Massiver Korruptionsskandal in amerikanischer Autoarbeitergewerkschaft

Der folgende Artikel fasst mehrere Berichte zusammen, die auf der englischsprachigen WSWS erschienen sind.

Vor dem US-Bezirksgericht in Detroit läuft ein Prozess, der einen tiefen Einblick in die korrupten Machenschaften von Gewerkschaft und Automobilkonzernen bietet. Die US-Staatsanwaltschaft klagte am 26. Juli Jerome Durden, einen ehemaligen Vizepräsidenten von Fiat Chrysler (FCA) an, der zwischen 2009 und 2014 eine Summe von insgesamt 4,5 Millionen Dollar in die Hände von Spitzenfunktionären der United Auto Workers Gewerkschaft (UAW) geschleust hatte, um sie zu „unternehmensfreundlichen Positionen“ zu bewegen.

Ermöglicht wurden die Zahlungen durch die Einrichtung eines Nationalen Trainings-Zentrums (NTC) für die Aus- und Weiterbildung der Chrysler-Arbeiter im Jahr 1980. Fiat Chrysler finanzierte dieses Zentrum, während die Geschäftsführung in den Händen von UAW-Funktionären lag, ohne dass das NTC Teil der Gewerkschaftsorganisation war. Dadurch umgingen FCA und UAW eine Gesetzeshürde, die die direkte Finanzierung von Gewerkschaften durch Unternehmen verbietet.

Mit Kreditkarten des NTC konnten sich leitende Gewerkschaftsfunktionäre bereichern und Ausgaben „für persönliche Reisen, persönliche Einkäufe“ für sich selbst, ihre Familienmitglieder und ihre Mitarbeiter begleichen, so die Anklageschrift. Jerome Durden teilte den Untersuchungsbeamten mit, er habe die UAW-Funktionäre ermuntert, die Kreditkarten zu benutzen, um sie „fett, dumm und happy“ zu halten. Er hatte sich selbst im Sinne der vorgeworfenen Straftaten für schuldig erklärt, um sein Strafmaß zu senken.

Um sicherzustellen, dass die NTC-Finanzabteilung die Kreditkartenabrechnungen der Spitzenfunktionäre nicht kontrollieren konnten, veranlasste Durden eine entsprechende Modifizierung der Software der Finanzabteilung.

Außer Durden steht Monica Morgan, eine Freundin und spätere Ehefrau des damaligen UAW-Vizepräsidenten General Holiefield, im Mittelpunkt der Anklage. Holifield selbst kann nicht mehr belangt werden, da er im März 2015 an Krebs verstarb.

Holiefield and FCA-Chef Sergio Marchionne 2011 (Bild: FCA)

Holifield hatte in den Jahren 2007, 2009 und 2011 als Verhandlungsführer der UAW bei den Tarifabschlüssen massive Verschlechterungen der Einkommen und Arbeitsbedingungen der Fiat-Chrysler-Beschäftigten durchgepeitscht: Eine 50-prozentige Lohnkürzung für neu eingestellte Arbeiter; 10-Stunden-Schichten, wobei der bisherige Überstundenzuschlag nach der achten Stunde und für Wochenendarbeit entfiel; Entbindung der Unternehmen von ihrer bisherigen Verpflichtung, den Rentnern Gesundheitsleistungen zu zahlen; Ausweitung von Teilzeitarbeit und weitere Verschlechterungen.

Dafür wurde er vom Konzern fürstlich belohnt. Um eine größere Summe von 1,2 Millionen Dollar unentdeckt in die eigene Tasche zu scheffeln, gründete Holiefield eine Wohltätigkeitsorganisation unter dem Namen „Leave the Light on Foundation“ (LTLOF), die angeblich Kindern helfen sollte, die mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Durden war der Schatzmeister dieser Stiftung.

Laut Gerichtsdokumenten wurde der Großteil der Stiftungsgelder zwischen 2009 und 2011 an Holiefields Ehefrau Morgan transferiert, einschließlich 262.219 Dollar, mit denen die ausstehende Hypothek auf Holiefields und Morgans Haus beglichen wurde. Weitere Scheinstiftungen wurden gegründet, um die Verteilung der Gelder zu verdunkeln.

Im Laufe der weiteren gerichtlichen Untersuchungen wuchs der Kreis der Gewerkschaftsfunktionäre an, die der Korruption beschuldigt werden. Virdell King, eine weitere Angeklagte in dem Gerichtsverfahren, war stellvertretende Direktorin der UAW und gehörte in den Jahren 2011 und 2015 zu ihrer Tarifkommission. Sie bekannte sich ebenfalls schuldig, um ihr Strafmaß zu verringern.

Sie wird beschuldigt, Designer-Schuhe, Kleidung, Schmuck und Gepäck mit Kreditkarten des NTC bezahlt zu haben. Um ältere UAW-Beamte zu verwöhnen, kaufte sie eine Golfausrüstung, Gepäck, Konzertkarten, Freizeitparkkarten, eine Schrotflinte, und andere Luxuswaren.

Alphons Iacobelli, Ex-Vizepräsident von Fiat Chrysler und Führer der Tarifverhandlungen auf Seiten des Konzerns, erhielt einen Ferrari Spider Sportwagen im Wert von 350.000 Dollar und zwei Mont Blanc Stifte aus massivem Gold im Wert von jeweils 37.500 Dollar.

„Dies ist einer der härtesten Momente für unsere Gewerkschaft seit Jahren“, äußerte sich Dennis Williams, der derzeitige Präsident der UAW in der Presse. „Wir sind untröstlich und entsetzt darüber, dass ein Mann [Holiefield], den wir kannten, dem wir vertrauten und den wir liebten, in diese angeblichen Missetaten verstrickt ist.“ Er bekräftigte die fadenscheinige Behauptung, die UAW-Führung habe nichts von den illegalen Aktivitäten von General Holiefield gewusst, bevor das Büro des US-Staatsanwalts die UAW-Spitze im Januar des vergangenen Jahres kontaktierte.

„Um klar zu sein, diese angeblich falsch zugeteilten oder missbrauchten NTC-Mittel waren weder UAW-Mitgliedsbeiträge noch waren sie Gewerkschaftsfonds.“ Es habe sich um Gelder gehandelt, die von Chrysler gemäß dem Vertrag an das NTC transferiert worden seien. Dass diese Gelder letztlich durch die niedrigen Löhne der Arbeiter ermöglicht wurden, verschwieg er.

Dass Williams nichts von dieser Korruption wusste, ist völlig unglaubwürdig. Sein Vorgänger, der damalige Präsident der UAW Bob King, hatte laut Gerichtsdokumenten Holiefield und Iacobelli bereits im Jahr 2011 gewarnt, sie würden im „ins Gefängnis“ landen, wenn sie der damaligen Freundin Holiefields, Monica Morgan, derart hohe Auszahlungen überwiesen. Aber Bob King machte die Schmiergeldaffäre niemals öffentlich und es bestehen Zweifel, ob er diese Warnungen überhaupt geäußert hat.

Williams Behauptung, die Bestechung habe keinen Einfluss auf die Tarifverhandlungen gehabt, ist absurd. In Wirklichkeit stellen die Anklagen die Rechtmäßigkeit aller Verträge in Frage, die zwischen der UAW und den Automobilunternehmen geschlossen wurden.

Inzwischen weitet sich der Skandal auch auf die Automobilkonzerne Ford und General Motors (GM) aus, wo weitere Repräsentanten der UAW darin verwickelt sind. Noch im September hatten diese Konzerne erklärt, sie hätten nicht die Absicht, die Finanzen der gemeinsam mit der UAW gegründeten Zentren zu prüfen. Dazu gehören das „National Programs Center“ (Ford – UAW) und das „Center for Human Resources“ (General Motors – UAW).

Doch Anfang November forderte das FBI von beiden Konzernen unter Strafandrohung Unterlagen über diese Zentren an. Die Untersuchungen richten sich gegen die Vizepräsidentin von Ford, Cindy Estrada, und Joe Ashton, den ehemaligen für General Motors verantwortlichen UAW-Vizepräsidenten, der heute noch im Aufsichtsrat des Konzerns sitzt. Auch in diesen Fällen sind dubiose Wohltätigkeitsorganisationen im Spiel.

Die Belegschaften der Automobilkonzerne vermuteten schon lange, dass in den Tarifverhandlungen ein falsches Spiel getrieben wird. Während der Verhandlungen im Jahr 2015 hatten Tausende Arbeiter den Newsletter für Automobilarbeiter der Socialist Equality Party verfolgt, der sie über den Ausverkauf der Verhandlungen informierte. Nur durch Täuschung und Betrug konnte die UAW die massiven Einschnitte in den Tarifverträgen durchsetzen.

„Ich unterstütze diese Leute nicht [die UAW]. Sie unterstützen mich nicht“, sagte ein langjähriger Arbeiter im Montagewerk von Ford in Wayne/Michigan den Reportern der World Socialist Web Site (WSWS). „Die UAW versteckt sich hinter einem Logo. Ich vertraue ihnen nicht, und ich rede nicht mit ihnen.“

Eine Arbeiterin des Fiat Chrysler Jefferson North Werks sprach ebenfalls mit dem Autoworker Newsletter, einer regelmäßigen Sonderausgabe der WSWS. „Jeder füllt seine eigenen Taschen, während er unsere Löhne und Sozialleistungen kürzt. Der Vertrag sollte null und nichtig sein. Sie sollen für uns kämpfen, stattdessen nehmen sie uns aus. Die UAW ist nicht auf unserer Seite. Sie sorgen nur für sich selbst, während sie gleichzeitig unsere Gewerkschaftsbeiträge erhöhen.

Sie schreien ‚Solidarität‘, aber in Wirklichkeit müssen wir für uns selbst einstehen. Selbst wenn das, was wir verlangen, richtig ist und das Management falsch liegt, bestehen sie darauf, dass wir dem Diktat des Managements folgen sollen. Das ist falsch.“

Verteilen des Autoworker Newsletter an einem Autowerk in Michigan

Die bisher bekannten Fakten zeigen, dass die Ursache der Korruption nicht in erster Linie die Charakterschwäche einzelner Gewerkschaftsvertreter ist, sondern ein System der „Partnerschaft“, das Konzernmanager und UAW-Führer bereits in den 1980er Jahren schufen. Damals ging die Globalisierung der Wirtschaft mit massiven Angriffen auf die rechte und Löhne der Arbeiter einher. Damals entstand ein korruptes Netzwerk zwischen Konzernmanagern und Gewerkschaftsfunktionären mit dem Ziel, die Angriffe gegen die Belegschaften durchzusetzen.

Die Gewerkschaften haben sich seit dieser Zeit aus Arbeiterorganisationen, die im beschränkten Rahmen der kapitalistischen Marktwirtschaft Zugeständnisse rausholen konnten, in Werkzeuge der Konzerne verwandelt, in eine Industriepolizei, die jede Opposition der Arbeiter unterdrückt, die sie zu repräsentieren vorgibt. Diese Entwicklung findet in leicht veränderter Form auch in Europa und in Deutschland statt, wo die Gewerkschaften schon beim Gründungsprozess nach dem Zweiten Weltkrieg durch Mitbestimmung und das Betriebsverfassungsgesetz an die Konzerninteressen gebunden wurden.

Die World Socialist Web Site spielte 2015 eine zentrale Rolle bei der Mobilisierung und Organisation von Opposition gegen die Tarifverträge in der amerikanischen Automobilindustrie. Sie warnte damals, dass „das größte Hindernis für die Vereinigung der Arbeiterklasse die United Auto Workers und die anderen Gewerkschaften sind“.

Sie stellte fest, dass „Top-Gewerkschaftsfunktionäre Hunderttausende von Dollars erhalten, dass sie ihre Gehälter und Spesen, die aus Mitgliedsbeiträgen und Geld aus dem Streikfonds stammen, mit Vergütungen aus ihren Positionen in Unternehmensvorständen, gemeinsamen Zentren der Arbeitsverwaltung und dem Gesundheitsfonds für Rentner, der von der UAW kontrolliert wird, auffrischen.“

Als in Tageszeitungen Befürchtungen laut wurden, dass sich die Arbeiter gegen diese Korruption erheben, schrieb der Autoworker Newsletter: „Ein Aufstand ist genau das, was erforderlich ist. Unter den Bedingungen zunehmender internationaler Spannungen, zunehmender sozialer Ungleichheit, Massendeportationen und Polizeigewalt besteht kein Zweifel daran, dass die kommende Periode den Ausbruch eines umfassenden sozialen Kampfes mit Millionen von Arbeitnehmern und jungen Menschen mit sich bringen wird. Der UAW-Skandal ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Arbeiter in den Gewerkschaften nicht ihren Vertretern, sondern ihren entschlossensten Feinden gegenüber stehen.

Die Arbeiter brauchen neue Organisationen, um ihre Interessen gegen die massiven Konzerne, die sowohl die politischen Parteien als auch die Medien, die Gerichte, die Polizei und die Gewerkschaften kontrollieren, voranzubringen. Neue Organisationen – Arbeits- und Nachbarschaftskomitees – werden auf dem Prinzip des Klassenkampfs aufbauen und versuchen, verschiedene Schichten und Teile der Arbeiterklasse zusammenzubringen, um ihre Stärke in einem gemeinsamen Kampf gegen das kapitalistische System zu nutzen.“

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