Bundesregierung unterstützt gewaltsame Unterdrückung Kataloniens

Die deutsche Regierung hat sich uneingeschränkt hinter die gewaltsame Unterdrückung der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung durch die spanische Regierung gestellt.

Auf der Bundespressekonferenz am Mittwoch erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert: „Wir haben großes Interesse an der Stabilität Spaniens, und deshalb ist es wichtig, dass in allem, was jetzt dort politisch geschieht, die Rechtsstaatlichkeit eingehalten wird.“ Das spanische Verfassungsgericht habe klar beschieden, dass „dieses sogenannte Referendum“ nicht im Einklang mit der spanischen Verfassung stehe. Es sei die Aufgabe der spanischen Regierung, „die Verfassungsordnung aufrechtzuerhalten“.

Seibert betonte, dass die Bundeskanzlerin keine Vermittlungsmission anstrebe, weil es sich „nach unserer festen Überzeugung um eine innerspanische Angelegenheit“ handle.

Trotz wiederholtem Nachfragen mehrerer Journalisten weigerte sich der Regierungssprecher hartnäckig, auch nur ein kritisches Wort über das brutale Vorgehen der spanischen Polizei zu verlieren, die am Montag fast tausend Teilnehmer des Unabhängigkeitsreferendums verletzt hatte.

Auf die Frage, weshalb die deutsche Regierung nicht auf die Menschenrechtsverletzungen und die Polizeigewalt auf den Straßen in Katalonien reagiere – „Auf was warten Sie? Was muss noch passieren?“ –, erwiderte Seibert: „Ich habe die Haltung der Bundesregierung in dieser Sache ganz klargemacht. Sie richtet sich an der rechtlichen Realität, an der Verfassungsrealität Spaniens aus, wie sich auch jede künftige Lösung dieses innerspanischen Konflikts an der Verfassung Spaniens ausrichten muss. Das ist unsere feste Überzeugung.“

Als andere Journalisten nachhakten und wissen wollten, ob die Polizeigewalt nicht eine Mitschuld an der Eskalationsspirale habe, antwortete Seibert: „Es ist überhaupt nicht meine Aufgabe, hier Polizeieinsätze in Spanien zu bewerten. Für die Bundesregierung steht die Lage, wie sie die spanische Verfassung vorsieht, im Mittelpunkt unserer Betrachtungen.“ Das Referendum sei „ein Bruch der spanischen Verfassung“.

In diesem Stil ging es weiter. Ein Journalist fragte: „Könnten Sie uns kurz verraten, ab wann Sie Polizeigewalt bzw. Polizeieinsätze bewerten? Wenn in Russland Polizeigewalt herrscht, dann sind Sie die Ersten, die das verurteilen, in der Türkei und anderen Ländern ebenfalls. Warum jetzt nicht in Spanien?“ Seibert antwortete stereotyp: „Die Frage zieht absurde Parallelen. Ich habe vorhin mit Bedacht gesagt: In einem demokratischen Staat schützt die Verfassung die Rechte aller Bürger. Deswegen ist die Verfassung einzuhalten.“

Auch die Frage nach der Angemessenheit der eingesetzten staatlichen Gewaltmittel wollte der Sprecher von Bundeskanzlerin Merkel nicht beantworten: „Spanien ist ein demokratischer Staat. Es ist auch medial ein pluralistischer Staat. Alle notwendigen Diskussionen werden in Spanien geführt. Da braucht niemand eine Stellungnahme und eine Bewertung eines Polizeieinsatzes durch einen deutschen Regierungssprecher.“

Auch in den deutschen Medien häufen sich Beiträge, die das martialische Vorgehen der spanischen Regierung unterstützen. Während einige Kommentare zur Vermittlung und Deeskalation mahnen, gewinnen rechte Scharfmacher zunehmend die Oberhand.

So veröffentlichte SpiegelOnline am Donnerstag unter der Überschrift „Dieses Referendum darf keinen Erfolg haben“ einen wütenden Hetzkommentar von Markus Becker. Er setzt den katalanischen Regierungschef Puigdemont auf eine Stufe mit den „Kaczynskis, Orbáns und Erdogans dieser Welt“ und begründet das so: „Er ruft sich zum Vollstrecker des Volkswillens aus und leitet daraus das Recht ab, Recht zu brechen.“

Becker spricht deutlich aus, was er von Volksabstimmungen hält. Sie sind gut, wenn sie den Herrschenden nützen, und schlecht, wenn sie ihnen nicht ins Konzept passen. „Referenden können ein wertvolles Instrument der Demokratie sein“, schreibt er. „Sie können den Menschen das Gefühl geben, sich direkt am Gemeinwesen zu beteiligen… Zumindest gilt das, wenn Referenden verantwortungsbewusst und zielgenau eingesetzt werden. In den Händen von Populisten aber sind sie ein hochgradig gefährliches Werkzeug, was Puigdemont nun erneut auf beeindruckende Art bewiesen hat.“

Puigdemont habe, so SpiegelOnline, „das Referendum in eine politische Waffe verwandelt, die er der spanischen Regierung und der EU auf die Brust setzt, und mit deren Hilfe er jenen Teil des eigenen Volks in Geiselhaft nimmt, der gegen die Abspaltung ist.“

Becker verwendet Begriffe, die normalerweise benutzt werden, um die Bombardierung der Zivilbevölkerung in Städten wie Aleppo, Mossul und Rakka zu rechtfertigen. „Diese mutmaßliche Mehrheit“, schreibt er, „wird zu einer Art menschlichem Schutzschild in einem Konflikt, der im Extremfall mit bürgerkriegsähnlichem Blutvergießen enden könnte.“ Auf diese Weise lässt er keinen Zweifel daran, dass er auch ein Blutbad von Seiten der spanischen Regierung unterstützen würde.

Ähnlich bestimmt äußerte sich Reinhard Müller am Donnerstag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in einem Kommentar „Selbstbestimmung heißt nicht Sezession.“

Müller schreibt zwar: „Kein Zweifel: Alle Völker haben ein Recht auf Selbstbestimmung“, und verweist dabei auf die Charta der Vereinten Nationen und andere UN-Dokumente. Doch er fügt hinzu, ein Recht auf Abspaltung von einem bestehenden Staat bedeute das nur in extremen Ausnahmefällen: „Denn die Unversehrtheit der Staaten ist eine Grundlage der internationalen Gemeinschaft. Jeder Staat hat deshalb grundsätzlich das Recht, separatistischen Bestrebungen innerhalb seiner Grenzen entgegenzutreten.“

Auch Müller beruft sich auf die spanische Verfassung, die ausdrücklich vorsehe, „dass die Zentralregierung eine autonome Region wie Katalonien zur ‚zwangsweisen Erfüllung‘ ihrer Pflichten anhalten“ könne.

Weshalb unterstützt die deutsche Regierung die gewaltsame Niederschlagung des katalanischen Referendums durch den spanischen Staat, der damit 42 Jahre nach deren Ende wieder an die Tradition der faschistischen Franco-Diktatur anknüpft?

Die Berufung auf Rechtsstaatlichkeit und spanische Verfassung sind ein fadenscheiniger Vorwand, das zeigt das Verhalten der Bundesregierung in anderen Fällen. Ob sie eine separatistische Bewegung unterstützt oder bekämpft, hängt nicht von der Gesetzeslage, sondern von ihren eigenen Interessen ab. So trieb sie in den 1990er Jahren das Auseinanderbrechen Jugoslawiens aktiv voran und förderte separatistische Bewegungen in Kroatien, Slowenien und Bosnien, was zu einer Reihe blutiger Kriege mit weit über hunderttausend Toten führte. Der erste Kriegseinsatz der Bundeswehr fand 1999 mit dem Ziel statt, den Kosovo abzuspalten, obwohl an dessen Zugehörigkeit zu Serbien kein rechtlicher Zweifel bestand.

Die Bundesregierung unterstützt den kompromisslosen Kurs des spanischen Regierungschefs Mariano Rajoy, weil sie fürchtet, Zugeständnisse an die katalanischen Separatisten könnten eine Kettenreaktion auslösen, die Europäische Union schwächen und damit ihre eigenen Pläne untergraben, gestützt auf die EU zu einer wirtschaftlichen, politischen und militärischen Weltmacht aufzusteigen.

Zahlreiche europäische Regierungen haben Angst, dass Katalonien Nachahmer findet. In Belgien droht Flandern mit Abspaltung, in Italien die Lombardei und in Großbritannien besteht die Gefahr, dass mit dem Brexit der Nordirland-Konflikt wieder aufflammt. Aus diesem Grund nimmt auch die EU-Kommission gegenüber den katalanischen Nationalisten eine unnachgiebige Haltung ein. Sie hat deutlich gemacht, dass sie im Falle einer Abspaltung nicht mit der Aufnahme in die EU rechnen können, und lehnt bisher selbst eine Vermittlerrolle ab, obwohl viele dies fordern, weil sie fürchten, dass die Situation sonst außer Kontrolle gerät.

So warnte der der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) vor einer dramatischen Eskalation: „Die Lage ist sehr, sehr besorgniserregend. Da ist ein Bürgerkrieg vorstellbar, mitten in Europa“, sagte er. „Man kann nur hoffen, dass zwischen Madrid und Barcelona bald ein Gesprächsfaden aufgenommen wird.“

Es gibt aber noch einen tieferen Grund, weshalb sich die Bundesregierung gegenüber den katalanischen Nationalisten kompromisslos zeigt. Sie fürchtet, dass jedes Zeichen von Nachgiebigkeit Widerstand gegen die wachsende soziale Ungleichheit und den Militarismus ermutigen könnte. Die Zeiten, in denen in Europa die sozialen Gegensätze durch Kompromisse ausgeglichen wurden, sind längst vorbei. Millionen von Arbeitern und Jugendlichen erleben seit Jahren sinkende Einkommen, härtere Arbeitsbedingungen und sinkende Berufsaussichten. Das Vertrauen in die traditionellen Parteien erodiert.

Die herrschende Klasse reagiert darauf, indem sie zu autoritären Herrschaftsformen greift. In Frankreich wurde der seit langem herrschende Ausnahmezustand soeben in permanente Gesetze gegossen. Im deutschen Wahlkampf überboten sich die Parteien gegenseitig mit Forderungen nach mehr Polizei, Überwachung und Internetzensur. Erstmals seit dem Fall der Nazis zog wieder eine rechtsextreme Partei in den Bundestag ein.

Die Unterstützung Berlins für Rajoys gewaltsame Unterdrückung des katalanischen Referendums ist deshalb ein Warnsignal. Die herrschende Klasse bereitet sich darauf vor, jedes Anzeichen von sozialer und politscher Opposition brutal zu unterdrücken.

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