Eine Woche nachdem der irakische Premierminister Haider al-Abadi die „Befreiung“ von Mossul, Iraks zweitgrößter Stadt, verkündet hat, wird das Ausmaß der Zerstörung deutlich. Die Stadt wurde neun Monate mit Unterstützung der USA belagert. Auch gibt es immer mehr Berichte über kollektive Bestrafungen der Überlebenden.
Abadi nahm am Sonntag an einer Siegesparade in Bagdad teil, bei der in der massiv befestigten Green Zone der irakischen Hauptstadt Einheiten der Sicherheitskräfte am Premierminister und anderen Funktionären vorbeimarschierten. Die Tatsache, dass die Parade aus Sicherheitsgründen nicht öffentlich angekündigt wurde, die Medien erst anschließend davon erfuhren und die Bevölkerung ausgeschlossen wurde, zeigt den wirklichen Zustand dieses Landes.
Es gibt immer mehr Belege für die Zahl der Todesopfer unter der Zivilbevölkerung von Mossul. Sie sind zum größten Teil die Folge der unablässigen US-geführten Luftangriffe und des Artilleriebeschusses auf die dicht bewohnten Viertel, speziell auf die westliche Altstadt von Mossul.
Vorsichtige Schätzungen gehen von 7.000 getöteten Zivilisten aus. Die in London ansässige Beobachtergruppe Airwars hat zwischen Februar und Juni dieses Jahres den Tod von 5.805 Zivilisten dokumentiert. Es gibt ohne Zweifel sehr viel mehr Tote, die nicht gemeldet wurden. Ganz zu schweigen von denjenigen, die in den vier Monaten vor den direkten Angriffen umkamen, wie auch von denjenigen, die während der Kämpfe in den letzten drei Wochen starben.
Offizielle Vertreter in Mossul berichten, dass Arbeiter des Zivilschutzes bereits etwa 2.000 Leichen aus den Trümmern geborgen haben, die Opfer der amerikanischen 500- und 2.000-Pfund-Bomben, des Beschusses mit schwerer Artillerie und der Angriffe von Kampfhubschraubern geworden sind.
Es ist offenkundig, dass weder die irakische Regierung noch das Pentagon irgendein Interesse daran haben, das wirkliche Ausmaß des Blutvergießens in dieser Stadt aufzuklären.
Laut einem Bericht der Washington Post vom Samstag wurde die grauenhafte Arbeit, die Toten aus den Trümmern von Mossul zu bergen, einer „25 Mann starken Zivilschutz-Einheit übertragen, ausgerüstet mit einem Bulldozer, einem Gabelstapler und eine einzigen Wagen zum Abtransport der Leichen“. Die Post berichtet, die Einheit habe „Hunderte von Menschen gefunden, die unter den Ruinen ihrer Häuser erstickt sind“, nachdem diese von US-Luftangriffen zum Einsturz gebracht worden waren. Laut Berichten sind die meisten der Opfer Frauen und Kinder.
Der Leiter der Zivilschutz-Einheit, Lt. Col. Rabia Ibrahim Hassan, erklärte gegenüber der Post, er habe die Regierung um mehr Gerätschaften und finanzielle Mittel gebeten, aber keine Antwort erhalten.
Während das Pentagon für die Belagerung von Mossul und für die Waffen und Munition zur Zerstörung der Stadt enorme Mittel ausgegeben hat, gibt es weder vonseiten Washingtons noch Bagdads irgendeinen Hinweis auf einen Plan, um vergleichbare Mittel in den Wiederaufbau zu investieren. Ein irakischer Regierungsvertreter geht bei den Kosten für den Wiederaufbau von Mossul vorsichtig geschätzt von mehr als 50 Milliarden Dollar aus.
Die Regierung in Bagdad war im Mai gezwungen, mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) einen Bereitstellungskredit in Höhe von 5,4 Milliarden Dollar auszuhandeln. Dafür verlangte der IWF einschneidende Sparmaßnahmen. Die Wirtschaft des Landes ist im Jahr 2016 um 10,3 Prozent geschrumpft. Der Grund sind sinkende Ölpreise und die Zerstörungen durch den Krieg.
Die Zahl der zivilen Todesopfer, die massive Zerstörung durch US-Bomben, Raketen und Granaten und der berichtete Einsatz von weißem Phosphor durch das amerikanische Militär – eine für den Einsatz in Wohngebieten international verbotene Waffe –, all das deutet auf US-Kriegsverbrechen von historischem Ausmaß hin.
Diese Verbrechen gehen weiter, denn den Überlebenden des Massakers von Mossul droht die kollektive Bestrafung durch die von den USA unterstützten Streitkräfte. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zwang die neunmonatige Belagerung 1.048.044 Menschen zu fliehen. Laut Angabe der IOM vom letzten Freitag wurden durch die Offensive weitere 825.000 Menschen vertrieben.
Für die Mehrheit dieser Binnen-Kriegsflüchtlinge ist eine Rückkehr unmöglich. Viele haben wegen der US-Luftangriffe keine Wohnung mehr, in die sie zurückkehren könnten. Im überwiegenden Teil der Stadt gibt es kein Wasser und keinen Strom, Nahrungsmittel sind knapp, und Schulen sowie Krankenhäuser wurden zerstört.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Daneben sind die Trümmer der Stadt mit Blindgängern übersät. Man schätzt, dass mindestens 10 Prozent der Sprengkörper, die von der US-geführten „Koalition“ abgefeuert wurden, nicht detoniert sind. Das bedeutet, dass es Tausende von Bomben und Granaten gibt, die weiterhin explodieren könnten. Das kommt noch zu den Sprengfallen hinzu, die der IS hinterlassen hat. Experten haben gewarnt, es könne ein ganzes Jahrzehnt dauern, bis die Stadt von den Sprengkörpern geräumt ist.
Die Männer, Frauen und Kinder, die der Zerstörung von Mossul entkommen sind, wurden in Zeltlagern untergebracht, oftmals wie Gefangene. Frauen und Kinder, die verdächtigt werden, Familienmitglieder von während der Belagerung getöteten IS-Kämpfern zu sein, werden in verwahrloste „Umerziehungslager“ geschickt.
Es gibt immer mehr Berichte über standrechtliche Exekutionen, Folter und Misshandlungen junger Männer durch die irakischen Sicherheitskräfte und verbündete schiitische Milizen. Ein Video, das auf dem Twitter-Account Mosul Eye veröffentlicht wurde, zeigt irakische Sicherheitskräfte, wie sie Männer zu einem zirka 9 Meter hohen Brückengelände zerren, sie hinunterwerfen und dann mit automatischen Waffen auf sie schießen. Mosul Eye wurde von einem unabhängigen Historiker in Mossul eingerichtet, der auch die Zerstörung der Stadt dokumentiert hat. Andere verstörende Videos zeigen eine Meute von Soldaten, die einen Jugendlichen tot prügeln, und ein Mitglied der Sicherheitskräfte, der einen Gefangenen mit einem Messer mehrmals ins Gesicht und den Nacken sticht.
Die britische Zeitung Guardian berichtet, dass nicht identifizierte Leichen „mit unheilvoller Regelmäßigkeit an den Ufern des Tigris stromabwärts von Mossul“ angeschwemmt werden. Die Leichen sind „stark verwest, die meisten gefesselt und mit verbundenen Augen, einige verstümmelt“. Menschenrechtsorganisationen machen irakische Sicherheitskräfte, die in enger Zusammenarbeit mit den „Beratern“ der US-Spezialeinheiten agieren, für diese Morde verantwortlich.
Dieselben amerikanischen und westlichen Medien, die unaufhörlich die von Russland unterstützte Belagerung von Aleppo durch die syrische Regierung als Kriegsverbrechen verurteilt haben, schweigen nun über die Verbrechen, die an den Menschen von Mossul verübt wurden und von noch größerem Ausmaß sind.
Zunächst wurden die Medien zur Verteidigung der islamistischen Milizen mobilisiert, die Ost-Aleppo unter Kontrolle hielten, weil sie als Teil des von der CIA angezettelten Kriegs für einen Regimewechsel in Syrien kämpften. Dann wurde die Zerstörung von Mossul als „Sieg“ bejubelt und sogar als „Befreiung“, weil ganz ähnliche sunnitische, islamistische Kämpfer das von den USA unterstützte Regime in Bagdad herausgefordert hatten. Nichts könnte noch deutlicher die Doppelzüngigkeit und Heuchelei der US-Außenpolitik in der Region und die Funktion der Medien als willfähriges Propagandainstrument des amerikanischen Militarismus entlarven.