Französische Medien begrüßen Macrons Distanzierung von der antirussischen Politik der USA

Am Dienstag berichteten die französischen Medien begeistert über das Gipfeltreffen zwischen dem neu gewählten französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Versailles am Vortag. Dabei machten sie kaum einen Hehl aus der Tatsache, dass Macron trotz Washingtons offen feindseliger Haltung gegenüber Russland auf Moskau zugeht. Vor diesem Hintergrund ist der Enthusiasmus der Zeitungen umso bedeutsamer.

Die Zeitung Le Monde schrieb in ihrem Leitartikel: „Am Montag, dem 29. Mai, wollte Frankreich im Glanze des Schlosses Versailles einen neuen, besseren Kurs in seinen Beziehungen zu Russland einschlagen. Und das war gut so.“ Mit spürbarer Begeisterung heißt es dort weiter: „Macron hat beim Treffen mit Wladimir Putin in Versailles genauso den Ton angegeben wie bei der Nato gegenüber Donald Trump und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.“

Der Leitartikel verwies auf den engen Zusammenhang zwischen Macrons Annäherungsversuchen an Russland und den wachsenden Spannungen zwischen den USA und der Europäischen Union (EU), vor allem gegenüber Deutschland. Am offensten drückten sich diese Spannungen in der Erklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel vom Wochenende aus. Sie hatte erklärt, nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU und der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten müsse Europa „selbst für [seine] Zukunft kämpfen“, und könne sich nicht mehr länger auf Washington und London verlassen.

Le Monde lobte Macron für seinen „Willen, die Gelegenheit für einen 'europäischen Moment' zu ergreifen.“ Weiter hieß es in der Zeitung: „Angesichts des Brexit und des merkantilistischen Isolationismus‘ Donald Trumps, auf den Angela Merkel diese Woche hingewiesen hat, muss die EU ihre Reihen schließen und ihre eigene Identität bei den großen Fragen der Gegenwart bekräftigen: die Ukraine, Syrien und der Klimawandel.“

Dieser Analyse schlossen sich Zeitungen jeder politischen Coleur an, wenn auch mit kleineren Abwandlungen. Der rechte Le Figaro erklärte, die beiden Regierungschefs wollten die „diplomatischen Beziehungen zwischen ihren Ländern wiederbeleben“, und gratulierte Macron zu seinem Timing: „Macron hat auch davon profitiert, dass die internationale Situation für Frankreich günstig ist. Er konnte Putin gegenüber ungehindert agieren: Großbritannien ist seit dem Brexit aus dem Spiel, die USA sind seit Donald Trumps Wahlsieg unberechenbar, und in Deutschland wird die Bundestagswahl vorbereitet.“

Die Tageszeitung Libération erinnerte jedoch an die engen Beziehungen zwischen Deutschland und Macron. Im Wahlkampf war er der erklärte Wunschkandidat Berlins. Libération begrüßte Macrons Annäherung an Putin: „In der diplomatischen Zusammenarbeit, die [Macron] mit Angela Merkel aufgebaut hat, zeigt er unbestreitbar Geschick. ... Indem er den russischen Präsidenten dazu einlädt, in die Fußstapfen des brutalen und visionären Zaren Peter des Großen zu treten, als dessen politischer Erbe sich Putin inszeniert, bietet Macron ihm Zusicherungen an.“

Die Entstehung eines derartigen Konsens in den französischen Medien ist Ausdruck eines tiefgreifenden Kurswechsels in der Politik der Kapitalistenklasse in Frankreich und ganz Europa. Der Zusammenbruch des Nato-Militärbündnisses zwischen den USA, Kanada und den westeuropäischen Mächten ist weit fortgeschritten.

Bei dem Treffen in Versailles schnitt Macron Themen an, die auf eine Abkehr von einem Großteil der Initiativen hindeuten, die der französische und amerikanische Imperialismus in den letzten zehn Jahren gemeinsam verfolgt haben. Der ehemalige rechte Präsident Nicolas Sarkozy hatte Frankreich nach seinem Wahlsieg 2007 wieder in eine Führungsposition innerhalb der Nato zurück manövriert, um die Beziehungen zu Washington wieder zu reparieren. Sie waren durch den Widerstand Deutschlands und Frankreichs gegen die völkerrechtswidrige Invasion des Irak im Jahr 2003 schwer beeinträchtigt worden.

Seither haben Frankreich und andere imperialistische Mächte Washington bei seinen Aggressionen im Nahen und Mittleren Osten sowie in Osteuropa unterstützt, die sich dort oftmals gegen prorussische Regime richteten. Doch jetzt signalisiert Macron, dass er einen deutlichen Kurswechsel der französischen Außenpolitik erwäge, weg von den USA und auf Russland zu.

Für Syrien hat Macron die Wiedereröffnung der französischen Botschaft in Damaskus in Aussicht gestellt. Bisher hat sich Frankreich seit 2011 am Nato-Krieg zum Sturz des von Russland unterstützten Regimes beteiligt und sogar die von den USA unterstützten oppositionellen Milizen als rechtmäßige Regierung des Landes anerkannt. Macron schlug auch eine engere Zusammenarbeit mit Russland im Kampf gegen den Terrorismus vor.

Macron schwieg, während Putin die Wirtschaftssanktionen gegen Russland verurteilte, zu denen Washington die EU gezwungen hatte. Als Lösung für den Konflikt in der Ukraine, der 2014 mit dem von Washington und Berlin unterstützten faschistischen Putsch gegen eine prorussische Regierung in Kiew begann, sprach sich Macron für Verhandlungen nach dem „Normandie-Format“ aus, d.h. zwischen den vier Mächten Deutschland, Russland, Frankreich und der Ukraine. Die USA bleiben dabei bewusst außen vor.

Es ist bedeutsam, dass Teile der internationalen Medien beginnen über die umfangreichen Folgen dieses Kurswechsel zu diskutieren. Gleichzeitig setzt Macrons wichtigster Verbündeter Deutschland in seiner Außenpolitik wieder auf Militarismus.

Das amerikanische Magazin Forbes wies auf den Zusammenhang zwischen der Konferenz von Macron und Putin und den zunehmend erbitterten geostrategischen Rivalitäten innerhalb der Nato hin. Zur Berichterstattung der US-Medien erklärte das Magazin höhnisch, man lese „überall das Gleiche: Macron hat Putin wegen Fake News, Syrien und Schwulenrechten die Meinung gesagt. Der nette, fortschrittliche Macron versohlt dem bösen Diktatoren-Unterstützer Putin den Hintern.“

Das Magazin wies auch auf die erbitterten strategischen und energiepolitischen Rivalitäten zwischen Washington und seinen offiziellen Verbündeten in Europa hin. Kurz zuvor hatte Trump bei seiner Reise durch den Nahen Osten und Europa aggressiv für Saudi-Arabien Position bezogen und gegen den Iran gewettert.

Forbes warnte: „Macron braucht Putin mehr als er Donald Trump braucht. Diese beiden werden eher zurechtkommen, zumindest hinter verschlossenen Türen. Erstens, weil viele Franzosen die Sanktionen [gegen Russland] leid sind. ... Zweitens, und das ist der wichtigere Punkt, wegen diesem 'bescheidenen' Deal: Der französische Ölkonzern Total SA hat zugestimmt, im Iran das riesige South Pars-Erdgasfeld zu erschließen. Total SA ist einer der größten europäischen Akteure in der iranischen Kohlenwasserstoffindustrie. Russland ist der beste Freund des Iran. ... Frankreich und Total SA können den Amerikanern beim Thema Iran nicht trauen, den Russen aber schon.“

Forbes sieht ein mögliches Bündnis zwischen Frankreich und Russland zwar deutlich als Bedrohung für die Interessen der USA. Die Zeit hingegen zeigte sich angenehm überrascht.

Die Zeitung schrieb: „Aus deutscher Sicht fragt man sich natürlich immer, wenn Franzosen und Russen, die großen Nachbarn, sich treffen, ob sie etwas gegen Deutschland im Schilde führen. Und mit dieser Sorge der Deutschen spielen Paris und Moskau dann gern. Erstaunlich deshalb, wie die französischen Beobachter fast einhellig Macrons erste internationale Auftritte im Rahmen einer wiedergefundenen deutsch-französischen Allianz deuten.“

Es wird immer klarer, dass die plötzlichen, rapiden und unvorhersehbaren Kurswechsel in der Außenpolitik der einzelnen imperialistischen Mächte keine vorübergehenden Episoden oder Zwischenfälle sind, sondern Symptome einer tiefen Krise des kapitalistischen Systems, das seit mehr als zehn Jahren von einer schweren Wirtschaftskrise heimgesucht wird.

Durch die Auflösung der Sowjetunion 1991 verlor die Nato ihren gemeinsamen Feind. Über ein Vierteljahrhundert später ist der innere Zerfall der Nato sehr weit fortgeschritten. In den 1990er Jahren begannen die USA und ihre europäischen Verbündeten Kriege im Irak und Jugoslawien, die sich heute zu Kriegen im gesamten Nahen Osten und Afrika sowie zu einer umfassenderen Konfrontation der USA mit Russland und China entwickelt haben. In Osteuropa hat die Nato deutlich aufgerüstet, in Asien versuchen die USA, China im Rahmen des „Pivot to Asia“ zu isolieren und einzukesseln.

Alles deutet darauf hin, dass Macrons Kurswechsel bereits seit einiger Zeit vorbereitet wurde. In den europäischen Hauptstädten ist der Widerstand gegen die Kriege der USA, die primär deren eigenen strategischen Interessen dienen, gewachsen. Macron selbst hatte sich letztes Jahr als Wirtschaftsminister in Russland mit seinem dortigen Amtskollegen Alexej Uljukajew getroffen und angekündigt, er hoffe trotz der Sanktionen der EU gegen Russland auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Frankreich und Moskau. Aufgrund dieser Sanktionen hat sich das Handelsvolumen Frankreichs mit Russland auf umgerechnet 11,6 Milliarden Dollar halbiert.

Macrons Premierminister Edouard Philippe war zuvor Bürgermeister von Le Havre, dem wichtigsten Containerschiffshafen Europas und mehrfacher Austragungsort des wichtigen chinesisch-europäischen Wirtschaftsgipfels.

Die Arbeiterklasse muss die zunehmenden strategischen und wirtschaftlichen Rivalitäten zwischen den Nato-Mächten als Warnung verstehen. Nach einem Vierteljahrhundert eskalierender Kriege, der Remilitarisierung der deutschen Außenpolitik und Macrons Forderung nach einer Wiedereinführung der Wehrpflicht bereiten die herrschenden Eliten eine Verschärfung des imperialistischen Militarismus im Interesse der Banken, Aktionäre und Großkonzerne vor.

Arbeiter dürfen keine der rivalisierenden imperialistischen Mächte unterstützen. Die herrschenden Klassen auf beiden Seiten des Atlantiks stehen der arbeitenden Bevölkerung mit erbitterter Feindschaft gegenüber und bereiten schreckliche Kriege vor. In dieser Entwicklung zeigt sich nicht nur der Bankrott dieser oder jener imperialistischen Macht, sondern des gesamten Weltimperialismus. Der internationale Kapitalismus stürzt wieder in die Art von Konflikten ab, die im letzten Jahrhundert zu zwei Weltkriegen geführt haben.

Wie reaktionär die Interessen des französischen und deutschen Imperialismus sind, zeigt sich wohl am deutlichsten im Wesen von Macrons Regierung. Sie hat den Ausnahmezustand verlängert, durch den seit fast zwei Jahren demokratische Grundrechte außer Kraft gesetzt sind, und bereitet einen umfassenden Arbeitsplatz- und Sozialabbau vor. Dies soll auf autoritäre Weise durch Dekrete geschehen. Als Vorbereitung auf eine Konfrontation mit der Arbeiterklasse erhöht sie parallel zu ihren Kriegsvorbereitungen auch die Mittel der Polizei, um zusätzliche Beamte einzustellen und die Zahl der Gefängniszellen zu erhöhen.

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