Nach der Niederlage des IS in Syrien wachsen die Spannungen zwischen den USA und Russland

Washington und Moskau werfen sich gegenseitig vor, mit ihren Kampfflugzeugen provokative Manöver über dem Euphrat-Tal zu fliegen, obwohl es so aussieht, dass ihr angeblich gemeinsamer Feind, der Islamische Staat, auf beiden Seiten der irakisch-syrischen Grenze zurückgeschlagen wurde.

Die Äußerungen des Pentagon deuteten darauf hin, dass die zunehmenden Spannungen in Syrien in eine direkte militärische Konfrontation zwischen den zwei größten Nuklearmächten der Welt übergehen könnten – mit unabsehbaren Folgen.

Oberstleutnant Damien Pickart, der Sprecher des US Air Command mit Sitz in Katar, erklärte gegenüber der New York Times: „Es wird immer schwieriger für unsere Piloten zu unterscheiden, ob die russischen Piloten uns bewusst testen oder ködern, damit wir reagieren, oder ob das tatsächlich nur Fehler sind. Unsere größte Sorge ist, dass wir ein russisches Flugzeug abschießen, weil seine Manöver als Bedrohung für unsere Luft- oder Bodenstreitkräfte gesehen werden.“

Der am Samstag veröffentlichte Times-Artikel liest sich wie ein Auftrag für die militärische Intervention der USA in Syrien und eine aggressivere amerikanische Konfrontation mit Russland um die Vorherrschaft im Nahen Osten. Das Pentagon hat kürzlich eingeräumt, dass mehr als 2.000 Soldaten derzeit innerhalb Syriens im Einsatz sind. Das sind mehr als viermal soviel, wie bisher zugegeben wurde. Außerdem hat das Pentagon signalisiert, dass nicht die Absicht besteht sie zurückzuziehen, nachdem ihre angebliche Mission, der Sieg über den IS, abgeschlossen ist.

Die Times plapperte die Vorwürfe des Pentagon nach, ein russisches SU-24-Kampfflugzeug sei östlich des Euphrats „fast“ mit zwei A-10-Kampfflugzeugen der USA „zusammengestoßen“. Außerdem seien weitere russische Flugzeuge 30 Minuten lang über den Stellvertreter-Truppen der USA und ihren „Beratern“ aus den Spezialeinheiten der USA hinweggeflogen. Wie US-Regierungsvertreter der Zeitung mitteilten, handele es sich dabei um Manöver, die „die Spannungen und das Risiko eines Abschusses“ erhöht hätten.

Die Times zitiert denselben Vertreter des Pentagon und berichtet, die russischen Kampfflugzeuge hätten ein halbes Dutzend Mal pro Tag eine Vereinbarung verletzt, die angeblich zwischen Washington und Moskau geschlossen worden war, um ihre Flugzeuge auf den gegenüberliegenden Seiten des Euphrats zu halten.

„Hier gibt es ein Risiko“, erklärte Generalleutnant Jeffrey Harrigan, der Befehlshaber des US-Luftkriegs im Irak und Syrien, gegenüber der Zeitung. „Sie streben danach, das zum Endzustand in Syrien machen. Davor dürfen wir die Augen nicht verschließen. Die Russen sind hier, um die syrische Regierung zu unterstützen.“

Weder der General noch die Times erklären, dass Washington mit dem diametral entgegengesetzten Ziel in Syrien interveniert hat, nämlich um die Bemühungen für einen Regimewechsel fortzusetzen, die es 2011 begonnen hatte. Damals hat Washington einen religiösen Aufstand geschürt und sich dabei auf sunnitisch-islamistische Milizen gestützt, die von der CIA, der Türkei, Saudi-Arabien und anderen sunnitischen Golfscheichtümern finanziert und bewaffnet wurden. Seit der Niederlage dieser mit Al-Qaida verbundenen Kräfte hat der US-Imperialismus neue Stellvertretertruppen unterstützt – die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), die von den syrisch-kurdischen YPG-Milizen dominiert werden. Dies wiederum hat die Spannungen in der Region erhöht, insbesondere mit der Türkei, welche die YPG als Arm der türkisch-kurdischen PKK sieht. Gegen die PKK führt Ankara seit Jahrzehnten eine blutige Kampagne zur Aufstandsbekämpfung.

Gleichzeitig haben jene Kräfte, die der syrischen Regierung von Präsident Baschar al-Assad gegenüber loyal sind und von der russischen Luftwaffe und dem Iran, der libanesischen Hisbolla und anderen schiitischen Milizen unterstützt werden, geschafft, die Kontrolle über den größten Teil des Landes wiederherzustellen. Washington ist jedoch entschlossen, seine eigene Einflusszone zu erkämpfen, um die Militäroperationen fortzusetzen, die zum Ziel haben, dem russischen und iranischen Einfluss in der Region entgegenzuwirken, und ihr ursprüngliches Ziel, den Regimewechsel in Syrien, weiterzuverfolgen.

Die regionalen Spannungen wurden noch weiter angeheizt, als kürzlich ein Abkommen zwischen Moskau und dem ägyptischen Regime von General Abdel Fattah el-Sisi verkündet wurde. Das Abkommen erlaubt Russland, in Ägypten Kampfflugzeuge zu stationieren. Ägypten war lange Zeit ein Satellitenstaat des US-Imperialismus.

Nach der Veröffentlichung des Artikels in der Times reagierte das russische Militär mit einer scharfen Antwort, in der es den USA vorwirft, dass US-Kampfflugzeuge die russischen Flugzeuge in derselben Gegend von Ostsyrien bedroht hätten. Ein Sprecher der russischen Streitkräfte warf den USA vor, sei würden eingreifen, um russische Luftangriffe auf IS-Stellungen zu behindern.

Der russische Militärsprecher, Generalmajor Igor Konaschenkow, erklärte gegenüber den Medien: „Konkret waren zum Beispiel am 23. November zwei russische Su-25-Kampfflugzeuge auf einer Mission, um einen Terroristen-Stützpunkt zu zerstören, als eine F-22 der USA am Himmel auftauchte. Sie begann Leuchtraketen abzuschießen und setzte ihre Bremsklappen ein, während sie einen Luftkampf simulierte. Erst als ein besonders wendiger Su-35S-Kampfjet auftauchte, zogen sich die Amerikaner zurück.“

Der russische Generalmajor spottete über die Behauptung des Pentagons, es habe die Kontrolle über einen festgelegten Luftraum in Syrien. Er wies darauf hin, dass das amerikanische Militär in dem Land illegal operiert, ohne das Mandat der Vereinten Nationen oder die Erlaubnis der syrischen Regierung. Er ermahnte das US-Militär, „sich auf die Bekämpfung der Terroristen im Irak zu konzentrieren, statt [in Syrien] Luftzusammenstöße zu provozieren.“

Das russische Verteidigungsministerium erhebt den Vorwurf, die US-Operationen in Syrien „konzentrieren sich darauf, die syrischen Regierungstruppen zu behindern“ und das wichtigste Ergebnis sei, die „Zerstörung von Rakka und der Zivilisten dort“ gewesen.

Zusätzlich zu den Vorwürfen und Gegenvorwürfen zwischen Washington und Moskau über die Militäroperationen in Syrien hat der ehemalige Sprecher der SDF, Talal Silo, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters erklärt, dass die USA im Oktober die Evakuierung von Tausenden von IS-Kämpfern aus dem belagerten Rakka genehmigt haben. Silo hat sich Ende des letzten Monats in die Türkei abgesetzt. Er erklärte, etwa 4.000 Menschen seien in Bussen aus der Stadt gebracht worden. Bis auf 500 seien alle IS-Kämpfer gewesen.

Silos Darstellung bestätigte einen früheren Bericht der BBC, in dem Quellen zitiert wurden, die an der Ausreise teilgenommen hatten. Sie hatten erklärt, dass der Konvoi, der die IS-Mitglieder zusammen mit großen Mengen Waffen und Munition transportierte, etwa 6,5 km lang war und 50 Lastwagen, 13 Busse und 100 IS-Fahrzeuge umfasste.

Silo erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur, dass die Behauptung des Pentagon und seiner Stellvertretertruppen, es gebe erbitterte Kämpfe in Rakka, „reines Theater war“, mit der Absicht, die Journalisten während der Evakuierung aus der Stadt herauszuhalten.

Er erklärte, Washington habe die Evakuierung unterstützt, weil es entschlossen war, die Belagerung von Rakka so schnell wie möglich zu beenden und die kurdischen Milizen sowie die „Berater“ für US-Spezialoperationen wieder in der Provinz Deir ez-Zor einzusetzen, dem Zentrum der Öl- und Gasquellen Syriens an der Grenze zum Irak. Das Ziel der USA war es, die Grenze abzuriegeln und damit den Einfluss des Irans zu stören, indem es dessen Landzugang nach Syrien blockiert.

In einem anderen Interview mit türkischen Medien, erklärte Silo, laut dem Plan der USA „würden die [IS-]Terroristen nach al-Bukamal [in der Nähe der irakischen Grenze] gehen und dort den Vormarsch des Regimes verhindern“.

Der ehemalige Sprecher der SDF erklärte, Rakka sei nicht der erste Vorfall, bei dem die USA und ihre Stellvertreter die Flucht von IS-Kräften erleichtert hätten – es sei schon das dritte Mal. Er sagte, bei der Eroberung von Manbidsch in der nördlichen Provinz Aleppo im Jahr 2016 seien 2.000 IS-Mitglieder evakuiert worden. „Die SDF, die USA und der Militärrat von Manbidsch garantierten die Sicherheit der Daesh-[IS]-Mitglieder und erlaubten ihnen nach Dscharabulus zu gehen. Das war die erste Übereinkunft,“ so Silo.

Danach vereinbarten die USA und ihre Stellvertretertruppen während der Belagerung von al-Tabqa am Euphrat die Evakuierung von 500 IS-Kämpfern. In beiden Fällen wurde den Islamisten erlaubt, mit ihren Waffen und ihrer Munition die Stadt zu verlassen.

Die Aussagen von Silo, der eng mit hochrangigen US-Vertretern und Militärbefehlshabern in Syrien zusammengearbeitet hat, ist eine weitere vernichtende Entlarvung des „Kriegs gegen den Terror“. Der IS, der selbst ein Produkt von Washingtons Intervention im Nahen Osten ist, diente den USA als Instrument, um ihre imperialistische Vorherrschaft über die ölreiche Region zu behaupten.

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