Rechtsextreme „Gruppe Freital“ vor Gericht

Am 7. März begann vor dem Oberlandesgericht Dresden der Strafprozess gegen sieben Männer und eine Frau der „Gruppe Freital“. Der gesamte Fall ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Grenzen zwischen Staat und Rechten fließend sind.

Die Gruppe muss sich vor Gericht für mehrere Anschläge auf Flüchtlinge bzw. deren Unterstützer und Helfer verantworten. Die Anklagepunkte sind Bildung einer terroristischen Vereinigung, versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung sowie die Herbeiführung von Sprengstoffexplosionen.

Damit steht erstmals eine rechtsextreme Gruppe wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung in Sachsen vor Gericht, jenem Bundesland in dem u.a. die größten rechtsextremen Aufmärsche der bundesdeutschen Geschichte stattfanden, die neofaschistische NPD ihre höchsten Wahlerfolge nach der Wiedervereinigung hatte (9,4 Prozent im Jahr 2004) und das die langjährige Heimat der NSU-Terroristen war.

Wie auch beim Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) gibt es bei den mutmaßlichen rechtsextremen Terroristen aus Freital zahlreiche Indizien, die auf Verstrickungen mit dem Staatsapparat hinweisen.

In Sachsen regiert seit 1990 die CDU, deren sächsischer Landesverband bundesweit als einer der rechtesten gilt, seit 2014 wieder mit der SPD. Auch bei diesem Fall kommen für Sachsen bekannte Muster im Umgang mit rechtsextremer Gewalt zum Vorschein.

Die Aktivitäten der Gruppe begannen im März 2015 im Zuge rechter Proteste und Angriffe auf ein Flüchtlingsheim in Freital. Was die Angeklagten in die Tat umsetzten, wurde vorbereitet durch die jahrelange Politik der Freitaler wie der Landes-CDU.

Als im Juni die Wahl des neuen Freitaler Oberbürgermeisters anstand, hatte der CDU-Kandidat und spätere Sieger Uwe Rumberg keine Scheu, in die rechte Hetze einzustimmen und gegen „Glücksritter, die nach Deutschland kommen, um auf Kosten der Gemeinschaft ein sorgloses Leben ohne Gegenleistung zu führen“, zu wettern. Als der sozialpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Alexander Krauß forderte, Flüchtlinge ohne Papiere ins Gefängnis zu stecken, wurde er darin vom CDU-Fraktionsvorsitzenden Frank Kupfer unterstützt.

Nur wenig später griffen Rechte auf einer Bürgerversammlung Unterstützer der Flüchtlinge verbal und körperlich an. Der anwesende sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) und Sicherheitsleute schauten wort- und tatenlos zu.

In der Zwischenzeit hatte sich der Kern der Gruppe im Rahmen einer selbsternannten „Bürgerwehr FTL/360“ gegründet. FTL steht für das Autokennzeichen Freitals, 360 für die Buslinie, auf der der Kopf der Gruppe Timo S. sowie ein weiterer Angeklagter, Philipp W., eingesetzt sind. Die selbsternannte „Bürgerwehr“ agierte nicht nur in Freital, sondern auch in Dresden und Umgebung.

Obwohl bereits die ersten Angriffe gegen das Heim in Freital und Drohungen gegen örtliche Flüchtlingshelfer stattfanden, verkündete die Regierung auf eine Anfrage im Landtag: „Dem LfV [Landesamt für Verfassungsschutz] Sachsen liegen keine Erkenntnisse über tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen einer ‚Bürgerwehr FTL/360‘ vor.“ Ein Blick auf die Facebook-Seite dieser Gruppe hätte gereicht, um deren „Bestrebungen“ zu erkennen.

Auch die beiden mutmaßlichen Köpfe der Gruppe waren keine Unbekannten. Patrick F. war als Anhänger der rechtsextremen Hooligan-Gruppierung „Faust des Ostens“ polizeilich bekannt. Der Ex-Hamburger Timo S. war beim dortigen Verfassungsschutz bereits seit 2009 als Neonazi-Aktivist aktenkundig. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden urteilte über ihn aber noch im Februar des vergangenen Jahres: „Ein unbeschriebenes Blatt.“ Angeblich habe der Verfassungsschutz in Hamburg keine Informationen an die Kollegen aus Sachsen weitergegeben.

Die Gruppe um diese beiden Rechtsradikalen konnte unbehelligt von der Polizei schalten und walten. Von Drohanrufen und -briefen verängstige Helfer erhielten auf der Polizeistelle in Freital hingegen die Antwort: „Wenn jeder Bürger, der sich bedroht fühlt, zu uns kommen würde, könnten wir unsere Arbeit nicht mehr machen.“

Obwohl seit Oktober die Telefone der Gruppe überwacht wurden, konnte sie noch einen letzten Sprengstoffanschlag am 1. November 2015 begehen. Nur durch einen Zufall entdeckten die Bewohner einer Flüchtlingswohnung den Sprengstoff rechtzeitig und konnten sich in den Flur retten.

Erst drei Tage danach erfolgte eine Razzia in neun Wohnungen. Doch nur vier Mitglieder der Gruppe werden festgenommen, eine Person unter Auflagen vorerst wieder freigelassen. Bei den Hausdurchsuchungen wurden unzählige Sprengkörper, Material und Pläne zum Bau von Rohrbomben sowie Neonazi-Material gefunden.

Im Februar 2016 erhob die sächsische Staatsanwaltschaft Klage gegen vier Mitglieder der Gruppe. Dass zu diesem Zeitpunkt bereits umfangreiches belastendes Material gegen weitere Mitglieder vorlag, zeigte sich in den folgenden Wochen.

Die für Terrorismus zuständige Bundesanwaltschaft prüfte den Fall und übernahm ihn schließlich am 11. April letzten Jahres von den sächsischen Behörden. Rund eine Woche später ordnete die oberste Ermittlungsbehörde eine weitere Razzia an. Seitdem sitzen alle acht Mitglieder der Gruppe in Haft und müssen sich nun in Dresden vor Gericht verantworten.

Der Umgang der sächsischen Polizei, Geheimdienst- und Strafverfolgungsbehörden ist genauso wenig mit „Schlamperei“, „Fehlern“, „Überarbeitung“ oder „Versagen“ zu erklären, wie der Umgang staatlicher Behörden mit dem NSU.

Die Freitaler Gruppe konnte sich offensichtlich in Politik und Staatsapparat einer breiten Unterstützung sicher sein. Die Rechtsradikalen trafen sich gewissermaßen unter den Augen der Polizei. Denn der allen in der Stadt bekannte Treffpunkt der „Bürgerwehr“ war eine Aral-Tankstelle direkt gegenüber der örtlichen Polizeistation.

Inzwischen ist bekannt, dass die Polizei nicht so ahnungslos war, wie sie glauben machen möchte. Timo S. sagte bereits im Verhör im November 2015 aus, dass sein Kompagnon Patrick F. von einem Bereitschaftspolizisten Informationen erhalten habe. Im August 2015 hatte Timo S. auf seiner Facebook-Seite „alle, die in Heidenau, Freital oder in der Zeltstadt dabei waren“, vor angeblich bevorstehenden Hausdurchsuchungen gewarnt.

Ein Ermittlungsverfahren gegen diesen Polizisten, der mindestens gegen Dienstgeheimnisse verstoßen, wenn nicht sogar Beihilfe, geleistet hatte, leitete die Staatsanwaltschaft nicht ein.

Als im August 2016 die Bundesanwaltschaft Patrick F. vernahm, räumte dieser ein, dass er den Beamten, der ihm Informationen weitergab, schon lange kenne. Er habe mit ihm bereits 2010 Kontakt gehabt, während eines Verfahrens gegen die Hooligan-Gruppe „Faust des Ostens“ wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Und dieser habe ihm damals „auch ein bisschen unter die Arme gegriffen“ (Spiegel). Laut Berichten der Zeit kennt Patrick F. ihn aus Kindheitstagen und hat mit ihm auch an der Aral-Tankstelle gesprochen, dem Treffpunkt der Gruppe.

Doch auch diese Aussage führte nicht dazu, Ermittlungen gegen den nunmehr bekannten Beamten einzuleiten. Erst im Dezember 2016, nachdem ein Zeit-Artikel im Monat zuvor unangenehme Fragen aufgeworfen hatte, wurde ein Verfahren eingeleitet. Der Polizist wurde daraufhin kurzfristig suspendiert. Nach einer Befragung, in der er glaubhaft seine Unschuld dargelegt haben soll, wurde das Verfahren jedoch eingestellt. Seit Januar ist er wieder im Dienst.

Anfang des Jahres wurde dann Stück für Stück bekannt, dass Ermittlungen gegen weitere Polizisten aufgenommen wurden. Einer dieser Polizisten ist der Stiefvater eines Angeklagten. Der Beamte suchte ab September 2015, also rund zwei Monate vor der ersten Razzia, mehrfach in der Polizeidatenbank nach seinem Stiefsohn und weiteren Mitgliedern der Gruppe. Auch das Verfahren gegen ihn wurde bereits wieder eingestellt. Er soll den Ermittlern glaubhaft geschildert haben, nur aus väterlicher Sorge gehandelt und keinen Kontakt zu den Rechten gehabt zu haben.

Zwei weitere Verfahren laufen noch, eines gegen einen weiteren Beamten, eines gegen unbekannt, da es laut sächsischem Innenminister neue Anhaltspunkte gibt für „eine mögliche Weitergabe von Informationen aus der sächsischen Polizei an mutmaßliche Mitglieder der Gruppe Freital“.

Spiegel Online hatte schon im Dezember letzten Jahres berichtet, dass „führende Mitglieder der Gruppe“ bereits am 18. Dezember 2015 ausgesagt hatten, von einem Bundespolizisten mit Informationen versorgt worden zu sein. „Er soll sie etwa über Orte und Dauer von Einsätzen unterrichtet haben.“ Ein Anfangsverdacht für die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung soll sich aber nicht ergeben haben.

Eine weitere wichtige Frage zu den Kontakten zwischen den mutmaßlichen Rechtsterroristen und dem Staat betrifft einen bislang unbekannten Informanten. Der tauchte im Oktober 2015 bei der Polizei auf. Er gab umfangreiche Details über die Freitaler Gruppe weiter. Er offenbarte auch deren verschlüsselten Chat. Das war dann auch der Auslöser für die Telefonüberwachung der Gruppenmitglieder.

Laut Spiegel (17/2016) sei der Informant selbst beim ersten Buttersäure-Anschlag der Freitaler Gruppe dabei gewesen. Ein Verfahren gegen ihn wurde aber nicht eingeleitet. Womöglich hängt dies damit zusammen, dass er sich beim Verhör mit seiner Dienstmarke identifiziert haben soll. Dies wurde später dann von offizieller Seite dementiert. Es handle sich um einen Fehler im Protokoll.

DerSpiegelberichtete dann Ende letzten Jahres, dass das Bundeskriminalamt auf dem Handy des Informanten SMS-Verkehr mit einem „Herrn Kaiser“ fand. Laut dem Informanten sei „Kaiser“ ein Mitarbeiter des sächsischen Geheimdienstes. Der Verfassungsschutz teilte mit, sich zu „operativen Angelegenheiten“ nicht zu äußern.

Am Dienstag ist nun ein Polizeibeamter des Operativen Abwehrzentrums vor dem Oberlandesgericht Dresden als Zeuge vernommen worden. Die an ihn gerichtete Frage, ob ein V-Mann des Verfassungsschutzes in den Ermittlungen eine Rolle gespielt habe, wies das Gericht als unzulässig zurück. Der Beamte habe keine entsprechende Aussagegenehmigung. Auch über interne Dienstberatungen dürfe er keine Angaben machen. Polizeitaktische Fragen seien nicht Gegenstand der Beweisaufnahme.

Wieder einmal drängt sich der Verdacht auf, dass Neonazis und mutmaßliche Terroristen vom Staatsapparat toleriert, wenn nicht sogar unterstützt wurden.

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