Macron geht bei Treffen mit Putin auf Abstand zu Washingtons Anti-Russland-Politik

Am Montagnachmittag begrüßte der neu gewählte französische Präsident Emmanuel Macron den russischen Präsidenten Wladimir Putin im ehemaligen königlichen Palast von Versailles. Vor dem Hintergrund explosiver Konflikte, bei denen die europäischen Mächte und Washington in Syrien, in der Ukraine und in Osteuropa bereits kurz vor einem direkten militärischen Konflikt mit Russland standen, kündigte Macron eine entscheidende Wende in Frankreichs Außenpolitik an.

Die Konferenz in Versailles fand kurz nach einem ungewöhnlichen Auftritt der deutschen Kanzlerin Merkel in München statt. Merkel hatte dort erklärt, Europa könne sich nicht länger auf Washington oder London verlassen. „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen“, erklärte sie und fügte hinzu: „Natürlich in Freundschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika, in Freundschaft mit Großbritannien, in guter Nachbarschaft, wo immer das geht, auch mit Russland, auch mit anderen Ländern.“ Aber, erklärte Merkel: „Wir müssen selber für unsere Zukunft kämpfen.“

Der Präsident des einflussreichen US-Council on Foreign Relations, Richard Haass, äußerte sich entsetzt über Merkels Aussage, die Ereignisse der letzten Woche seien ein „Wendepunkt“. Genau diese Entwicklung hätten „die USA seit dem Zweiten Weltkrieg zu vermeiden versucht“. Die Konferenz von Versailles am Montag bestätigte, dass die französische Außenpolitik unter Macron in groben Zügen dem Weg Deutschlands folgt, der dominierenden Macht innerhalb der Europäischen Union (EU). Dieser Weg geht selbst mit Kriegsgefahr einher und ist in zunehmendem Maße unabhängig von Washington und gegen Washington selbst gerichtet.

Macron vertritt zwar eine aggressive imperialistische Politik in der syrischen und ukrainischen Krise, gleichzeitig distanziert er sich aber von der amerikanischen Politik gegenüber Russland. Washington hat sowohl in der Ukraine als auch in Syrien mehrfach einen direkten militärischen Zusammenstoß mit der Atom-Großmacht Russland riskiert. Macron erklärte hingegen, sein Ziel sei eine „Stärkung der Partnerschaft mit Russland“.

In Bezug auf Syrien betonte Macron die Notwendigkeit einer aggressiven Intervention für einen Regimewechsel, den er euphemistisch „Übergang zur Demokratie in Syrien“ nannte.

Er nannte die Umstände, unter denen Frankreich bereit wäre, an nackter militärischer Aggression teilzunehmen, wie Donald Trump sie am 7. April vorgeführt hat. Washington feuerte an diesem Tag Dutzende Marschflugkörper auf einen syrischen Luftwaffenstützpunkt ab, auf dem russische und syrische Truppen stationiert waren. Macron erklärte: „Für uns gibt es zwei klare rote Linien: Der Einsatz von Chemiewaffen wird einen sofortigen Gegenschlag Frankreichs zur Folge haben und wir müssen humanitäre Korridore beibehalten.“

Macron wiederholte die politischen Lügen, mit denen der Stellvertreterkrieg der Nato-Mächte in Syrien gerechtfertigt wird. Tatsächlich soll der Krieg das letzte pro-russische arabische Regime zerstören, das obendrein auch noch eine ehemalige französische Kolonie ist. Die Nato hat islamistische Terrornetzwerke benutzt, um Kämpfer und Freiwillige nach Syrien zu schicken. Einige von ihnen haben dann später Terroranschläge in Europa selbst verübt, darunter in Paris und zuletzt in Manchester.

Die Chemiewaffenangriffe, speziell die in Houla im Jahr 2012 und in Ghouta im Jahr 2013, wurden in Wirklichkeit von „Rebellen“ im Dienste der Nato verübt, die versuchten damit eine direktes militärisches Eingreifen der Nato-Länder in Syrien zu provozieren.

Und die „humanitären Korridore“, die Macron so rühmt, dienen vor allem dazu, mehr als zehn Millionen syrische Flüchtlinge, die durch den Krieg ihre Heimat verloren haben, in Flüchtlingslagern des Nahen Ostens festzuhalten und sie daran zu hindern, nach Europa zu fliehen. Um diese grausame Politik durchzusetzen hat die EU außerdem die Patrouillen und Rettungseinsätze im Mittelmeer verringert. Sie nimmt damit in Kauf, dass Tausende Flüchtlinge ertrinken, und hofft, dass die Flüchtlinge, die sich noch im Nahen Osten aufhalten, aus Angst dort bleiben, wo sie sind.

Gleichzeitig deutete Macron an, Frankreich könnte seine Botschaft in Damaskus wiedereröffnen. Das wäre ein Bruch mit der Politik Washingtons und seines Vorgängers François Hollande. Hollande hatte die islamistische Opposition als legitime Regierung Syriens anerkannt. Macron schlug außerdem vor, die Zusammenarbeit mit russischen Geheimdiensten gegen islamistische Netzwerke zu verstärken.

In Bezug auf die Ukraine erklärte Macron, er und Putin planten „so kurzfristig wie möglich“ ein Treffen mit Berlin und Kiew zu organisieren, um „eine Deeskalation des Konflikts“ zu erreichen. Sie unterstützen damit die Gespräche im sogenannten diplomatischen „Normandie“-Format, zu dem Deutschland, Russland, Frankreich und die Ukraine gehören. Dieses Format, bei dem die USA ausgeschlossen sind, entstand 2015, nachdem Washington und Berlin den Putsch rechtsextremer Milizen in Kiew organisiert hatten, welche die pro-russische Regierung stürzten.

2015 drohte Washington damit, diese Milizen zu bewaffnen, um in den russischsprachigen Gebieten der Ostukraine einen Krieg zu beginnen. Das führte zu einer abrupten politischen Strategieänderung in Deutschland und Frankreich, die eiligst das Minsker Abkommen mit Moskau und Kiew schlossen. Damit sollte eine militärische Eskalation verhindert werden, die einen großflächigen Bodenkrieg zwischen russischen und ukrainischen Truppen sowie den Ausbruch eines Kriegs in ganz Europa hätte auslösen können.

Hollande sprach damals kurz vor einer hastig einberufenen Pressekonferenz im Elysée-Palast und erklärte einer Gruppe verblüffter Journalisten, ein „totaler“ Krieg mit Russland sei möglich. Danach flog er nach Minsk, um mit Merkel, Putin und dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko zu verhandeln.

Macron setzt jetzt eindeutig auf Bemühungen der EU, die anti-russischen Fraktionen in der US-Staatsführung und speziell in der Demokratischen Partei daran zu hindern, Europa in die Falle eines Konflikts mit Russland zu locken, den die EU nicht will. Ohne Widerspruch von Macron forderte Putin ein Ende der EU-Sanktionen gegen Russland. Die Sanktionen wurden bislang sowohl von Washington als auch von Berlin unterstützt. Putin erklärte jedoch, sie hätten „überhaupt nicht“ dazu beigetragen, den Konflikt in der Ukraine beizulegen.

Macron erklärte, er habe eine breite Palette globaler Fragen mit Putin diskutiert, darunter auch Atomwaffen und die Krise in Nordkorea. Ominös fügte er hinzu, er werde nicht alle Fragen, die er in der Diskussion mit Putin angeschnitten habe, auf der Pressekonferenz erörtern, das wäre einer sinnvollen Diplomatie nicht förderlich.

Macron hätte auch zugeben können, dass die rücksichtslose Politik der Nato-Mächte zu einer Krise führte, für die die herrschende Klasse in Frankreich und in ganz Europa keine Lösung hat. Die immer offeneren Spannungen zwischen den großen europäischen Mächten und Washington sind an und für sich schon eine Warnung, dass die Konflikte innerhalb des Nato-Bündnisses explosive Ausmaße annehmen. So droht Trump z.B. Frankreich und Deutschland mit einem Handelskrieg.

In mehr als einem Vierteljahrhundert seit der Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 haben sich die imperialistischen Kriege, die von den Nato-Mächten angezettelt wurden, über den Balkan, Osteuropa, den Nahen Osten und Afrika ausgebreitet. Zusammengenommen haben diese Kriege – in Afghanistan, Jugoslawien, dem Irak, Syrien, Libyen und darüber hinaus – das Leben von Millionen Menschen gekostet und die größte Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Jetzt konfrontieren die wachsenden internationalen Widersprüche des Weltkapitalismus die Arbeiter und Jugendlichen international mit der Gefahr eines neuen Weltkriegs.

Die Pressekonferenz fand in den Goldsälen von Versailles statt. Der Palast, der etwa hundert Jahre vor der französischen Revolution von einer absoluten Monarchie errichtet wurde, die historisch dem Untergang geweiht war, schien ein seltsam passender Ort für das Ereignis. Keiner der anwesenden Journalisten oder Politiker sagte etwas dazu, wie man mit den immer gefährlicheren Folgen der eigenen Politik umzugehen gedenkt.

Niemand fragte Macron oder Putin, was sie in Bezug auf Atomwaffen diskutiert haben oder was für Auswirkungen ein strategischer Atomkrieg der Nato-Mächte mit Russland auf das Überleben der europäischen oder der Weltbevölkerung hätte.

Macrons Politik besteht nicht darin, einen großen Krieg zu verhindern, sondern ihn vorzubereiten. Trotz der Umfragen, die eine überwältigende Opposition von zwei Dritteln der französischen Jugendlichen gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht zeigen, schlug Macron die Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht vor, die jetzt sogar junge Frauen erfassen soll. Außerdem will er die französischen Militärausgaben um mehrere Milliarden Euro erhöhen.

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