Grüne entscheiden sich für Jamaika

Ein kleiner Parteitag der Grünen hat sich am Samstag für Verhandlungen über eine gemeinsame Regierung mit CDU, CSU und FDP ausgesprochen. Die Entscheidung für eine Jamaika-Koalition (benannt nach der schwarz-gelb-grünen Flagge des Karibikstaats) fiel ohne Gegenstimmen, bei drei Enthaltungen. Auch der sogenannte „linke“ Flügel der Partei unterstützte den Beschluss. „Ja, selbstverständlich wollen wir regieren“, rief Fraktionschef Toni Hofreiter den Delegierten zu.

Die Grünen, die 1980 von ehemaligen Führern der 68er Studentenrevolte gegründet wurden, streben damit ein Bündnis mit den konservativen und wirtschaftsliberalen Kräften an, die sie in ihrer Jugend erbittert bekämpft hatten.

Im 14-köpfigen Sondierungsteam, das der Parteitag wählte, sind alle Parteiströmungen vertreten: Vom baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der bereits gemeinsam mit der CDU regiert, über die Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir und die ehemalige Vorsitzende Claudia Roth, bis zum bekanntesten Vertreter des sogenannten „linken“ Flügels, Jürgen Trittin.

Der Wunsch, wieder an die Fleischtöpfe der Macht zu gelangen, war stärker als die Skrupel und Vorbehalte, die die Grünen sonst gerne äußern. Wie es bei der Partei Tradition ist, erfolgte der Beschluss für ein rechtes Regierungsbündnis unter viel Händeringen und moralischen Ergüssen.

Die Parteivorsitzende Simone Peter verwies auf den Aufstieg der AfD. „Wir müssen mit ansehen wie Rassismus, Antisemitismus und Demokratieverachtung Platz nehmen im Bundestag“, klagte sie. Es sei die Aufgabe grüner Politik, den Zusammenhalt in der Gesellschaft wieder zu stärken. Wie dies im Bündnis mit den Wirtschaftslobbyisten von der FDP und einer Partei wie der CSU geschehen soll, die sich zunehmend den Standpunkten der AfD annähert, erklärte sie allerdings nicht.

Katrin Göring-Eckardt stellte die Grünen als soziales Gewissen einer Jamaika-Koalition dar: „In diesem Bündnis werden wir diejenigen sein, die liefern müssen, wenn es um den sozialen Zusammenhalt und die soziale Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft geht.“ Das sagt die Fraktionsvorsitzende einer Partei, die sich als Koalitionspartner der SPD vehement für die Hartz-Gesetze und die Agenda 2010 eingesetzt hat.

Immer wieder versicherten sich die Delegierten gegenseitig, dass sie nicht um jeden Preis in die Regierung wollen. „Wir unterwerfen uns nicht der Logik, dass es keine Alternative gibt. Die Opposition bleibt eine Option“, betonte Peters.

All das sind offensichtliche Ausflüchte. Die Grünen streben in eine Jamaika-Koalition, weil sie in allen grundlegenden Fragen mit FDP und Union übereinstimmen. Auf Landesebene haben sie ihre grenzenlose Anpassungsfähigkeit längst unter Beweis gestellt. Sie regieren in zehn Bundesländern in acht verschiedenen Konstellationen.

Übereinstimmung zwischen Grünen, FDP und Union gibt es vor allem in den zentralen Fragen, die auf dem Parteitag der Grünen überhaupt nicht zur Sprache kamen: in der Außenpolitik, beim Militarismus und bei der Staatsaufrüstung.

Die einstigen grünen Pazifisten lassen sich von niemandem übertreffen, wenn es um die Rechtfertigung brutaler Kriegseinsätze unter dem Vorwand von Menschenrechten geht. 1998 ebneten sie mit dem Eintritt in die rot-grüne Bundesregierung den Weg für den ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr in Jugoslawien. Sowohl im Libyenkrieg wie im Syrienkonflikt traten sie für eine militärische Beteiligung Deutschlands ein. 2014 unterstützten sie aktiv den Maidan-Putsch in der Ukraine und warfen der Regierung vor, sie gehe nicht hart genug gegen Russland vor.

Die Grünen befürworten die Europäische Union, den Aufbau einer Europäischen Armee und die Europapläne des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der seine „europäische Vision“ mithilfe des Ausnahmezustands und drastischer Arbeitsmarktreformen verwirklicht. Sie zählen auch zu den lautesten Unterstützern von Zensurmaßnahmen, die unter dem Vorwand des Kampfs gegen „Fake News“ die freie Meinungsäußerung im Internet unterdrücken.

Die Grünen sind eine Partei des wohlhabenden, städtischen Kleinbürgertums, das angesichts wachsender internationaler und sozialer Spannungen eng an den Staat rückt, um seine privilegierte Stellung zu verteidigen. Am deutlichsten sprach das auf dem Parteitag der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann aus, der sich mit den Worten: „Wir brauchen jetzt einfach eine verlässliche Regierung“ für Jamaika einsetzte.

Doch selbst wenn die Grünen nun die Vorreiterrolle übernehmen, dürfte sich die Bildung einer neuen Bundesregierung schwierig gestalten und über Wochen hinziehen. Die ersten Sondierungsgespräche zwischen den Parteien sind erst für das nächste Wochenende geplant, zwei Wochen nach der Bundestagswahl. Sind diese Gespräche erfolgreich, beginnen die eigentlichen Koalitionsverhandlungen, die weitere Wochen in Anspruch nehmen.

Vor allem innerhalb der CSU und der CDU, die herbe Verluste hinnehmen mussten, und zwischen den beiden Schwesterparteien gibt es heftige Konflikte. In beiden Parteien drängt ein starker Flügel darauf, politisch näher an die Positionen der AfD zu rücken.

Da die SPD eine Fortsetzung der Großen Koalition mit der CDU/CSU ausgeschlossen hat und alle Parteien ein Regierungsbündnis mit der rechtsextremen AfD (noch) ablehnen, verfügt derzeit nur ein Bündnis von CDU, CSU, FDP und Grünen über eine Regierungsmehrheit im Bundestag. Das könnte sich allerdings ändern, falls die SPD von ihrer Haltung abrückt oder sich Union und AfD weiter annähern.

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