IYSSE: „Tsar to Lenin“ in Bonn, Frankfurt und Bochum

Mitte Dezember hat die IYSSE den Film „Tsar to Lenin“ in den drei Universitätsstädten Frankfurt, Bochum und Bonn gezeigt. Die Veranstaltungen waren Teil einer weltweiten Kampagne des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, um das Erbe der Russischen Revolution 1917 und ihre wichtigsten Führer, Lenin und Trotzki, zu verteidigen.

„Tsar to Lenin“ ist die wohl beste Filmdokumentation über die Oktoberrevolution. Von Herman Axelbank in Szene gesetzt, bringt sie mit einem präzisen und oft humorvollen Kommentar Max Eastmans die Originalaufnahmen von über 1000 Kameras über einen Zeitraum von dreizehn Jahren zusammen. Der Film umfasst das Geschehen vom Zarismus und dem Ersten Weltkrieg über die Februarrevolution und die Machtergreifung der Bolschewiki bis hin zum Bürgerkrieg und schließlich dem Abzug der besiegten Interventionstruppen 1920 aus der Krim.

Christoph Vandreier stellt den Film in Frankfurt vor

„Die Oktoberrevolution war das wichtigste Ereignis des 20. Jahrhunderts“, betonte Christoph Vandreier zu Beginn der Filmvorführung in Frankfurt. „Der Film zeigt deutlich, dass die Massen eingegriffen, den Weltkrieg beendet und die Arbeitermacht errichtet haben.“ Die Russische Revolution habe die Vorstellung, dass der Kapitalismus zu überwinden sei, aus dem Bereich schöner Träume in den der realen Möglichkeit versetzt.

Auf allen drei Veranstaltungen erntete der Film Applaus und begeisterte Zustimmung. Dutzende Studierende, Schüler und Azubis, aber auch Arbeiter und Arbeitslose waren zu den Versammlungen gekommen. In allen drei Städten kam es im Anschluss an den Film zu lebhaften Diskussionen.

Im Zentrum stand die Aktualität der Oktoberrevolution. Tatsächlich drängt sich manche Parallele zu heute auf. Der Film bringt die opulente Machtentfaltung des Zarismus‘ – und gleichzeitig die bedrückende Armut und Rückständigkeit der breiten Massen – sehr lebendig auf die Leinwand. Hundert Jahre später herrscht infolge Finanzspekulation und brutaler Ausbeutung wieder eine extreme soziale Polarisierung, die gut und gerne an die Zustände von 1917 heranreicht. Auch zeigt sich die Klassengesellschaft heute wieder sehr offen. Am selben Tag, als der Film in Frankfurt gezeigt wurde, demonstrierte die Siemens-Belegschaft von Offenbach gegen den Konzern, der trotz Milliardengewinnen fast 7000 Arbeiter entlässt.

Auch die Filmsequenzen aus dem Ersten Weltkrieg – explosive Frontszenen, zerstörte Dörfer und zweieinhalb Millionen tote russische Soldaten – wirkten alarmierend vor dem Hintergrund der Meldungen über aktuelle Kriege, Militarismus und die Vorbereitung aller Großmächte auf den nächsten Weltkrieg.

Der Film bringt klar zum Ausdruck, dass die Revolution als objektiver Prozess aus realen gesellschaftlichen Widersprüchen hervorging, und dass die Epoche, die sie einleitete, bis heute nicht zum Abschluss gekommen ist. Dies bestimmte auch die Diskussionen in allen drei Städten.

In Bonn, wo der Film am 12. Dezember gezeigt wurde, kam die Rede auf die Frage Reform oder sozialistische Revolution. Ein Studierender wies darauf hin, dass es zwar – auch an der Uni – zahlreiche Organisationen gebe, die sich für alle möglichen Dinge einsetzten: für die Umwelt, die Tiere, den Erhalt sozialer Errungenschaften usw. Aber dies bleibe alles völlig an der Oberfläche. Dabei müsse man doch jetzt eigentlich aktiv werden, um das Übel an der Wurzel zu packen.

Aaron, der IYSSE- Sprecher an der Uni Bonn, erwiderte, die Wurzel dieser Übel sei das kapitalistische Wirtschaftssystem und das mit ihm verbundene Nationalstaatensystem. Er betonte die Notwendigkeit, eine sozialistische Weltpartei aufzubauen, die gegen die drohende Kriegsgefahr kämpft. Auch an den Universitäten sei es nötig, der Kriegspropaganda und dem Aufstieg rechter Ideologen konsequent entgegenzutreten. In Bonn nehmen die IYSSE zum ersten Mal an den Studierendenparlamentswahlen teil.

Auch in Frankfurt ging am 14. Dezember Thomas Winter, der die Versammlung leitete, auf die Rolle rechter Geschichtsfälscher an den Hochschulen ein. Er erinnerte daran, dass die IYSSE als erste die Humboldt-Professoren Herfried Münkler und Jörg Baberowski entlarvt hatte.

Tatsächlich haben das ganze vergangene Jahr Journalisten, Politiker und Akademiker ein Trommelfeuer übler Verleumdung gegen die Oktoberrevolution entfesselt. In der Frankfurter Rundschau schrieb Arno Widmann, die Oktoberrevolution sei „kein Aufbruch in eine freiere Welt“ gewesen, sondern „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Und Jörg Baberowski hatte bei einer Diskussionsrunde in der Frankfurter Stadtbibliothek sogar öffentlich bedauert, dass der Zar und die Weißen nicht rechtzeitig entscheidende Maßnahmen gegen Lenin ergriffen hatten.

„Es ist von großer Bedeutung, die Oktoberrevolution und ihre heutige Aktualität zu studieren“, erklärte Winter. Wie er betonte, sind das Internationale Komitee der Vierten Internationale und seine Sektionen weltweit die einzigen Organisationen, die die Russische Revolution von 1917 prinzipiell verteidigen.

Ein Frankfurter Zuschauer sagte, der Film sei gleichsam ein „Riesenaufruf, in die Partei einzutreten“. Die Diskussion wandte sich der Frage zu, was aus der Revolution geworden sei, und ein Teilnehmer fragte, ob der Stalinismus aus der „Ermüdung der russischen Bevölkerung“ entstanden sei. Ein weiterer bemerkte, er wüsste gerne, wie der „rote Terror“ der Bolschewiki einzuschätzen sei. Darauf antwortete ein anderer Teilnehmer, man dürfe nicht den Fehler machen und den „roten Terror“ der Nachrevolutionszeit und des Bürgerkriegs mit dem stalinistischen Terror der 1930er Jahre gleichsetzen.

Christoph Vandreier erklärte ausführlich, unter welchen Bedingungen die erste Arbeiterrevolution stattgefunden hatte. Er erläuterte, was Leo Trotzki in seiner „Permanenten Revolution“ nachgewiesen hatte: dass eine bürgerliche Revolution in dem rückständigen, bäuerlich und feudal geprägten Russland sofort sozialistische Formen annehmen musste. „Die Bourgeoisie war sofort mit der Arbeiterklasse konfrontiert. Sie konnte keine fortschrittliche Rolle mehr spielen.“

Lenin und Trotzki gingen beide von Anfang an davon aus, dass die russische Revolution nur der Auftakt zur internationalen proletarischen Revolution sein konnte. Vandreier schilderte, wie die russische Arbeiterklasse inständig auf einen Sieg der Revolution in Deutschland hoffte. Diese scheiterte jedoch am Verrat der Sozialdemokratie, an dem Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und an der Niederlage der Revolution in Deutschland. „Die russische Revolution wurde nicht in Petersburg oder Moskau, sie wurde in Berlin gestoppt.“ Dies sei die Hauptursache für die stalinistische Entartung gewesen, so Vandreier.

Zur Frage nach dem „roten Terror“ ging Vandreier auf die vielfältigen Angriffe ein, denen die junge Sowjetregierung vor hundert Jahren ausgesetzt war. Sie war mit dem Terror der Weißen, aber auch mit einem landesweiten Streik der alten Staatsangestellten konfrontiert und Intrigen, Mordversuchen, Pogromen und Industriesabotage ausgesetzt. Hätte sie nicht darauf reagiert, die WTscheka gegründet und sich gegen die Konterrevolution durchgesetzt, wäre es ihr, so Vandreier, wie Allende in Chile ergangen (der 1973 von einem blutigen, von der CIA orchestrierten Putsch gestürzt wurde).

In allen drei Veranstaltungen war die internationale Dimension ein wichtiges Thema. In Bonn betonten Studierende, dass die soziale Revolution nur international vollendet werden könne, und einer wies darauf hin, dass der internationale Aspekt bei allen andern Organisationen, besonders bei den Stalinisten, vollkommen fehle.

In Bochum, wo am 19. Dezember etwa dreißig neue Interessenten kamen, betonte ein Teilnehmer, der Film habe ihn „positiv überrascht“. Mehrere Zuschauer sprachen in der Diskussion den Zusammenhang zwischen der Oktoberrevolution und der Beendigung des Weltkriegs an. Ein Teilnehmer bezog sich auf die einleitenden Bemerkungen von Philipp Frisch von der IYSSE und fragte, ob die Oktoberrevolution die Mittelmächte nicht auch entlastet habe. Er frage sich, ob dies nicht dazu beigetragen habe, dass die Mittelmächte in der Lage waren, den Krieg an der Westfront zu verstärken.

Frisch verwies in seiner Antwort auf die Signalwirkung, die die Oktoberrevolution für Arbeiter und Soldaten in ganz Europa hatte. Die Revolution habe etwa im Deutschen Reich zu einer Welle von Streiks, Aufständen und Meutereien geführt, die erheblich zum Ende des Krieges beigetragen hätten. In der Novemberrevolution von 1918 sei die sozialistische Stimmung, die sich in Armeen und Fabriken durch den Krieg verstärkt habe, zum Ausdruck gekommen.

In der Antwort auf weitere Fragen gingen Frisch und andere Teilnehmer außerdem auf die Bedeutung des jahrelangen theoretischen Kampfs ein, den Lenin und Trotzki zur Vorbereitung der Revolution geführt hatten. Meilensteine wie Trotzkis Theorie der „permanenten Revolution“, sowie Lenins Schrift „Was tun?“ und seine Analyse des Imperialismus auf dem Höhepunkt des Krieges seien für die Vorbereitung der Oktoberrevolution von größter Bedeutung gewesen.

„Ich bin froh, dass ich gekommen bin“, sagte ein Schüler aus Wiesbaden in Frankfurt. „Ich konnte hier einiges lernen“. Ein Leser aus Mainz, der über Facebook von der Filmvorführung erfahren hatte, kommentierte: „Mich hat besonders die Aktualität des Themas interessiert, und was man aus der Geschichte über die Entwicklung einer Revolution lernen kann.“ Auch heute sei es notwendig, gegen Unterdrückung aufzustehen und „für die Freiheit zu kämpfen“.

Die DVD zum Film kann hier bestellt werden.

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