US-Behauptungen über syrischen Nervengasangriff: Die Anatomie einer Lüge

Seit einer Woche wiederholen die Medien sklavisch die Behauptung der US-Regierung, das syrische Regime habe am 4. April Chemiewaffen gegen Idlib eingesetzt. Kritiklos unterstützt das gesamte politische Spektrum die Raketenangriffe, die Präsident Trump gegen Syrien angeordnet hat.

Die Vorwürfe gegen die syrische Regierung sind absurd und unglaubwürdig. Die Trump-Regierung, die Geheimdienste, das Pentagon und die Demokratische Partei missachten mit ihrer Kampagne völlig die Intelligenz der Bevölkerung. Sie glauben, sie könnten ungestraft lügen, da die servilen amerikanischen Medien nicht ein einziges kritisches Wörtchen wagen, um sie infrage zu stellen.

Keine Lüge ist zu groß. Sollten die Geheimdienste morgen behaupten, dass Putin verantwortlich für den Ausbruch von Tornados oder eines Hurrikans sei, der die amerikanische Golfküste streift, weil er über ein geheimes russisches Programm verfüge, um das Wetter zu manipulieren, dann würden NBC, CBS, ABC, CNN und Fox diese Behauptungen wie das heilige Evangelium verbreiten. Die New York Times würde einen vierseitigen „Investigativ“-Report veröffentlichen, komplett mit Übersichtstafeln und Statistiken von der CIA.

Wann immer ein Polizist einen Arbeiterjugendlichen niederschießt, dauert es Monate, manchmal Jahre, bis eine Untersuchung abgeschlossen wird. Im Fall der syrischen Ereignisse benötigte die amerikanische Regierung nur Minuten, um die Schuldfrage zu klären, und drei Tage, um die Strafe zu verhängen: 59 Tomahawk-Raketen, abgefeuert auf einen syrischen Flugstützpunkt.

Wer ein Verbrechen aufklären will, muss drei Faktoren prüfen: Motiv, Hilfsmittel und Gelegenheit. Was den Nervengasangriff auf die syrische Stadt Khan Schaikhun angeht, so hatten weder die Russen noch die Syrer einen Grund, solch einen Angriff auszuführen. Das Assad-Regime hätte keinen Vorteil davon, Nervengas in einer Stadt einzusetzen, die kein wichtiges militärisches Ziel darstellt. Außerdem würde solch ein Angriff unvermeidlich US-amerikanische Vergeltung provozieren. Dies aber hätte Assad, der kurz vor einem Sieg im Bürgerkrieg steht, schwerlich riskieren wollen.

Auf der andern Seite hatten die syrischen Rebellen und die amerikanische Regierung Motiv, Hilfsmittel und Gelegenheit. Die Rebellen dürften einige Tote als geringen Preis dafür ansehen, dass die USA in den Bürgerkrieg, den sie gerade verlieren, eingreifen. Sie besitzen Nervengasvorräte, und sie haben bereits im Jahr 2013 die Bereitschaft und Fähigkeit bewiesen, eine solche Provokation auszuführen. Damals kamen bei dem inszenierten Angriff in Ghuta zahlreiche Menschen ums Leben.

Gleichermaßen wichtig zu betonen ist, dass die Rebellen und ihre Hintermänner von der CIA die erforderliche Gelegenheit hatten. Dies weist eine detaillierte Analyse des Khan-Schaikhun-Angriffs nach. Erstellt hat sie der angesehene amerikanische Physiker und Raketenexperte Theodore Postol, ein emeritierter Professors des MIT (Massachusetts Institute of Technology). Demnach weisen die objektiven Beweise nachdrücklich darauf hin, dass das Nervengas aus einer Mörsergranate auf dem Boden stammt, aber nicht aus einer Bombe, die aus einem Kriegsflugzeug abgeworfen wurde. Das bedeutet, der Angriff wurde so gut wie sicher von den mit al-Qaida verbundenen Rebelleneinheiten ausgeführt, die die Gegend um Khan Schaikhun kontrollieren.

Postols Analyse ist eine Antwort auf das vierseitige Dokument, das der Nationale Sicherheitsrat am Dienstag veröffentlicht hatte. Das Gremium für Außen- und Militärpolitik im Weißen Haus gibt darin vor, Beweise zu haben, dass die syrische Regierung für den angeblichen Sarinangriff verantwortlich sei.

Die amerikanischen Medien stellen das Dokument des Nationalen Sicherheitsrates als einen ungewöhnlich detaillierten Tatsachenbericht dar, der auf zu diesem Zweck freigegebenem Geheimdienstmaterial beruhe. Die Washington Post teilte mit, die amerikanische Regierung habe „geheimdienstliche Informationen“ enthüllt, „die Russlands Versuche diskreditieren, seinen Verbündeten, den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, vor der Schuldzuweisung an dem tödlichen chemischen Angriff von letzter Woche zu schützen“.

Die Post bezeichnete die „freigegebenen Erkenntnisse“ als Bestandteil einer „koordinierten Breitseite gegen Russland“. Ergänzt würden sie um „neue Details darüber, was amerikanische Beamte über den Chemiewaffenangriff auf Khan Schaikhun zu wissen glauben“. Diese wurden der Post von Vertretern des Weißen Hauses angeboten, die die Presse über das Dokument informierten.

Die New York Times sagte, das Dokument „enthält freigegebene Informationen von US-Geheimdiensten über den Angriff, sowie eine Widerlegung von Moskaus Behauptung, Aufständische hätten das Gas freigesetzt, um die syrische Regierung fälschlich zu bezichtigen“. Ähnliche Berichte erschienen im Wall Street Journal, in der Los Angeles Times, im Fernsehen und in den Kabel-Nachrichtensendern. Sie alle präsentierten die Berichte der Geheimdienste als unhinterfragbare Tatsachen.

Diese Medienberichte sind nicht nur nachweislich falsch, sie sind absurd. Jede ernsthafte Untersuchung des Dokuments des Nationalen Sicherheitsrates zeigt auf, dass es sich dabei um eine Reihe nackter Behauptungen handelt, denen jegliche untermauernde Beweise fehlen.

Das Dokument des Weißen Hauses ähnelt stark der Einschätzung über die angebliche Einmischung Russlands in die US-Präsidentschaftswahlen von 2016, wie sie von der amerikanischen Geheimdienst-„Community“ vertreten wird. Zu dieser „Community“ zählen die siebzehn Geheimdienste, aus denen der gigantische Apparat besteht, der für den amerikanischen Imperialismus Spionage, politische Provokationen und Mordaufträge ausführt.

Das Dokument quillt über von Phrasen wie: „Die Vereinigten Staaten sind sicher“, „Wir haben Vertrauen in unsere Einschätzung“, „Wir halten dafür“, „Unsere Information weist darauf hin“, „Es ist klar“ – und so weiter. Mit anderen Worten: „Hier spricht der Staatsapparat der Vereinigten Staaten, glauben Sie uns.“

Ein Zitat lautet: „Die Information signalisiert …“, ohne weitere Erklärung. Dem folgt eine standardmäßige Aussage, die sich in allen offiziellen Stellungnahmen wiederfindet. Sie zitieren Informationen, die angeblich von Spionageagenturen beschafft stammen: „Wir können nicht alle Geheimdienstinformationen zu diesem Angriff öffentlich machen, da unsere Quellen und Methoden geschützt werden müssen…“ Einmal mehr: „Vertrauen Sie uns.“

Der Bericht des Nationalen Sicherheitsrates stellt den ersten Versuch der Regierung dar, dem angeblichen syrischen Giftgasangriff ein Motiv zu unterstellen. Darin wird behauptet: „Wir sind der Meinung, dass Damaskus diesen chemischen Angriff als Reaktion auf eine Offensive der Opposition in der nördlichen Provinz Hamah ausführte, die wichtige Infrastruktur bedrohte. Hochrangige Militärführer des Regimes waren möglicherweise in Planungen des Angriffs eingebunden.“

Keine Beweise werden angeführt, um diese baren Unterstellungen zu stützen, die offensichtliche Fragen aufwerfen. Warum sollte das syrische Regime plötzlich auf Saringas zurückgreifen, zumal in einer Stadt, die keine militärische Bedeutung hat, während es in den entscheidenden Schlachten um Aleppo im vergangenen Jahr kein Nervengas einsetzte – und auch niemals dessen bezichtigt wurde? Die Regierungstruppen eroberten in einer blutigen Schlacht von den Rebellen gehaltene Teile der Stadt, die vor dem Krieg die bevölkerungsreichste Stadt des Landes und sein Geschäftszentrum war, ohne dass sie chemische Waffen genutzt hätten.

Selbst als die Kräfte des Präsidenten Baschar al-Assad in seiner Heimatprovinz Latakia unter Angriff standen, nutzten sie keine chemischen Waffen, um die Rebellenoffensive zurückzuschlagen. Dabei stand der lokalen Bevölkerung, die aus der alawitischen Religionsminderheit besteht, welche Assads Hauptunterstützungsbasis darstellt, bei einem Sieg der sunnitischen Islamisten die Ausrottung bevor.

Zur Thematisierung des Problems bediente die New York Times sich der Worte von „hochrangigen Beamten des Weißen Hauses, die unter der Bedingung gewahrter Anonymität über den freigegebenen Geheimdienstbericht sprachen“. Diese Beamten „schätzten, dass die syrische Regierung, die im ganzen Land unter Druck von Oppositionskräften geraten ist und nicht über ausreichend Soldaten verfügte, um zu reagieren, das tödliche Nervengift Sarin einsetzte, um gegen Rebellen vorzugehen, die ein Territorium bedrohten, welches unter Kontrolle der Regierung stand.“

Diese Darstellung macht noch weniger Sinn als der Bericht des Nationalen Sicherheitsrates, da der angebliche Nervengasangriff nicht „gegen Rebellen [gerichtet war], die Territorium bedrohten, welches unter Kontrolle der Regierung stand“, sondern gegen Zivilisten in einer Stadt auf Rebellenterritorium, darunter gegen zahlreiche Frauen und Kinder, wie Medienreporter und die Trump-Regierung ja wiederholt betont haben. Mit anderen Worten, die amerikanischen Medien häufen Lüge auf Lüge, ohne sich überhaupt die Zeit zu nehmen, die neuen Lügen mit den alten in Übereinstimmung zu bringen.

Von einem militärischen Standpunkt aus ist der Einsatz chemischer Waffen in Khan Schaikhun unsinnig. Von einem politischen Standpunkt aus ist er für das Assad-Regime zumindest kontraproduktiv. Für die islamistischen „Rebellen“, die von den Vereinigten Staaten unterstützt werden, ist ein solcher Massenmord hingegen eine politische Goldgrube, die potentiell einen Vorwand für die Vereinigten Staaten und schließlich die Nato abgibt, in einen Bürgerkrieg zu intervenieren, den die Rebellen auf ganzer Linie zu verlieren drohen.

Das Dokument das Nationalen Sicherheitsrates macht keine Anstalten, auf solche Argumente einzugehen, geschweige denn, sie zu widerlegen. Sein vierseitiges Papier enthält nur eine Seite mit angeblichen tatsächlichen „Erkenntnissen“ der amerikanischen Geheimdienste, die aus vagen und unbegründeten Behauptungen bestehen, sowie eine abschließende Seite, die die Behauptungen Putins und Assads in Frage stellt, dass kein Gasangriff stattgefunden habe.

Das Dokument führt Videos und Augenzeugenberichte zu den Auswirkungen eines chemischen Giftes an, ebenso medizinische Berichte türkischer Ärzte. Aber keiner dieser Belege sagt etwas darüber, woher das Nervengas stammte, und ob es tatsächlich die Todesursache bei den Toten von Khan Schaikhun war.

Das Schriftstück kritisiert die russischen Fälschungsvorwürfe und erklärt: „Es ist indessen klar, dass die syrische Opposition nicht in der Lage ist, diese Anzahl und Vielfalt von Videos und anderen Meldungen anzufertigen, die sowohl von dem Ort des Angriffs als auch von medizinischen Einrichtungen in Syrien und der Türkei berichten und gleichzeitig Medienbeobachter und Geheimdienste in die Irre führen.“

Warum sollte irgendjemand glauben, dass die „Medienbeobachter und Geheimdienste“ sich unter denen befinden, die in die Irre geführt werden? Viel wahrscheinlicher ist doch, dass die amerikanischen Geheimdienste und die „Medienbeobachter“, insbesondere jene, die ihr Gehalt von der New York Times, der Washington Post und weiteren Sprachrohren der US-Regierung beziehen, aktiv an der Irreführung teilgenommen haben.

Die CIA hat mannigfache Erfahrungen bei der Inszenierung von Provokationen und der Fabrikation von „Beweisen“, welche anschließend an die von ihr bevorzugten Pressekonzerne weitergeleitet werden, um den Eindruck von „objektiver“ Berichterstattung zu erwecken. Absolut nichts, das auf einer solchen Grundlage berichtet wird, verdient auch nur den Hauch von Glaubwürdigkeit.

Die russische Regierung hat wiederholt eine objektive internationale Untersuchung der Ereignisse in Khan Schaikhun gefordert. Das ist nicht unwichtig und steht in schärfstem Kontrast zum Verhalten der Trump-Regierung, die als Richter, Jury und Henker in einer Person agierte. Im Verlauf von nur drei Tagen hat sie die Fakten erkannt, den Übeltäter identifiziert und die Strafe vollstreckt. So sieht keine Methode aus, die von Recht, „Völkerrecht“ und Gesetz ausgeht. Das ist das Gesetz des Dschungels, in welchem die mächtigste imperialistische Militärmacht einfach macht was sie will.

Es gibt allen Grund anzunehmen, dass der Giftgasangriff auf Khan Schaikhun von der CIA und ihren Rebellenhandlangern fabriziert wurde, um eine Umkehr der Politik der Trump-Regierung zu erzwingen und den Weg für eine amerikanische Militärintervention freizumachen. Der Angriff folgt dem Muster des letzten angeblichen Chemiewaffenangriffs vom August 2013, als die Rebellen um direkte amerikanische Unterstützung ersuchten, und der amerikanische Außenminister John Kerry ihnen antwortete, notwendig sei, dass „etwas passiere“. Kurz darauf wurden über tausend Menschen in Ghuta, einem von Rebellen gehaltenen Vorort von Damaskus, durch Nervengas getötet.

Die politischen Nutznießer dieses Angriffs waren die syrischen Rebellen. Seymour Hersh, einer der wenigen ehrlichen Journalisten, die immer noch ihren Beruf ausüben und nicht im Gefängnis sitzen oder im Exil leben, fertigte einen akribischen Enthüllungsbericht zum Angriff von Ghuta an. Darin wies er nach, dass dieser wahrscheinlich von der al-Nusra-Front, dem syrischen al-Qaida-Ableger, ausgeführt wurde, die chemische Waffen aus der Türkei erhielt. Die al-Nusra-Front ist heute unter neuem Namen die beherrschende Miliz in Khan Schaikhun.

Der Angriff von Ghuta hatte nicht die erwarteten Folgen. Das britische Parlament stimmte gegen einen gemeinsamen Angriff auf Syrien. Gleichzeitig kam es im Pentagon zu scharfen Meinungsverschiedenheiten über die Interventionsfrage. Also ruderte Präsident Obama zurück. Damit löste er enorme Frustration bei der CIA und führenden Demokraten aus, wie bei seiner ehemaligen Außenministerin Hillary Clinton.

Hätte Clinton die Wahlen von 2016 gewonnen, hätte das ohne jeden Zweifel zu einer sofortigen und dramatischen Eskalation der amerikanischen Beteiligung am syrischen Bürgerkrieg geführt. Auf Trumps überraschenden Sieg folgte ein heftiger Konflikt, der sich um erfundene angebliche russische Wahlmanipulationen drehte, die Trump zugute gekommen sein sollen. Der Zweck war, die Politik der Trump-Administration gegen Russland und Syrien zu wenden.

Dies hat jetzt offenbar zum Sieg der amerikanischen Geheimdienste und der Demokraten geführt, die den internen Kampf innerhalb der amerikanischen herrschenden Elite für sich entschieden haben. Sie haben Trump auf einen Kurs gebracht, der zu einer umfassenden Intervention des US-Militärs in den syrischen Bürgerkrieg zu führen droht. Der nächste Schritt könnte eine direkte Konfrontation mit dem atomar bewaffneten Russland sein.

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