Perspektive

US-Elite bläst zum Angriff auf die Errungenschaften der 1960er Jahre

Der Angriff der Trump-Regierung auf Obamacare ist der Auftakt zu einer umfassenden sozialen Reaktion. Das Gesetz, das zurzeit im Repräsentantenhaus diskutiert wird, beraubt vierundzwanzig Millionen Menschen ihrer Gesundheitsversorgung.

Das neue Gesetz, das der Republikaner Paul Ryan im Auftrag der Regierung entworfen hat, bedeutet im Wesentlichen die Abschaffung von Medicaid, einer großen Errungenschaft, die unter die Sozialreformen der 1960er Jahre zählt. Durch dieses Programm wurde die medizinische Versorgung von Dutzenden Millionen Armen, Blinden oder anderweitig behinderten Menschen, sowie die Unterbringung in Pflegeheimen für arme Senioren finanziert. Ryan hat angedeutet, dass seine Abschaffung die Grundlagen für ein noch umfassenderes Gesetz schaffen soll, durch das auch Medicare eingeschränkt und letztlich zerstört wird. Medicare ermöglicht seit mehr als fünfzig Jahren die medizinische Versorgung der meisten Senioren.

Die 1960er waren die letzte Phase bedeutender Sozialreformen in der Geschichte Amerikas. Heute stehen ihre großen sozialen Errungenschaften kurz vor der Abschaffung. Diese Situation ist der Höhepunkt eines langwierigen historischen Prozesses, der schon begann, als der Nachkriegsboom gerade zu Ende war. Die amerikanische herrschende Elite beschloss damals, von der Politik relativer Klassenkompromisse zum rücksichtslosen Klassenkampf von oben überzugehen. Bereits die demokratische Regierung von Jimmy Carter (1977–1981) unternahm die ersten Schritte in diesem Prozess, indem sie die Sozialausgaben kürzte und mithilfe des Taft-Hartley-Gesetzes gegen streikende Kohlebergarbeiter vorging.

Unter dem Republikaner Ronald Reagan verschärften sich diese Angriffe deutlich. Nach der Unterdrückung des Streiks der Fluglotsengewerkschaft PATCO eröffneten die Konzerne eine zehn Jahre dauernde Offensive gegen die Gewerkschaften und senkten die Löhne ihrer Beschäftigten. Gleichzeitig strich Reagan die staatlichen Sozialausgaben zusammen, um eine Aufrüstung auf Rekordniveau zu finanzieren. Diese Maßnahmen bildeten den Auftakt für weitere Angriffe auf die Programme, die in den 1960ern und sogar schon in den 1930ern eingeführt worden waren. Unter Clinton wurde die Hilfe für Familien mit bedürftigen Kindern abgeschafft. Bushs „No Child Left Behind“-Programm, dessen Mitverfasser der Demokrat Edward Kennedy war, richtete sich gegen das öffentliche Bildungswesen. Außerdem begann damals der Prozess der Privatisierung von Medicare.

Präsident Obama machte diesen jahrzehntelangen Prozess nicht rückgängig, sondern verschärfte ihn vielmehr. Obamacare bedeutete keine Ausweitung des Sozialstaats, wie seine Verteidiger behaupteten. Seine Einführung war vielmehr ein reaktionärer Versuch, die Kosten für die Gesundheitsversorgung von den Arbeitgebern und der Regierung auf die arbeitende Bevölkerung zu verlagern. Obamacare wurde in Zusammenarbeit mit den Versicherungskonzernen und den Pharmamonopolen ausgearbeitet. Dass die Demokraten ein solches Gesetz uneingeschränkt unterstützen, verdeutlicht die Rechtswende dieser Partei in den letzten vierzig Jahren.

Obama wurde gewählt, weil er „Hoffnung“ und „Wandel“ versprochen hatte. Doch seine achtjährige Amtszeit war von endlosen Kriegen und Angriffen auf die Arbeiterklasse geprägt. Die Arbeitsplätze und der Lebensstandard der Bevölkerung gerieten unter Beschuss, und soziale Bereiche wie das Bildungs- und das Gesundheitswesen wurden permanent beschnitten. Unter diesen Bedingungen konnten die Republikaner die Mehrheit im Kongress erringen, und Donald Trump konnte die Wahl gewinnen.

Die Ideologen des Kapitalismus behaupten, der „freie Markt“ könne Wunder bewirken, wenn er erst von den Fesseln der Sozialreformen befreit sei. Zu diesen „Fesseln“ zählen alle Sozialleistungen, die sich die Arbeiterklasse in mehr als einem Jahrhundert erkämpft hat. Jetzt steht die Zerstörung der vier wichtigsten Programme bevor, die von April bis Oktober 1965 im Rahmen der Great Society eingeführt wurden.

Der Elementary and Secondary Act von 1965: Dieses Gesetz bedeutete die erste umfassende staatliche Unterstützung für öffentliche Schulen. Seine Einführung wurde politisch möglich, nachdem die offizielle Rassentrennung in öffentlichen Schulen im Süden abgeschafft worden war. Das Programm sah die Bereitstellung von Geldern für die Verbesserung von öffentlichen Schulen in armen Kommunen, die Ausweitung der Schulbibliotheken und die Grundlagen des Förderunterrichts vor. Außerdem wurde das Vorschulprogramm Head Start dauerhaft zum staatlichen Programm ernannt.

Der republikanische Abgeordnete Steve King aus Iowa hat jetzt ein Gesetz eingeführt, durch das der Elementary and Secondary Act hinfällig wird. Das Bildungsministerium dürfte demnach außerdem keine Bildungsprogramme mehr finanzieren, abgesehen von staatlich kontrollierten Gutscheinen für Charter-Schulen, religiöse Privatschulen oder Heimunterricht.

Medicare und Medicaid, gegründet durch den Social Security Act von 1965: Durch dieses Gesetz wurde erstmals eine staatlich unterstützte Krankenversicherung für über 65-Jährige eingeführt. Bis dahin hatte die Hälfte von ihnen noch keine Versicherung. Teil A von Medicare zahlte für die Behandlung in Krankenhäusern, Teil B für medizinische und Pflegegebühren. Nicht finanziert wurden jedoch Sehhilfen, Zahnersatz und verschreibungspflichtige Medikamente. Medicaid zahlte die Kosten für die ärmsten Teile der arbeitenden Bevölkerung, darunter Kinder, Behinderte und Blinde, sowie die langfristige Unterbringung in Pflegeheimen für arme Senioren.

Das Gesetz zur Abschaffung von Obamacare würde das Ende von Medicare als Finanzierungsprogramm ab 2020 bedeuten. Die Geldzuteilungen an die Bundesstaaten würden dann begrenzt werden, sodass sie die Finanzierung der Versorgung von Armen und Behinderten rationieren müssten. Bereits durch Obamacare wurde Medicare deutlich eingeschränkt: Das Ausmaß der Kostenerstattungen wurde, über zehn Jahre verteilt, um 700 Milliarden Dollar gekürzt. Das Gesetz zur Abschaffung von Obamacare wird noch viel tiefere Einschnitte ermöglichen. Ryan plant, Medicare von einem Finanzierungsprogramm in ein Gutscheinprogramm umzuwandeln.

Der Voting Rights Act von 1965 war die radikalste demokratische Maßnahme, die ein amerikanischer Kongress seit dem Wiederaufbau nach dem Bürgerkrieg je verabschiedet hat. Er richtete sich gegen Bundesstaaten, hauptsächlich im tiefen Süden, in denen den Minderheiten die Teilnahme an Wahlen verweigert wurde. Bevor das Gesetz verabschiedet wurde, durften sich in den südlichen Bundesstaaten von Texas bis Virginia nur wenige Schwarze als Wähler registrieren lassen und an den Wahlen teilnehmen. Mit dem Voting Rights Act stieg die Wahlteilnahme unter Afroamerikanern deutlich an, und das Justizministerium kontrollierte die Wahlpolitik der Bundesstaaten, um alle Diskriminierungsversuche zu unterbinden.

Schon im Jahr 2013 wurde der Voting Rights Act vom Obersten Gerichtshof durch das Urteil im Prozess Shelby vs. Holder deutlich eingeschränkt. Die Richter hatten mit einer Mehrheit von fünf zu vier entschieden, dass die staatliche Intervention in den Südstaaten nicht mehr zu rechtfertigen sei, obwohl der Kongress das Gesetz mehrfach erneuert und ausgeweitet hatte, zuletzt im Jahr 2006. Diese Entscheidung war Teil einer Kampagne der Republikaner, in einem Bundesstaat nach dem anderen Ausweisgesetze und andere Maßnahmen zu erlassen, um diskriminierende Praktiken gegen Arme und Angehörige von Minderheiten wieder einzuführen.

Durch den Immigration and Nationality Act von 1965, nach seinen wichtigsten Unterstützern im Senat und Repräsentantenhaus auch als Hart-Celler Act bekannt, wurden die seit langem bestehende Einschränkung der Zuwanderung aus Asien, Afrika und dem Nahen Osten, sowie die Bevorzugung von nord- und westeuropäischen Einwanderern gegenüber solchen aus Süd- und Osteuropa abgeschafft. Er ermöglichte außerdem den uneingeschränkten Zuzug von Familienmitgliedern amerikanischer Staatsbürger und von Einwohnern, und förderte damit das Wachstum von Immigrantengemeinschaften.

Trumps Einreiseverbot gegen Reisende aus sechs mehrheitlich muslimischen Ländern stellt einen direkten Verstoß gegen den Immigration and Nationality Act dar. Dieser verbietet jede Einschränkung der Zuwanderung aufgrund des Herkunftslandes. Mit seinen einwanderungsfeindlichen Dekreten und der geplanten Mauer entlang der mexikanischen Grenze will Trump das Rad der Geschichte zurückdrehen. Geht es nach ihm, soll die Zeit der diskriminierenden Gesetze gegen asiatische Einwanderer und des Bracero-Programms wieder aufleben. Bracero bedeutete, dass mexikanische Einwanderer nur als Feldarbeiter unter sklavenartigen Bedingungen einreisen durften.

In den 1960ern wurden noch weitere Reformen durchgeführt, darunter der National Endowment for the Arts und der National Endowment for Humanities, der Clean Water Act und Dutzende weitere Gesetze gegen Umweltschutz, die schließlich zur Schaffung der Umweltschutzbehörde EPA führten. Allen diesen Reformen droht durch die Trump-Regierung und den Republikanisch dominierten Kongress die Abschaffung.

Die Demokraten unterstützen alle Angriffe auf die Sozialreformen, mit denen sie sich früher einmal identifizierten. Sie stehen an der Spitze der Angriffe auf das öffentliche Bildungswesen und haben im Rahmen von Obamacare die Mittel für Medicare massiv gekürzt. Sie haben keinen Finger gerührt, als der Oberste Gerichtshof den Voting Rights Act aushöhlte. Ihre Ablehnung der Trump-Regierung entspringt nicht ihrer Verteidigung der bestehenden Sozialleistungen, sondern sie attackieren die neue Regierung im Namen bestimmter Wall-Street-Kreise und des Militär- und Geheimdienstapparats, der Trumps angebliche Nachgiebigkeit gegenüber Russland kritisiert.

Selbst in den 1960ern, auf dem Höhepunkt des Nachkriegsbooms, war der Liberalismus der Demokratischen Partei keine Gefahr für den Kapitalismus. Er war vielmehr ein Versuch, den amerikanischen Kapitalismus für die Massen erträglicher – und damit für die Kapitalisten sicherer zu machen. Der Anlass hierfür waren die wachsenden Massenkämpfe um Bürgerrechte, gegen den Vietnamkrieg und für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen. Die Maßnahmen von Lyndon Johnsons „Great Society“ gingen weniger weit als die Sozialsysteme in Westeuropa, die zur gleichen Zeit errichtet wurden.

Der Historiker James T. Patterson schrieb über diese Periode: „Die Programme der Great Society waren … vom Wesen her nicht radikal, sondern liberal. Sie waren kein ernsthafter Versuch, die Macht etablierter Gruppen, zu denen auch die großen Konzerne gehören, zu beeinträchtigen. Die einzige Ausnahme waren die Rassenverhältnisse. Ansonsten kam nichts an diesen Programmen einem ernsthaften Versuch gleich, die sozioökonomische Ungleichheit zu beseitigen oder den Reichtum umzuverteilen.“

Der langwierige historische Niedergang des amerikanischen Kapitalismus hat sich nach dem Finanzkrach von 2008 stark beschleunigt. Seither wird jeglicher Reichtum von der arbeitenden Bevölkerung weg zur Rettung der Wall Street umgeschichtet. Kein Flügel der herrschenden Klasse kann oder will heute die sozialen Errungenschaften der 1960er Jahre noch verteidigen.

Der angebliche Widerstand der Demokraten im Kongress gegen Trumps soziale Reaktion ist lediglich ein Scheingefecht. Die Trump-Regierung und die Republikaner werden fast alles durchsetzen, während die Demokraten nur symbolisch kämpfen und von den Opfern verlangen, dass sie sich bis zur Kongresswahl 2018 gedulden.

Mitglieder der Demokratischen Kongressfraktion und Betrüger wie Bernie Sanders oder Elizabeth Warren behaupten, die Demokraten repräsentierten den Widerstand der Bevölkerung gegen Trump und die Republikaner. Damit wollen sie nur verhindern, dass der wirkliche Widerstand gegen Trump aus der Arbeiterklasse eine brisantere und politisch radikalere Form annimmt.

In all den Kämpfen, die jetzt zur Verteidigung des Gesundheits- und Bildungswesens, des Umweltschutzes, der Immigrantenrechte und aller demokratischen Grundrechte beginnen, muss die Arbeiterklasse die führende Rolle übernehmen. Sie muss der Konterrevolution ihre eigene soziale Revolution entgegenstellen. Die Arbeiter müssen eine politische Massenbewegung aufbauen, die sich auf ein sozialistisches Programm stützt. Sie müssen sich von beiden Parteien des Großkapitals unabhängig machen und gegen diese den Kampf aufnehmen.

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