Ein Offener Brief der IYSSE an die Präsidentin der Humboldt-Universität

In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung griff HU-Präsidentin Sabine Kunst Studierende, die den rechten Professor Jörg Baberowski kritisieren, heftig an. Wir veröffentlichen hier einen Offenen Brief von Sven Wurm, dem Sprecher der Hochschulgruppe der IYSSE an der Humboldt-Universität. Er weist Kunsts Anschuldigungen zurück und erklärt, dass es bei der Auseinandersetzung mit Baberowski um Fragen von großer gesellschaftlicher Bedeutung geht.

Sehr geehrte Frau Kunst,

mit Empörung haben wir Ihr Interview gelesen, das am 18. April in der Süddeutschen Zeitung erschien. Sie stellen darin die Humboldt-Professoren Jörg Baberowski und Herfried Münkler als Opfer einer Diffamierungskampagne dar und denunzieren Studierende ihrer eigenen Universität, weil sie sich kritisch mit diesen Professoren auseinandersetzen.

Obwohl Sie keine Namen nennen, richtet sich ihre Denunziation vor allem gegen die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE), die mit vier Abgeordneten im Studierendenparlament der HU vertreten sind und die rechten Auffassungen Baberowskis und Münklers auf gutbesuchten öffentlichen Veranstaltungen, in Flugblättern und in Artikeln, die auf der World Socialist Web Site erschienen, kritisiert haben.

Sie gehen in Ihrem Interview mit keiner Silbe auf den Inhalt unserer Kritik ein. Stattdessen arbeiten sie mit Unterstellungen und falschen Behauptungen. Sie erklären, es würden „Anschuldigungen verbreitet, ohne dass man diese auf Argumente zurückführen kann“, es würden „Kampagnen organisiert, die nichts mehr mit der Auseinandersetzung im Universitären zu tun haben“, es gebe „keine Möglichkeit, sich mit den Mitteln der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zu wehren“. Sie vergleichen unsere Argumente mit „Fake News“, bezeichnen sie als „Shitstorm“ und behaupten: „Die Diffamierungen kommen aus einem Bereich, der keine Diskussionen zulässt.“

Sie wissen sehr genau, Frau Kunst, dass dies nicht stimmt. Die IYSSE haben sich in den vergangenen drei Jahren nicht weniger als sechs Mal schriftlich an die Universitätsleitung gewandt. Wir haben uns über Versuche beschwert, unsere Meinungsfreiheit einzuschränken, und über Angriffe von Prof. Baberowski auf mich persönlich. In diesen Briefen haben wir unsere Differenzen mit Münkler und Baberowski sorgfältig erläutert und mit Quellen belegt.

Sie haben nie auf diese Briefe geantwortet und noch nicht einmal ihren Eingang bestätigt. Behaupten Sie jetzt also nicht, dass wir es seien, die sich einer Auseinandersetzung mit Argumenten entziehen.

Den ersten Brief schrieben wir am 22. Februar 2014 an Ihren Vorgänger, Prof. Olbertz. Wir protestierten dagegen, dass Baberowski unter Einsatz eines Sicherheitsdiensts Studierenden und Professoren den Zugang zu einem öffentlichen Kolloquium versperrt hatte, weil sie kritische Fragen an Robert Service stellen wollten. Unter den Ausgesperrten befand sich auch Prof. Mario Keßler von der Universität Potsdam. Baberowski hatte seinen britischen Kollegen an die Humboldt-Universität eingeladen, um seine diskreditierte Trotzki-Biografie vorzustellen.

Services Trotzki-Biografie war von der führenden US-Fachzeitschrift American Historical Review, vom Chefredakteur der World Socialist Web Site, David North, sowie von 14 deutschsprachigen Historikern in einem Brief an den Suhrkamp-Verlag als „zusammengeschustertes Machwerk“ verurteilt worden. Zu den Unterzeichnern des Briefs zählen der inzwischen verstorbene Hermann Weber, der Leiter des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Wien, Oliver Rathkolb, und der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Peter Steinbach. Wollen sie diesen renommierten Historikern ebenfalls vorwerfen, sie verweigerten die akademische Debatte?

Auf den Veranstaltungen, die die IYSSE an der Humboldt-Universität durchführten, kamen Unterstützer und Mitarbeiter Baberowskis stets ausführlich zu Wort. Niemand wurde daran gehindert, seine Meinung zu sagen. Auf einer Veranstaltung beteiligten sich auch zwei Professoren des historischen Instituts, Michael Wildt und Hannes Grandits, an der Diskussion. Es wurde zwar keine Übereinstimmung erzielt, aber es gab eine intensive und ernsthafte Debatte.

Hinzu kommt, dass alle kritischen Artikel über Münkler und Baberowski, die wir auf der World Socialist Web Site veröffentlicht haben, bis heute zugänglich und für jedermann überprüfbar sind. Einige sind im Sommer 2015 sogar unter dem Titel „Wissenschaft oder Kriegspropaganda?“ in Buchform erschienen.

Ihre Anschuldigung, die Kritiker Baberowskis hätten „einfach etwas behauptet und sich danach jeder Debatte entzogen“, entbehrt also jeder faktischen Grundlage. Und Ihr Versuch, Baberowski als Opfer einer „Kampagne“ darzustellen, gegen die er sich nicht zur Wehr setzen könne, ist schlichtweg absurd.

Prof. Baberowski verfügt über einen großzügig ausgestatteten Lehrstuhl und hat nahezu unbeschränkten Zugang zu Radio, Fernsehen und Zeitungen. So weit wir das beurteilen können, hat außer den IYSSE und der World Socialist Web Site bisher kaum jemand seine provokativen historischen und politischen Äußerungen kritisiert. Diese Kritik fand unter Studierenden Unterstützung – nicht nur in Berlin, sondern auch in Bremen, Hamburg und anderen Städten.

Baberowski reagierte darauf, indem er gegen die Bremer Studierendenschaft vor Gericht zog. Es ist unerhört, dass ein Professor Studierende verklagt, weil sie Äußerungen kritisieren, die er öffentlich gemacht hat. Es wäre Ihre Aufgabe als Präsidentin der HU, solche Einschüchterungsversuche gegen Studierende zu unterbinden. Aber sie kommen dieser Verantwortung nicht nach. Als ich Sie am 12. Februar dieses Jahres schriftlich darauf aufmerksam machte, dass mich Prof. Baberowski persönlich übel beschimpft und bedroht hat, haben Sie meinen Brief weder beantwortet noch eine Untersuchung eingeleitet.

Obwohl Baberowski in Berlin wohnt, verklagte er den Bremer AStA vor einem Kölner Gericht, das wegen seiner restriktiven Auslegung der Pressefreiheit bekannt ist. Trotzdem unterlag er in einer wichtigen Frage. Das Gericht erlaubte es dem Bremer AStA, ihn als Rechtsradikalen zu bezeichnen, weil es dafür „einen hinreichenden Anknüpfungspunkt“ gab. Das Urteil stellte ausdrücklich klar, dass die Kritik der Studierenden an den Aussagen des Professors keine „Schmähkritik“ sei, „weil der erforderliche Sachbezug gegeben ist“.

Dagegen entfachten rechte Medien, angeführt von der F.A.Z., eine Kampagne. Das Präsidium der HU gab eine von Ihnen mitunterzeichnete Stellungnahme heraus, indem es „mediale Angriffe“ – d.h. öffentliche Kritik – an Baberowski für „inakzeptabel“ erklärte und indirekt mit strafrechtlichen Konsequenzen drohte.

In Wirklichkeit sind also Sie es, die diffamieren und die Meinungsfreiheit unterdrücken. Was sie fälschlicherweise als Verteidigung der „akademischen Debatte“ ausgeben, ist eine moderne Form der Gleichschaltung. Sie wollen bestimmen, was an der Universität gesagt werden darf und was nicht, und welche Regeln gelten sollen. Vor der Meinung und den demokratischen Rechten der Studierenden haben sie dabei keinen Respekt.

Inhaltlich geht es bei der Auseinandersetzung mit Baberowski um Fragen von großer gesellschaftlicher Bedeutung. Es geht um den Versuch, die Rolle Hitlers und die Verbrechen Deutschlands im Ersten und Zweiten Weltkrieg neu zu bewerten, ohne dass sich dagegen Widerspruch erhebt. Darauf gehen Sie mit keinem Wort ein. Dabei war Baberowskis Verharmlosung des Nationalsozialismus von Anfang an der Kernpunkt unserer Kritik. Im Februar 2014 hatte er im Spiegel erklärt: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.“

Man stelle sich vor, ein führender deutscher Politiker – sagen wir: Bundeskanzlerin Angela Merkel – äußerte etwas derartiges. Es wäre am nächsten Tag Gegenstand der Schlagzeilen der Weltpresse und würde als Verteidigung von Nazi-Verbrechen gewertet. Als Trumps Pressesprecher Sean Spicer vor kurzem behauptete, Hitler habe im Zweiten Weltkrieg kein Giftgas eingesetzt, löste dies einen internationalen Sturm der Entrüstung aus. Doch wenn ein Professor der Humboldt-Universität einen solchen Satz sagt, soll er über jede Kritik erhaben sein! Politiker, die Ähnliches äußern, werden sich in Zukunft auf den „anerkannten, hervorragenden Akademiker“ (Ihre Worte) berufen können, der dasselbe gesagt hat.

Wir haben Baberowskis Kommentar über Hitler nicht aus dem Zusammenhang gerissen. Er stand in einem Artikel mit dem Titel „Der Wandel der Vergangenheit“, der sich, so der Autor Dirk Kurbjuweit, mit der Relativierung der „Schuld, die Deutschland in seiner Geschichte auf sich geladen hat“, befasste. Baberowski bekannte sich darin ausdrücklich zu Ernst Nolte, der 1986 mit seiner Verharmlosung des Nationalsozialismus den Historikerstreit ausgelöst hatte. Er berichtete dem Autor, dass er schon als Student auf Noltes Seite gestanden habe. „Nolte wurde Unrecht getan, er hatte historisch recht“, sagte er.

Noltes These, die Verbrechen der Nazis seien zwar bedauerlich, aber angesichts der Bedrohung durch den Bolschewismus verständlich, zieht sich wie ein roter Faden auch durch Baberowskis Werk. So wenn er behauptet, der Vernichtungskrieg im Osten sei den Nazis durch Stalin und seine Generäle aufgezwungen worden und die faschistische Ideologie habe dabei keine nennenswerte Rolle gespielt. Wir haben dies ausführlich dokumentiert.

Wir müssen Ihnen nicht erklären, Frau Kunst, dass die politische Rechte in Deutschland seit langem das Ziel verfolgt, auf die eine oder andere Weise die Relativierung von Hitlers Verbrechen zu erreichen.

In den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Krieg hatten noch Professoren, die schon unter den Nazis gelehrt hatten, die Hörsäle dominiert und die Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen blockiert. In den 1960er Jahren spielte dann die Studentenbewegung eine wichtige Rolle dabei, die deutsche Gesellschaft zu zwingen, sich mit den monströsen und historisch beispiellosen Verbrechen der Nazis auseinanderzusetzen. Insbesondere die Wahl Kurt Georg Kiesingers, eines früheren NSDAP-Mitglieds, zum Bundeskanzler, stieß auf Empörung und Ablehnung. Die berühmte Ohrfeige, die Beate Klarsfeld Kiesinger 1968 verabreichte, fand breite Sympathie.

Seither sinnt die Rechte auf Revanche. Ernst Nolte war nur der Bekannteste unter vielen, die versuchten, die Verbrechen der Nazis zu verharmlosen. Ein Jahr vor dem Historikerstreit hatte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) gemeinsam mit US-Präsident Ronald Reagan einen SS-Friedhof in Bitburg besucht, was einen internationalen Skandal auslöste.

Doch während sich Nolte im Historikerstreit isolierte, finden Baberowskis sehr viel weitergehende Thesen heute in akademischen und politischen Kreisen Unterstützung. Sie wissen so gut wie wir, Frau Kunst, dass dies im Zusammenhang mit den Bemühungen steht, Deutschland wieder zu einer militärischen Großmacht zu entwickeln.

Bei Ihrem Bemühen, Kritik an Baberowskis rechten Standpunkten zu unterbinden, haben Sie einflussreiche Verbündete. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die bereits Ernst Nolte als Bühne im Historikerstreit diente, Die Welt und das Magazin Cicero haben in den letzten Tagen alle verleumderische Hetzartikel gegen die IYSSE veröffentlicht. Auch die Berliner AfD und rechtsextreme Publikationen wie Junge Freiheit, Compact, Politically Incorrect sowie Breitbart News und The Daily Stormer in den USA haben Baberowski den Rücken gestärkt. Auch wenn Sie das Gegenteil behaupten, betrachten diese ihn als einen der ihren, als Rechtsradikalen.

Man muss lediglich die Kommentare lesen, die unter den Artikeln über Baberowski in der F.A.Z., der Welt, aber auch der Zeit gepostet werden, um zu sehen, welch rechter Bodensatz da aufgewühlt wird. Es wimmelt von Zuschriften, die ihre Erleichterung zum Ausdruck bringen, dass der deutsche Schuldkomplex nun endlich überwunden sei und man wieder stolz auf die Vergangenheit sein dürfe. Die Äußerungen von AfD-Rechtsaußen Björn Höcke (der auf seiner Facebook-Seite Artikel von Baberowski verlinkt), nehmen sich da noch gemäßigt aus.

Ihr Versuch, Baberowski als „anerkannten, hervorragenden Akademiker“ darzustellen, beeindruckt uns nicht. In einem Land, das derart herausragende Historiker hervorgebracht hat, kann Baberowskis dünnes, zutiefst subjektives Werk, das auf dem Wiederkäuen antikommunistischer Klischees aus der Zeit des Kalten Krieges beruht, niemanden beeindrucken, der ernsthaft an historischen Fragen interessiert ist. Selbst Die Zeit, die vergeblich versucht, Baberowki zu rechtfertigen, muss zugeben, dass in seinem Geschichtsbild „Antisemitismus, Rassenhass, überhaupt historische Konstellationen in der Bedeutungslosigkeit“ versinken.

Uns geht es nicht um die Person Baberowskis. Wir wollen verhindern, dass die Humboldt-Universität wieder, wie in früheren Zeiten, in eine staatlich gelenkte Kaderschmiede für rechte und militaristische Ideologien verwandelt wird. Deshalb werden wir uns weder einschüchtern noch in unserer Kritik einschränken lassen. Wir haben uns immer offen zu unseren Auffassungen bekannt und sind auch gerne bereit, darüber öffentlich zu debattieren. Aber wir sind nicht bereit, Zensur und die Einschränkung der Meinungsfreiheit hinzunehmen, und werden dagegen in und außerhalb der Universität Unterstützung mobilisieren.

Mit freundlichen Grüßen

Sven Wurm

für die Hochschulgruppe der IYSSE

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