückenlos aufzuklären“, und setzt auf die republikanischen Kongressmehrheit, um Trump zu stoppen. Dort trenne sich „die Spreu vom Weizen, die Kriecher und Schmeichler, die Trump zuliebe über die Russland-Gefahr hinwegsehen wollen, und umgekehrt jene, die den Blick für übergeordnete Interessen nicht verloren haben“.

Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg mischte sich in die Auseinandersetzung ein, indem er von russischen Beeinflussungsversuchen in anderen Nato-Ländern warnte. „Jeder Versuch, in nationale Wahlen von außen einzugreifen oder diese zu beeinflussen, ist nicht hinnehmbar“, erklärte er.

Die Londoner Times ist allerdings der Ansicht, dass die strategische Umorientierung der USA, die sich schon unter Präsident Obama abzeichnete, nicht mehr aufzuhalten sei: „Trump beabsichtigt eine Annäherung an Russland und eine Kampfansage an die militärischen und wirtschaftlichen Ambitionen Chinas. Beides bedeutet eine radikale Abkehr von der bisherigen Außenpolitik der USA. Es wird Zeit für den Westen, sich ernsthaft mit der Vorstellung zu beschäftigen, dass dies eine wohlüberlegte Strategie ist, um Amerika … neu zu positionieren.“

Die europäischen Nato-Mitglieder fürchten ein Auseinanderbrechen des Militärbündnisses, in dem die USA weiterhin das mit Abstand stärkste Mitglied sind, nicht nur aus militärischen Gründen. Eine Schwächung der Nato würde auch die Desintegration der Europäischen Union beschleunigen und alle ungelösten Fragen wieder aufwerfen, die den Kontinent im vergangenen Jahrhundert in zwei Weltriege stürzten.

Schon jetzt sind die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Gegensätze innerhalb Europas äußerst gespannt. Rechte nationalistische Kräfte befinden sich in den meisten Ländern im Aufwind. Großbritannien hat sich für den Austritt aus der EU entschieden und andere Ländern könnten folgen.

Der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze weist in einem Beitrag für Die Zeit darauf hin, welche Bedeutung die USA bisher für die Außenpolitik Deutschlands hatten, des bevölkerungsmäßig und wirtschaftlich stärksten EU-Mitglieds. Unter der Überschrift „Abschied von den USA“ schreibt er, Amerika habe bisher für Deutschland „das Problem der Außenbeziehungen, der Macht, der Beziehung, die Deutschland zur Welt unterhält“, gelöst. „Kalter Krieg, Nato, die von Amerika geförderte europäische Integration, Vereinte Nationen – das war bislang der Rahmen“. Er endet mit der Frage, was geschehe, nachdem Amerika diese Rolle aufgebe: „Wo ist dann Deutschlands Platz in der Welt?“

Die deutsche Bourgeoisie hat die Antwort längst gegeben. Seit drei Jahren bemüht sie sich intensiv um die Wiederbelebung des deutschen Militarismus und erhebt den Anspruch, Hegemon und Führungsmacht in Europa zu sein – was unweigerlich auf Widerspruch in anderen europäischen Ländern stößt.

Die herrschende Klasse in Deutschland und den anderen europäischen Ländern hat auf den Zusammenbruch der kapitalistischen Nachkriegsordnung, die in der Wahl Trumps zum US-Präsidenten ihren bisher schärfsten Ausdruck findet, keine andere Antwort als die Rückkehr zum Militarismus und zum Aufbau eines starken Staats, mit dem sie sich auf die Niederschlagung sozialer und politischer Opposition vorbereitet.

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