Unterstützt den Streik der VW-Arbeiter in der Slowakei!

Ulrich Rippert ist Vorsitzender der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) und kandidiert für sie in Nordrhein-Westfalen zur Bundestagswahl am 24. September.

Seit Dienstag streiken über 8000 Volkswagen-Arbeiter in der Slowakei und legen die Produktion im Werk Bratislava still. Die Streikenden fordern eine Lohnerhöhung von 16 Prozent und Verbesserungen der Arbeitsbedingungen. Die Unternehmensleitung weist die Forderungen zurück und bietet nur 4,5 Prozent mehr Lohn für dieses und 4,2 Prozent für das kommende Jahr sowie eine Einmalzahlung von 350 Euro an.

Am Donnerstag scheiterten erneut die Verhandlungen, und die Streikleitung kündigte die Fortsetzung des Arbeitskampfs über das Wochenende und die kommende Woche an.

Die IG Metall versucht den Streik totzuschweigen und zu isolieren. Es gibt weder von ihr noch vom VW-Betriebsrat in Wolfsburg eine Stellungnahme. Auf Nachfrage erklärte die Pressesprecherin der IGM in Wolfsburg, Anita Pöhlig, der WSWS: „Wir geben zu den Streikaktivitäten im Werk Bratislava keine Stellungnahme ab.“ Auf die Feststellung, dies bedeute eine Ablehnung des Streiks, antwortete Pöhlig: „Wie gesagt, kein Kommentar.“

Ich appelliere an alle Arbeiter, den Streik der VW-Arbeiter zu unterstützen. Ich rufe insbesondere die Arbeiter von VW in Deutschland und international zur aktiven Solidarität mit ihren Kollegen in Bratislava auf. Es ist der erste Streik bei Volkswagen, seit sich der Konzern 1991 in der Slowakei angesiedelt hat, und der erste Streik in einer großen Autofabrik in dem osteuropäischen Land seit der Einführung des Kapitalismus.

Die Forderungen der streikenden Arbeiter sind in vollem Umfang gerechtfertigt. Die in vielen Medien wiederholte Behauptung, VW-Arbeiter erhielten in der Slowakei einen Monatslohn von durchschnittlich 1.804 Euro und seien privilegierte Spitzenverdiener, ist nicht wahr. WSWS-Leser aus Bratislava berichten, dass Produktionsarbeiter am Band nicht mehr als 800 Euro monatlich verdienen. Selbst wenn man Zulagen und das 13. Monatsgehalt mitrechnet, ist das zu wenig, um die teuren Preise und Mieten in der slowakischen Hauptstadt zu bezahlen. Für eine kleine Zweizimmerwohnung beträgt die Miete in Bratislava etwa 700 Euro, und bei drei Zimmern sind es meist über 1000 Euro.

Der Streik ist Ausdruck eines wachsenden Selbstbewusstseins der Arbeiterklasse in der Slowakei und andern osteuropäischen Ländern. Die französische PSA-Gruppe (Peugeot/Citroën) und der südkoreanische Hersteller Kia sahen sich jüngst gezwungen, die Löhne in ihren slowakischen Werken um 6,3 beziehungsweise 7,5 Prozent zu erhöhen. Die Zeit, in der die großen Autokonzerne die niedrigen Löhne nutzen konnten, um maximale Profite zu erwirtschaften, geht zu Ende. In den Betrieben wächst die Wut über die offensichtliche Ungerechtigkeit angesichts von Superprofiten und Niedriglöhnen.

Das Handelsblatt schrieb am Donnerstag: „Bratislava liegt mit dem Auto nur eine dreiviertel Stunde von Wien, wo Mitarbeiter für die gleiche Tätigkeit das Doppelte oder Dreifache erhalten.“ Unter der Überschrift „Böses Erwachen im Autoparadies“ schreibt das Finanzblatt: „Lange galt die Slowakei als Autoparadies. Niedrige Löhne, niedrige Steuern, und eine Industriepolitik unter Regierungschef Robert Fico, die den Autokonzernen ihre Wünsche von den Lippen ablas. Doch der Standort entwickelt sich zum Albtraum für den Wolfsburger Autoriesen.“

Unter dem Albtraum für die Wolfsburger Konzernleitung versteht das Handelsblatt die Möglichkeit, dass sich der Streik ausweitet und auf andere Betriebe, in denen dieselben katastrophalen Ausbeutungsbedingungen herrschen, übergreift. Im Nachbarland Tschechien verdient ein Arbeiter bei der VW-Tochter Skoda noch weniger als sein Kollege in der Slowakei. Auch Arbeiter in anderen osteuropäischen Ländern könnten sich die slowakischen VW-Arbeiter zum Vorbild nehmen. So könnte ein Flächenbrand entstehen, der auch auf Deutschland und Westeuropa übergreift.

Denn auch in den deutschen und westeuropäischen Werken sind die Beschäftigten mit massiven Lohnsenkungen und dem Abbau von Sozialleistungen konfrontiert. Ganz abgesehen davon, dass in den deutschen Werken neben den Tarifbeschäftigten bereits jetzt Leiharbeiter und Werksverträgler arbeiten, deren Löhne ähnlich miserabel sind wie in Bratislava.

Mehr als 25 Jahre lang nutzten die großen internationalen Konzerne Osteuropa als „verlängerte Werkbank“. Nach der Einführung des Kapitalismus verlagerten sie Teile der Produktion in diese Länder, wo sie meist gut ausgebildeten Arbeitern einen Bruchteil der West-Löhne zahlten.

Bei dieser extremen Ausbeutung stützten sie sich auf zwei Dinge: Auf eine korrupte Gewerkschaftsbürokratie, die in allen Betrieben eine strikte Kontrolle errichtete und jeden Widerstand im Keim erstickte, und auf die politische Verwirrung, die nach der Auflösung der Sowjetunion herrschte. Der Zusammenbruch der arbeiterfeindlichen stalinistischen Regime und die Einführung kapitalistischer Ausbeutung in der Sowjetunion und Osteuropa wurden als Bankrott des Sozialismus und als Triumph von Freiheit und Demokratie bezeichnet.

Ein Vierteljahrhundert später ist der wahre Charakter der kapitalistischen Restauration offensichtlich. Der Angriff auf die Löhne und sozialen Errungenschaften der Arbeiter hat sich nicht auf Osteuropa beschränkt, sondern findet weltweit statt. Während der Lebensstandard der großen Mehrheit der Bevölkerung immer weiter sinkt, bereichert sich eine kleine Clique an der Spitze der Gesellschaft hemmungslos. Laut einem Bericht von Oxfam besitzen inzwischen die acht reichsten Milliardäre der Welt ebenso viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, d.h. 3,6 Milliarden Menschen!

Vor allem in den USA – dem Land, das immer als leuchtenden Beispiel kapitalistischer Prosperität gefeiert wurde – hat sich die Kluft zwischen Arm und Reich massiv ausgeweitet. Mit Präsident Donald Trump hat nun eine Regierung von Milliardären, Militärs und Rechtsextremen die Macht übernommen, die der ganzen Welt mit Krieg droht.

Grund für diese Entwicklung ist die unlösbare Krise des kapitalistischen Systems. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln, das Profitprinzip und der Nationalstaat, auf denen der Kapitalismus beruht, lassen sich nicht mit der globalen Wirtschaft vereinbaren, die auf Arbeitsteilung und weltweitem Austausch beruht. Wie vor hundert Jahren reagieren die Kapitalisten auf die Krise ihres Systems mit Angriffen auf die Arbeiterklasse, mit Diktatur und mit Krieg.

Der Streik der VW-Arbeiter ist deshalb so wichtig, weil er direkt mit dieser Entwicklung verbunden ist und zum Ausgangspunkt für eine breite politische Mobilisierung der Arbeiterklasse gemacht werden muss.

Daraus ergeben sich folgende Schlussfolgerungen:

1. Der Streik darf nicht unter Kontrolle einer beschränken gewerkschaftlichen Perspektive bleiben. Zwar hat sich die Gewerkschaft „Moderne odborov Volkswagen“ im vergangenen Herbst von der korrupten OZ KOVO, die eng mit der IG Metall und der Konzernleitung verbunden ist, abgespalten. Aber trotz ihres etwas kämpferischen Auftretens vertritt sie dieselbe nationalistische Konzeption der Sozialpartnerschaft und signalisiert bei jeder Gelegenheit ihre Bereitschaft, den Streik möglichst schnell mit einem Kompromiss zu beenden. Nicht zufällig war der neue Gewerkschaftsvorsitzende Zoroslav Smolensky viele Jahre Funktionär der alten OZ KOVO.

Es ist notwendig unabhängige Aktionskomitees aufzubauen, die den Streik leiten und Verbindung zu anderen Betrieben und Arbeitern aufbauen.

2. Der Streik muss ausgedehnt werden! Es müssen Kontakte zu Arbeitern in ganz Europa und in anderen Ländern aufgebaut werden. Der Streik muss zum Ausgangspunkt für eine breite politische Mobilisierung gemacht werden.

3. Der Kampf gegen Niedriglöhne und Sozialabbau erfordert eine sozialistische Perspektive und internationale Strategie. Nur im Rahmen einer Politik, die darauf abzielt, die Arbeiter weltweit, unabhängig von Herkunft und Nationalität gegen den Kapitalismus zu vereinen, kann der Streik die notwendige Härte und Ausdauer entwickeln.

Wir rufen alle Arbeiter auf, mit uns Kontakt aufzunehmen und diese Fragen zu diskutieren.

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