Perspektive

Der Riss zwischen Deutschland und den USA – ein „Wendepunkt“

Der G7-Gipfel in Italien endete am Wochenende mit einem offenen Zerwürfnis zwischen den Vereinigten Staaten und den großen europäischen Mächten. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel erklärte im Grunde das transatlantische Bündnis – die Grundlage für die Nachkriegsstabilität – für beendet.

In einer Rede auf einer Wahlkampfveranstaltung der CSU in einem Münchner Bierzelt sagte Merkel am Sonntag: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt. Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“

Merkel sprach nur einen Tag nach dem Ende des Gipfels, auf dem die Konflikte mit den USA offen zutage traten. Zum Bruch kam es, nachdem US-Präsident Donald Trump sich bei einem Treffen in Brüssel geweigert hatte, die Bindung der USA an Artikel 5 des Nato-Vertrags zu bekräftigen. Artikel 5 verpflichtet die Mitgliedsstaaten bei einem Angriff zu gegenseitigem Beistand. Dem folgte ein Nato-Treffen, auf dem er den Europäern eine Standpauke hielt, weil sie dem Bündnis „nicht das zahlen, was sie zahlen sollten“.

Im Mittelpunkt des Konflikts auf dem G7-Gipfel stand die Unterstützung für das Pariser Klimaabkommen von 2015, das die Trump-Regierung für ungerecht hält, weil es das Wirtschaftswachstum in den USA behindere.

Die übrigen sechs Mitglieder, Großbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland, Kanada und Japan, weigerten sich nachzugeben. Das führte dazu, dass im Schlusskommuniqué die Einwände der USA aufgeführt werden: „Die Vereinigten Staaten sind dabei, ihre Politik in Bezug auf den Klimawandel und das Pariser Abkommen zu überarbeiten. Sie können sich deshalb dem Konsens in diesen Fragen nicht anschließen.“

Auch auf den bisherigen G7-Treffen hatte es Meinungsverschiedenheiten und unterschiedliche Interpretationen von getroffenen Entscheidungen gegeben. Die Teilnehmer waren jedoch immer in der Lage, im Abschlusskommuniqué ihre Differenzen zu vertuschen. Bei dem diesjährigen Treffen gelang das nicht.

Die Konflikte weiteten sich auch auf andere Fragen aus. Noch bevor der Gipfel überhaupt begonnen hatte, verhinderten die USA einen Antrag des Gastgebers Italien, zumindest in Worten auf die Rechte der Flüchtlinge einzugehen.

Der Handel war ein weiterer strittiger Punkt. Die USA hatten dafür gesorgt, dass Hinweise auf die Notwendigkeit, „dem Protektionismus zu widerstehen“, aus den diesjährigen Erklärungen der G20, der G7-Finanzminister und des IWF entfernt wurden.

Das G7-Kommuniqué bestätigte die Verpflichtung, „die Märkte offen zu halten und gegen Protektionismus zu kämpfen, sowie sich allen unfairen Handelspraktiken zu widersetzen“. Die Hoffnungen der europäischen Politiker, dass die Worte „gegen Protektionismus kämpfen“ ein Nachgeben Washingtons darstellen könnten, erwiesen sich als sehr kurzlebig.

Direkt nach dem Treffen griff Trump die Erwähnung der „unfairen Handelspraktiken“ auf. In einer Reihe von Twitter-Nachrichten bejubelte er die „tollen Ergebnisse“ in Bezug auf den Handel. Er hob speziell die Sätze über die „Beseitigung sämtlicher handelsverzerrender Praktiken“ hervor, mit der die „Wettbewerbsgleichheit gefördert wird“. Was er nicht erwähnte, war der „Kampf gegen den Protektionismus“.

Laut Spiegel Online hatte Trump Deutschland Anfang letzter Woche bei einem Treffen mit europäischen Politikern als „böse, sehr böse“ bezeichnet. Er hatte hinzugefügt: „Schauen Sie sich die Millionen von Autos an, die sie in den USA verkaufen. Fürchterlich. Wir werden das stoppen.“

Bevor sie am Sonntag nach München reiste, beschrieb Merkel die Gespräche über das Klimaabkommen als „sehr unzufriedenstellend“. In München fasste sie die weitreichenden Auswirkungen des Rückzugs Großbritanniens aus der Europäischen Union (Brexit) und des Konflikts mit den USA zusammen.

Sie erklärte: „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen. Natürlich in Freundschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika, in Freundschaft mit Großbritannien, in guter Nachbarschaft, wo immer das geht, auch mit Russland, auch mit anderen Ländern.“ Aber, so Merkel: „Wir müssen selber für unsere Zukunft kämpfen, als Europäer, für unser Schicksal.“

Die Tatsache, dass diese Worte in einem Münchner Bierzelt geäußert wurden, was an den Beginn der politischen Karriere von Hitler erinnert, unterstrich ihre Bedeutung.

Eine Reihe von Kommentaren hob die historische Tragweite von Merkels Äußerungen hervor.

In einer Twitter-Nachricht erklärte Richard Haass, Präsident des US-Council on Foreign Relations (US-Rat für Auswärtige Beziehungen), die Äußerungen seien ein „Wendepunkt“. Genau diese Entwicklung hätten „die USA seit dem Zweiten Weltkrieg versucht zu vermeiden“.

Henry Farrell, Professor für Politikwissenschaft und Internationale Angelegenheiten an der George Washington University, erklärte in der Washington Post, Merkels Worte seien „eine deutliche Veränderung der politischen Rhetorik“. Während die „besondere Beziehung“ zwischen Großbritannien und den USA in der Öffentlichkeit mehr Raum eingenommen hätte, „war die deutsch-amerikanische Beziehung wohl wichtiger“.

Ein Ziel der Nato, schrieb Farrell, bestand darin „Deutschland in einen internationalen Rahmen einzubetten, der verhindert, dass es so wie im Ersten und Zweiten Weltkrieg zu einer Gefahr für den europäischen Frieden wird“. Er erinnerte an die Worte des ersten Nato-Generalsekretärs Hastings Ismay, das Ziel des Bündnisses sei es, „die Russen draußen, die Amerikaner drin und die Deutschen unten zu halten“. Jetzt versuche Deutschland, eine unabhängigere Rolle als in der ganzen Zeit seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu spielen.

Der unmittelbare Grund für das Zerwürfnis auf dem G7-Treffen wurde allgemein dem „flegelhaften“ Benehmen von Trump zugeschrieben. Sein Verhalten ist allerdings nur der letzte und bislang deutlichste Ausdruck der Spannungen zwischen den imperialistischen Großmächten.

Als die USA 2003 in den Irak einmarschierten, entschied sich Deutschland aufgrund der eigenen wirtschaftlichen und strategischen Interessen im Nahen Osten gegen ein militärisches Eingreifen. Donald Rumsfeld, damals US-Verteidigungsminister, sprach daraufhin von einem Gegensatz zwischen dem, was er das „alte Europa“ nannte – dem deutschen Einflussbereich – und dem „neuen Europa“, den osteuropäischen Staaten, die mehr zu den USA neigten.

Das transatlantische Bündnis wurde zwar aufrechterhalten, diese Differenzen haben sich jedoch im letzten Jahrzehnt verschärft. In den politischen Kreisen in Deutschland nahm die Kritik an der katastrophalen internationalen Politik der USA zu und wurde immer häufiger die Notwendigkeit diskutiert, dass Deutschland sich in der internationalen Arena behaupten müsse.

Die Differenzen beider Länder erstrecken sich auch auf die Politik im Nahen Osten, wo Deutschland bedeutende wirtschaftliche Interessen hat; in China, wo Deutschland von dem „Neuen Seidenstraßen“-Projekt von Präsident Xi Jinping profitieren möchte; und in Russland.

Im Februar 2016 rief das Internationale Komitee der Vierten Internationale in seiner Erklärung Sozialismus und der Kampf gegen Krieg zum Aufbau einer internationalen Bewegung der Arbeiterklasse gegen die Gefahr eines neuen imperialistischen Weltkriegs auf.

Darin heißt es, dass der amerikanische Imperialismus zwar „die Schaltzentrale der globalen Kriegsplanung ist“, aber nur „in konzentrierter Form die unlösbare Krise des Kapitalismus als Weltsystem“ verkörpere.

Der europäische und der japanische Imperialismus, die mit den gleichen inneren und äußeren Widersprüchen konfrontiert seien, verfolgen nicht weniger räuberische und reaktionäre Interessen ihrer eigenen herrschenden Klassen, so die Erklärung. „Alle versuchen sie, die überspannten amerikanischen Ansprüche im eigenen Interesse auszunutzen, was zu einem erbitterten Kampf um die globale Neuaufteilung der wirtschaftlichen und politischen Macht degeneriert ist.“

Wie die Zerwürfnisse auf dem G7-Gipfel zeigen, haben sich die Konflikte zwischen den Großmächten ausgeweitet und werden sich voraussichtlich noch weiter verschärfen.

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