Das Ende von Rot-Grün in Niedersachsen

Sieben Wochen vor der Bundestagswahl im September steht die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen vor dem Aus. Ende vergangener Woche kündigte die Grünen-Landtagsabgeordnete Elke Twesten ihren Wechsel in die CDU an. Damit verliert die Landesregierung in Hannover unter SPD-Ministerpräsident Stephan Weil ihre Mehrheit von einer Stimme.

Der Mehrheitsverlust in Niedersachsen ist ein schwerer Schlag für den neuen SPD-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Seit er die Führung der Partei übernommen hat, verfehlte die SPD einen sicher geglaubten Wahlsieg im Saarland und verlor die Wahlen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen. Verlieren SPD und Grüne auch noch die vorgezogene Wahl in Niedersachsen, die am 15. Oktober stattfinden soll, werden nur noch 2,5 Millionen Bundesbürger (in Hamburg und Bremen) von einem rot-grünen Bündnis regiert. Anfang letzten Jahres waren es noch 40 Millionen gewesen. In vier weiteren Bundesländern regiert die SPD in anderen Koalitionen.

Dass Schulz nach der Bundestagswahl am 24. September Kanzler wird, erscheint daher zunehmend unwahrscheinlich. Selbst für ein Dreierbündnis der SPD mit den Grünen und der Linkspartei oder der FDP würde das Ergebnis nach den derzeitigen Umfragen nicht reichen. In der letzten Erhebung von Infratest dimap liegt die CDU/CSU mit 40 Prozent weit vor der SPD (23 Prozent), während sich Linke, Grüne, FDP und AfD jeweils um die 8 Prozent bewegen.

Vieles deutet darauf hin, dass der Parteiwechsel von Elke Twesten das Ergebnis einer gezielten Intrige war. Twesten, die über die Landesliste in den Landtag eingezogen war, begründete ihren Schritt damit, dass sie von ihrem Kreisverband Rotenburg/Wümme in der Nähe von Bremen nicht wieder als Kandidatin nominiert worden war. Viele Medienkommentaren wettern daher über „Verrat“, „gekränkte Eitelkeit“ und „Geltungssucht einer politischen Hinterbänklerin“.

Während Twestens Entscheidung die Grünen-Fraktion angeblich völlig unvorbereitet traf, hatte sie mit der CDU seit Wochen Gespräche darüber geführt. Dabei soll sie zwei Zeugen auch von einem „unmoralischen Angebot“ der CDU berichtet haben. Es zirkulieren Gerüchte, dass ihr Fraktionswechsel durch Karriereversprechungen und lukrative Posten-Angebote erkauft wurde, was sowohl die CDU wie Twesten bestreiten.

Nur einen Tag nach Twestens Seitenwechsel trat die Bild am Sonntag dann nach. Sie berichtete in großer Aufmachung, dass Ministerpräsident Weil 2015 eine Regierungserklärung zur Abgasaffäre bei VW vorher von dem Autokonzern hatte prüfen lassen. Sowohl die CDU wie die FDP forderten daraufhin Weils sofortigen Rücktritt.

Dass Weil seine Regierungserklärung vom Volkswagen-Konzern korrigieren lässt, den er als Aufsichtsratsmitglied (VW gehört zu 20 Prozent dem Land Niedersachsen) und Ministerpräsident eigentlich kontrollieren solle, ist sicherlich anrüchig. Es unterstreicht die inzestuöse Beziehung zwischen Landesregierung, VW-Management, IG Metall und Betriebsrat, auf der auch der Abgas-Betrugsskandal gedeihen konnte.

CDU und FDP waren allerdings seit langem über diese Praxis informiert. Die Landesregierung hatte dem Wirtschaftsausschuss des Landtags bereits im September 2016 vertraulich darüber berichtet, ohne dass die Vertreter von CDU und FDP daran etwas auszusetzen hatten. Als sie in Hannover in der Regierung saßen, hatten sie ein ähnlich enges Verhältnis zum VW-Management gepflegt.

Dass die Bild-Zeitung diesen Skandal nun ausgräbt, um die SPD anzugreifen und Martin Schulz zu schwächen, zeigt, dass hier einflussreiche politische Kräfte am Werk sind. Das Springer-Blatt unterhält enge Beziehungen zu führenden Köpfen der CDU und auch der anderen Parteien. Es hatte schon vor fünf Jahren eine Schlüsselrolle bei der Kampagne gegen den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff (CDU) gespielt, der schließlich zurücktrat und sein Amt für Joachim Gauck räumte. Gauck leitete dann die außenpolitische Wende zur Rückkehr des deutschen Militarismus ein.

Auch diesmal geht es darum, eine weitere Rechtswende in der Außen- und Innenpolitik vorzubereiten. Das wird im Bundestagswahlkampf zwar kaum offen diskutiert, da der Militarismus und die innere Aufrüstung zutiefst unpopulär sind. In einschlägigen Gremien wird dagegen umso heftiger ein Politikwechsel propagiert. So hat die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) Ende Juli ein 40-seitiges Dossier zum Thema „Außenpolitische Herausforderungen für die nächste Bundesregierung“ veröffentlicht, das sich wie eine Handlungsanleitung für eine militaristische deutsche Großmachtpolitik liest.

Die Fortsetzung der Großen Koalition erscheint dabei vielen als Hindernis für diesen Kurs. Die SPD stimmt zwar voll damit überein. Sie hatte schon 1999 gemeinsam mit den Grünen den Weg für internationale Kriegseinsätze der Bundeswehr geebnet. 2014 stellte sich der damalige Außenminister und jetzige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dann an die Spitze der außenpolitischen Wende, und heute spielt sein Nachfolger Sigmar Gabriel den Scharfmacher in der Außenpolitik.

Doch die Große Koalition ist zu schwerfällig und zu träge für den aggressiven Kurs, der jetzt gefordert wird. Dasselbe gilt für Bundeskanzlerin Angela Merkel, die zwei Drittel ihrer zwölfjährigen Amtszeit im Bündnis mit der SPD regierte und in den Medien immer häufiger – wie ihr Vorgänger Helmut Kohl am Ende seiner Amtszeit – als Frau ohne Visionen beschrieben wird, die kein Ziel habe, außer dem, die Wahl zu gewinnen. Der Spiegel hatte seine gesamte letzte Ausgabe dem Ruf nach einem starken Mann gewidmet.

Die CDU kann Merkel zwar kurzfristig nicht ersetzen, doch nach der Bundestagswahl wird „der wahre Wahlkampf“, der „Kampf um die Zeit nach Merkel“ beginnen, wie die Süddeutsche Zeitung voraussagt: „Es wird wohl so sein, dass erst nach einem Wahlsieg Merkels all die bisher aufgesparte Kritik auf sie kommt; die heutige Freude an der Merkel’schen Erfahrung wird dem Überdruss an der ewigen Dauer der Regierung weichen.“

In der Union halten sich rechte Seilschaften bereit, die Merkel aus taktischen Gründen politisch ausgebremst und entmachtet hatte. So hielt Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) im vergangenen Monat in München einen medienwirksamen Vortrag über geopolitische Perspektiven Deutschlands, der aus Unionskreisen viel Beifall erntete. Guttenberg hatte vor sechs Jahren wegen Plagiaten in seiner Doktorarbeit sein Amt als Verteidigungsminister räumen müssen, ohne dass Merkel ihn verteidigte.

Ein anderer Unions-Rückkehrer ist Friedrich Merz. Der ehemalige Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war von Merkel vor Jahren entmachtet worden und fungiert seither als Aufsichtsratschef des deutschen Ablegers von BlackRock, des weltweit größten Vermögensverwalters. Vor wenigen Tagen veröffentlichte das Handelsblatt einen ganzseitigen Gastbeitrag, in dem Merz ein konsequenteres und schärferes Vorgehen gegen die USA fordert.

In den USA toben innerhalb der herrschenden Klasse erbitterte Kämpfe, obwohl alle Parteien weitgehend übereinstimmen, wenn es um weitere Angriffe auf soziale und demokratische Rechte und eine aggressive Außenpolitik geht. Ähnlich ist es hier. Die politischen Auseinandersetzungen drehen sich um die Frage, in welcher politischen Formation und Koalition diese Politik am besten gegen den wachsenden Widerstand der Bevölkerung durchgesetzt werden kann.

Auch die SPD und die Grünen unterstützen einen politischen Rechtsruck. Ihr Niedergang ist kein Ergebnis der Intrigen der CDU, sondern der Ablehnung ihrer rechten Politik. Die letzte rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder hatte die Agenda 2010 und eine umfassende Steuerreform beschlossen, die Millionen ins Elend stürzte und eine kleine Minderheit bereicherte. Auch bei der Aufrüstung der Polizei, der Unterdrückung von linkem Protest (wie beim G20-Gipfel in Hamburg) und der Hetze gegen Flüchtlinge steht die SPD der Union und selbst der AfD in nichts nach.

Auch der Wechsel von Twesten von den Grünen zur CDU zeigt, wie ähnlich sich alle Parteien sind. Twesten betont, sie sei schon immer eine bekennende Anhängerin von Schwarz-Grün gewesen. Gegen den Vorwurf des Verrats wehrt sie sich mit dem Argument: „Ich habe eine bürgerliche Grundstruktur und muss mich in der Union nicht verbiegen.“

Genau das könnte mit Fug und Recht auch Winfried Kretschmann sagen, der als grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg seit sechs Jahren eine Regierungskoalition mit der CDU führt. Auch er hat eine „bürgerliche Grundstruktur“ und muss sich in der engen Zusammenarbeit mit der CDU-Rechten um Thomas Strobl, den Schwiegersohn von Finanzminister Schäuble, nicht verbiegen. Von Boris Palmer, dem grünen Oberbürgermeister Tübingens, der permanent in AfD-Manier gegen Ausländer hetzt, ganz zu schweigen.

Die Grünen waren schon immer eine Partei der wohlhabenden Mittelschicht. Sie sind in dem Maße nach rechts gerückt, wie sich die soziale Kluft zwischen ihrer Klientel und der Arbeiterklasse vergrößert hat.

Die Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) ist die einzige Partei, die im Bundestagswahlkampf für ein sozialistisches Programm eintritt und nicht die Interessen der Banken, der Großkonzerne, der Bundeswehr und der Geheimdienste vertritt.

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