Wo die AfD siegte – und warum

Der Einzug der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) in den Bundestag am vergangenen Sonntag hat bei vielen Menschen sowohl in Deutschland als auch international große Bestürzung, Angst und Wut ausgelöst. Während es in zahlreichen Städten noch am Wahlabend erste spontane Protestkundgebungen gegen die AfD gab, versuchen die Bundestagsparteien und die führenden Medien, ihre Hände in Unschuld zu waschen und die Verantwortung für den Aufstieg der Rechten bei denjenigen zu suchen, die sie gewählt haben.

Die geheuchelte Bestürzung von Union, SPD, Grünen, FDP und Linken und die herablassenden Medienkommentare können aber nicht darüber hinweg täuschen, wer für den Erfolg der AfD die wirkliche Verantwortung trägt. Es ist bezeichnend, dass die AfD vor allem in denjenigen Landesteilen und Städten bedeutende Unterstützung gewann, in denen zuvor oder gegenwärtig SPD und Linkspartei über Jahre hinweg einen sozialen Kahlschlag angerichtet haben.

Ein genauerer Blick auf die Wahlergebnisse der AfD fördert insbesondere zwei Erkenntnisse zutage: zum einen gewann die AfD vor allem dort an Stimmen, wo SPD und Linkspartei zugleich massive Verluste erlitten. Zum anderen war die Wahl der AfD in vieler Hinsicht ein Ausdruck von Protest gegen die als asozial empfundene Politik der vermeintlich „linken“ Parteien. Sie konnte unter den Bedingungen des politischen Bankrotts von SPD und Linkspartei und dem Fehlen einer wirklich fortschrittlichen Alternative nur rechte Formen annehmen.

Wo gewann die AfD?

Schon ein Blick auf die bundesweite Hochburg der AfD in Sachsen bestätigt diese Einschätzung. 27 Jahre nach der Wiedereinführung des Kapitalismus durch die stalinistische SED-Bürokratie ist eine rechtsextreme Partei im bevölkerungsreichsten ostdeutschen Bundesland zur stärksten Partei gewählt worden. Die AfD kam dort am Sonntag auf 27,0%, knapp vor der CDU mit 26,9%. Es ist das Ergebnis eines Vierteljahrhunderts von sozialem Kahlschlag, Deindustrialisierung, Arbeitslosigkeit und Armut, die von allen bürgerlichen Parteien organisiert und durchgesetzt wurden.

In Sachsen errang die AfD außerdem durch Frauke Petry, Tino Chrupalla und Karsten Hilse drei Direktmandate. Zugleich büßte die SPD, die wegen der Hartz-Gesetze weitgehend verhasst ist, fast jeden vierten Wähler ein und landete bei nur noch 10,5%. Die Linkspartei, die den sozialen Kahlschlag der SPD auf kommunaler Ebene vielfach in die Tat umsetzt, verlor jeden fünften Wähler und landete bei 16,1%. Bei der letzten Bundestagswahl 2013 hatte sie noch 20% erreicht.

Ähnlich einschneidend war das Ergebnis in Thüringen. Das Bundesland mit dem ersten Linken-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, das bundesweit die zweithöchste Abschiebequote für abgelehnte Asylbewerber aufweist, sah sowohl einen Einbruch der Linkspartei-Stimmen als auch einen massiven Zuwachs bei der AfD. Die Linke verlor mit Einbußen von 7,5 Prozentpunkten und jetzt 16,9% der Stimmen fast jeden dritten Wähler, während die AfD ihr bisheriges Ergebnis vervierfachen konnte. Sie liegt in Thüringen jetzt bei 22,7% und hat die Linkspartei als zweitstärkste Kraft im Land abgelöst. Die SPD verlor noch einmal fast drei Prozentpunkte, landete bei 13,2% und ist nur noch viertstärkste Partei.

Doch der Aufstieg der AfD ist nicht auf Ostdeutschland beschränkt. Auch im Westen kam sie in einzelnen Wahlbezirken auf über 20 Prozent. Das betrifft insbesondere das Ruhrgebiet, wo inzwischen jeder fünfte Mensch als arm gilt. Die SPD, die den sozialen Niedergang mit Hilfe der Gewerkschaften in den letzten Jahrzehnten organisiert hat, ist in ihrer einstigen Hochburg dagegen vollständig kollabiert.

Besonders drastisch zeigt sich das in Gelsenkirchen, einer Stadt, in der heute etwa 40% aller Kinder in Hartz-IV-Haushalten aufwachsen. Hier kam die AfD am Sonntag auf 17,0%, das ist das höchste Ergebnis der Partei in einem Wahlkreis in den alten Bundesländern. Vor vier Jahren hatten hier gerade einmal 4,7% für die AfD gestimmt. Zugleich brach das Ergebnis der SPD vollkommen ein. Sie verlor mehr als zehn Prozentpunkte und landete bei nur noch 33,5%.

Auffällig ist auch die relativ niedrige Wahlbeteiligung von 68,2%. Fast jeder dritte Einwohner Gelsenkirchens sah sich nicht imstande, irgendeiner der Parteien sein Vertrauen zu geben. In einigen Arbeitervierteln der Stadt lag sie noch deutlich niedriger. So ging im Wahlbezirk Schalke-Ost nur etwas mehr als jeder Zweite überhaupt zur Wahl (55,4%). Hier verlor die SPD ganze 13,4 Prozentpunkte und kam auf nur noch 34,3%. Die AfD erreichte unter diesen Bedingungen 18,8% der Stimmen.

Ähnliche Entwicklungen findet man auch in den meisten anderen Städten des Ruhrgebiets. Insbesondere in Duisburg konnte die AfD die von der SPD geschaffene Notlage vieler Menschen ausnutzen. Im Wahlbezirk Obermarxloh erreichte die AfD über 30% der Wählerstimmen.

Wer wählte die AfD – und warum?

Der größte Anteil der AfD-Wähler fühlt sich offenbar seit Jahren nicht mehr von irgendeiner der großen Parteien vertreten und sieht die AfD jetzt als einzige Möglichkeit, seinem Unmut Luft zu machen. So waren etwa 1,2 Millionen AfD-Wähler im Jahr 2013 gar nicht erst zur Wahl gegangen. Nach einer Umfrage von Infratest Dimap wusste etwa die Hälfte der AfD-Wähler (51%) bereits vor Beginn des Wahlkampfs, dass sie für diese Partei stimmen würden.

Die AfD profitierte auch von einem großen Zuwachs früherer Unionswähler, von denen etwa 980.000 jetzt für die AfD stimmten. Die SPD verlor 470.000 frühere Wähler an die AfD, auch 400.000 vormalige Linken-Wähler stimmten jetzt für die Rechtsextremen. An keine andere Partei verloren SPD und Linkspartei so viele ihrer einstigen Wähler wie an die AfD.

Ein solches Wahlverhalten hat Gründe, wie die besagte Umfrage von Infratest Dimap zeigt. Befragt über die Motive ihrer Stimmabgabe für die AfD, erklärten 60% ihrer Wähler, sie hätten die Partei aus „Enttäuschung über andere Parteien“ gewählt. Damit ist die AfD die einzige der jetzt im Bundestag vertretenen Parteien, deren Wählerschaft sich mehrheitlich aus Protestwählern zusammensetzt.

Ganze 85% erklärten gar, die AfD sei „die einzige Partei, mit der ich meinen Protest ausdrücken kann“. Umgekehrt erklärten nur 31% der AfD-Wähler, sie hätten aus „Überzeugung für meine Partei“ gestimmt – also nicht einmal jeder Dritte.

Viele trafen ihre Entscheidung auch erst kurz vor der Wahl. Fast jeder vierte AfD-Wähler (24%) gab an, sich erst in der Wahlwoche oder sogar noch am Wahltag für die Partei entschieden zu haben. Und beachtlicherweise erklärten mehr als die Hälfte der AfD-Wähler (51%), es müsse mehr für die Integration der Flüchtlinge getan werden!

Diese Zahlen belegen, dass es sich bei den Wählern der AfD nicht einfach durchgängig um eingefleischte Rechtsextremisten handelt, so gefährlich der Einzug der Partei in den Bundestag auch ist. Im Gegenteil profitiert die Partei gerade davon, dass alle anderen Parteien – einschließlich SPD und Linkspartei – als Teil einer bürgerlichen Einheitspartei wahrgenommen werden, die sich durch eine vollkommen arbeiterfeindliche Politik auszeichnen.

Es ist unter diesen Bedingungen nicht verwunderlich, dass die AfD gerade bei Arbeitern und Arbeitslosen besonders hohe Ergebnisse erzielen konnte. Bei einem Gesamtergebnis von 12,6% erreichte die AfD unter Arbeitslosen 22%, unter Arbeitern 21% der Stimmen. Es fällt außerdem auf, dass ganze 26% der AfD-Wähler ihre wirtschaftliche Lage als „schlecht“ bezeichnen. Ein solch hoher Anteil findet sich bei keiner anderen Bundestagspartei.

Wie weitreichend das Bewusstsein über die rechte Politik der letzten Bundesregierung ist, zeigt eine andere Zahl, die sich aus der Befragung aller Wähler ergab. Auf die Frage: „Hat sich die Bundesregierung ernsthaft bemüht, den Wohlstand in Deutschland fairer zu verteilen?“, antworteten ganze 88% aller Wähler: „Nein, hat sie nicht.“

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