Jamaika: Ruf nach Großmachtpolitik und Aufrüstung wird lauter

Die Stimmen, die von einer zukünftigen Jamaika-Koalition eine aggressive Außenpolitik und eine massive Aufstockung des Militärhaushalts verlangen, werden zunehmend lauter.

Die Gespräche zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen treten diese Woche in die entscheidende Phase. Nach zweiwöchiger Sondierung trafen sich am Montagabend die Spitzen der vier Parteien, um die Basis für die weiteren Beratungen festzulegen. Bis Mitte November sollen dann konkrete Ergebnisse vorliegen, auf deren Grundlage die Parteien über die Aufnahme formeller Koalitionsverhandlungen entscheiden können. Einigen sie sich danach auf einen Koalitionsvertrag, muss dieser von den Parteigremien genehmigt werden, bevor die neue Regierung gebildet wird.

Obwohl sich Konservative, Liberale und Grüne in Fragen der Außenpolitik und des Militarismus weitgehend einig sind, wachsen die Befürchtungen, dass sich eine Vier-Parteien-Koalition als zu schwach und zu instabil erweisen könnte, um den harten außenpolitischen Kurs zu verfolgen, den die tonangebenden Kreise in Wirtschaft und Staat von ihr erwarten.

In den bisherigen Sondierungen war es zwischen Grünen und FDP immer wieder zu öffentlichen Streitereien über die Klima- und Energiepolitik gekommen, und auch in der Flüchtlings- und Verkehrspolitik gibt es Differenzen zwischen allen vier Parteien. Hinzu kommt, dass CSU-Chef Horst Seehofer nach dem schlechten Wahlergebnis unter dem Druck des rechten Flügels seiner Partei steht und um sein Amt fürchten muss, wenn er zu weitgehende Zugeständnisse macht.

FDP-Chef Christian Lindner hat bereits mögliche Neuwahlen ins Spiel gebracht und am Wochenende erklärt, seine Partei habe „keine Angst“ davor. Ihm widersprach Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die davor warnte, Neuwahlen für den Fall des Scheiterns ins Spiel zu bringen. Auch die Grünen wollen ein Scheitern der Koalitionsgespräche unbedingt vermeiden.

Inzwischen wächst der Druck von außen, die Schlüsselressorts mit starken Personen zu besetzen, die sich nicht vom internen Gezänk der Parteien beeinflussen lassen. So veröffentlichte der Leiter der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes, am Montag einen entsprechenden Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung.

Unter der Überschrift „Schwergewichte ins Auswärtige Amt“ fordert Perthes, die Außenpolitik in den „Vordergrund der Sondierungsgespräche zwischen den möglichen Koalitionspartnern“ zu stellen, denn die neue Bundesregierung werde „außenpolitisch eher noch mehr gefordert sein als die letzte“. Sie werde sich „durch internationale Krisen navigieren müssen“, die „aufs engste mit Fragen des inneren Zusammenlebens, unserer Demokratie und unseres Wohlstands verbunden“ seien.

Dies gelte nicht nur für „die Konflikte in Syrien und im weiteren Nahen Osten“, auch „von einer militärischen Konfrontation zwischen Nordkorea und den Vereinigten Staaten“ wäre Deutschland tangiert. Das Gleiche gelte, „wenn China mit seinen umfangreichen geopolitischen und geoökonomischen Projekten in weiten Teilen Eurasiens die Regeln setzt und ein autoritäres Staatsmodell exportiert“.

Perthes rät, „die strategische Ausrichtung der Außenpolitik“ auf die Europäische Union zu stützen. „Auf Orientierung und Führung aus Washington“ könne „Europa während der Amtszeit Donald Trumps nicht hoffen. Je unberechenbarer der Präsident agiert, desto mehr müssen wir uns selbst um Orientierung bemühen.“ Die Vereinigten Staaten seien „nicht mehr unser verlässlichster Alliierter“.

Eine „enge Zusammenarbeit mit China“ sei zwar „bei bestimmten globalen Themen unerlässlich“. Dass China aber zum Bündnispartner „im Ringen um die Gestalt der internationalen Ordnung werden könnte“, sei „auf absehbare Zeit nicht zu erwarten“.

Perthes Schlussfolgerung: Deutschland braucht eine starke, gut ausgestattete Armee – „die Bundeswehr agiert als sicherheitspolitisches Instrument der Außenpolitik“ – und einen Außenminister, der „politisches Gewicht mit ins Amt bringt“.

Welch weitgehenden militärischen Pläne bereits geschmiedet werden, zeigt ein Geheimpapier des Verteidigungsministeriums, dass der Spiegel in seiner jüngsten Ausgabe (45/2017) zitiert. Es beschreibt, so das Nachrichtenmagazin, in aller Klarheit „ein mögliches Scheitern der EU mit womöglich unübersehbaren Folgen für die Sicherheit Deutschlands. Und gleichzeitig werden amtliche Zukunftsszenarien aufgestellt, an denen sich die Bundeswehr orientieren soll – mit einer konkreten Rüstungsplanung, die in den nächsten Jahren entwickelt werden soll. Das gab es in dieser Form noch nie.“

Das „Worst-Case-Szenario“, das die „Strategische Vorausschau“ des Verteidigungsministeriums beschreibt, ist „eine zerfallende EU“ und „eine einstige Führungsmacht USA, die sich vergebens gegen die Erosion der Weltordnung stemmt“, eine Welt des „wirtschaftlichen Niedergangs“, in der „weltweite Krisen eskalieren“.

Das Papier setzt den Rahmen für die Zukunftsplanung der Bundeswehr. Es enthält keine konkreten Zielvorgaben, doch man kann sich leicht vorstellen, welche Forderungen die Militärs daraus ableiten werden.

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), unter deren Verantwortung das Papier entstanden ist, meldete in der Bild-Zeitung den Anspruch an, für weitere vier Jahre im Amt zu bleiben. Die Truppe sei ihr „sehr ans Herz gewachsen“, sagte sie und fordert mehr Geld. „Wer nicht mehr Geld in die Bundeswehr investieren will, muss auch sagen: Wir lassen die Bundeswehr lückenhaft und nicht optimal ausgestattet. Das kann ein Parlament mit seiner Parlamentsarmee nicht machen.“

Am heftigsten trat der noch amtierende sozialdemokratische Außenminister Sigmar Gabriel für Aufrüstung und deutsche Großmachtpolitik ein. In einem Interview mit der Bild am Sonntag griff er den amerikanischen Präsidenten Donald Trump und die USA heftig an und warf den Jamaika-Parteien vor, Europa zu spalten und Deutschland außenpolitisch zu schwächen.

„Unsere liberale, westlich geprägte Weltordnung ist in akuter Gefahr“, sagte Gabriel. „Die USA, die früher Garant dieser Liberalität waren, verabschieden sich davon.“ Präsident Trump wolle „international die Stärke des Rechts durch das Recht des Stärkeren ersetzen“. Er begreife die Welt als „eine Arena, eine Kampfbahn“, in der sich nur der Stärkere durchsetzen könne.

Auf die Frage „Ist der Weltfrieden in Gefahr?“ antwortet Gabriel: „Ja, natürlich. Wir stehen vor dem Beginn einer neuen weltweiten Aufrüstung. Weil sich alle Seiten nur noch misstrauen.“

Gabriel tritt wie Perthes für die militärische Stärkung Europas ein und wirft den Jamaika-Parteien vor, sie hätten bei diesem Thema eine „große Leerstelle“. Angela Merkel habe „keine Idee, Europa voranzubringen“, und lasse „Frankreichs Präsidenten Macron mit seinen Vorschlägen für engere Zusammenarbeit ins Leere laufen“. Die FDP fahre „einen national-ökonomischen Kurs wie die AfD in ihrer Gründerzeit“, und die Grünen seien „zu schwach, da gegenzuhalten“.

Die SPD bereitet sich als größte Oppositionspartei darauf vor, eine Jamaika-Regierung in Fragen Militarismus vor sich her zu treiben. Sie reagiert – wie die gesamte herrschende Klasse – auf Donald Trump und die wachsende internationale Kriegsgefahr, indem sie selbst für Aufrüstung und die Vorbereitung zukünftiger Kriege wirbt.

Bisher lehnen sowohl der Parteivorsitzende Martin Schulz wie die Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles eine Fortsetzung der Großen Koalition mit der CDU/CSU ab, falls die Jamaika-Verhandlungen scheitern sollten. „Wenn Frau Merkel keine Regierung hinbekommt, muss es Neuwahlen geben“, sagte Schulz.

Das kann sich aber ändern. In der Frage des Militarismus und der Außenpolitik sind sich alle großen Parteien im Grundsatz einig. Die Zusammensetzung der zukünftigen Regierung wird letztlich davon abhängen, wer diese Politik am wirkungsvollsten vorantreiben und den weit verbreiteten Widerstand der Arbeiterklasse und der Jugend dagegen unterdrücken kann.

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