Perspektive

Die internationalen Faktoren hinter der parlamentarischen Krise in Australien

In der offiziellen australischen Politik ist das Chaos ausgebrochen. Am 27. Oktober erklärte der High Court, das höchste Gericht des Landes, fünf gewählte Parlamentsabgeordnete dürften wegen ihrer doppelten Staatsbürgerschaft nicht im australischen Parlament sitzen. Dazu zählt auch der stellvertretende Premierminister Barnaby Joyce.

Das Gericht berief sich dabei auf die denkbar wörtlichste Auslegung einer Klausel aus der Verfassung von 1901, die jedem die Kandidatur zum Parlament verbietet, der „einer ausländischen Macht in irgendeiner Form zu Treue, Gehorsam oder Haftung verpflichtet ist“ oder „die Rechte oder Privilegien eines Untertanen oder Bürgers einer ausländischen Macht genießt.“

Die sieben Richter kamen zu dem einstimmigen Urteil, dass Abgeordnete keine „Loyalität oder Verpflichtungen gegenüber anderen Ländern“ haben dürfen. Das Gericht erklärte, Politiker müssten ausschließlich Australien gegenüber loyal sein.

Seit der Entscheidung des High Court sind drei weitere Abgeordnete zurückgetreten, weil ihre Eltern in Großbritannien geboren sind. Deshalb könnten sie die Staatsbürgerschaft dieser „ausländischen Macht“ beantragen, die den Kontinent besiedelt hat, und deren Monarchin auch die Königin von Australien ist.

Die liberal-nationale Koalition und die oppositionelle Labor Party haben sich darauf geeinigt, dass jeder Abgeordnete bis zum 1. Dezember eine Offenbarungserklärung abgeben muss. Sie müssen schwören, dass sie jeden Anspruch auf Staatsbürgerschaft in allen anderen Ländern aufgegeben haben, nicht nur in den Ländern ihrer Eltern, sondern auch in denen ihrer Großeltern und sogar ihrer Ehepartner.

Bis zu 30 der 226 Abgeordneten in beiden Kammern des Parlaments könnten dadurch zum Rücktritt gezwungen werden. Selbst vor den möglichen Austritten bis zum 1. Dezember haben die Parteien der Koalition bereits ihre dünne Mehrheit von einem Sitz im Unterhaus und damit ihre Regierungsfähigkeit verloren. Die Grünen und andere Teile des politischen Establishments haben vorgeschlagen, der Generalgouverneur – das nicht gewählte Staatsoberhaupt – solle die diktatorischen Vollmachten seines Amtes benutzen, um das Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen.

Die meisten Australier sowie internationale Beobachter reagierten auf diese Situation zutiefst verstört. Australien ist eines der kulturell vielseitigsten Länder der Welt. Seine Bevölkerung ist durch Zuwanderung im großen Stil von kaum sieben Millionen im Jahr 1945 auf fast 25 Millionen gestiegen. Nach australischen Gesetzen haben alleine drei Millionen Menschen das Recht auf die doppelte Staatsbürgerschaft in Großbritannien. Viele weitere Millionen können die doppelte Staatsbürgerschaft von Neuseeland, Italien, Griechenland und Dutzenden anderen Ländern beantragen, aus denen Menschen in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg eingewandert sind.

Die Arbeitervororte von Großstädten wie Sydney und Melbourne sind ein wahrer Schmelztiegel. Bei der Arbeit und vor allem auf den Spielplätzen der Schulen des Landes wird offensichtlich, dass Menschen mit unterschiedlichen ethnischen, sprachlichen und religiösen Hintergründen in Brüderlichkeit und Harmonie nebeneinander und miteinander leben können, sofern sie nicht durch Rassismus und Nationalismus in die Irre geführt und gespalten werden.

Doch genau das bezweckt der High Court mit seiner Intervention. Die Abgeordneten sind nur das erste Ziel einer üblen Treibjagd. Das wahre Ziel ist die ethnisch und kulturell vielfältige Arbeiterklasse. Das oberste juristische Werkzeug des kapitalistischen Staates hat faktisch erklärt, die Hälfte der Bevölkerung sei „un-australisch“ und müsse ihre „ungeteilte Loyalität“ beweisen, indem sie sich von ihrer angeblichen „Zugehörigkeit“ zu dem Land lossagt, in dem sie selbst, ihre Eltern oder Großeltern geboren wurden.

Die Bedeutung der Ereignisse kann man nur vor dem Kontext der internationalen wirtschaftlichen und politischen Vorgänge verstehen.

Die umfassende Globalisierung der Produktion in den letzten 40 Jahren hat die nationalen Gegensätze und Konflikte nicht verringert, sondern gerade das Gegenteil bewirkt. Die Lage hat sich mittlerweile derart verschärft, dass der US-Imperialismus – unter Führung einer degenerierten Persönlichkeit wie Donald Trump – China, Deutschland und anderen wirtschaftlichen Rivalen offen mit Handelskrieg droht. Wie schon in den 1930ern ist der Zusammenbruch der internationalen Wirtschaftsbeziehungen ein Vorspiel auf militärische Konflikte.

Die patriotische Hysterie in Australien ist nur ein Ausdruck allgemeiner globaler Tendenzen. Überall schürt die kapitalistische Elite den Hass auf „Ausländer“ und bereitet sich gleichzeitig hinter dem Rücken der Bevölkerung auf Kriege vor. Nationalismus ist das ideologische Mittel, mit dem die herrschende Elite versucht, der Mehrheit der Arbeiterklasse den Verstand zu vergiften. Sie soll glauben, eine winzige Minderheit von ultrareichen Wirtschaftsoligarchen hätte die gleichen Interessen wie sie.

Paul Kelly, der Chefredakteur von Rupert Murdochs Zeitung The Australian, betonte letzte Woche in einem Kommentar, dass die Forderung nach bedingungsloser Treue zur Nation von größter Bedeutung sei. Eine Verfassungsänderung, die es Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft erlauben würde, als Abgeordnete zu kandidieren, bezeichnete er als „sozialen Manipulationsversuch mit dem Ziel, Australiens Souveränität im Namen des Internationalismus zu schwächen.“

Angesichts des globalen Kampfes zwischen den Großmächten beruht die Außenpolitik Australiens auf der Annahme, dass ein Krieg zwischen ihrem Verbündeten, den USA, und China um die Vorherrschaft über die Asien-Pazifik-Region unvermeidlich ist. Die dominanten Fraktionen der herrschenden Klasse, die national-liberale Koalition und Labor, unterstützen die vollständige und bedingungslose militärische Anpassung Australiens an Washington.

Das staatlich finanzierte Australian Strategic Policy Institute (ASPI) veröffentlichte letzte Woche einen Bericht, der China als Gefahr für die strategischen Interessen der USA und Australiens darstellt. Darin wurde offen erklärt, in einem Krieg gegen China müsse man „über den Einsatz von Atomwaffen nachdenken“.

Der Australian erklärte am 16. November in seinem Leitartikel seine Unterstützung für den Bericht des ASPI und lobte seine Autoren, weil sie „keine Zeit für die diplomatischen Feinheiten haben, denen zufolge bei unserer milliardenschweren Anschaffung von U-Booten, Fregatten und Raketen ein anderer potenzieller Gegner als China in Frage käme.“

Die Hetzkampagne gegen doppelte Staatsbürger im Parlament entstand vor dem Hintergrund ständiger Rufe der Mainstream-Medien nach Maßnahmen gegen den angeblichen Einfluss Chinas auf die australische Politik und Gesellschaft. Diese Hetze ist Teil eines kalkulierten Versuchs, eine politische Atmosphäre wie in Kriegszeiten zu schaffen, in der sich alle „loyalen“ Bürger in die australische Flagge hüllen, um ihre Treue zur Nation zu demonstrieren.

Gleichzeitig wird die herrschende Elite aus Angst dazu getrieben, Patriotismus zu schüren. Auf diese Weise versucht sie verzweifelt, eine rechte Basis zu kultivieren, die die „Nation“ – d.h. die Klasseninteressen der kapitalistischen Oligarchen – gegen den unweigerlichen Ausbruch von Kämpfen der Arbeiterklasse gegen die Gefahr von Krieg und sozialer Ungleichheit verteidigt. Die obersten zehn Prozent der Bevölkerung kontrollieren mindestens 55 Prozent des Vermögens des Landes, der Löwenanteil davon liegt in den Händen des obersten einen Prozents. Unweit der offenen Zurschaustellungen von Reichtum in den Hafenvororten von Sydney verdienen Arbeiterfamilien so wenig, dass es kaum für Wohnung und Lebensmittel reicht.

Die parlamentarische Krise wird zu einer Umgestaltung der offiziellen Politik führen. Das seit langem von der Koalition und Labor dominierte Zweiparteiensystem bricht unter der Last der immensen geopolitischen Belastungen und Klassengegensätze zusammen. Genau wie in Europa und den USA bricht die Fassade der Demokratie auseinander, hinter der die Kapitalistenklasse bisher ihre Herrschaft ausüben konnte. Ihre völlige Abschaffung und die Durchsetzung offen diktatorischer Maßnahmen wird immer direkter vorbereitet.

Die Arbeiterklasse muss den Machenschaften der herrschenden Elite eine unabhängige politische Bewegung entgegensetzen, die für Sozialismus und Internationalismus als Alternative zu Kapitalismus und nationalen Spaltungen kämpft. In Australien und der ganzen Welt kämpfen nur das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die Socialist Equality Party für diese Perspektive.

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