Frankreichs herrschende Elite sammelt sich um Macron

Nach dem historischen Zusammenbruch der beiden großen Parteien Frankreichs in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl sammelt sich die Mehrheit der herrschenden Elite um den Ex-Bankier Emmanuel Macron, um die neofaschistische Nationale Front zu stoppen.

Vor zwei Tagen trafen sich die nationalen Gremien der Sozialistischen Partei (PS) und der Republikaner (LR), um über Resolutionen zur Unterstützung von Macron abzustimmen. Der nationale PS-Vorstand beschloss einstimmig, Macron zu unterstützen, vermied es jedoch, die eigene historische Niederlage zu diskutieren. Die PS hatte nur 6,12 Prozent der Stimmen erreicht. Das ist das niedrigste Ergebnis für eine sozialdemokratische Partei in Frankreich seit dem Ergebnis Gaston Defferres, der im Jahr 1969, kurz vor der Gründung der heutigen PS, gut fünf Prozent erhalten hatte.

Der PS-Parteisekretär, Jean-Christophe Cambadélis, erklärte: „Die Zeit für Erklärungen ist noch nicht gekommen. Jetzt ist die Zeit zu handeln. Am 7. Mai werden wir Emmanuel Macron wählen. Das werde ich ohne Zögern, ohne Zweideutigkeiten und bedingungslos tun, so wie wir es im Jahr 2002 für Jacques Chirac bei der Konfrontation mit Jean-Marie Le Pen getan haben.“

Im LR-Vorstand kam es zu einer hitzigen Diskussion über die Formulierung. Sollte man sich für einen „Sieg Macrons“ oder doch eher für eine „Niederlage von Le Pen“ aussprechen? Schließlich unterstützte der LR-Vorstand eine Erklärung ohne formelle Abstimmung. Die zweite Meinung setzte sich durch, und die Partei erklärte offiziell: „Enthaltung kann angesichts des Front National keine Alternative sein. Wir rufen zur Abstimmung gegen Marine Le Pen auf, damit sie die zweite Runde der Präsidentschaftswahl verliert. Direkt danach werden wir mit unserer Kampagne für die Parlamentswahlen beginnen, um unser alternatives Programm vorzustellen, das einzige, das in der Lage ist, die Situation in Frankreich zu verbessern.“

Jean-Luc Mélenchons Wahlbündnis Unbeugsames Frankreich und die mit ihm verbündeten kleinbürgerlichen Parteien äußern sich ähnlich mehrdeutig. Sie deuten an, sie würden es verstehen, wenn ihre Wähler in der zweiten Runde Macron unterstützen, ohne ihn eindeutig zu empfehlen. Mélenchons Parteigängerin Clémentine Autain und Pierre Laurent von der stalinistischen Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF) haben beide dazu aufgerufen Le Pen „zu schlagen“.

Die traditionellen Parteien der französischen Bourgeoisie und die Nachkommen der kleinbürgerlichen Studentenbewegung der 1968er Generation unterstützen alle Macron direkt oder indirekt, mit der Begründung, man müsse eine neofaschistische Diktatur verhindern. Damit begehen sie einen ungeheuerlichen politischen Betrug.

Macron ist keine demokratische Alternative zu Le Pen. Er will den Ausnahmezustand in Frankreich verlängern, der grundlegende demokratische Rechte außer Kraft setzt. Außerdem will er drastische Sparmaßnahmen durchsetzen und die Wehrpflicht wieder einführen. Er hat erklärt, der Krieg sei jetzt wieder „ein mögliches Ergebnis der Politik“. Um sein Programm durchzusetzen, wird er die Angriffe auf demokratische Rechte und die Unterdrückung von Massenprotesten, die jetzt schon unter dem PS-Präsidenten Hollande stattfinden, weiter verschärfen. Eine solche Politik ist letztlich mit der bürgerlichen Demokratie nicht vereinbar.

Es steht außer Frage, dass der Front National (FN) in direkter Linie vom französischen Faschismus abstammt und eine tödliche Gefahr für die Arbeiterklasse darstellt. Es wäre jedoch ein verhängnisvoller Irrtum, wenn die Arbeiter ihre Hoffnungen an eine Präsidentschaft von Macron knüpfen würden. Die herrschende Elite begründet eine solche Perspektive damit, Macron sei im Vergleich mit Le Pen das „kleinere Übel“.

Wenn die bürgerlichen Politiker Macron unterstützen, bedeutet das nicht, dass sie vorhaben, eine neofaschistische Diktatur zu „verhindern“, wie sie behaupten. Vielmehr ziehen sie eine Diktatur unter Macron, der ein Verbündeter der Europäischen Union und der Nato ist, einer Diktatur unter Marine Le Pen vor. Le Pen hofft im Unterschied zu ihnen auf ein Bündnis mit Trump und dem Kreml gegen Berlin.

Mélenchons und Arthauds Widerstreben, Macron offen zu unterstützen, zeigt, dass sie sich darüber bewusst sind, dass Macron bei den Arbeitern auf Widerstand stoßen wird, und dass sie diesen Widerstand fürchten. Ihre Sympathien liegen auf Seiten des von der PS unterstützten Kandidaten. Auf dieselbe Weise haben sie 2012 Hollande und 2002 Chirac unterstützt. Sie befürchten jedoch, dass sie ihre linke Flanke entblößen, wenn sie jetzt, nach Hollandes katastrophaler Präsidentschaft, den Bankier und Ex-PS-Minister Macron empfehlen. Ihre Manöver haben deshalb zum Ziel, die Reste ihres „radikalen“ Rufs zu retten, um die Kämpfe der Arbeiter gegen Macron und die PS umso besser in die Irre führen und abwürgen zu können.

Dass die französischen Wähler zwischen Macron und Le Pen wählen müssen, zeugt erneut von einer tiefen Krise der Demokratie. Sie hat revolutionäre Implikationen. Angesichts des Zusammenbruchs der PS ist der Aufbau einer Partei, die die Arbeiterklasse vertritt, die entscheidende Frage. Das erfordert jedoch einen schonungslosen Bruch mit Mélenchon, Arthaud und ähnlichen Kräften und den Kampf für den wirklichen Trotzkismus, wie ihn die Parti de l’égalité socialiste (PES) in Frankreich vertritt.

Schon seit der Wahlkrise von 2002 ist die Feindschaft der verschiedenen PS-Satelliten gegen den Aufbau einer Partei der Arbeiterklasse unübersehbar. Im Jahr 2002 hatten die pseudolinken Parteien zusammen drei Millionen Stimmen erhalten. Das waren: die Lutte Ouvrière (LO), die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR, heute NPA) und der damalige Parti des travailleurs (heute Parti ouvrier indépendent démocratique).

Damals standen sich nach dem Ausscheiden des PS-Kandidaten Lionel Jospin in der zweiten Runde Jacques Chirac und Marine Le Pens Vater Jean-Marie Le Pen gegenüber. Die pseudolinken Parteien haben damals den Aufruf des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) zum aktiven Boykott der Stichwahl missachtet. Ein aktiver Boykott hätte die Grundlage für eine politische Bewegung der Arbeiterklasse gegen die von Chirac geplanten Kriege und sozialen Angriffe schaffen können.

Die pseudolinken Parteien haben sich stattdessen der PS-Kampagne für die Wahl Chiracs angeschlossen. Damit haben sie ihre Feindschaft gegenüber den Millionen bewiesen, die in Frankreich gegen die zweite Runde mit Chirac und Le Pen protestierten, sowie gegenüber den Millionen, die kurze Zeit später, im Jahr 2003, weltweit gegen den drohenden Irakkrieg auf die Straße gingen.

Seitdem haben die pseudolinken Parteien die üble Politik der PS in allen Punkten mitgemacht. Sie haben die Angriffe auf Muslime unterstützt, Gesetze gegen das Kopftuch und die Burka verteidigt, imperialistische Kriege im Nahen Osten und in Afrika mitgetragen und die Sparpolitik Hollandes unterstützt. Hollande hat Le Pen in den Elysée-Palast eingeladen und damit dazu beigetragen, den FN hoffähig zu machen.

Seit 2002 haben sich die Arbeiter in Frankreich radikalisiert. Zwei Drittel der Bevölkerung geben an, dass der Klassenkampf für sie eine tägliche Realität sei. Weil sich die LO und die LCR damals aber auf die Seite Chiracs stellten, entstand auf der Linken ein Vakuum. Dadurch war der FN in der Lage, sich mit seinen Angriffen auf die PS und seinen demagogischen Law-and-Order-Parolen als wichtigste oppositionelle Tendenz zu positionieren.

Der fortschreitende politische Zusammenbruch der PS und ihrer heutigen Verbündeten ist das Produkt von jahrzehntelangem Verrat und reaktionärer Politik.

Mit Benoît Hamon als Kandidat wurde die PS in fast allen Wahlbezirken Frankreichs eliminiert. Hamons Stimmenanteil von 6,12 Prozent, nachdem die PS fünf Jahre an der Regierung war, ist vergleichbar mit dem Zusammenbruch von Pasok in Griechenland nach der drastischen Sparpolitik von Premierminister Giorgios Papandreou.

Kurzfristig hoffen die PS-Führer, sich in Macrons Windschatten neu formieren zu können. Aber sie sprechen auch offen über den Zerfall ihrer Partei. Einer von ihnen hat erklärt, er fürchte sich vor der Zeit nach den Parlamentswahlen: „Am 18. Juni wird es noch eine PS-Fraktion im Parlament geben. Aber ob auch noch sechs Monate später – da bin ich mir nicht mehr sicher.“

Macron hat im Westen Frankreichs, außerhalb der großen Industriezentren, und in den Innenstädten, wo die gehobene Mittelklasse konzentriert ist, am besten abgeschnitten. Er hat nur in drei der hundert Departments über dreißig Prozent der Stimmen erhalten: in der Ille-et-Vilaine in der Bretagne sowie in einem reicheren Bezirk im Zentrum von Paris und in der Hauts-de-Seine.

Mélenchon hat im Süden Frankreichs am besten abgeschnitten. In traditionellen PS-Hochburgen wie Ariège und Seine-St. Denis, den nördlichen Arbeitervororten von Paris, hat er mehr als 26 Prozent der Stimmen bekommen. Unter jungen Leuten zwischen 18 und 24 Jahren und unter Arbeitslosen lag er mit dreißig Prozent an erster Stelle. Viele Jugendliche entschieden sich nach den US-Angriffen auf Syrien für Mélenchon, um gegen die wachsende Kriegsgefahr zu protestieren.

Unter den Arbeitern lag Le Pen jedoch mit 37 Prozent im Vergleich zu Mélenchons 24 Prozent an erster Stelle. Die FN-Kandidatin erhielt von Arbeitern, deren Familien ein monatliches Einkommen unter 2000 Euro hat, 43 Prozent der Stimmen. Damit lag sie weit vor Mélenchon mit 22 Prozent. Ihre besten Ergebnisse erzielte sie in ländlichen Gebieten und in den ehemaligen Industriegebieten des Ostens und speziell des Nordostens Frankreichs. Das sind die ehemaligen Hochburgen der PS und der KPF. Diese zwei Parteien haben dort eine massive Deindustrialisierung zu verantworten, mit der sie militante Teile der Arbeiterklasse, insbesondere Bergarbeiter, Stahlarbeiter und Automobilarbeiter, niedergeworfen haben.

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