Streikende Amazon-Arbeiter unterstützen Aufruf zur internationalen Zusammenarbeit

Am gestrigen Freitag, dem 26. Mai, streikten erneut Arbeiter der Amazon-Verteilzentren in Bad Hersfeld (Hessen). Seit Jahren wehren sie sich gegen die gnadenlose Ausbeutung zu Niedriglöhnen beim Versandhändler Amazon, der dem Multimilliardär Jeff Bezos gehört.

Streik bei Amazon FRA3, Bad Hersfeld

In Bad Hersfeld arbeiten rund 1000 Beschäftigte im „FRA1“, dem ältesten Verteilzentrum Deutschlands, und weitere 2000 bis 2200 Frauen und Männer im neueren „FRA3“, das an der „Amazonstraße“ liegt. Vor dem Tor versammelten sich frühmorgens rund hundert streikende Arbeiter. Etwa vierzig von ihnen fuhren anschließend mit dem Bus nach Frankfurt/Main, um am Streik- und Aktionstag im hessischen Einzelhandel teilzunehmen.

Die aktuelle Forderung der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi für die Beschäftigten im Einzel- und Versandhandel ist ein Euro mehr pro Stunde. Bei Amazon geht es jedoch vor allem darum, überhaupt einen Tarifvertrag zu bekommen. Der weltgrößte Internet-Versandhändler weigert sich, irgendeinen Tarifvertrag anzuerkennen. Die Forderung in der laufenden Tarifrunde, dass die Branchentarifverträge für alle Unternehmen, auch für Amazon, allgemeinverbindlich sein müssen, wird von Verdi allerdings nur halbherzig verfolgt. Eine ähnliche Forderung nach einem einheitlichen Tarifvertrag für alle Bodendienste an den deutschen Flughäfen hat Verdi erst vor wenigen Wochen sang- und klanglos aufgegeben.

Streikende Amazon-Arbeiter sprechen mit der WSWS

Amazon ist nicht nur für seine brutalen Ausbeutermethoden und für die Arbeitsabläufe bekannt, die bis ins allerletzte Detail durchorganisiert sind. Berüchtigt ist auch das harsche Durchgreifen gegenüber jedermann, der sich beschwert. Viele streikende Arbeiter wollten sich deshalb am Freitagmorgen in Bad Hersfeld vor der Kamera nicht über ihre Arbeitsbedingungen oder über die Repressalien äußern. „Ich stehe kurz vor dem Rausschmiss“, konnte man mehrfach hören. Ohne ihren Namen zu nennen, berichteten sie aber über die schwere Arbeit und die durchgetakteten Vorgaben.

Thomas, ein „Picker“, ist einer von ihnen. „Picker“ nennt Amazon die Arbeiter, die die bestellten Waren in der riesigen Lagerhalle zusammensuchen. Thomas berichtet, dass er täglich zwischen 20 und 30 Kilometer laufe. Um das zu kompensieren und sich fit zu halten, macht er Ausgleichssport. „Aber wenn ich Ware aus dem unteren Fach nehme, muss ich runter in die Knie, oft auch auf die Knie.“ Da helfe auch der beste Ausgleichssport nicht.

Andreja

Andreja arbeitet seit rund neun Jahren bei Amazon und verdient 2000 Euro brutto im Monat – „und das auch nur, weil ich schon länger als 24 Monate hier beschäftigt bin.“ Die Anfänger verdienen deutlich weniger. „Das sind 24.000 Euro im Jahr!“ sagt Andreja. Zum Vergleich: Amazon-Besitzer „Jeff Bezos ist der zweitreichste Mann der Welt. Er ‚verdient‘ 24.000 Dollar in der Minute.“ Sie erinnert daran, dass die Geschäftsführung früher erklärt habe, höhere Löhne seien nicht drin, weil Amazon Verlust mache. „Aber was ist jetzt?“, fragt sie. Heute explodieren doch die Gewinne. „Am Gewinn werden wir nicht beteiligt.“

Andreja erklärt auch, wie Amazon die niedrigen Löhne „begründet“. „Amazon stellt uns alle als Ungelernte an. Dabei haben viele von uns einen gelernten Beruf.“ Sie selbst sei gelernte Einzelhandelskauffrau, auch ausgebildet im Bereich Lager/Logistik. „Dem wird aber nicht nachgefragt. So laufen wir hier jahrelang als Ungelernte herum.“

Dass der Druck auf die Arbeiter enorm sein muss, zeigt sich an diesem Freitagmorgen deutlich. Mit Arbeitern, die nicht streiken, ist es kaum möglich, ein Wort zu wechseln. Aber fast alle nehmen den Flyer der WSWS mit, der die International Amazon Workers Voice vorstellt. Mehrere zögern erst, nehmen ihn aber mit, sobald wir darauf hinweisen, dass er nicht von Verdi stammt. „Für viele sind wir nicht radikal genug“, berichtet Andreja. Diese Kollegen würden radikale Proteste wie etwa in Frankreich bevorzugen.

Carl war ursprünglich US-Soldat und bis 1992 in Deutschland stationiert. Er hat schon 1999 in Bad Hersfeld zu arbeiten begonnen, als Amazon dort sein erstes deutsches Lager- und Verteilzentrum in Betrieb nahm. Zuvor hat er als Garten- und Landschaftsbauer, im Gerüstbau und im Sicherheitsgewerbe gearbeitet.

Da die jahrzehntelange Arbeit seine Gesundheit ruiniert hat, spricht Carl sich vehement gegen das neue „Health Bonus“-System aus, das die Amazon-Direktion schon in mehreren deutschen Filialen eingeführt hat. Bad Hersfeld ist bisher noch davon verschont geblieben. Nach diesem System wird ein Teil der Bonuszahlung mit der Anwesenheitsquote einer gesamten Abteilung verknüpft. Fehlt ein Arbeiter wegen Krankheit, erhalten alle weniger.

Das offensichtliche Ziel dieser Maßnahme besteht darin, dass sich die Arbeiter gegenseitig kontrollieren und unter Druck setzen sollen. „Ich muss zweimal im Jahr ins Krankenhaus, manchmal auch für länger“, sagt Carl. „Soll dafür die gesamte Abteilung büßen?“

Auch Dave, seit 2011 in der Retouren-Abteilung tätig, die hier „C[ustomer]-Returns“ heißt, ist gegen dieses System. Seiner Meinung nach ist das nur eine „Masche, um die Mitarbeiter an die Arbeit zu kriegen“. Die Arbeiter schleppen sich dann auch noch krank, z. B. mit Erkältung, zum Betrieb und stecken dort noch weitere Kollegen an. „Das wird die ganze Sache nur verschlimmern“, sagt Dave. Er hoffe, dass der Betriebsrat es schaffe, in Bad Hersfeld diesen „Health Bonus“ zu verhindern.

Jens B.

Das perfide System erklärt uns Jens B. am Rande der Demonstration in Frankfurt. Der gelernte Einzelhandelskaufmann arbeitet seit sieben Jahren bei Amazon. Ein gemeinschaftlicher Gruppenbonus solle wohl so funktionieren, sagt Jens, „dass aus der Abteilung fünf Leute herausgelost werden, und wenn einer dieser fünf Personen krank gewesen ist, dann kriegt die ganze Abteilung den Gruppenbonus nicht, dann leiden alle darunter. Das ist nicht nur eine Lotterie, es ist auch eine Veräppelung der Mitarbeiter.“

Jens hat vor einiger Zeit bei Amazon miterlebt, wie eine kranke Kollegin, die er gut kannte, sich noch auf die Arbeit schleppte, obwohl sie gar nicht gesund war. „Sie ist dann bei Amazon zusammengebrochen und letztendlich gestorben. Das zeigt genau das Ausmaß, wohin sowas führt.“

Ein Amazon-Arbeiter ergänzt die Berichte mit den Worten: „Wenn mal was Ungeplantes kommt, eine Krankheit oder eine Reparatur, dann bist du sofort am Ende. Der Lohn reicht, wenn überhaupt, grade für das nackte Überleben, und auch das ist schon schwer.“

Demonstration in Frankfurt am Main

An der Demonstration in Frankfurt nehmen viele Kolleginnen aus andern Unternehmen des Einzel- und Versandhandels teil. Sie interessieren sich sehr für die Bedingungen bei Amazon, und praktisch alle nehmen die Flyer mit der Adresse der International Amazon Workers Voice mit. Viele berichten über ähnliche Arbeitsbedingungen.

Raffaela, die bei Karstadt an der Kasse arbeitet, hat schon Erfahrungen mit mehreren Einzelhandels-Unternehmen gemacht: „Amazon finde ich ganz fürchterlich. Aber auch bei Real kann es vorkommen, dass registriert wird, wenn jemand nicht schnell genug arbeitet. Dann riskiert er ganz schnell, ins Büro zitiert zu werden.“

Elke K. arbeitet bei Real in Wiesbaden. Nach der Lektüre des Handzettels über Amazon sagt sie spontan, eine internationale Zusammenarbeit gegen einen derart globalen Konzern sei wirklich wichtig. „Das sind wirklich unhaltbare Zustände, das erinnert mich an Bangladesch“, sagt Elke. „Was für eine Hetze, wenn die Leute mehr als zwanzig Kilometer am Tag laufen müssen.“ Dann berichtet Elke, dass sie mehrere Kolleginnen kenne, die trotz Arbeit und Überstunden zum Sozialamt müssen, um Aufzustocken und ihre Miete zu bezahlen. „Was für ein perfides System!“

Marco, einKarstadt-Verkäufer, ist vor allem entsetzt darüber, dass Arbeiter in Schottland im Zelt schlafen müssen und von ihrer Arbeit die Fahrtkosten oder eine näher gelegene Wohnung nicht bezahlen können. „Kaum zu glauben, dass so etwas in einem modernen Industriestaat möglich ist.“

Gabriele fährt fort: „Interessant ist der Vorschlag, international zusammenzuarbeiten. Die Unternehmer agieren schon längst international und verschieben die Betriebe nach Tschechien oder Polen und spielen uns gegeneinander aus. Und die Gewerkschaften haben ihr Süppchen bisher auch nur im nationalen Rahmen gekocht.“

Derweil stehen in Bad Hersfeld die Streikenden wieder vor dem Mittagsschichtwechsel. Sie sind damit konfrontiert, dass sich sehr viele Kollegen nicht am Verdi-Streik beteiligen. Eine Ursache ist zweifellos, dass die Kollegen einfach keinen Grund sehen, darauf zu hoffen, dass Verdi ihre Interessen vertritt und durchsetzen werde. Seit vier Jahren organisiert Verdi nun schon die eintägigen und isolierten Streiks gegen Amazon, einen internationalen und komplett vernetzten Konzern.

In Wirklichkeit verfolgt die Gewerkschaft ganz andere Ziele als die Arbeiter. Mit ihrer Forderung eines Tarifvertrags möchte Verdi von Amazon endlich als Ansprechpartner in Deutschland akzeptiert werden und auf Augenhöhe mit ihm zusammenarbeiten. Das läuft aber letztendlich darauf hinaus, die Ausbeutung mit zu organisieren. So wie es heute schon bei allen Betrieben stattfindet, in denen Verdi im Aufsichtsrat sitzt, wie zum Beispiel Lufthansa, an den Flughäfen, bei Karstadt, der Deutschen Bank und in vielen anderen Unternehmen.

Für Arbeiter liegt es auf der Hand, dass sie nur international gemeinsam gewinnen können. In Bad Hersfeld sagte Carl, der US-Soldat: „Wir können alle mehr erreichen, wenn wir alle zusammen sind. Nicht nur in einem Land oder im Bund, sondern auf internationaler Ebene.“

Deshalb haben die Sozialistische Gleichheitspartei und ihre weltweiten Schwesterparteien den International Amazon Workers Voice ins Leben gerufen. Dieser Newsletter wird seiner Form und seinem politischen Inhalt nach international sein. Er wird die Kämpfe von Arbeitern in aller Welt verbinden und in zahlreichen Sprachen erscheinen.

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