Britischer Verteidigungsminister beschuldigt Russland, „abertausende“ Briten töten zu wollen

Der britische Verteidigungsminister, Gavin Williamson, hat Russland erneut massiv bedroht. In einem Interview, das die Zeitung The Daily Telegraph am 26. Januar auf der ersten Seite brachte, behauptete Williamson, Russland sei dabei, wichtige Bestandteile der britischen Infrastruktur auszuspähen.

Er sagte: „Die Russen planen nicht etwa, mit Landungsbooten in der South Bay von Scarborough oder an den Stränden von Brighton aufzutauchen.“ Vielmehr überlege Russland, „wie es Großbritannien so viel Schaden wie nur möglich zufügen kann“, und es werde versuchen, „seine Wirtschaft zu schädigen, seine Infrastruktur zu zerstören und tausende, tausende und abertausende Briten zu töten und im Land ein möglichst großes Chaos anzurichten“.

Die Zeitung schreibt: „Wie Gavin Williamson dem Daily Telegraph sagte, spioniert Moskau die lebenswichtige Infrastruktur Englands und ihre Energieverbindung mit dem Kontinent aus, um ‚Panik’ und ‚Chaos’ zu schüren.“

Williamson fügte hinzu, Russland sei bereit, Dinge zu tun, „die jedes andere Land als völlig inakzeptabel betrachten würde“.

Ohne irgendwelche Beweise vorzulegen, warf er die Frage auf: „Warum fotografieren sie ständig und treiben sich bei Kraftwerken herum, warum beobachten sie die Relaisstationen, die unser Land mit einer großen Menge an Elektrizität und Energie versorgen?“

Die Zeitung schreibt, er habe sich dabei auf die Stromleitungen bezogen, „die Großbritannien mit Versorgern auf dem Festland verbinden und uns erlauben, Strom und Gas mit Nachbarländern auszutauschen“.

Das Vereinigte Königreich verfüge über „vier unterseeische Relaisstationen für Strom und drei für Gas“, heißt es weiter, „und sie versorgen drei Millionen Haushalte mit Energie. – Und es könnten bis zu acht Millionen werden, wenn weitere Relaisstationen in Betrieb genommen werden.“

Nur wenige Tage zuvor hatte schon General Nick Carter, Generalstabschef der Streitkräfte, ultimativ gefordert, Großbritannien müsse sich aktiv auf einen Krieg mit Russland und anderen geopolitischen Rivalen vorbereiten.

Ein Tag vor dem Erscheinen des Interviews mit Williamson hatte die britische Premierministerin Theresa May sich in Davos mit US-Präsident Donald Trump getroffen. Anschließend gaben die beiden eine gemeinsame Pressekonferenz. Trump behauptete, die Medien streuten „falsche Gerüchte“ über ihre Beziehung, und sie würden „sich sehr gut verstehen“.

Trump betonte, vor allem in militärischen Fragen seien die USA und Großbritannien völlig einer Meinung: „Wir arbeiten an gemeinsamen Projekten in wirtschaftlichen Fragen, beim Handel und, was das Wichtigste ist, in militärischen Fragen. Da passt kein Blatt zwischen uns. Wir haben die gleichen Ansichten, die gleichen Ideale.“

Er blickte May direkt in die Augen und fuhr fort: „Nichts könnte uns davon abhalten, an Ihrer Seite zu kämpfen. Das wissen Sie.“

May, die erkennen ließ, dass sie im Prinzip mit Trump einer Meinung war, wirkte geradezu wie sein Wackeldackel, als er die amerikanisch-britische Militärallianz lobte. Dann sagte sie: „Zwischen den USA und GB besteht immer noch diese ganz besondere Beziehung. Wir stehen Schulter an Schulter, weil wir in aller Welt vor den gleichen Herausforderungen stehen. Und wie Sie gesagt haben, wir arbeiten gemeinsam daran, diese Herausforderungen zu meistern.“

Wenige Tage zuvor hatte General Carter am 23. Januar klar gemacht, dass jetzt fast jede Aktivität eines fremden Staates als kriegerische Handlung eingestuft werden könne, egal, ob sie seinen politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Interessen diene.

Carter erklärte, es gebe „keine klare und deutliche Trennung zwischen ‚Frieden‘ und ‚Krieg‘ mehr. Alle diese Staaten nutzen mittlerweile auf meisterhafte Weise die Nahtstellen zwischen Frieden und Krieg aus …“

„In dieser Grauzone muss eine Waffe nicht zwangsläufig eine Explosion verursachen. Energie, Bestechung und Schmiergeldzahlungen, Cyberangriffe, Mordaufträge, Fake News, Propaganda und natürlich militärische Einschüchterung – das sind allesamt Beispiele für Waffen, mit denen man sich auf diesem Gebiet des ‚umfassenden Wettbewerbs‘ Vorteile verschafft.“

Kurz bevor Williamsons Interview im Telegraph erschien, hatte der Verteidigungsminister letzte Woche durchgesetzt, dass die Kürzungen der Verteidigungsausgaben ausgesetzt wurden. Das Kabinett sollte diese Maßnahme eigentlich im Rahmen einer Prüfung der Nationalen Sicherheitskapazität diskutieren. Stattdessen hat die Regierung jetzt angekündigt, dass das Verteidigungsministerium in den nächsten fünf Monaten seine Militärausgaben selbst neu bewerten wird.

Williamsons Drängen auf eine Erhöhung der Militärausgaben genießt die Rückendeckung hochrangiger Generäle, außer Carter auch von Generalstabschef Sir Stuart Peach, dem obersten Militärberater der Regierung. Im November hatte Peach in einer Provokation gegen Russland ohne jeden Beweis behauptet, dass russische Marinestreitkräfte das Potential entwickelten, unterseeische Glasfaserkabel zu durchtrennen.

Auch Williamsons Amtsvorgänger, Sir Michael Fallon, hat den Verteidigungsminister mit einem wichtigen Vorstoß unterstützt. Fallon war vor zwei Monaten wegen sexueller Missbrauchsvorwürfe zurückgetreten. Am 22. Januar forderte Fallon in seiner ersten öffentlichen Rede seither vor der Denkfabrik Defence and Security Forum eine deutliche Erhöhung der Militärausgaben. Konkret forderte er eine sofortige Erhöhung um eine Milliarde Pfund sowie die Erhöhung des Gesamtetats von derzeit zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (wie es die Nato empfiehlt), auf 2,5 Prozent.

Dies nicht zu tun, bedeute einen „Rückzieher von unserer Vision eines zuversichtlichen, nach vorne schauenden globalen Großbritannien, das für seine Menschen, seine Werte und seine Verbündeten einsteht. Wir würden uns zu einer zweitrangigen Weltmacht zurückentwickeln und könnten nur noch hin und wieder für Demokratie und Freiheit kämpfen.“

Er behauptete, Großbritannien würde andernfalls „vor unseren internationalen Verpflichtungen davonlaufen, unsere Verbündeten enttäuschen und letztlich unsere Sicherheit gefährden“.

Am 25. Januar, einen Tag vor dem Interview mit Williamson im Daily Telegraph, legte Fallon in einer Kolumne in der gleichen Zeitung nochmals nach. Er schrieb, er habe May schon vor einem Jahr gewarnt: „Die Abwertung des Pfunds und die Kosteneskalation des Atomarsenals üben starken Druck auf die Etats der Jahre 2017–2018 und 2018–2019 aus. Wenn wir eine führende Rolle in der Nato spielen und mit unseren Truppen und Typhoon-Flugzeugen ihre Ostflanke verteidigen wollen, und wenn wir die Gefahr durch russische U-Boote eindämmen und unsere Kabel im Nordatlantik verteidigen wollen, wenn wir außerdem weiter die zweitmeisten Luftangriffe und Ausbildungseinsätze im Irak durchführen wollen … dann brauchen wir eine tragfähigere Grundlage für unseren Verteidigungsetat.“

Er fügte hinzu: „In einer Neubewertung müssen wir anerkennen, dass sich die Bedrohungen für unser Land deutlich verschärft haben. Vor dem Einmarsch auf der Krim wirkte Russland unauffällig. Jetzt erkennen wir die Gefahr, die von ihm für die westlichen Demokratien ausgeht. Und Russland gibt nicht zwei Prozent, sondern fünf Prozent seines BIP für die Modernisierung seiner konventionellen- und Atomstreitkräfte, für hybride und elektronische Kriegsführung aus.“

Bei der Verschärfung der Spannungen mit Russland spielt auch die Labour Party eine wichtige Rolle. Als Reaktion auf Williamsons Äußerungen erklärte der ehemalige Marinechef und Sicherheitsminister in der früheren Labour-Regierung, Lord West, er sei „absolut sicher, dass Russland versucht, unsere wichtigsten nationalen Infrastrukturen zu knacken“.

Am 11. Januar hatte der Labour-Hinterbänkler Vernon Coaker in einer Parlamentsdebatte vorgeschlagen, die Größe, die Ausrüstung und die Ausbildung der britischen Streitkräfte mindestens auf dem derzeitigen Stand zu halten und keine weiteren Kürzungen der Verteidigungsausgaben oder der Kapazitäten zu akzeptieren.

Nur vier Tage zuvor, in einer anderen Debatte, hatte der konservative Vorsitzende des Unterhaus-Verteidigungsausschusses, Julian Lewis, Bedenken gegen mögliche Kürzungen geäußert. Darauf hatte Labours Schatten-Verteidigungsministerin Nia Griffith betont, dass sie eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben unterstütze.

Der Labour-Abgeordnete Luke Pollard erinnerte jedermann daran, woher die größte Bedrohung für Großbritannien komme: „Russland befindet sich im Aufstieg, unsere Verbündeten sind bedroht, und unsere Nordflanke ist durch russische Seestreitkräfte angreifbar. Vor diesem Hintergrund ist klar, dass vom russischen Bären eine Bedrohung ausgeht. Versteht der Verteidigungsminister, dass er im Unterhaus weder Unterstützung für weitere Kürzungen bei der Royal Navy oder den Royal Marines finden wird, noch für eine Zusammenlegung, die die Fähigkeiten unserer Streitkräfte verringert?“

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