Perspektive

Der G20-Gipfel und die Wiederkehr deutscher Großmachtpolitik

Das Treffen der Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (heute sind es 19 Staaten und die Europäische Union, plus Repräsentanten der Europäischen Zentralbank, des Internationalen Währungsfonds, und der Weltbank) war kurz vor der Jahrtausendwende ins Leben gerufen worden, um die Probleme des internationalen Wirtschafts- und Finanzsystems unter den Bedingungen der Globalisierung zu diskutieren und Lösungsvorschläge zu besprechen.

Heute findet dieses Treffen in einer Situation statt, in der sich die politischen Hauptakteure mit wachsender Feindschaft gegenübertreten. Das Forum dient nicht mehr der weltweiten Zusammenarbeit, sondern dem Schmieden von Allianzen und Blöcken in der Vorbereitung auf Wirtschaftskrieg und militaristische Konfrontation.

Als Präsident Donald Trump gestern in Berlin ankam, warf ihm Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) vor, das Treffen nicht als Plattform internationaler Zusammenarbeit, sondern als „Kampfarena“ zu verstehen. Die Amerikaner hätten „eine schwierige Vorstellung“ von der Welt, sagte Gabriel. Statt internationaler Zusammenarbeit auf der Grundlage gemeinsam verabredeten Rechts, betrachteten sie internationale Konferenzen als Kampfplatz, auf dem sich der Stärkere Verbündete suche, um gegen andere zu kämpfen. Gabriels Aufruf „Wir wollen die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren“, klang selbst wie eine Kampfansage.

Seit Monaten bereitet die Bundesregierung den Gipfel vor und nutzt ihre Funktion als Gastgeber, um drei Monate vor der Bundestagswahl im September eine scharfe politische Rechtswende in der Außen- und Innenpolitik zu vollziehen. Gestern schrieben wir: „In der herrschenden Klasse in Deutschland findet eine regelrechte nationalistische und militaristische Aufwallung statt“, und zitierten einige Aufrufe zum Aufbau einer europäischen Militärmacht unter deutscher Führung.

Bereits vor drei Jahren hatte die Bundesregierung erklärt, die Zeit der militärischen Zurückhaltung sei vorbei, Deutschland werde sich künftig stärker und selbstbewusster in die Krisenherde der Welt einmischen. Es folgten die Unterstützung des rechten Putschs in der Ukraine, die Stationierung deutscher Kampftruppen in Osteuropa und Kriegsbeteiligungen der Bundeswehr in Mali, Syrien und im Irak. Nun nutzt die herrschende Klasse das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU und die Wahl von Donald Trump in den USA, um die begonnene Offensive voranzutreiben.

Seit Wochen arbeiten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und der sozialdemokratische Vizekanzler und Außenminister Siegmar Gabriel daran eine Front gegen Donald Trump und die US-Regierung aufzubauen. Als der amerikanische Präsident im Mai den Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaabkommen ankündigte, reagierten Kanzleramt und Außenministerium mit lautstarkem Entsetzen.

Sie nutzten Trumps provokative Entscheidung sofort, um die Zusammenarbeit mit Frankreich zu stärken. Kanzlerin Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron, der unmittelbar vor Parlamentswahlen stand, schlugen regelrecht melodramatische Töne der Entrüstung über Trump an. Merkel rief „alle, denen die Zukunft unseres Planeten wichtig ist“, dazu auf, gemeinsam den Weg weiterzugehen, „damit wir erfolgreich sind für unsere Mutter Erde“. Das Pariser Abkommen werde gebraucht, um die Schöpfung zu bewahren. „Nichts kann und wird uns dabei aufhalten“, fügte sie hinzu. „Entschlossener denn je werden wir in Deutschland, in Europa und in der Welt alle Kräfte bündeln.“

Macron wandte sich unmittelbar nach Trumps Austrittserklärung über Video in französischer und englischer Sprache an die internationale Öffentlichkeit. Er warf dem amerikanischen Präsidenten vor, einen großen Fehler zu begehen, und verkündete, dessen Wahlslogan imitierend: „Make our planet great again.“

Merkel und Macron nutzten das Zerwürfnis mit dem amerikanischen Präsidenten, um die Europäische Union sowohl politisch wie militärisch zu einer Großmacht aufzubauen, die nicht nur in der Lage ist mit den USA um globale Märkte, Investitionsmöglichkeiten und strategischen Einfluss zu konkurrieren, sondern die eigenen Interessen auch gegen die USA durchsetzen kann.

In Absprache mit Macron entschied Merkel die Frage des Klimaabkommens auf die Tagesordnung des G20-Gipfels zu setzen. Es folgte eine intensive Gipfelvorbereitung mit hochrangigen Besuchen aus Indien und China und Merkels Reise nach Lateinamerika. Außenminister Gabriel hatte bereits kurz nach dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump die Entwicklung einer deutschen und europäischen Asienstrategie angekündigt, um „die Räume, die Amerika frei macht, zu nutzen“.

Im März verkündete Gabriel dann offiziell „eine Neuausrichtung“ der deutschen „Asienpolitik“ und die „Einrichtung einer neuen Asien- und Pazifikabteilung“ im Auswärtigen Amt. In einer Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes erklärte er: „Wir erleben zurzeit in vielen Bereichen der internationalen Politik Krisen, Umbrüche und neue Dynamiken. Man hat den Eindruck, diese Welt wird neu vermessen – und dabei benutzt jeder sein eigenes Maßband. Eines ist dabei klar: Die aufstrebenden Staaten Asiens werden bei dieser Neuvermessung der Welt eine Schlüsselstellung einnehmen.“

Mitte Juni folgte eine große Afrika-Konferenz. Unter dem Titel „G20-Afrika-Partnerschaft – in eine gemeinsame Zukunft investieren“ wurden Dutzenden afrikanischen Staats- und Regierungschefs nach Berlin eingeladen, um große Wirtschaftsprojekte und eine engere deutsch-afrikanische Zusammenarbeit zu vereinbaren. Der neue Wettlauf der imperialistischen Großmächte um Afrika findet nicht – wie vor 150 Jahren – im klassischen Kolonialstil statt, sondern wird als Wirtschaftspartnerschaft und Hilfe zur Selbsthilfe dargestellt.

Während US-Präsident Trump am Donnerstag in Warschau eine der rechtesten Regierungen in Europa umschmeichelte und eine Rede hielt, die deutlich gegen Berlin gerichtet war, empfing die Kanzlerin den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping in Berlin und vereinbarte die bisherige Zusammenarbeit der Länder weiter zu vertiefen. Der Flugzeugbauer Airbus vereinbarte mit China die Lieferung von 140 Flugzeugen im Wert von fast 23 Milliarden Dollar.

Nachdem Merkel die Entwicklung Afrikas auf die Gipfel-Agenda gesetzt hat, wurde eine deutsch-chinesische Kooperation beim Bau eines Wasserkraftwerks in Angola besonders hervorgehoben. Merkel betonte „in Zeiten globaler Unsicherheiten“ sähen sich beide Länder „in der Verantwortung, unsere Partnerschaft in den verschiedenen Bereichen auszubauen und uns für eine regelbasierte Ordnung der Welt einzusetzen“. Sie sei „sehr froh“, dass sich die Zusammenarbeit und Partnerschaft zwischen Deutschland und China sehr positiv entwickelt habe.

Am selben Tag meldete sich auch Russlands Präsident Wladimir Putin zu Wort. In einem umfangreichen Gastbeitrag im Handelsblatt schrieb er unter der Überschrift „Wir teilen die deutschen Prioritäten“ es sei sehr zu begrüßen, dass sich Deutschland für Freihandel und die Einhaltung des Klimaabkommens einsetze. Moskau werde seine Zusagen einhalten und sei an weiterer Zusammenarbeit interessiert.

Am Vorabend des G20-Gipfels hat die Bundesregierung alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Trump zu isolieren und das eigene Gewicht in der Weltpolitik zu erhöhen. Sie versucht dabei, die in der Bevölkerung weit verbreitete Stimmung gegen das rüpelhafte Auftreten Trumps und die rechte und aggressive Politik der US-Regierung, für ihre eigenen Großmachtbestrebungen zu instrumentalisieren. Vor allem Linkspartei und Grüne spielen dabei mit ihrer Propaganda über „Klimaschutz“, „Frieden“ und „Menschenrechte“ eine Schlüsselrolle.

„Die Verbrämung imperialistischer Interessen durch Floskeln über „Werte“ und „Kultur“ hat in Deutschland lange Tradition“, heißt es dazu im Wahlaufruf der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP). „Schon der Erste Weltkrieg wurde mit dem Kampf gegen die „russische Barbarei“ begründet. Und 93 führende Vertreter von Kultur und Wissenschaft veröffentlichten damals einen „Aufruf an die Kulturwelt“, der die deutschen Armeen verteidigte, die brandschatzend über Belgien herzogen. 35 Jahre später hatten deutsche Panzer und Flugzeuge Europa in Schutt und Asche gelegt.“

Und weiter: „Im letzten Jahrhundert endeten zwei Versuche des deutschen Imperialismus, Europa zu unterwerfen und sich zur Weltmacht aufzuschwingen, in der Katastrophe. Auch der dritte deutsche Griff nach der Weltmacht wird trotz der Propaganda, das wiedervereinigte Deutschland sei geläutert und stehe für „Frieden“ und „Stabilität“, wieder zu Krieg und Massenmord führen, wenn die Arbeiterklasse nicht eingreift.“

Auf die „America first“-Politik von Trump die den Konflikt mit Europa verschärft und zu Handelskrieg führt, reagiert die Bundesregierung ihrerseits mit Wirtschaftskrieg und Militarismus. Diese Entwicklung folgt einer unausweichlichen Logik. Obwohl es lange als undenkbar galt, erhebt die herrschende Klasse siebzig Jahre nach dem Zusammenbruch des Hitler-Faschismus wieder den Anspruch, Hegemon Europas und Weltmacht zu sein. Sie schwadroniert von „deutscher Selbstbehauptung“, fordert ein massives Aufrüstungsprogramm und träumt selbst von eigenen Nuklearwaffen.

Es gibt nur eine Möglichkeit, diese gefährliche Entwicklung zu stoppen: den Aufbau einer internationalen Antikriegsbewegung, die sich auf die Arbeiterklasse stützt und für den Sturz des Kapitalismus kämpft.

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