Machtkampf in der Führung der Linkspartei

Nach der Bundestagswahl ist in der Führung der Linkspartei ein heftiger Machtkampf entbrannt, der am Dienstag auf der ersten Sitzung der neugewählten Bundestagsfraktion einen vorläufigen Höhepunkt erreichte.

Der Streit entzündete sich an der Frage, wie viel Einfluss die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger auf die Bundestagsfraktion haben sollen. Der Sitzung lagen mehrere Anträge vor, die den beiden Vorsitzenden ein Stimmrecht im Fraktionsvorstand und ein erweitertes Rederecht im Bundestag einräumen sollten. Das lehnten die beiden Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch kategorisch ab.

Vor der Sitzung wandte sich Wagenknecht in einem vierseitigen Brief an alle Abgeordneten, in dem sie Kipping und Bartsch Sabotage des Wahlkampfs, Intrigen und Mobbing vorwarf und mit ihrem Rücktritt drohte, falls sie sich in der Fraktion durchsetzen sollten.

Die beiden Parteivorsitzenden hätten „nie akzeptiert“, dass die Partei sie und Bartsch zu den Spitzenkandidaten für den Bundestagswahlkampf gewählt habe, schrieb Wagenknecht. Sie hätten „in einem penetranten Kleinkrieg daran gearbeitet“, die Wahl „aus dem Hinterhalt und mittels Intrigen zu unterlaufen“.

„Nach der Bundestagswahl – und ohne Rücksichten auf den niedersächsischen Landtagswahlkampf – ist aus dem schwelenden Konflikt eine offene Kampagne gegen die bisherige Fraktionsspitze geworden“, fuhr Wagenknecht fort. In der Partei sei ein Klima geschaffen worden, „das keine normale Diskussionskultur mehr zulässt“. Riexinger und Kipping versuchten, sie „wegzumobben“.

Wagenknecht drohte mit ihrem Rückzug vom Fraktionsvorsitz, falls die Fraktionsführung mit Kandidaten des Parteivorstands besetzt werde. Sie sehe „keinen Sinn darin, meine Kraft und meine Gesundheit in permanenten internen Grabenkämpfen mit zwei Parteivorsitzenden zu verschleißen, die offenkundig nicht zu einer fairen Zusammenarbeit bereit sind“.

Am Abend einigte man sich schließlich nach siebenstündiger Diskussion und einem Acht-Augen-Gespräch auf einen Kompromiss. Die Parteivorsitzenden erhalten ein erweitertes Rederecht im Bundestag, aber kein Stimmrecht im Fraktionsvorstand. Anschließend wurden Bartsch mit 80 und Wagenknecht mit 75 Prozent der Stimmen wieder zu Fraktionsvorsitzenden gewählt.

Doch die Auseinandersetzungen sind damit nicht vorbei. Das zeigt allein schon der aggressive Ton von Wagenknechts Brief. Die Linke reagiert auf das Ergebnis der Bundestagswahl und den Aufstieg der rechtsextremen AfD mit einem scharfen Rechtsruck, der sie innerlich zerreißt.

Die Partei hatte bisher vor allem in Ostdeutschland eine wichtige Rolle dabei gespielt, sozialen Widerstand unter Kontrolle zu halten und, wo sie Regierungspartei war, selbst soziale Angriffe durchzuführen. Diese Rolle ist nun gefährdet. In allen fünf ostdeutschen Bundesländern liegt die AfD deutlich vor der Linkspartei. Diese verlor insgesamt 400.000 ihrer Wähler an die AfD, vor allem unter Arbeitern und Arbeitslosen in ihren ehemaligen ostdeutschen Hochburgen.

Bundesweit konnte die Linke zwar ihr Ergebnis leicht verbessern, weil sie unter städtischen Mittelschichten, die sich bisher an der SPD oder an den Grünen orientiert hatten, neue Wähler gewann. Aber vom massiven Einbruch der Union und der SPD profitierten vor allem die AfD und die neoliberale FDP. Beide überholten Die Linke, die nun statt drittstärkste nur noch fünftstärkste Fraktion im Bundestag ist.

Wagenknecht reagiert auf den Einbruch der Partei im Osten und unter Arbeitern, indem sie das ausländerfeindliche Programm der AfD übernimmt. Sie und ihr Mann, der ehemalige SPD-Vorsitzende und Mitbegründer der Linken, Oskar Lafontaine, verfolgen seit längerem diesen Kurs.

Kurz nach der Wahl veröffentlichte Lafontaine dann einen Beitrag auf Facebook, der kurz danach auch in der Parteizeitung Neues Deutschland erschien. Darin macht er die „verfehlte Flüchtlingspolitik“ der Linkspartei für die „mangelnde Unterstützung durch diejenigen, die sich am unteren Ende der Einkommensskala befinden“, verantwortlich.

Lafontaine spielt in typischer AfD-Manier Flüchtlinge gegen Arme aus. Man dürfe „die Lasten der Zuwanderung … nicht vor allem denen aufbürden, die ohnehin bereits die Verlierer der steigenden Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen sind“, schreibt er – als wären die Flüchtlinge verantwortlich für die sozialen Angriffe im Interesse des Kapitals, die die herrschende Klasse mit Unterstützung der Linkspartei seit langem durchführt!

In kaum zu überbietender Demagogie schreibt Lafontaine weiter, noch schwerwiegender werde „gegen das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit verstoßen“, wenn man „die Menschen, die vor Krieg, Hunger und Krankheit fliehen“, in den Blick nehme. Nur eine Minderheit schaffe es, „mehrere Tausend Euro aufzubringen, mit denen man Schlepper bezahlen kann, um nach Europa und vorwiegend nach Deutschland zu kommen“. Deshalb solle man das Geld lieber verwenden, um „das Leben in den Lagern zu erleichtern“, als Flüchtlinge nach Deutschland reinzulassen.

Dieser Beitrag löste eine heftige Debatte im Neuen Deutschland aus, in der sich etliche Parteiführer von den allzu offensichtlich rechten Position Lafontaines distanzierten.

Gregor Gysi, langjährige Führungsfigur der Linkspartei und ihrer Vorgängerin PDS, wandte sich dagegen, „dass man falsche, halbrechte Positionen in der Hoffnung übernimmt, von mehr Arbeiterinnen, Arbeitern und Arbeitslosen gewählt zu werden. … Wenn man mehr soziale Gerechtigkeit will, darf man nicht gegen andere Arme, sondern muss man gegen ungerechtfertigten Reichtum kämpfen.“

Kipping entgegnete Lafontaine: „Wer in der Flüchtlingsfrage auf Rechtskurs geht, riskiert die Glaubwürdigkeit der Linken.“

Wagenknecht beschwerte sich in ihrem Brief an die Abgeordneten bitter über diese Kritik. Das Neue Deutschland online bringe „fast täglich Artikel von engen politischen Vertrauten der Parteivorsitzenden Kipping, die mich ‚halb-rechter‘, ‚AfD-naher‘ oder gar ‚rassistischer‘ und ‚nationalsozialer‘ Positionen bezichtigen“, schrieb sie. „Wenn jeder, der die Position ‚offene Grenzen für alle Menschen jetzt sofort‘ nicht teilt, sofort unter Generalverdacht gestellt wird, ein Rassist und halber Nazi zu sein, ist eine sachliche Diskussion über eine vernünftige strategische Ausrichtung nicht mehr führbar.“

Dass Wagenknecht trotzdem von 75 Prozent der Abgeordneten als Fraktionsvorsitzende bestätigt wurde, zeigt, dass ihre rechten, ausländerfeindlichen Positionen innerhalb der Linken weitgehend akzeptiert werden.

Auch Kipping und Riexinger geht es nicht um Solidarität und Unterstützung für Flüchtlinge. Sie sehen die Zukunft der Linkspartei in „weltoffenen, mobilen, oft städtischen Milieus“ (Kipping), die sich vor allem für Umwelt-, Gender- und ähnliche Fragen interessieren und durch eine allzu offene Anbiederung an die AfD abgestoßen werden.

Riexinger schreibt im Neuen Deutschland: „Konkurrenzkampf, Nationalismus und Rassismus prägen das Alltagsdenken von Teilen der Bevölkerung, leider auch der Beschäftigten und Erwerbslosen.“ Für die Linkspartei heiße es deshalb, „Brücken zu bauen ins sozialdemokratische und links-grüne Milieu“.

Völlig Tabu bleibt für alle sich bekämpfenden Flügel die Verantwortung der Linken für das Anwachsen der AfD. Ihre mit linken Phrasen verbrämte rechte Politik – der Sozialabbau, die Stellenstreichungen und die Polizeiaufrüstung unter linker Verantwortung – haben erst die Frustration, Wut und Empörung geschaffen, die die Demagogen der AfD nun ausschlachten können. Nicht zufällig lag in Thüringen, dem einzigen Land mit einem Linken-Ministerpräsidenten, die AfD bei der Bundestagswahl fast sechs Prozentpunkte vor der Linkspartei.

Unabhängig von den erbitterten Konflikten bemühen sich alle Tendenzen in der Linken weiterhin, die wachsende soziale Opposition in Schach zu halten und den Klassenkampf zu unterdrücken. Der Wagenknecht-Lafontaine-Flügel durch die Übernahme von AfD-Parolen, der Kipping-Riexinger-Flügel durch die Mobilisierung wohlhabender Mittelschichten. Dabei ist der Übergang zwischen beiden fließend.

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