„Schwarze Welle“ in Italien

Rund 10.000 Demonstranten protestierten am Samstag in der norditalienischen Stadt Como gegen die „schwarze Welle“, die Zunahme neofaschistischer Angriffe im ganzen Land.

Anlass der Demonstration war ein Überfall der „Veneto Fronte Skinheads“ auf den Versammlungsraum einer Flüchtlingshilfsorganisation in Como, der auf Video festgehalten wurde. Es zeigt fünfzehn Neonazis in schwarzen Bomberjacken, die breitbeinig, mit verschränkten Armen im Kreis um die Helfer herumstehen, während ihr Anführer eine Proklamation verliest. Der konfuse Text über „Turbokapitalismus“, Globalisierung und die Einwanderung fremder Völker endet mit den Worten: „Sein eigenes Volk liebt man, man zerstört es nicht.“ Dann ruft der Anführer: „Jetzt könnt ihr weiter diskutieren, wie ihr unser Land ruiniert.“

Die Zeitung La Repubblica stellte das Video auf ihre Website. Es verbreitete sich rasch im ganzen Land. Dabei handelt es sich nur um einen von zahlreichen Zwischenfällen, bei denen faschistische Banden Flüchtlingshelfer, linke Gruppen oder auch Vertreter der Presse gezielt terrorisieren.

In Norditalien kommt es regelmäßig zu solchen Einschüchterungsaktionen. In Como richtete sie sich gegen die lokale Organisation „Como ohne Grenzen“, betroffen sind aber auch die Caritas, Save the Children und andere humanitäre Organisationen. Die „Veneto Fronte Skinheads“ betätigen sich dabei am aktivsten. Die Gruppe, die für eine ethnisch und kulturell homogene Gesellschaft eintritt, rekrutiert sich vor allem aus den Ultras unter den Anhängern der Fußballmannschaften von Mailand und Verona.

Aber auch andere faschistische Gruppen sind aktiv. So erhielt die Redaktion der Repubblica am 6. Dezember Besuch von Forza Nuova. Zehn maskierte, schwarzgekleidete Anhänger der rechtsextremen Gruppe krakeelten vor dem Redaktionsgebäude, warfen Knallkörper gegen vorbeigehende Journalisten und entrollten ein Transparent mit dem Aufruf zum Boykott der Zeitung. Dies sei „nur der erste Akt“ eines systematischen und militanten Boykotts von Befürwortern der Immigration, hieß es auf Facebook. Forza Nuova ist eine rechtsextreme Partei, mit der zeitweise auch Alessandra Mussolini, die Enkelin des Diktators, liiert war.

In Ostia brach am 9. November ein Mitglied des örtlichen Mafia-Clans einem Reporter des staatlichen Fernsehens RAI vor laufender Kamera brutal die Nase, als ihn dieser nach der Unterstützung für die neofaschistische Organisation CasaPound befragte. CasaPound hatte bei der Kommunalwahl in dem Badeort vor den Toren Roms mit Hilfe der Mafia neun Prozent der Stimmen gewonnen. Drei Mafia-Clans kontrollieren den Drogenhandel, den Betrieb der Strandanlagen und die Vergabe von Sozialwohnungen in völlig verwahrlosten Mietskasernen, die in den 1970er Jahren von der KPI-Verwaltung für Obdachlose gebaut wurden. Ein Mafia-Boss hatte offen zur Wahl der Faschisten aufgerufen.

Das brutale Auftreten der Rechtsextremen ruft Erinnerungen an die Anfänge der faschistischen Bewegung Mussolinis vor hundert Jahren wach. Am Ende des Ersten Weltkriegs verbreiteten kleine, bewaffnete Stoßtrupps von 20 oder 30 Schwarzhemden Terror und überfielen Versammlungen und Demonstrationen von Arbeitern, wobei es ihnen „ohne viel Mühe gelang, die ungeordneten Ansammlungen von Zehntausenden von Personen zu sprengen“, wie Ignazio Silone in seinem Buch „Der Faschismus“ schildert.

Heute wagt es dieses rechte Pack wieder, derart offen und unverschämt aufzutreten, weil es Rückenwind von Seiten der offiziellen Politik verspürt. Es gilt inzwischen als möglich, dass ein rechtes Parteienbündnis, bestehend aus Forza Italia, der rassistischen Lega Nord und den faschistischen Fratelli d’Italia (Brüder Italiens), die Parlamentswahlen im März gewinnt. Seine ersten Erfolge hatte es bei den Kommunalwahlen im Juni und der Sizilien-Wahl am 5. November erzielt.

Silvio Berlusconi, der im Hintergrund die Fäden zieht, erlebt ein politisches Comeback, obwohl der milliardenschwere Medienunternehmer und viermalige frühere Regierungschef mittlerweile über achtzig Jahre alt ist und bis 2019 kein politisches Amt ausüben darf, weil er rechtskräftig wegen Steuerbetrug, Bilanzfälschung und Richterbestechung verurteilt ist.

Die Mitglieder des Bündnisses weigern sich alle, den Terror der Neofaschisten zu verurteilen. Forza Italia äußerte sich gar nicht. Der Chef der Lega Nord, Matteo Salvini, sagte, er verstehe die Aufregung „wegen ein paar Jungs“ nicht, die ein Traktat vorlesen. Das sei Folklore und Clownerie. Das Problem Italiens sei nicht der Faschismus, sondern die Immigration ohne Kontrolle. Die Fratelli d’ Italia missbilligten zwar die Einschüchterung, betonten aber, dass die Männer keine Gewalt angewendet hätten, wie das linke Extremisten täten.

Der Aufstieg der Rechten und Neofaschisten kann nur vor dem Hintergrund der Politik der Mittelinksparteien und ihrer pseudolinken Anhängsel verstanden werden. Seit 1991, als das traditionelle italienische Parteiensystem in einem riesigen Korruptionsskandal versank, waren immer sogenannte Mittelinksregierungen für die Angriffe auf die Arbeiterklasse verantwortlich. Während sich Berlusconi und seine Anhänger hemmungslos aus der Staatskasse bedienten und mit ultrarechten und kriminellen Elementen paktierten, sanierten sie die Finanzen zu Lasten der Sozialausgaben und erfüllten die Vorgaben der Europäischen Union und der Nato.

Gerieten die diversen Mittelinks-Regierungen in eine Krise, konnten sie stets auf die Unterstützung von Rifondazione Comunista und anderen pseudolinken Organisationen zählen. Das hat sie alle völlig diskreditiert. Seit die Wähler vor einem Jahr das Verfassungsreferendum von Matteo Renzi ablehnten, bricht das demokratische und pseudolinke Lager in immer neue Parteien auseinander. Bei der kommenden Wahl droht ihm eine vernichtende Niederlage.

Für einige Zeit konnte die Fünf-Sterne-Protestbewegung des Komikers Beppe Grillo in das Vakuum vordringen, das die Demokraten und ihre Verbündeten hinterlassen haben. Doch als der rechte, bürgerliche Charakter dieser Bewegung deutlich wurde, hörte sie auf zu wachsen. Inzwischen hat sie ihren Zenit längst überschritten.

Auch die Fünf Sterne hetzen gegen Flüchtlinge, tun dies aber zweideutiger als die Rechten. So lehnten sie die Unterstützung der Demonstration in Como mit der Begründung ab, sie seien zwar mit dem Sinn der Aktion einverstanden, seien aber gegen die politische Instrumentalisierung des Vorfalls.

Die Demokraten und pseudolinken Parteien, die durch ihre arbeiterfeindliche Politik den Faschisten den Boden bereitet haben, nutzten die Demonstration in Como, um ihre Spuren zu verwischen, und schlossen unter dem Banner des „Antifaschismus“ die Reihen.

Die Demokratische Partei (PD) hatte zur Demonstration aufgerufen. Parteichef Renzi kam persönlich und sprach von einem „wunderschönen Tag“. An Renzis Seite marschierten unter roten, grünen und Regenbogenfarben andere PD-Größen, Vertreter der Gewerkschaften, von Rifondazione Comunista, von Sinistra Italiana und der jüngst gegründeten Partei Liberi e Uguali (Freie und Gleiche). Sie beschworen die italienische Verfassung, warnten: „Die Demokratie ist in Gefahr“, und riefen dazu auf, die „schwarze Welle“ zu stoppen.

Diese Worte sind hohl und leer. In Wirklichkeit trägt gerade die PD die größte Verantwortung für das Wiederaufleben faschistischer Strömungen. Schon ihre Vorläuferpartei, die stalinistische KPI, hatte am Ende des Zweiten Weltkriegs eine Abrechnung mit dem Mussolini-Faschismus verhindert. 1946 hatte KPI-Chef Palmiro Togliatti als Justizminister eine Generalamnestie für rechtskräftig verurteilte Faschisten unterzeichnet.

In den letzten fünf Jahren haben die PD-Regierungschefs Enrico Letta, Matteo Renzi und Paolo Gentiloni den schlimmsten sozialen Kahlschlag organisiert. Mit dem „Jobs Act“, der Renten-„Reform“, der Schul-„Reform“ und anderen Gesetzen haben sie die Existenzgrundlage der Arbeiterklasse zerstört.

Wichtige Gewerkschaftsführer wie Guglielmo Epifani und Susanna Camusso sind eng mit der PD verbunden. Sie sorgen seit Jahren dafür, dass alle Kämpfe der Arbeiter gelähmt und ausverkauft werden. Gleichzeitig haben PD-Politiker wie Marco Minniti (Innenminister), Roberta Pinotti (Verteidigung) und Federica Mogherini (EU-Außenbeauftragte) das Mittelmeer gegen Flüchtlinge abgeschottet und das Militär für neue Kriege in Afrika aufgerüstet.

Der Widerstand gegen die „Schwarze Welle“ erfordert ebenso wie der Kampf gegen Krieg, Arbeitslosigkeit und Sozialabbau die Entwicklung einer unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines internationalen, sozialistischen Programms.

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