Labour Party verabschiedet wirtschaftsfreundliches und militaristisches Wahlprogramm

Am Donnerstag vergangener Woche wurde der Entwurf des Wahlprogramms der Labour Party in mehreren britischen Zeitungen veröffentlicht, nachdem er der Presse zugespielt worden war. Wollte man den Schlagzeilen glauben, so plant Labour nach den Wahlen am 8. Juni die Einführung des Kommunismus.

Am selben Tag trat der Ausschuss der Partei zusammen, der über das Wahlprogramm entscheidet. Diesem Ausschuss gehören u. a. der nominell linke Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn, sein rechter Erzfeind, der stellvertretende Parteichef Tom Watson, und andere führende Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre an. Nach dem Treffen erklärte Corbyn vor der Presse, das Programm sei in allseitigem Einvernehmen verabschiedet worden und werde nächste Woche veröffentlicht.

Über das Wahlprogramm sind sich deshalb alle Seiten einig, weil es alle wichtigen Forderungen der Blair-Fraktion enthält.

Labour bekennt sich darin zur Nato und der Erneuerung des Trident-Atomwaffensystems. In Bezug auf die Bedingungen des Austritts aus der Europäischen Union bekräftigt die Labour Party, dass britische Unternehmen weiterhin an den „Vorteilen des Binnenmarkts und der Zollunion“ teilhaben sollen.

Das Wahlprogramm kommt den Interessen der britischen herrschenden Elite so weit entgegen, dass es von denselben Kolumnisten des Guardian gelobt wurde, die seit Corbyns Wahl zum Parteivorsitzenden im September 2015 seinen Kopf gefordert hatten.

Die führende Unterstützerin der Blair-Fraktion Polly Toynbee bezeichnete das Wahlprogramm als „Füllhorn von Wohltaten“. Es sei das Gegenteil des Wahlprogramms von 1983, das vom rechten Flügel der Partei als „längster Abschiedsbrief eines Selbstmörders aller Zeiten“ bezeichnet worden war. Weiter schrieb sie: „Hier wird keine der verheerenden Versprechungen wiederholt, die damals zur Spaltung der Partei führten: Rückzug aus Europa und der Nato, einseitige Abrüstung, protektionistische Währungskurs- und Importsteuerung, Verstaatlichung der Pharma- und Baustoffindustrie und vieler anderer Branchen.“

Der Kolumnist Jonathan Freedland erklärte, die politischen Vorstellungen des Wahlprogramms seien „höchst populär“, würden aber durch „den Vorsitzenden der Partei und ihre gefühlte Unfähigkeit, die Wirtschaft zu verwalten, negiert“.

Im Wahlprogramm von 1983 kam das Wort „Sozialismus“ neun Mal vor, im aktuellen überhaupt nicht. Ebenso wenig tauchen die Worte „Kapitalismus“ oder „Arbeiterklasse“ auf. Stattdessen trägt es den Titel „Für die Vielen statt für die Wenigen“. Diese Parole wird mit Blairs New Labour assoziiert und soll jeden Appell an Klasseninteressen verhindern.

Zu Beginn des Wahlprogramms schildert die Labour Party ihre wirtschaftliche Strategie. Sie bekräftigt die Abschaffung von Paragraph IV, in dem die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien gefordert worden war, bevor er vor über zwanzig Jahren vom damaligen Parteivorsitzenden Tony Blair gestrichen wurde. Im heutigen Programm heißt es dagegen: „Labour weiß, dass die Schaffung von Wohlstand ein gemeinschaftliches Unterfangen ist – von Investoren, Arbeitern, dem öffentlichen Dienst und der Regierung. Jeder trägt etwas dazu bei, und jeder muss zu gleichen Teilen davon profitieren.“

Labour werde eine „Industriestrategie entwickeln, die Großbritannien zu einem besseren Ort für Unternehmen macht und ihnen das Vertrauen gibt, in Großbritannien zu investieren“.

Weiter heißt es: „Die Körperschaftssteuer ist in Großbritannien so niedrig wie in keiner anderen Industrienation. Wir werden große Konzerne also etwas mehr zur Kasse bitten, die Körperschaftssteuer aber weiterhin auf einem Niveau halten, das zu den niedrigsten unter den Industrienationen zählt.“

Die eintausend Superreichen, die zusammen über ein nachweisliches Vermögen von 686 Milliarden Pfund verfügen (ohne Bankguthaben), haben von Labour nichts zu befürchten. Steuererhöhungen würden nur Einkommen über 80.000 Pfund, nicht aber Vermögen treffen.

Das Wahlprogramm enthält einige Ankündigungen über öffentliche Ausgaben: zusätzliche sechs Milliarden Pfund pro Jahr für den National Health Service, die Abschaffung von Studiengebühren und den Bau von bezahlbaren Wohnungen. Sie stehen aber alle unter dem Vorbehalt der „fiskalischen Glaubwürdigkeit.“ Laut dieser selbst verordneten Regel darf eine Labour-Regierung „für alltägliche Ausgaben keine Schulden machen“. Die Labour Partei erklärt, sie werde dem „Office for Budget Responsibility“ (OBR) auftragen, „die Einhaltung unserer fiskalischen Glaubwürdigkeitsregel zu überprüfen“. Das OBR ist dem Parlament Rechenschaft schuldig und hat ein „klares Mandat, Alarm zu schlagen, wenn die Regierung gegen diese Regeln verstößt“, d. h. es kann sein Veto gegen alle im Wahlprogramm versprochenen öffentlichen Ausgaben einlegen.

Mit der Forderung nach Zugang zum „Binnenmarkt und der Zollunion“ artikuliert das Wahlprogramm die Interessen maßgeblicher Teile der britischen herrschenden Klasse. Es bezeichnet diesen Zugang als „wichtig, um Industrie, Arbeitsplätze und Unternehmen in Großbritannien zu halten“ und verspricht, die Verhandlungsstrategie der konservativen Regierung beim Brexit zu beenden.

Die „Verstaatlichungen“, die das Programm verspricht, sind Betrug. Die „Rücknahme“ der Privatisierung des National Health Service beschränkt sich darauf, dass nicht „auf Kosten des Wohlergehens der Patienten exzessive private Profite mit dem NHS gemacht werden“.

Die Verstaatlichung der Royal Mail soll erst bei „nächster Gelegenheit“ stattfinden. Das privatisierte Schienennetz der Bahn soll „wieder in öffentliches Eigentum überführt werden“, allerdings erst, wenn die derzeitigen Konzessionen an private Betreiber auslaufen.

Außerdem bekennt sich die Labour Party zu Militarismus und dem Kriegskurs des britischen Imperialismus: „Wir leben in einer Periode wachsender internationaler Spannungen. Eine starke, tragfähige und nachhaltige Verteidigungs- und Sicherheitspolitik muss strategisch sein und auf Fakten basieren.“ Auf dieser Grundlage wird eine Labour-Regierung „nach ihrer Amtsübernahme eine vollständige Überprüfung der strategischen Verteidigungspolitik durchführen, um festzustellen, welche Gefahren Großbritannien drohen und welche Mittel für seine Verteidigung notwendig sind. Wir werden sicherstellen, dass unsere Streitkräfte angemessen ausgerüstet sind, um auf weitreichende Bedrohungen unserer Sicherheit reagieren zu können. Labour wird sich zu effektiver Friedenssicherung durch die UN bekennen, u .a. zur Unterstützung des Aufbaus eines Friedensnotdienstes der UN.“

Im Wahlprogramm wird beklagt, dass die Tory-Regierungen „Großbritanniens Sicherheit aufs Spiel gesetzt haben. Sie haben die Armee so stark abgebaut, dass sie heute so klein ist wie zuletzt in den Napoleonischen Kriegen. Die Abschaffung der Nimrod-Aufklärungsflugzeuge, der HMS Ark Royal und der Harrier-Senkrechtstarter hat unsere Verteidigungsfähigkeit geschwächt ...“

Mit einem Kotau gegenüber der Blair-Fraktion heißt es: „Die letzte Labour-Regierung hat immer mehr für Verteidigung ausgegeben als die Zielvorgabe der Nato in Höhe von zwei Prozent des BIP.“ Im jetzigen Wahlprogramm verspricht Labour, „mindestens zwei Prozent des BIP für den Verteidigungsetat auszugeben“.

Außerdem wird zugesagt, das U-bootgestützte Trident-Atomwaffensystem für mehr als 200 Milliarden Pfund zu erneuern. Dieses Versprechen stellt alle angekündigten Erhöhungen der öffentlichen Ausgaben weit in den Schatten. Der Einsatz von Atomwaffen wird nicht ausgeschlossen, sondern es heißt lapidar: „Jeder Premierminister sollte extrem vorsichtig sein, wenn er den Einsatz von Massenvernichtungswaffen anordnet, die Millionen unschuldige Zivilisten das Leben kosten würden.“

Trotzdem druckte die Zeitung The Sun eine Bildmontage von Corbyn neben roten Flaggen sowie Hammer und Sichel ab und bezeichnete das Wahlprogramm als „außergewöhnlichen sozialistischen Plan zur Machtübernahme“. Die Daily Mail bezeichnete es als ein „sozialistisches Manifest, rot in Zähnen und Klauen, und triefend vor Klassenneid“.

Diese Reaktion zeigt, dass die herrschenden Teile des Kapitals nichts hinnehmen werden, was sie auch nur im Geringsten an der Anhäufung immenser Vermögen hindert. Die bloße Andeutung einer Umverteilung des Reichtums gilt als Blasphemie.

Das Wahlprogramm bestätigt, dass Labour von einer reaktionären Bande aus Austeritäts- und Kriegsbefürwortern kontrolliert wird.

Vergangenen Freitag sprach Corbyn bei der Londoner Denkfabrik Royal Institute of International Affairs (Chatham House) über seine Außenpolitik. Er versicherte seinem Publikum, er sei „kein Pazifist“, erklärte aber: „Labour wird aktiv die Abrüstung gemäß dem Atomwaffensperrvertrag verfolgen. Wir verpflichten uns außerdem, keinen nuklearen Erstschlag durchzuführen.“

Auch das stimmt nicht. Schatten-Verteidigungsministerin Nia Griffith wurde vor einem Monat explizit gefragt, ob sie Corbyns Aussage zustimme, dass er den Abwurf einer Atombombe nicht genehmigen werde. Sie antwortete, dies sei nicht die Politik der Labour Party: „Wir sind bereit, sie einzusetzen, und mit Sicherheit bin ich dazu bereit.“

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