Bundesverfassungsgericht legitimiert rechtsradikale Geschichtsklitterung

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat am 28. März der Beschwerde eines rechten Bloggers stattgegeben, der in drei Instanzen wegen der Leugnung von Nazi-Verbrechen verurteilt worden war. Das Urteil ist ein Signal, das rechten Geschichtsrevisionismus begünstigt.

Der Publizist Michael Winkler, der sich selbst als „Monarchist“ bezeichnet, hatte 2010 auf seiner Internetseite und in einer kleinen Zeitschrift einen mit „Konspiration“ überschriebenen Text veröffentlicht, in dem es heißt: „So seltsam es klingen mag, aber seit 1944 ist kein einziger Jude nach Auschwitz verschleppt worden.“

Er begründete damit seine Behauptung, der Staat bediene „sich des Mittels der Konspiration, um unerwünschte Meinungen zu bekämpfen“, und rufe unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zum „Kampf gegen Rechts“ auf. „Der schreckliche Antisemitismus,“ folgerte er, „gegen den der ,Kampf gegen Rechts‘ so entschlossen vorgeht, bezieht sich heute auf WORTE, die den Juden nach Ansicht der Meinungskontrolleure womöglich nicht gefallen.“

Das Amtsgericht Würzburg verurteilte Winkler wegen Volksverhetzung durch Leugnung von Naziverbrechen zu einer Geldstrafe. Sowohl das Landgericht Würzburg wie das Oberlandesgericht Bamberg wiesen seinen Einspruch zurück. Sie beriefen sich dabei auf den Volksverhetzungs-Paragraphen im Strafgesetzbuch, der die öffentliche Billigung, Leugnung und Verharmlosung von Völkermordverbrechen des Naziregimes unter Strafe stellt.

Das Landgericht hatte den Ausdruck „seit 1944“ so interpretiert, dass bereits in diesem Jahr keine Menschen jüdischen Glaubens mehr nach Auschwitz verschleppt worden seien. Eine andere Interpretation des Satzes scheide als denkbare Verständnismöglichkeit aus.

Im Jahr 1944 war die Mordmaschinerie der Nazis auf Hochtouren gelaufen. Allein zwischen Mai und Juli wurden über 470.000 Juden aus ganz Europa nach Auschwitz-Birkenau verschleppt, von denen die meisten sofort in den Gaskammern ermordet wurden. 437.000 davon stammten aus Ungarn, wo nach der Machtübernahme der faschistischen Pfeilkreuzler in der berüchtigten „Ungarn-Aktion“ fast alle noch lebenden Juden deportiert wurden.

Das Bundesverfassungsgericht rechtfertigte nun Winklers abstruse These damit, man könne sie auch so verstehen, „dass letztmalig im Jahr 1944, nämlich im November diesen Jahres, Menschen jüdischen Glaubens durch das nationalsozialistische Unrechtsregime in das Konzentrationslager Auschwitz verschleppt wurden“.

Das ist historisch falsch und sprachlich an den Haaren herbeigezogen.

Die Deportation von Juden nach Auschwitz hörte im November 1944 nicht auf. Selbst 1945, kurz vor der Befreiung des Lagers am 27. Januar, registrierte die SS-Verwaltung noch 14 Neuzugänge. Und sprachlich schließt das Wort „seit“ den angegebenen Zeitpunkt mit ein. Laut Duden dient es zur „Angabe des Zeitpunkts, zu dem, oder der Zeitspanne, bei deren Beginn ein noch anhaltender Zustand, Vorgang begonnen hat“.

Die vorangegangenen Instanzen hatten zudem darauf hingewiesen, dass die Einleitung, „So seltsam es klingen mag…“, keinen Sinn ergebe, wenn Winkler erst die Zeit ab 1945 meine. Denn dass nach 1945 niemand mehr deportiert worden sei, klinge für niemanden seltsam.

Auch das verwarfen die Verfassungsrichter mit dem Hinweis, das „seltsam“ könne sich auch auf den Kontext der Äußerung beziehen, den die Fachgerichte hätten berücksichtigen müssen, um dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit Genüge zu tun.

Das ist allerdings außerordentlich verharmlosend, denn Winklers Text ist eine regelrechte Anleitung dazu, den Holocaust in Frage zu stellen. So schreibt er: „Wer sich um den Holocaust™ kümmert, bewegt sich in vermintem Gelände, denn das untergräbt den Bestand des Staates, die Pöstchen der Parteifunktionäre und deren Anrecht auf einen Dienstwagen.“

Man dürfe alles mögliche fragen, fährt er fort. „Sollten Sie allerdings drei verschiedene Augenzeugenberichte aus einem Konzentrationslager lesen, die sich gegenseitig ausschließen, fragen Sie bitte nicht. Die sind alle gleichzeitig wahr, bis ins letzte Detail, jenseits aller Naturgesetze.“

Winkler gibt also nicht einfach nur „seinem Missfallen darüber Ausdruck, dass, obwohl es unter der neuen Ordnung keine nationalsozialistischen Verbrechen mehr gäbe, trotzdem zu einem Kampf gegen Rechts aufgerufen würde“, wie das Verfassungsgericht verharmlosend behauptet. Für ihn ist, ähnlich wie für andere Rechtsradikale, die Infragestellung des Holocaust vielmehr ein wichtiges ideologisches Kampfmittel. Der „Kontext“ spricht also gerade dafür, dass Winkler Zweifel am Holocaust säen will.

Diesen Kontext will Karlsruhe, das die Sache an das Landgericht zurückverwiesen hat, allerdings nicht berücksichtigt haben: „Allein die Anknüpfung an die aus dem Gesamttext ersichtliche politische Haltung des Beschwerdeführers rechtfertigt eine solche Interpretation jedenfalls nicht,“ schreiben die Verfassungsrichter. Dass Winkler dafür eintritt, den Holocaust soweit wie irgend möglich in Frage zu stellen, soll bei der Interpretation keine Rolle spielen!

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liegt auf der Linie einer Entwicklung, die von der „Debatte“ über die rassistischen Thesen von Thilo Sarrazin bis zur Äußerung, „Hitler war nicht grausam“, von Humboldt-Professor Jörg Baberowski reicht. Deutschlands Rückkehr zu Militarismus und Weltmachtpolitik ist nicht machbar, ohne dass die Geschichte umgeschrieben und die Verbrechen der Vergangenheit relativiert werden. Selbst der Faschismus und seine Verbrechen stehen wieder zur Debatte. Eine derartige Grenzverschiebung dessen, was gesagt werden darf, hat nun auch das höchste deutsche Gericht abgesegnet.

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