Frankreich: Hunderttausende demonstrieren gegen Macrons Sparkurs

Am Dienstag protestierten bis zu 400.000 Menschen in Frankreich gegen die Pläne von Präsident Macron, das französische Arbeitsrecht zu schleifen. Dies würde Massenentlassungen, Kürzungen der Löhne und Zusatzleistungen und gesteigerte Arbeitshetze bedeuten. Macrons Arbeitsmarkt-„Reformen“ bilden das Kernstück einer massiven Austeritätskampagne. Weitere Kürzungen sind bei den staatlichen Rentenfonds und beim Arbeitslosengeld geplant.

Kundgebung in Paris

Die größten Veranstaltungen fanden in Paris und Marseille statt (jeweils 60.000 laut den Gewerkschaften), gefolgt von Toulouse (16.000), Nantes (15.000), Bordeaux (12.000) Lyon (10.000), Rennes (10.000), Nizza (5.000) und Le Havre, der Heimatstatt von Premierminister Edouard Philippe (3.400). Es waren die ersten Proteste, die die Gewerkschaftsbürokratie seit Macrons Wahlsieg im Mai organisiert hatte. In 13. Arrondissement in Paris setzte die Polizei Wasserwerfer gegen Demonstranten ein, auch in Lyon und Nantes kam es zu Zusammenstößen.

Die herrschenden Klassen der ganzen Welt, u.a. in Deutschland und den USA, betrachten Macrons Arbeitsmarkt-„Reformen“ als Speerspitze einer neuen Runde von Angriffen auf die internationale Arbeiterklasse. Die New York Times lobte Macrons Maßnahmen, weil sie mit der Vorstellung brechen, „dass der Arbeiter ständig vor räuberischen Kapitalisten geschützt werden müsse“, und beklagte, dass „im letzten Vierteljahrhundert alle Versuche, grundlegende Reformen durchzuführen, an riesigen und teilweise gewalttätigen Demonstrationen“ gescheitert seien.

Macrons Zustimmungswerte sinken immer weiter, und die große Mehrheit der Arbeiter und Jugendlichen lehnen seine Pläne ab, mit außerparlamentarischen Dekreten eine soziale Konterrevolution durchzuführen. Macron hatte sich in der zweiten Wahlrunde gegen die Neofaschistin Marine Le Pen durchgesetzt. Die Wahl brachte vor allem eine massive Enthaltung und den Zusammenbruch der traditionellen französischen Parteien mit sich.

Die Demonstrationen fanden unter Bedingungen des Ausnahmezustands statt: Der französische Präsident genießt „außergewöhnliche Vollmachten“ und kann zum Beispiel Menschen ohne Prozess unter Hausarrest stellen. Der Ausnahmezustand ist seit November 2015 in Kraft, und Macron und sein Vorgänger François Hollande von der PS haben diese Vollmachten immer wieder gegen die Gegner der Arbeitsmarktreform eingesetzt.

WSWS-Korrespondenten nahmen an Demonstrationen in Paris, Marseille und Nordfrankreich teil. Die Teilnehmer demonstrierten nicht nur ihren Widerstand gegen die Zerstörung des Arbeitsrechts, sondern erklärten sich auch gegen den Kurs auf Krieg und Diktatur. Viele misstrauen den Gewerkschaften und den bestehenden Parteien. Einige erklärten, nach der letzten Präsidentschaftswahl, bei der sie sich zwischen einer Neofaschistin und einem Verfechter der freien Marktwirtschaft entscheiden mussten, seien sie vom gesamten politischen System angewidert.

Nathanaël, Gymnasiast aus Paris, sagte: „Nur so können wir noch kämpfen: indem wir unsere Unzufriedenheit zeigen. Die Verfassungsorgane der Fünften Republik versagen, und zwar seit Jahren. Ich bin noch Schüler. Ich kann noch nicht wählen, aber selbst wenn, wüsste ich nicht, was ich wählen sollte und was es mir bringt. So kann die Gesellschaft nicht funktionieren, so funktioniert kein sozialer Schutz und kein Rechtsstaat... Heute muss man auf die Straße gehen und demonstrieren, um Gehör zu finden.“

Zur Forderung des Parti de l'égalité socialiste (PES) nach einem aktiven Boykott der Präsidentschaftswahl sagte er: „Da stimme ich zu. Die schädlichen und tödlichen Ideen des [neofaschistischen] Front National lehne ich vollkommen ab, aber wenn man wählt, dann unterstützt man einen der beiden. Mit der Wahl unterstützt man ein System und seine Institutionen.“ Die PES, die französische Schwesterorganisation der Sozialistischen Gleichheitspartei, hatte zum aktiven Boykott der Wahl aufgerufen, um die Arbeiterklasse auf die unabhängige Mobilisierung gegen den neuen Präsidenten vorzubereiten.

Nathanaël erinnerte an den französischen Generalstreik im Mai 1968: „Das ist das einzig Richtige; man muss die Arbeiterklasse mobilisieren. Wir sind nicht in einer Gewerkschaft, sondern in einem politischen Kampf ... Wir stehen kurz vor einem Kampf wie im Mai '68.“

Er kritisierte auch Macrons Plan, den repressive Ausnahmezustand zu verewigen und ins allgemeine Recht aufzunehmen: „Das ist der ultimative Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit. Ich sehe es ganz klar in meiner Schule. Jeden Tag durchsuchen sie unsere Taschen und wollen unsere Ausweise sehen. Überall Soldaten und Absperrgitter, das ist im Umfeld der Schulen nicht gut. Wenn man Leuten ab der Grundschule beibringt, sich unterzuordnen, ist das weder Freiheit noch Rechtsstaatlichkeit.“

Er erwähnte die Koreakrise, um deutlich zu machen, dass die Jugendlichen angesichts der Kriegsgefahr in großer Unruhe seien: „Für mich geht die Gefahr nicht so sehr von Nordkorea aus, sondern von der Beziehung zwischen Nordkorea und den USA. Trump ist impulsiv, egozentrisch und obsessiv, und eigentlich verdient dieser Mann viele Begriffe gar nicht, mit denen man ihn beschreibt.“

Nathanaël lehnte auch den Umgang der Medien mit den Demonstranten in Law-and-Order-Manier ab: „Ich bin kein Randalierer, ich werfe keine Pflastersteine in die Schaufenster … Die Medien übernehmen in ihrer Berichterstattung immer mehr die Rhetorik und Sprache der Rechtsextremen.“

Auf dem Schild steht: „Finger weg von meinem Arbeitsrecht. Deine Rezepte machen mich krank“.

Die WSWS sprach auch mit Sarah, die die wachsende soziale Ungleichheit in Frankreich unter Macron kritisierte: „Ich halte es nicht für hinnehmbar, diese Gesetze zu verabschieden. Es war nicht notwendig, dass Macron sie verabschiedet, vor allem nicht die Arbeitsgesetze. Hier haben wir jemanden, der nichts weiß. Was er mit den Arbeitsverträgen vorhat, dass man fünf Jahre lang befristet arbeiten soll, das ist doch nicht normal.“

Sie erklärte, sie lasse sich gerade zur Personalleiterin ausbilden, und fügte hinzu: „Ich war etwas blauäugig. Ich dachte, diese Arbeit sei einfach, und man könne damit den Arbeitern helfen. Und jetzt vergeht die Zeit. Ich bin noch jung, aber ich merke, dass die Verhältnisse im Arbeitsleben wirklich bösartig sind. Und Macron will sie noch schlimmer machen.“

Über den Ausnahmezustand sagte Sarah: „Ich glaube, der hauptsächliche Zweck besteht darin, den Leuten Angst zu machen. Wenn man jung ist, macht es einem natürlich Angst, wenn man auf den Bastille-Platz kommt … [wo die Demonstration begann]. Wir leben schon jetzt in einer Art Diktatur. Keine solche, wie man sie aus den Geschichtsbüchern kennt, aber ich glaube, dass schlimme Dinge passieren. Es ist nicht in Ordnung, wie der Präsident seine Macht benutzt.“

Aufschrift auf dem Schild: „Flexibilität überall – Sicherheit nirgendwo“

Eine tiefe Kluft trennt die Studenten und Arbeiter, die den Kampf aufnehmen, von den Gewerkschaftsbürokratien und den pseudolinken Parteien. Die Gewerkschaften und pseudolinke Kräfte versuchen, sich als militante Alternativen zur Sozialistischen Partei (PS) zu inszenieren, die durch Hollandes Kriege und Austeritätspolitik völlig diskreditiert ist. Auch Jean-Luc Mélenchon mit seiner Organisation La France insoumise (Unbeugsames Frankreich) ist einer von ihnen. In Wirklichkeit sind sie tief ins Establishment integriert und lehnen den revolutionären Kampf der Arbeiterklasse ab. Diesen Kampf führt nur der Parti de l'égalité socialiste, die französische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

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