Luftangriffe auf Mossul: USA werden Kriegsverbrechen vorgeworfen

Am Dienstag erschien ein Bericht von Amnesty International (AI), der den US-geführten Koalitionsstreitkräften Kriegsverbrechen bei der Belagerung von Mossul vorwirft. Bei „unverhältnismäßigen und wahllosen“ Angriffen auf Wohngebiete der zweitgrößten Stadt des Irak sollen Hunderte Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder getötet worden sein.

Der Bericht der Menschenrechtsorganisation fasst die blutigen Ereignisse im Ostteil Mossuls im ausgehenden Jahr 2016 und im laufenden Jahr zusammen. Nachdem seiner Veröffentlichung hatten sich die Hinweise bereits verdichtet, dass das US-Militär am 17. März mit der Bombardierung des dicht besiedelten Stadtviertels Jadida im Westteil Mossuls eine seiner schrecklichsten Gräueltaten seit Jahrzehnten verübt hatte.

In ersten Berichten war von etwa 160 Todesopfern die Rede. Am Montag erschien ein Bericht des irakischen Verteidigungsministeriums, wonach bisher 531 Leichen aus den Trümmern geborgen wurden.

„Wir sind vielleicht mitverantwortlich“, räumte Generalleutnant Stephen Townsend, der als Oberkommandeur die Truppen im Irak und in Syrien befehligt, gegenüber Reportern im Pentagon ein. Im selben Atemzug unterstellte er jedoch, dass „der Feind daran mitschuldig“ sei. Er sehe keinen Grund, weshalb Zivilisten sich in Gebäuden aufhalten sollten, die von US-Bombern angegriffen würden. Es sei denn, dass sie als „menschliche Schutzschilde“ herhalten sollten.

Diesem Versuch, ein Alibi zu konstruieren, widersprachen viele Überlebende. Ganze Familien hätten in den Kellern des Wohngebiets Schutz gesucht, um vor dem Terror der amerikanischen Luftangriffe und dem Mörserfeuer der irakischen Armee zu fliehen. Zudem hatte das irakische Militär vor Beginn der Offensive im letzten Herbst Flugblätter über der Stadt abgeworfen, in der 1,8 Millionen Menschen leben. Darin forderten die irakischen Streitkräfte die Einwohner auf, „vor Ort Schutz zu suchen“, statt sich durch Flucht in Sicherheit zu bringen.

Die amerikanischen und irakischen Kommandeure am Boden forderten die Luftschläge offenbar an, um kleine Gruppen von Heckenschützen des IS zu töten, die auf Dächern postiert waren. Ganze Wohnblöcke wurden in Schutt und Asche gelegt.

General Townsend wies eine Verantwortung Washingtons für das Blutbad zurück. „Sollte das auf unser Konto gehen, war es ein unbeabsichtigter Kriegsunfall“, sagte er. Kühl fügte er hinzu, dass zivile Opfer im Westteil Mossuls aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte und heftiger Straßenkämpfe „sehr wahrscheinlich“ seien. Mit anderen Worten: Dem grauenhaften Ereignis vom 17. März werden weitere dieser Art folgen.

Der irakische Vizepräsident Usama al-Nudschaifi, der aus Mossul stammt und der ranghöchste sunnitische Beamte des Landes ist, nannte das US-Bombardement eine „humanitäre Katastrophe“, die „Hunderten von Zivilisten den Märtyrertod“ gebracht habe. Er forderte eine Dringlichkeitssitzung des irakischen Parlaments und eine offizielle Untersuchung der Ereignisse. Er kritisierte, die hohen zivilen Opferzahlen seien ein Ergebnis geänderter Einsatzregeln seitens der US-geführten „Koalition“. Demnach seien die Versuche, die Leben unbewaffneter Männer, Frauen und Kinder im belagerten Mossul zu schützen, auf ein Minimum reduziert worden.

Den gleichen Vorwurf erhoben am Dienstag auch irakische Offiziere, die von der New York Times zitiert wurden. Die Offizieren berichten, dass „die von den USA geführte Koalition schneller dabei ist, Luftschläge gegen Ziele im Stadtgebiet auszuführen, und weniger Zeit aufwendet, das Risiko für Zivilisten abzuschätzen. Sie sagen, dass sich darin zeige, dass das amerikanische Militär unter Trump verstärkt darauf dränge, den Kampf um Mossul voranzutreiben.“

In einem Bericht über den Schauplatz der Verwüstung beschreibt die Times „ein Panorama der Zerstörung im Stadtteil Jadida, die so gewaltig ist, dass ein Bewohner den Vergleich zu Hiroshima zog, wo die Vereinigten Staaten im Zweiten Weltkrieg eine Atombombe abwarfen. Ein verkohlter Arm, in einem roten Stück Stoff, der aus dem Schutt ragte; Rettungskräfte in roten Anzügen, die Gesichtsmasken trugen gegen den Gestank, einige mit umhängenden Gewehren, auf der Suche nach Überlebenden in den Trümmern.“

Die Zeitung berichtet weiter: „Einer der Überlebenden, Omar Adnan, stand am Sonntag vor seinem zerstörten Haus und hielt ein weißes Stück Papier in die Höhe. Darauf standen, in blauer Tinte geschrieben, die Namen von 27 Familienmitgliedern und Verwandten, alle tot oder vermisst.“

Der AI-Bericht vom Dienstag lässt vermuten, dass die Gräueltat von Jadida nur die blutigste in einer ganzen Serie von Angriffen des US-Militärs ist, denen massenhaft Zivilisten zum Opfer fielen.

Donatella Rovera, die für Amnesty International in der vom Krieg zerstörten Stadt Fakten und Augenzeugenberichte dokumentiert, meinte: „Indizien im Ostteil von Mossul deuten auf ein alarmierendes Muster bei den US-geführten Luftschlägen der Koalition hin, bei denen ganze Häuser mit vollständigen Familien darin zerstört wurden.“

„Die hohen zivilen Opferzahlen deuten darauf hin, dass Koalitionskräfte, die die Offensive in Mossul anführen, nicht ausreichend für den Schutz von Zivilisten gesorgt haben. Das stellt eine klare Verletzung internationalen Rechts dar.“

Amnesty zitiert Wa’ad Ahmad al-Tai, der im Stadtteil al-Zahra in Ostmossul wohnt. Er berichtet, dass er und seine Familie dem Rat der irakischen Regierung gefolgt seien. Sie seien nicht geflohen, sondern im Haus geblieben.

Seine Familie und seine Verwandten hätten in dem zweistöckigen Haus seines Bruders Schutz gesucht. Er berichtet: „Wir saßen dicht gedrängt in einem Raum auf der Rückseite des Hauses. Wir waren drei Familien, insgesamt 18 Personen. Doch als eine Bombe das Nachbarhaus traf, stürzte es ein und fiel auf unseres, genau über dem Raum, in dem wir Schutz suchten. Mein neunjähriger Sohn Yusef und meine dreijährige Tochter Shahad wurden getötet, auch mein Bruder, seine Frau und ihr neunjähriger Sohn Aws, und meine Nichte Hanan. Gott sei Dank überlebte ihre fünf Monate alte Tochter, die sie in den Armen hielt.“

Die 23-jährige Hind Amir Ahmad, die 11 Verwandte verlor, berichtete über ein ähnliches Ereignis in Ostmossul am 13. Dezember 2016. „Wir schliefen, als das Haus über uns zusammenbrach. Wie durch ein Wunder überlebten wir alle. Wir rannten zum Haus meines Onkels in der Nähe. Um etwa 14 Uhr fielen auch auf dieses Haus Bomben und es stürzte über uns zusammen… fast alle im Haus kamen ums Leben – elf Personen. Nur meine Cousine, zwei Tanten und ich überlebten. Wir brauchten sechs Tage, um wenigstens einige Teile ihrer Körper zu finden, die wir in einem Massengrab in der Nähe beerdigten… Ich weiß nicht, warum wir bombardiert wurden. Ich weiß nur, dass ich meine Liebsten verloren habe.“

Der AI-Bericht entlarvt auch die Schutzbehauptung des Pentagon, dass irakische Zivilisten deshalb ums Leben kämen, weil der IS die Bevölkerung als „menschliche Schutzschilde“ missbrauche. Auch wenn den islamistischen Kämpfern menschliches Leben gleichgültig sei, seien wahllose Luftschläge durch amerikanische Kampfflugzeuge nicht gerechtfertigt, heißt es im Bericht der Menschenrechtsorganisation. AI weist auch darauf hin, dass das irakische Militär selbst in Wohnhäusern und in deren Nähe Stellungen errichte, wodurch die Häuser den Gegenschlägen des IS ausgesetzt seien.

Bis zum 21. März hatte die Nichtregierungsorganisation Airwars mehr als 1000 „Ereignisse mit zivilen Opfer“ gezählt, die das Resultat von Luftschlägen der USA und ihrer Verbündeten im Irak und Syrien seien. Mit der Belagerung Mossuls und den Vorbereitungen auf ein ähnliches Blutbad in der syrischen Stadt Rakka, die noch vom IS gehalten wird, hat sich die Anzahl der Vorfälle in den ersten drei Monaten 2017 stark erhöht.

Airwars hat darauf hingewiesen, dass die Zahl der amerikanischen Luftangriffe die der russischen deutlich übertrifft. Russland hatte zur Unterstützung des syrischen Präsidenten Assad in Syrien eingegriffen.

Dieselben amerikanischen und westlichen Medien, die wegen der zivilen Opfer bei russischen Luftschlägen gegen Stellungen von al-Qaida in der syrischen Stadt Aleppo eine heftige Propagandakampagne starteten, legen gegenüber den getöteten irakischen Männern, Frauen und Kindern vor allem Gleichgültigkeit an den Tag.

Und auch die geänderten „Einsatzregeln“, die das Pentagon unter der Trump-Regierung beschlossen hat, haben bei den angeblichen Gegnern der Regierung in der Demokratischen Partei zu keinerlei Protesten geführt. Die Gründe dafür gehen aus dem AI-Bericht hervor. Das Gemetzel in Mossul war bereits im Gange als Barack Obama noch im Amt war.

Beide, Demokraten und Republikaner, unterstützen die Ausweitung des Kriegs im Irak und in Syrien. Die Angriffe wurden unter dem Vorwand begonnen, man bekämpfe den IS, der jedoch selbst das direkte Ergebnis der Invasion und Zerstörung des Irak durch die USA ist. Dem folgten die Stellvertreterkriege in Libyen und Syrien, mit dem Ziel, die jeweiligen Regierungen zu stürzen. Mit der ständigen Ausdehnung seiner Intervention versucht der US-Imperialismus, seine Vorherrschaft über den ganzen ölreichen Nahen Osten durchzusetzen.

Dieses geostrategische Ziel der USA hat im letzten Vierteljahrhundert bereits Millionen von Menschen das Leben gekostet. Das neuerliche aggressive Vorgehen der USA dient zudem der Vorbereitung noch gefährlicherer Konfrontationen mit Washingtons Hauptrivalen: China und Russland.

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