Wahl zur französischen Nationalversammlung

Mélenchon sucht Nähe zu Macron

Weniger als zwei Wochen vor der ersten Runde der Wahl zur Nationalversammlung in Frankreich erweist sich die Perspektive, die Jean-Luc Mélenchon für den Widerstand gegen Präsident Emmanuel Macron in Aussicht gestellt hatte, als gescheitert. Das zeigt ein Interview mit dem Führer der Gruppierung La France insoumise (Unbeugsames Frankreich, FI), das am Dienstag in Le Parisien erschien.

Obwohl er in der Präsidentschaftswahl auf der Grundlage seiner Antikriegshaltung sieben Millionen Stimmen erhalten hatte, lehnte Mélenchon eine revolutionäre Politik zur Mobilisierung der Arbeiterklasse im Kampf gegen den neuen Präsidenten ab. Und obwohl bei der Stichwahl die meisten seiner Anhänger sowohl Macron als auch die neofaschistische Kandidatin Marine Le Pen ablehnten, weigerte er sich, wie die Parti de l’égalité socialiste (PES) zu einem Boykott aufzurufen. Er wies jede politische Verantwortung von sich und lehnte es ab, eine Wahlempfehlung für die zweite Runde der Präsidentschaftswahl auszusprechen.

Stattdessen schlug er eine parlamentarische Strategie vor. Allen Anzeichen für das Gegenteil zum Trotz behauptete Mélenchon, dass FI die Parlamentswahl gewinnen und die Regierung bilden werde, sodass er aus dem Amt des Premierministers heraus einen militanten Kampf gegen Macron führen könne. Neuerdings lässt Mélenchon diese Hoffnungen fahren und bewegt sich mit großer Geschwindigkeit nach rechts. Er machte in Le Parisien klar, dass er sich darauf vorbereitet, als Minderheit in der Nationalversammlung zu arbeiten und Macron bei seinen Gesetzgebungsplänen freundlich zu beraten.

Da FI in den Umfragen von zwanzig Prozent bei der Präsidentschaftswahl auf zwölf Prozent abgerutscht ist, kündigt Mélenchon an: „Wenn meine Bewegung keine Mehrheit bekommt, dann werde ich die Rolle des Oppositionsführers übernehmen.“ Er gibt zu, dass „das Land einem Pulverfass gleicht“. Er verbreitet die Illusion, dass er Macron zu Zugeständnissen drängen könnte, auch wenn FI in der Nationalversammlung nur eine Handvoll Abgeordnete haben sollte.

Mélenchon sagt, er werde Macrons Justizminister Francois Bayrou treffen, um über das geplante Anti-Korruptionsgesetz zu diskutieren, das die „Moral“ in der französischen Politik stärken soll: „Wir werden Alternativen vorschlagen und eine unschlagbare Haltung einnehmen. Ich muss Bayrou am Mittwoch treffen. Ich werde eine einfache Maßnahme vorschlagen, die den Menschen die Möglichkeit gibt, gewählte Beamte abzusetzen. Das steht in meinem Programm. Wenn Bayrou das aufgreift, dann werde ich sagen: ‚Glückwunsch‘, und für das Gesetz stimmen. Wenn nicht, dann werden wir schauen, was in dem Gesetz steht.“

Der Zweck eines solchen Treffens besteht darin, einen politischen Deckmantel für die hohle Pro-Macron Propaganda in der Presse zu liefern, die so tut, als ob Macron die französische Politik erneuern und von finanzieller Korruption säubern würde. Diese Propaganda lief gleich auf Grundeis, als Macrons Berater und Stadtplanungsminister Richard Ferrand vorgeworfen wurde, vor sechs Jahren widerrechtlich von Immobiliengeschäften profitiert zu haben, als er in der Bretagne einen öffentlichen Versicherungsfonds leitete.

Weiter macht Mélenchon in Le Parisien klar, dass seine Bewegung mit der Regierung Macron in der Nationalversammlung zusammenarbeiten werde, insbesondere dann, wenn Macrons La République en marche (REM) die parlamentarische Mehrheit erringen sollte. „Wenn Macron gewinnt, werden wir vorschlagen, eine wahre Volksfront des sozialen Widerstands zu bilden, die Vorschläge machen wird“, sagte Mélenchon.

Mélenchon weiß genau, dass Macron vorhat, sein Programm autoritär durch Dekrete durchzusetzen. Macron will mithilfe des Ausnahmezustands starke Kürzungen bei Arbeitsplätzen und Sozialleistungen, eine Erhöhung der Rüstungsausgaben und die Wiedereinführung der Wehrpflicht vorantreiben. Dieses Programm findet in Frankreich wenig Unterstützung, besonders in der Arbeiterklasse. In Frankreich und in ganz Europa nimmt der soziale Unmut zu, und Mélenchon weiß, dass er sich auf eine Verschärfung des Klassenkampfs einstellen muss.

Er sagte dem Parisien: „Wenn Macron gewinnt, erwarte, ich, dass ein Teil der Gesellschaft sich alsbald gewaltsam gegen ihn wenden wird. Denn die Steuererhöhungen und das Superarbeitsgesetz, mit dem er das nationale Arbeitsrecht aushebeln will, werden einen gesellschaftlichen Schock allererster Güte auslösen.“

Mélenchon hat nicht die Absicht, gegen den Ausnahmezustand zu kämpfen und die Arbeiter mit einer Perspektive für die bevorstehenden Kämpfe zu bewaffnen. Er verlangt vielmehr, dass der soziale Widerstand seinen Weg über die Abgeordneten von FI in der Nationalversammlung nehmen müsse. „Wir werden mit den Gewerkschaften, NGOs, politischen und kulturellen Kräften zusammenarbeiten“, sagte er. „Der Widerstand wird von der Nationalversammlung seinen Ausgang nehmen.“

Die PES, die französische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) ist durch eine tiefe Kluft von der Perspektive Mélenchons getrennt. Die PES rief zu einem aktiven Boykott der Stichwahl zwischen Macron und Le Pen auf und vertrat so eine unabhängige politische Linie für die Arbeiterklasse. Sie warnte vor der reaktionären, militaristischen und anti-demokratischen Politik Macrons. Die PES richtet ihre Politik darauf aus, eine revolutionäre Opposition gegen Krieg und Sparpolitik in der Arbeiterklasse zu bilden. Sie bietet ihr eine sozialistische und internationalistische Perspektive.

Schon wenige Wochen nach Macrons Wahlsieg ist ein Streik der Tanklasterfahrer in Frankreich ausgebrochen. Aber weder Mélenchon noch die Gewerkschaftsbürokratien rufen zu einem breiteren Kampf der Arbeiterklasse auf, um den Streik zu unterstützen. Vielmehr versuchen sie, leichte Veränderungen in Macrons Politik auszuhandeln. Diese Strategie kann nur als eine Falle für die Arbeiterklasse bezeichnet werden.

Mélenchon ist keine Alternative zu Macron oder zur diskreditierten Sozialistischen Partei (PS) von Ex-Präsident Francois Hollande, sondern eine Fraktion dieser diskreditierten herrschenden Elite.

Mélenchon begann seine Laufbahn als radikaler Student und trat der kleinbürgerlichen Organisation communiste internationaliste (OCI) bei, nachdem sie 1971 mit dem Trotzkismus und dem IKVI gebrochen hatte und sich am Aufbau der PS beteiligte. Danach trat Mélenchon selbst der PS bei. In den 1980er Jahren wurde er Senator, dann Minister mit hochrangigen Verbindungen zu Geheimdienstkreisen und zum Militär.

Die Kräfte, mit denen er seine angebliche Allianz gegen Macron schmieden wollte, unterhalten wie auch die stalinistische KPF seit Jahrzehnten enge Beziehungen zur PS und sind, wie Mélenchon genau weiß, nicht gegen Macron. Im Rahmen von fraktionellen Auseinandersetzungen mit der KPF über eine eventuelle gemeinsame Kandidatur für die Nationalversammlung schickte Mélenchon der KP-Führung eine SMS, in der er sie als Werkzeug Macrons beschimpfte.

Er schrieb: „Ihr schafft Verwirrung im ganzen Land … Bravo, ‚kommunistische Identität‘. Nach all den Monaten der Beleidigungen und Manöver, mit denen ihr meinen Wahlkampf sabotiert habt. Jetzt fangt ihr schon wieder an. Ihr steht für Tod und Leere. Ihr habt zehn Monate gebraucht, bis ihr mich unterstützt habt, und zehn Minuten, um Macron zu unterstützen. Und ganz zu schweigen von den Vereinbarungen, die ihr nicht eingehalten habt. Ich habe die Nase voll.“

Jetzt allerdings schlägt Mélenchon eine Umgruppierung des gesamten Milieus des gehobenen Kleinbürgertums aus Gewerkschaftsbürokraten, NGOs, Mediengrößen und politischen Experten vor, von denen die KPF ein fester Bestandteil ist – angeblich, um gegen Macron zu kämpfen. Das ist politischer Betrug.

Arbeiter, seid gewarnt! Trotz gelegentlicher radikaler Sprüche ist Mélenchon ein Gegner des Sozialismus und jedes Versuchs, eine politische Bilanz aus dem Bankrott der PS zu ziehen. In seinem Buch von 2014 mit dem Titel Die Ära des Volkes verkündete er das Ende des Sozialismus, der Arbeiterklasse und der Linken. Er propagierte einen populistischen Nationalismus. Er wandte sich gegen den Aufbau einer linken Bewegung, die gestützt auf die Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus kämpft.

Die wichtigste Vorbereitung auf die kommenden Kämpfe gegen Macrons Agenda von Krieg und sozialer Reaktion ist ein bewusster Bruch mit dieser demoralisierten und bankrotten Perspektive.

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