Chef des französischen Generalstabs tritt aus Protest gegen Kürzungen beim Wehretat zurück

General Pierre de Villiers, Generalstabschef der französischen Streitkräfte, ist am Mittwoch nach einem tagelangen öffentlichen Konflikt mit Präsident Emmanuel Macron über den Militärhaushalt zurückgetreten. De Villiers veröffentlichte ein Kommuniqué, in dem er seine „Vorbehalte“ in Bezug auf die geplanten Kürzungen des Wehretats betont und Macrons Politik als Bedrohung für die nationale Sicherheit angreift.

Er schrieb: „Unter den gegenwärtigen Umständen sehe ich mich nicht weiter imstande, das Modell einer Armee aufrechtzuerhalten, an das ich glaube, um die Sicherheit Frankreichs und der Franzosen zu garantieren und die Ziele unseres Landes zu unterstützen. Deshalb habe ich die Konsequenzen gezogen, die mir aufgezwungen wurden, und habe dem Präsidenten der Republik heute meinen Rücktritt eingereicht, den er akzeptiert hat.“

De Villiers‘ Rücktritt ist außerhalb von Kriegszeiten beispiellos. Das letzte Mal hat der ranghöchste Offizier im Jahr 1961 auf dem Höhepunkt der Algerien-Krise sein Amt niedergelegt. Damals trat General Jean Olié nach dem versuchten Staatsstreich in Algiers vom 21. April 1961 zurück. Der Putsch war von Offizieren angeführt worden, die die algerische Unabhängigkeit und die Regierung in Paris entschieden ablehnten.

Dieser Bruch in Macrons Beziehung zur Armee ist um so bemerkenswerter, als Macron das Militär aggressiv umworben hat. Während der Präsidentschaftswahlkampagne hatte er vorgeschlagen, die Wehrpflicht wieder einzuführen und versprochen, die Militärausgaben bis 2025 um fast 50 Prozent auf 2 Prozent des französischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu erhöhen. Als Haushaltsminister Gérald Darmanin am 11. Juli allerdings eine vorübergehende, einjährige Kürzung des Wehretats um 850 Millionen Euro bekanntgab, stellte sich de Villiers an die Spitze einer öffentlichen Rebellion gegen dieses Vorhaben.

Am nächsten Tag erschien de Villiers auf einem Treffen des Verteidigungsausschusses der Nationalversammlung, an dem erstmalige Abgeordnete von Macrons neugegründeter Partei La République en Marche (LRM) teilnahmen. Er verurteilte die Etatkürzungen und erklärte abschließend unter dem Applaus des Ausschusses: „Ich werde mich nicht auf eine solche Art und Weise f*cken lassen.“

Der Vorsitzende des Ausschusses, das LRM-Führungsmitglied Jean-Jacques Bridey, unterstützte ihn: „Kein einziger Soldat sollte wegen mangelhafter Ausrüstung sterben. Unsere Armee braucht die wirtschaftlichen Mittel.“

Macron reagierte am 13. Juli darauf, indem er de Villiers auf einem Empfang von hohen Militärs vor der Parade zum Nationalfeiertag am 14. Juli öffentlich vor seinen Untergebenen maßregelte. In einer Ansprache an das Offizierskorps erklärte Macron: „Ich finde es unwürdig, bestimmte Diskussionen in aller Öffentlichkeit zu führen. Ich bin bestimmte Verpflichtungen eingegangen. Ich bin euer Führer. Ich weiß, wie man Zusagen einhält, die ich gegenüber unseren Mitbürgern und gegenüber der Armee gemacht habe. Und in dieser Frage brauche ich keinen Druck und keine Kommentare.“

De Villiers antwortete am Nationalfeiertag mit einem provokanten Brief auf seiner Facebook-Seite. Er schrieb: „Untypischerweise werde ich zum Thema meiner nächsten Nachricht schweigen.“ Wie sich herausstellte, war die nächste Nachricht sein Rücktrittsgesuch. Ohne Macron zu erwähnen, zitierte er die Rede von General Charles Delestraint vom Juli 1940 über die Eroberung Frankreichs durch die Nationalsozialisten. Nach dieser Rede war Delestraint der bewaffneten Resistance gegen die französische Regierung und deren Zusammenarbeit mit den Nazis beigetreten.

De Villiers schrieb: „Obwohl die Niederlage schon besiegelt war, war seine Rede ein entschiedener Aufruf dazu, die ,Mentalität eines geschlagenen Hundes oder eines Sklaven‘ zurückzuweisen. Verhaftet, gefoltert und deportiert starb er am 19. April 1945 im Konzentrationslager Dachau, nur drei Wochen vor dem endgültigen Sieg, den er selbst mit vorbereitet hatte.“

Die Beschwörung von Delestraint soll de Villiers zwar in eine Aura des Widerstands gegen den Nationalsozialismus hüllen, sie enthält aber auch eine deutliche Warnung. Mehrere von Delestraints führenden Mitstreitern in der prokapitalistischen gaullistischen Fraktion der Resistance, die den Zweiten Weltkrieg überlebt haben, darunter Georges Bidault und Jacques Soustelle, verbündeten sich während des Algerienkriegs letztlich mit extrem rechten Kräften und unterstützten den Putsch von 1961.

Die fortwährende öffentliche Auseinandersetzung zwischen Frankreichs Präsident und dem Chef seiner Streitkräfte ist ein Beleg für den Zusammenbruch demokratischer Herrschaftsformen überall in Europa. Die zunehmende militärische Aggressivität des europäischen Imperialismus im letzten Vierteljahrhundert, seit die stalinistische Bürokratie 1991 die Sowjetunion aufgelöst hat, hat zusammen mit dem Anwachsen der sozialen Ungleichheit und dem Klassenkonflikt im Inneren die politische Position des Militärs enorm gestärkt. Die europäischen Armeen haben sich nicht nur an den von den USA geführten neokolonialen Kriegen in Afghanistan, dem Irak, Libyen und Mali beteiligt, sondern sind auch zu entscheidenden Kräften in der Innenpolitik geworden.

Die wachsende Stimmung für einen öffentlichen Aufstand gegen Austerität, soziale Ungleichheit und Militarismus in Europa fand ihren Niederschlag in der „Generation What“-Umfrage unter jungen Menschen in Europa in diesem Jahr. Dabei kam heraus, dass mehr als die Hälfte der Jugendlichen in Europa und mehr als 60 Prozent der französischen Jugendlichen bereit wären, an einem „umfassenden Aufstand“ gegen das politische System teilzunehmen. Je deutlicher wird, dass Europa in eine vorrevolutionäre Situation eintritt, umso stärker stützt sich die herrschende Klasse auf die Armee und die extreme Rechte.

In Deutschland, das 2014 mit der Remilitarisierung seiner Außenpolitik und einer deutlichen Ausgabensteigerung für das Militär begann, führen rechtsextreme Akademiker und Historiker eine Kampagne, um Hitler und die Nationalsozialisten zu rehabilitieren. Als in diesem Frühjahr ein umfangreiches Neonazi-Netzwerk in der Bundeswehr aufgedeckt wurde – darunter auch Offiziere, die in Frankreich stationiert waren –, veröffentlichte Der Spiegel einen Artikel des Militärhistorikers Sönke Neitzel, in dem er dazu aufruft, nationalsozialistische Offiziere sollten wieder als Vorbilder dienen.

In Frankreich führt die Armee nach den Terroranschlägen von 2015 polizeiliche Patrouillen im Inland durch, abgesegnet durch den Ausnahmezustand, unter dem grundlegende demokratische Rechte aufgehoben und die richterliche Kontrolle über die polizeilichen Operationen der Streitkräfte abgeschafft wurde. Der Ausnahmezustand wurde dann dazu benutzt, um Massenproteste von Jugendlichen und Arbeitern gegen die verhasste Arbeitsgesetzgebung niederzuschlagen. Diese Arbeitsgesetze will Macron jetzt benutzen, um einschneidende Kürzungen bei den Löhnen und Sozialleistungen der Arbeiter durchzusetzen. Damit soll die Erhöhung der Militärausgaben um mehrere Milliarden Euro finanziert werden, die Macron vorbereitet.

Macron hat versucht, das Militär und die Polizei wie auch die extreme Rechte als politische Basis für seine reaktionäre Politik zu kultivieren. In der Wahlnacht richtete er einen „republikanischen Gruß“ an die unterlegene neofaschistische Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen. Jetzt wo Macron auf Kürzungen beim Militärhaushalt drängt, um einen ausgeglichenen Etat zu bekommen, bevor die Kürzungen bei den Arbeitern sich voll auswirken, ist er mit einem Aufstand der Offiziere konfrontiert, die jegliche Einschränkung bei ihren Privilegien ablehnen.

Obwohl de Villiers von seinem Posten zurückgetreten ist, gibt es keinen Grund zur Annahme, dass dies die Konflikte beilegen wird, die innerhalb der französischen herrschenden Elite aufbrechen – immerhin hat er zum Widerstand aufgerufen. Nicht nur werden sich die Konflikte um den Haushalt verschärfen, sondern de Villiers selbst verfügt über eine breite Unterstützung in extrem rechten Kreisen.

Sein Bruder ist Philippe de Villiers, der Vorsitzende der nationalistischen und europafeindlichen Partei Rassemblement pour la France (RPF) mit Sitz in der Region Vendée. Bei den Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr hat er seine Sympathien für Marine Le Pen erkennen lassen. Anders als der Vorsitzende der Partei Debout la France (DLF), Nicolas Dupont-Aignan, hat er sie bisher nicht formell unterstützt.

Le Pen und führende Vertreter von RPF und DLF haben sich nach de Villiers‘ Rücktritt am Mittwoch in offiziellen Erklärungen hinter ihn gestellt. Le Pen verurteilte Macron als „arrogant“ und erklärte, sein Umgang mit der Krise um de Villiers „verdeutlicht die bedenklichen Auswüchse und die extrem beunruhigende Beschränktheit sowohl seines Verhaltens als auch seiner Politik“

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