Loveparade-Prozess hat begonnen

Vor dem Duisburger Landgericht begann am letzten Freitag nach mehr als sieben Jahre der Prozess gegen Organisatoren der Loveparade. Am 24. Juli 2010 waren bei der Großveranstaltung in Duisburg 21 junge Menschen umgekommen und weit über 600 zum Teil schwer verletzt worden.

Das Gericht musste in eine Kongresshalle in Düsseldorf verlegt werden, weil in Duisburg kein ausreichend großer Saal zur Verfügung stand, der die über 60 Nebenkläger und ihre 38 Anwälte, die zehn Angeklagten und ihre zwei Dutzend Strafverteidiger sowie die Pressevertreter und Zuschauer hätte fassen können.

Der Prozess wird auch international beachtet. 15 Todesopfer kamen aus Deutschland, zwei aus Spanien und jeweils eines aus Australien, den Niederlanden, Italien und China,.

Angeklagt sind sechs Bedienstete des Duisburger Bauamts, das die Sondergenehmigung für die Veranstaltung erteilte, sowie vier Angestellte des privaten Veranstaltungsunternehmens Lopavent. Sie werden der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung beschuldigt.

Die vier Hauptverantwortlichen für die Loveparade sitzen dagegen nicht auf der Anklagebank: Rainer Schaller, der Besitzer von Lopavent und der Fitness-Studio-Kette „McFit“; Carsten Walter, der sogenannte Crowd-Manager von Lopavent, der den Zu- und Abgang zum Gelände steuern sollte; der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU), der inzwischen durch einen Bürgerentscheid abgewählt wurde; und der Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe (CDU).

Walter und Rabe gehörten zu den ursprünglich 16 Beschuldigten, das Verfahren gegen sie wurde aber eingestellt. Auch in den Reihen der Polizei wird gegen niemanden ermittelt.

Oberbürgermeister Sauerland hatte seine Verwaltung immer wieder gedrängt, die Loveparade 2010 im Rahmen der europäischen Kulturhauptstadt nach Duisburg zu holen und auf dem ehemaligen Güterbahnhof durchzuführen, wo sich dann die Katastrophe ereignete.

Auch die Entscheidung, die Veranstaltung nicht in der gesamten Innenstadt zu erlauben, sondern auf das abgesperrte Gelände zu beschränken, dürfte kaum ohne seine Zustimmung erfolgt sein. Die Einzelhandelsunternehmen in der Duisburger Innenstadt, in der ausreichend Platz für die Loveparade gewesen wäre, sollten geöffnet bleiben, um deren Geschäfte nicht zu beeinträchtigen.

Im Nachhinein überboten sich dann die Verantwortlichen mit immer neuen Schutzbehauptungen und Rechtfertigungen, obwohl es bereits im Vorfeld der Veranstaltung in sozialen Medien und in Kommentarspalten der regionalen Presse zahlreiche Sicherheitswarnungen gegeben hatte. Obwohl die Organisatoren von Anfang an alle Sicherheitsbedenken aus dem Wind geschlagen hatten, bleiben sie bis heute dabei, dass ihr Sicherheitskonzept ausreichend gewesen sei.

Wie konnte es zu der Katastrophe kommen?

Das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs südlich des Duisburger Stadtzentrums kann höchstens 250.000 bis maximal 350.000 Personen fassen. Es ist zwischen der Stadtautobahn A 59 im Westen und den viel befahrenen Gleisstrecken der Bahn im Osten eingezwängt. Zu erwarten waren jedoch, wie bei den früheren Loveparades in Berlin und Essen, eine Million Besucher oder mehr.

Während noch Hunderttausende darauf warteten, auf das Gelände zu gelangen, wollten die ersten Besucher, nicht zuletzt wegen der Enge dort, das Gelände schon wieder verlassen. Die Polizei sperrte daraufhin den durch einen Tunnel führenden, einzigen Zu- und Abgang ab.

Hunderttausende, die von beiden Seiten durch den etwa 120 Meter langen, 16 Meter breiten und weniger als 4 Meter hohen Tunnel auf das Gelände drängten, versetzten die Menschenmenge am Zugang in Panik. Sie begannen, an Mauern, Leitern und Geländern hochzuklettern, um nicht zerquetscht zu werden. Da immer mehr Menschen in Panik nachdrängten, kam es schließlich zur Katastrophe.

Die Veranstalter behaupteten, einige der Kletternden seien zurück in die Menge gestürzt und hätten dadurch die Massenpanik ausgelöst. Augenzeugen konnten dies jedoch nicht bestätigen. Die meisten Todesopfer starben nachweislich durch Brustkompressionen, d.h. sie wurden erdrückt und erstickten innerlich.

Ein Schweizer, der anonym bleiben wollte, schrieb: „Die Menschen wurden gegen eine Mauer gedrückt. Ein ganzes Knäuel lag auf einer Fläche von vielleicht 15 mal 15 Metern übereinander, bestimmt einen Meter hoch. Es hat eine halbe Stunde gedauert, bis sich das wieder aufgelöst hat. Dass Menschen von einer Mauer gestürzt sind, stimmt einfach nicht.”

Oberbürgermeister Sauerland sprach noch am Abend des Unglücks von „individuellen Schwächen Einzelner”, die die Panik ausgelöst hätten. Die Stadt habe „im Vorfeld mit dem Veranstalter und allen beteiligten Partnern ein stichhaltiges Sicherheitskonzept“ ausgearbeitet. „Wenn Sie jetzt hören, was wohl die Ursachen sind, dann lag es nicht am Sicherheitskonzept, was nicht gegriffen hat, sondern wahrscheinlich an individuellen Schwächen.” Das heißt nichts anderes, als dass die jungen Menschen selbst Schuld an der Katastrophe seien.

Dabei deutet alles darauf hin, dass der Oberbürgermeister, seine verantwortlichen Dezernenten und das Veranstaltungsunternehmen die Sicherheitsbedenken dem erwarteten Gewinn und dem Prestigezuwachs für die Stadt opferten.

Sauerland hatte im Vorfeld geschwärmt: „Eine Veranstaltung, die bis zu einer Million Menschen mobilisiert, die dann zusammen mit den weltweit angesagtesten DJs friedlich Party feiern, kann nicht verkehrt sein. Ich betrachte die Loveparade als eine gute Gelegenheit, der Welt zu zeigen, wie weltoffen, tolerant und insbesondere spannend unsere Stadt ist.”

Der Staatsanwaltschaft gegenüber behauptete Sauerland dann, er habe bei der Planung des Festivals keine Rolle gespielt, was diese offenbar für glaubhaft befand.

Wird es zu Verurteilungen kommen?

Der erste Verhandlungstag des Prozesses verlief überaus schleppend. Erst nach stundenlangen Diskussionen über Anträge der Anwälte konnte die Anklageschrift verlesen werden. Das Gericht beschränkte sich allerdings auf 21 der 556 Seiten.

Oberstaatsanwalt Uwe Mühlhoff wirft den Angeklagten schwere Planungsfehler vor. Diese hätten zu der rechtswidrigen Genehmigung der Loveparade geführt: „Die Veranstaltung hätte in der Form nicht genehmigt werden dürfen“, erklärte er. Sicherheitsrelevante Auflagen seien nicht beachtet und umgesetzt worden. Auch hätten mehrere der Angeklagten dies wohl erkannt. Die Durchflusskapazität des Zugangs von 82 Menschen pro Meter und Sekunde sei für die erwarteten Menschenmassen nicht ausreichend gewesen. Der Faktor entgegenkommender Menschen sei nicht beachtet worden.

In der Anklage heißt es: „Die Gefahr lebensgefährlicher Drucksituationen war ihnen bewusst. Es musste zwangsläufig dazu kommen.“ Die Verantwortlichen hätten sogar eine zusätzliche Verengung des Zugangs durch illegal errichtete Zäune hingenommen. Ein Brandschutz- und Sicherheitskonzept habe bis kurz vor der Loveparade nicht vorgelegen. Der Baudezernent Jürgen Dressler habe sich trotzdem nicht eingeschaltet. Kontrollen der Auflagen am Tag der Veranstaltung seien nicht vorgesehen gewesen.

Dass der Prozess überhaupt noch zustande kam, ist allein den Angehörigen der Opfer zu verdanken, die sich nicht damit abfinden wollten, dass ihre Kinder selbst an ihrem Tod schuld seien oder dass das Unglück gleichsam eine nicht zu verhindernde Naturkatastrophe war, für die niemand verantwortlich sei.

Doch auch wenn der Prozess jetzt stattfindet, ist noch keineswegs sicher, dass es zur Verurteilung von Angeklagten kommt.

Erstmals hatte die Staatsanwaltschaft Duisburg 2014 Anklage erhoben. Sie ging schon damals nach dem Grundsatz vor: „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.“ Schon diese Anklage war ein Affront gegen die Angehörigen der Todesopfer und die vielen Hundert Verletzten. Die politische oder moralische Verantwortung war nicht Gegenstand der Ermittlungen. Die Staatsanwaltschaft konzentrierte sich ausschließlich auf „strafrechtlich Nachweisbares“.

Von den ursprünglich 16 Beschuldigten blieben nur die zehn übrig, gegen die auch jetzt verhandelt wird. Mehr als zwei Jahre lang prüfte das Landgericht Duisburg die Anklageschrift, ließ sie aber im April 2016 nicht zur Hauptverhandlung zu. Das Gericht rechtfertigte dies mit einem angeblich mangelhaften Gutachten des britischen Panikforschers Keith Still.

Das Platzen des Prozesses war ein ungeheuerlicher Affront gegen die Angehörigen und alle, die sich Gerechtigkeit für die Opfer und eine lückenlose Aufklärung der Umstände wünschten.

Ausgang fraglich

Erst die erfolgreiche Beschwerde der Staatsanwaltschaft und mehrerer Nebenklägeranwälte beim Oberlandesgericht Düsseldorf machten den Weg frei für den jetzt stattfindenden Prozess. Inzwischen wird aber die Zeit knapp. Das den Angeklagten zur Last gelegte Delikt der fahrlässigen Tötung, bzw. fahrlässigen Körperverletzung verjährt Ende Juli 2020, wenn bis dahin kein Urteil gefallen ist.

Allein die umfangreiche Beweisaufnahme – es gibt eine Hauptakte mit 53.500 Seiten, dazu tausend Ordner mit ergänzendem Aktenmaterial – wird lange Zeit in Anspruch nehmen.

Dass es endlich zum Prozess gekommen ist, empfinden viele Nebenkläger jedoch als großen Fortschritt, auch wenn sie skeptisch sind, ob die wirklich Verantwortlichen bestraft werden. Allein dass die Fakten auf den Tisch kommen und eine genaue Prüfung stattfindet, bedeutet für sie eine Erleichterung.

Gabriele Müller aus Hamm, deren Sohn Christian an 24. Juli 2010 getötet wurde, hat siebeineinhalb Jahre lang darauf gewartet, dass der Prozess stattfindet. Sie antwortete im Deutschlandfunk auf die Frage, was es für sie bedeuten würde, wenn die Beschuldigten gar nicht verurteilt würden: „Das wäre natürlich die nächste Katastrophe. Wenn das wirklich passieren würde, dann habe ich meinen Glauben an unseren Rechtsstaat verloren. Ich sage mir, die Beweislage ist ja nun mal da. Dass da welche fehlen, das ist mir auch klar. Aber letztendlich haben sie (die Angeklagten) unterschrieben, und sie wussten, was sie da unterschrieben haben.“

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