USA verhindern Bekenntnis der G20 gegen Protektionismus

Die Entscheidung der größten Wirtschaftsmächte der Welt, ihr langjähriges Bekenntnis gegen Protektionismus aufzugeben, ist ein bedeutender Wendepunkt in den internationalen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen. Angesichts der Tatsache, dass die 20 größten Volkswirtschaften für 85 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) verantwortlich sind, hat diese Entscheidung eine sehr weitreichende Bedeutung. Bei ihrem Treffen in Baden-Baden strichen die G20-Finanzminister am Wochenende eine Passage aus ihrer Abschlusserklärung, die sich gegen „alle Formen von Protektionismus“ richtete.

Die Entscheidung ging auf die unnachgiebige Opposition des US-Finanzministers Steven Mnuchin gegen eine entsprechende Erklärung zurück. Die überwältigende Mehrheit seiner Amtskollegen stellte sich indessen gegen Mnuchin. Die einzige Ausnahme scheint der japanische Finanzminister gewesen zu sein, der die Haltung der USA laut Medienberichten zumindest teilweise unterstützte.

Mnuchins Opposition entspricht der nationalistischen Haltung der Trump-Regierung unter der Devise „America First“ und den Drohungen aus Washington, Steuern auf Importe zu erheben, Strafzölle gegen China zu erhöhen und Entscheidungen der Welthandelsorganisation (WTO) zu umgehen, wenn diese, nach Ansicht der USA, den amerikanischen Gesetzen und Interessen zuwiderlaufen.

Da die Beschlüsse der G20 auf Einstimmigkeit beruhen, sah sich die Mehrheit mit der Alternative konfrontiert, entweder offen mit den USA zu brechen und damit den Zusammenbruch der gesamten Organisation zu riskieren oder sich auf eine Kompromissformulierung zu einigen, um die Differenzen zu verdecken.

Die Abschlusserklärung zeigt, dass sich die Mehrheit auf letzteres verständigte. Darin hieß es nun lediglich: „Wir arbeiten daran, den Beitrag des Handels für unsere Volkswirtschaften zu stärken.“ Mit Rücksicht auf die Haltung der USA, dass das derzeitige System diametral gegen amerikanische Interessen gerichtet sei, heißt es in der Erklärung weiter, dass die G20-Mitgliedsstaaten danach streben würden, „überschüssige globale Ungleichgewichte zu verringern.“

Auch eine Verpflichtung zur Bekämpfung des Klimawandels, den Trump bereits zuvor zum „Schwindel“ erklärte, wurde auf Drängen der USA aus der Erklärung gestrichen.

Mnuchin erklärte, er könne mit dem Resultat des Treffens nicht zufriedener sein. Es habe einen „Konsens“ gegeben. Die USA hätten Handelsdefizite, auf deren Abbau man sich konzentriere, und es gebe eine neue Regierung, mit einer „anderen Ansicht zum Handel“.

In einer aufeinander abgestimmten Aktion bemühten sich die anderen Teilnehmer nach dem Treffen darum, die Bedeutung der Ereignisse herunterzuspielen. Gleichzeitig weckten sie die Erwartung, dass sich die Haltung der USA schon noch ändern würde.

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erklärte in seiner Funktion als Vorsitzender des Treffens, dass es noch etwas Zeit in Anspruch nehmen werde, bis sich das US-Finanzministerium sortiert habe. Das Treffen sei in einer „Sackgasse“ gelandet. Deshalb habe es am Ende keine Erklärung gegen Protektionismus gegeben. Die verschiedenen Seiten verstünden unter einer Aussprache gegen Protektionismus verschiedene Dinge.

Im Vorfeld des Treffens gehörte Deutschland jedoch zu den lautstärksten Gegnern des amerikanischen Standpunkts. Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) erklärte kurz vor Eröffnung des Gipfels am Freitag, dass Deutschland bei der WTO Klage gegen Trump erheben werde, falls der US-Präsident seine Forderung, Strafzölle in Höhe von 35 Prozent auf deutsche Autoimporte zu erheben, in die Tat umsetzt. In einer provokativen Anspielung auf die US-Gerichte, die Trumps Einreiseverbote gegen Muslime blockierten, erklärte sie: „Das wäre nicht das erste Mal, dass Herr Trump vor den Gerichten dann scheitert.“

In einem weiteren Seitenhieb auf die Trump-Regierung und insbesondere auf deren Feindschaft gegen Beschlüsse der WTO drängten Schäuble und das Finanzministerium am Vorabend des Gipfels dann auf eine Zusage zum multilateralen Welthandelssystem, das auf Regeln basiere, niemanden benachteilige, transparent, offen und inklusiv sei.

Das Finanzministerium folgte jedoch den Aufforderungen aus dem Kanzleramt, dass Bezüge auf ein „multilaterales“ und „regelbasiertes“ Welthandelssystem in der Abschlusserklärung nicht vorkommen sollten. Der Versuch, so zu einer Einigung zu kommen, schlug trotzdem fehl.

Die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, versuchte ebenfalls, die Konflikte zu verdecken. Lagarde erklärte, die neue Regierung im Weißen Haus brauche Zeit, um sich „anzupassen und zu lernen“.

Während Schäuble erklärte, dass man mit der Entscheidung leben könne, waren sich andere nicht so sicher. EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici erklärte, es hätte „keinen Sinn gemacht, gleich einen Streit anzufangen“, da der Gipfel in Baden-Baden der „erste Kontakt“ mit der neuen US-Regierung gewesen sei. Er hoffe aber, dass beim nächsten G20-Gipfel im Juli in Hamburg andere Formulierungen gefunden würden.

„Wir brauchen es. Es ist der Daseinszweck der G20“, erklärte Moscovici. Mit anderen Worten: Wenn keine Einigung erzielt wird, könnte die Organisation auseinander brechen.

Er hat mit seinen Worten nicht übertrieben. Nach der globalen Finanzkrise von 2008 wurden die G20 zum führenden internationalen Forum. Im Jahr 2009 wurde die G7-Gruppe der führenden kapitalistischen Wirtschaftsmächte durch die G20 ersetzt.

Die G20 kamen zu der Einschätzung, dass die schwerste globale Wirtschafts- und Finanzkrise seit den 1930er Jahren die Gefahr eines Handelskriegs in sich trage. Die beteiligten Staaten entschieden, Protektionismus und Währungsabwertungen entgegenzutreten, damit nicht einzelne Staaten eine Politik auf Kosten ihrer Nachbarn betrieben, mit der die Großmächte die Auswirkungen der Krise auf ihre Rivalen abwälzen.

Am Ende des Treffens im Jahr 2009 lobten sich die Regierungschefs gegenseitig dafür, wie sie die Lehren aus der Vergangenheit gezogen haben, und die Verpflichtung, sich gegen Protektionismus zu wenden, wurde in alle folgenden G20-Erklärungen aufgenommen. Heute sind dies leere Worte.

Der wesentliche Kern der Politik der Trump-Regierung, die auf dem Slogan „America First“ basiert, besteht nicht darin, das bestehende System zu „optimieren“, sondern darin, es zu kippen. Die US-Regierung hält daran fest, dass die Handelsdefizite, sowohl gegenüber China als auch gegenüber Deutschland, für den Niedergang der amerikanischen Wirtschaft verantwortlich seien. Diese Entwicklung sei insbesondere durch die Aufnahme Chinas in die WTO im Jahr 2001 beschleunigt worden – ein Schritt, den die Trump-Regierung um jeden Preis korrigieren will. Diese Strategie geht mit der Aufrüstung des US-Militärs Hand in Hand.

Die Konflikte mit China zogen zwar die meiste Aufmerksamkeit auf sich, doch die Politik der Trump-Regierung richtet sich nicht weniger gegen Deutschland. Trumps Berater in Wirtschaftsfragen, Peter Navarro, erklärte, dass Deutschland massiv vom relativ niedrigen Stand des Euro im Vergleich zum US-Dollar profitiere und dass der deutsche Handelsüberschuss gegenüber den USA eine „ernste Angelegenheit“ und „eins der schwierigsten Probleme“ für die amerikanische Handelspolitik sei.

Die Versuche der G20-Finanzminister, die Bedeutung der Differenzen mit der vagen Hoffnung herunterzuspielen, dass die Trump-Regierung noch „lernen“ werde, können nicht darüber hinwegtäuschen, was geschehen ist.

Im Juni 1930 verabschiedete der amerikanische Kongress den Smoot-Hawley Act, der die Strafzölle massiv anhob. In den folgenden Jahrzehnten wurde dieses Gesetz mit großer Übereinstimmung als ein wesentlicher Faktor für die Abwärtsspirale im Welthandel in den frühen 1930er Jahren angesehen. Nach dieser Ansicht verschlimmerte das Gesetz die Auswirkungen der Großen Depression und trug zum Aufstieg von Handels- und Währungsblöcken bei, der wesentlich für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verantwortlich war.

Die von Washington diktierte Entscheidung der G20, eine Erklärung gegen den Protektionismus zu verwerfen, die sie aufgrund ihrer „Lehren“ aus früheren Erfahrungen eingefügt hatte, könnte heute nicht weniger weitreichende Folgen haben.

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