Fleischfresser Gabriel

Nach Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die am Freitag die Münchner Sicherheitskonferenz eröffnete, ließ am Samstag auch Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) keinen Zweifel daran, dass es bei der Bildung einer Neuauflage der Großen Koalition in Berlin um eine massive Aufrüstung der Bundeswehr und die Entwicklung einer unabhängigen Großmachtpolitik geht.

Europa brauche „eine gemeinsame Machtprojektion in der Welt“, erklärte Gabriel und fügte hinzu: „Die darf sich nie auf das Militärische allein konzentrieren, aber sie darf auch nicht vollständig darauf verzichten. Denn als einziger Vegetarier werden wir es in der Welt der Fleischfresser verdammt schwer haben.“

Es ist klar, was damit gemeint ist. Deutschland und Europa sind bereits jetzt alles andere als außenpolitische „Vegetarier“. Sie beteiligen sich seit langem an den US-geführten Angriffskriegen in Afghanistan und im Nahen und Mittleren Osten. Wenn Gabriel nun von „Machtprojektion“ und „Fleischfresserei“ spricht, kann das nur bedeuten, dass sich Deutschland und Europa auf noch massivere Kriegseinsätze vorbereiten, um ihre wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen weltweit durchzusetzen.

Die europäischen Mitgliedstaaten müssten „ein gemeinsames Verständnis ihrer Interessen in den Außenbeziehungen der Europäischen Union“ und „Strategien und Instrumente entwickeln, um diese Interessen gemeinsam durchzusetzen“, forderte Gabriel. „Vor allem in Afrika“ seien die Europäer mit „eigenen Initiativen“ gefordert, aber auch in der Region „von Osteuropa bis nach Zentralasien“.

Konflikte zwischen den Großmächten selbst, die bereits im vergangenen Jahrhundert zu zwei Weltkriegen geführt haben, sind dabei vorprogrammiert. „Niemand sollte versuchen, die EU zu spalten – nicht Russland, nicht China, aber auch nicht die Vereinigten Staaten“, erklärte Gabriel drohend. Die Europäische Union sei „ein durchaus selbstbewusster Partner, der vertrauensvoll und auf Augenhöhe mit den USA kooperieren will, aber eben nicht im Gefolgschaftsverband“.

Streckenweise erinnerte Gabriels Rede rhetorisch und inhaltlich an die Großmachtphantasien der Nazis – nur dass er nicht von der deutschen, sondern von der europäischen „Selbstbehauptung in der Welt“ schwadronierte. Die „Europäer“ stünden „vor einer Wegscheide, wie sie die Welt nur alle paar Jahrhunderte erlebt“, erklärte Gabriel. Im 15. Jahrhundert hätten sich die Europäer schon einmal aufgemacht, „um die Welt zu erobern“ und „eine Vorentscheidung über die nächsten Jahrhunderte“ herbeizuführen.

„Was werden Historiker in 600 Jahren über unsere Zeit sagen?“, fragte er dann. „Werden sie den Beginn eines neuen asiatischen Zeitalters konstatieren, und die Selbstaufgabe des damals so genannten Westens am Beispiel Europas? Oder werden sie eine Entscheidung unseres Kontinents feststellen, den Mut aufgebracht zu haben, sich nicht aus der Welt zurück zu ziehen, sondern sich den Herausforderungen einer weit unbequemeren und risikoreicheren Welt zu stellen...?“ Zumindest er wolle sich „nicht mit einer schicksalhaften Entwicklung abfinden“, sondern die „Zukunft gestalten und nicht erdulden“.

In Wirklichkeit hat die gesamte herrschende Klasse entschieden, ihre „Zukunft zu gestalten“, wieder aufzurüsten und sich auf Krieg vorzubereiten. „Für eine stärkere europäische Außenpolitik“ müsse „auch Deutschland seine Beiträge leisten“, stellte Gabriel klar. „Die Koalitionsvereinbarung, die CDU/CSU und SPD hier im Land ausgehandelt haben“, stelle „daher den Zusammenhalt Europas nach vorn“ und sehe „massive Investitionen in die Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik vor. Unsere Ausgaben für Krisenprävention, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit steigen mit diesem Beschluss im Verhältnis 1 zu 1 mit den Ausgaben für Verteidigung.“

Gabriel bestätigte damit, was die Kernaufgabe der nächsten Großen Koalition sein wird: die milliardenschwere Militarisierung der gesamten deutschen Außenpolitik. „Im Mittelpunkt der Außenpolitik der künftigen Bundesregierung“ stehe „ein umfassender Begriff vernetzter Sicherheit“.

Was genau darunter zu verstehen ist, macht ein Blick in den Koalitionsvertrag deutlich. So sollen die deutschen Großmachtpläne in enger Zusammenarbeit mit den politischen Stiftungen und Thinktanks und der Auswärtigen Kulturpolitik erarbeitet und verwirklicht werden.

Im Abschnitt „Außen-, sicherheits- und entwicklungspolitische Handlungs- und Strategiefähigkeit sicherstellen“ heißt es: „Angesichts der internationalen Herausforderungen muss Deutschland seine Kapazitäten zur strategischen Analyse stärken und seine strategische Kommunikation intensivieren“. Und im Abschnitt zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik: „Der härter werdende globale Wettbewerb um Köpfe, Ideen und Werte verdeutlicht die wichtige Aufgabe der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) für Deutschlands Ansehen und Einfluss in der Welt.“

Dominieren wird auch beim dritten deutschen Griff nach der Weltmacht das Militärische. Im Abschnitt „Moderne Bundeswehr“ versprechen SPD und Union, „den Soldatinnen und Soldaten die bestmögliche Ausrüstung, Ausbildung und Betreuung zur Verfügung zu stellen“, damit die Armee „die ihr erteilten Aufträge in allen Dimensionen sachgerecht erfüllen kann“.

Die Bundeswehr beschaffe, „was sie braucht, und nicht was ihr angeboten wird“. Notwendig sei ein „effektives und in seinen Prozessen optimiertes Rüstungswesen“. Dazu werde man „die in der vergangenen Legislaturperiode begonnene Erneuerung, Modernisierung und Erweiterung der Bundeswehr fortführen und dabei für eine Beschleunigung der Prozesse, insbesondere des Beschaffungswesens, sorgen.“

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