Das italienische Wahlbündnis Potere al popolo: Pseudolinke Politik in neuer Verpackung

„Der Begriff ‚Pseudolinke‘ bezeichnet politische Parteien, Organisationen und theoretische/ideologische Tendenzen, die populistische Parolen und demokratische Phrasen benutzen, um die sozioökonomischen Interessen privilegierter und wohlhabender Schichten der Mittelklasse zu fördern“, schreibt David North im Buch „Die Frankfurter Schule, die Postmoderne und die Politik der Pseudolinken“. Die Pseudolinke sei „antimarxistisch“ und „antisozialistisch“.

Das Wahlbündnis Potere al Popolo (Die Macht dem Volk, PaP), das zur italienischen Parlamentswahl am 4. März antritt, ist eine anschauliche Illustration dieser Aussage.

Das Manifest des Bündnisses besteht aus einer Ansammlung schwammiger, populistischer Phrasen. Man wolle „mittels der täglichen Praxis, der Erfahrung der Selbstverwaltung, der Vergesellschaftung des Wissens und der Beteiligung des Volkes eine wahrhafte Demokratie aufbauen“, heißt es darin, und zu diesem Zweck „eine Bewegung von Arbeiterinnen und Arbeitern, Jugendlichen, Arbeitslosen und Rentnern, von Kompetenzen, die in den Dienst der Gemeinschaft gestellt werden, von Personen, die sich in Verbänden, örtlichen Komitees und für Bürgerinteressen engagieren, von Aktivisten und Militanten“ entwickeln, „die auch Parteien, Netzwerke und Organisationen der sozialen und politischen, antiliberalen und antikapitalistischen, kommunistischen, sozialistischen, umweltschützerischen, feministischen, laizistischen, pazifistischen, libertären und mediterranen Linken umfasst“.

Nach einer konkreten programmatischen Aussage sucht man im gesamten Manifest vergeblich. Der Begriff „Sozialismus“ kommt darin ebenso wenig vor, wie die Forderung nach Enteignung der Banken, Konzerne und großen Vermögen. Stattdessen ist viel von Basisdemokratie, Solidarität und Bürgerrechten, vom Kampf gegen Spekulation, Mafia und Korruption und ähnlichem die Rede. Die kapitalistische Gesellschaftsordnung soll nicht abgeschafft, sondern etwas angenehmer gestaltet werden.

Ausdrücklich verteidigt PaP die italienische Verfassung, die seit 70 Jahren die Grundlage der bürgerlichen Ordnung bildet. „Gegen die Verdrehung der Verfassung, die aus der Resistenza hervorgegangen ist und für ihre Verwirklichung“, heißt es in dem Manifest.

PaP versteckte sich ursprünglich hinter dem autonomen Jugendzentrum „Je so‘ pazz“ („Ich bin verrückt“), das sich in einer besetzten Psychiatrie in Neapel befindet. Die 37-jährige Philosophiedozentin Viola Carofalo, die in dem Zentrum gearbeitet hat, ist Sprecherin und Spitzenkandidatin des Bündnisses.

PaP behauptet, es habe vor allem Rentner, Hausfrauen, Arbeitslose, lokale Künstler etc. als Wahlkandidaten aufgestellt, die keine politische Vorbelastung mitbrächten. Tatsächlich verstecken sich hinter dem Bündnis politische Parteien, die auf eine Geschichte von 25 und mehr Jahren zurückblicken und eine lange Spur von Verrätereien, politischen Debakeln und Katastrophen hinterlassen haben.

Treibende Kraft ist die Partei der Kommunistischen Neugründung (Partito della Rifondazione Comunista, PRC), in der auch Carofalo seit langem aktiv ist. Rifondazione verschaffte der Initiative die nötigen Mittel, um Kandidaten für den Wahlkampf aufzustellen, und zog bei der Gründungsversammlung in Neapel die Fäden. Die Zeitung La Stampa schrieb: „Jenseits der spontanen Beteiligung, die es sicher gibt, stammt der Knochenbau von der alten Rifondazione Comunista, die etwa 60.000 Einzelspenden zusammengebracht hat, im Ganzen über 600.000 Euro.“

Führende Mitglieder der PRC, wie der Vorsitzende Maurizio Acerbo und die Europaabgeordnete Eleonora Forenza, treten als regionale Spitzenkandidaten für PaP an. Hinzu kommen sieben weitere Parteien, darunter die stalinistische Italienische Kommunistische Partei (Partito Comunista Italiano, PCI) und die Antikapitalistische Linke (Sinistra Anticapitalista) sowie zahlreiche Bürgerinitiativen und kleinere Protestbewegungen.

Sinistra Anticapitalista ist der italienische Ableger des pablistischen Vereinigten Sekretariats, seine Vorgänger haben jahrelang loyal innerhalb von Rifondazione gearbeitet. Die Organisation hat das Programm von PaP auf International Viewpoint, dem Organ des Vereinigten Sekretariats, in den höchsten Tönen gepriesen. Es sei „glaubwürdig, radikal, radikalreformistisch“, erklärt sie dort. „Die Ideen, für die wir kämpfen … sind einfach, jenseits aller technischen Termini endloser Programme, und sie gehören zu denen, die uns alle vereinen: Arbeit ohne Ausbeutung, kein Zwang zur Emigration und ein Leben im eignen Land ohne Ausbeutung und ohne Schaden zu nehmen.“

Der Ursprung von Rifondazione Comunista geht auf das Jahr 1991 zurück, als die Kommunistische Partei (PCI) auseinanderbrach. Sie sammelte Altstalinisten und andere Elemente aus der PCI, denen die Abkehr der Parteimehrheit von der kommunistischen Symbolik zu weit ging, sowie mehrere kleinbürgerliche Organisationen, die vorher eine eigenständige organisatorische Existenz geführt hatten.

In den 90er Jahren wurden Rifondazione und ihr damaliger Führer Fausto Bertinotti von der gesamten europäischen Pseudolinken als leuchtende Vorbilder gefeiert, denen es nachzueifern galt. Tatsächlich spielte die Partei, die zwischen 1992 und 2006 regelmäßig Wahlergebnisse zwischen 5 und 8 Prozent erzielte, eine maßgebliche Rolle dabei, die schwer erschütterte bürgerliche Ordnung zu festigen und den Klassenkampf zu unterdrücken. Sie unterhielt enge Beziehung zu außerparlamentarischen Protestbewegungen und Basisgewerkschaften, stellte sich aber jedes Mal hinter die amtierende Mitte-Links-Regierung, wenn diese unter sozialen und politischen Druck geriet, und verhalf ihr zu parlamentarischen Mehrheiten.

Als sich die sozialen Spannungen 2006 verschärften, trat Rifondazione schließlich selbst in die Regierung ein. Ihr führendes Mitglied Paolo Ferrero wurde unter Romano Prodi Sozialminister. Die Kriegspolitik dieser Regierung und ihre Angriffe auf Rentner und Immigranten ebneten nicht nur Silvio Berlusconi zum dritten Mal den Weg an die Macht, sie besiegelten auch den Kollaps von Rifondazione, die 2008 drei Viertel ihrer Wähler und sämtliche Abgeordnetenmandate verlor.

Als dann nach der globalen Finanzkrise, die Italien besonders hart traf, eine weitere von den Mitte-Links-Parteien unterstützte Regierung die Folgen brutal auf die Arbeiterklasse abwälzte, profitierte die rechte Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento 5 Stelle, M5S) des Komikers Beppe Grillo sowie ultrarechte Parteien wie die Lega von der wachsenden Opposition.

Rifondaziones Versuch, jetzt unter dem neuen Etikett Potere al Popolo ins Parlament zurückzukehren, ändert nichts an ihrer Perspektive, die bürgerliche Ordnung zu verteidigen, Widerstand dagegen zu unterdrücken und eine wirklich linke, d.h. sozialistische Politik zu diskreditieren. Das zeigt nicht nur ihr Manifest, noch deutlicher wird es, wenn man ihre internationalen Verbündeten betrachtet. Zu den Vorbildern, auf die sich PaP beruft und mit denen es zusammenarbeitet, zählen der griechische Regierungschef Alexis Tsipras, der verstorbene venezuelanische Präsident Hugo Chávez, der Führer von La France Insoumise Jean-Luc Mélenchon, die spanische Podemos und die deutsche Linkspartei.

Am 15. Januar stellte Viola Carofalo die neue Bewegung auf einer Sitzung der europäischen Links-Fraktion (GUE/NGL) im Europaparlament vor, der Syriza, die Linke, Podemos und Mélenchons Front de Gauche angehören. Geleitet wurde die Sitzung von Gabi Zimmer (Die Linke). Am folgenden Tag gab Carofalo gemeinsam mit Eleonora Forenza, einer langjährigen PRC-Aktivistin, die auf der Liste L‘Altra Europa con Tsipras (Das andere Europa mit Tsipras) ins Europaparlament gewählt worden war, eine Pressekonferenz.

In einem ausführlichen Interview, das in der italienischen Zeitung L‘Antidiplomatico erschien, nahm Carofalo Alexis Tsipras gegen den Vorwurf in Schutz, er habe die Arbeiterklasse verraten. Tspiras, der Anfang 2015 mit dem Versprechen zum griechischen Regierungschef gewählt worden war, er werde das Spardiktat der Europäischen Union beenden, hat den Sparkurs seither brutal verschärft. Selbst als die Wähler in einem von ihm selbst anberaumten Referendum mit deutlicher Mehrheit gegen den Sparkurs stimmten, ließ er sich davon nicht beeinflussen.

Darauf angesprochen, dass Tsirpas von vielen Linken des Verrats bezichtigt wurde, antwortete Carofalo: „Offensichtlich ist es unmöglich zu garantieren, dass sich eine Situation wie die in Griechenland nicht wiederholt.“ Tsipras und Syriza hätten vielleicht eine andere Wahl treffen können, „aber ich sehe mich nicht in der Lage, ein derart hartes Urteil zu fällen. Den Begriff Verräter würde ich für andere verwenden.“

Auf die Frage, ob die linkspopulistischen Regierungen, die in den letzten Jahren in lateinamerikanischen Ländern an der Macht waren, Europa als Vorbild dienen könnten, antwortete Carofalo: „Lateinamerika ist für uns die Inspiration in Großbuchstaben. … Insbesondere die Erfahrung in Venezuela kann man als unsere wichtigste Inspirationsquelle betrachten.“

Tatsächlich zeigt gerade die Erfahrung Venezuelas, das sich in einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise befindet und wo die alte, reaktionären Kräfte zurück an die Macht drängen, dass ein populistischer Offizier wie Hugo Chávez, der die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse unangetastet lässt und mit den Öleinnahmen einige soziale Trostpflaster finanziert, kein Ersatz für eine unabhängige sozialistischen Bewegung der Arbeiterklasse ist. Chávez und sein Nachfolger Maduro haben die Arbeiterklasse im Interesse der herrschenden Oberschicht politisch entwaffnet und Venezuela noch stärker in die Abhängigkeit US-amerikanischer Ölkonzerne getrieben.

Jean-Luc Mélenchon trat am 15. Februar persönlich auf einer Wahlversammlung von PaP in Neapel auf, um dem Bündnis seine Unterstützung zu versichern. „Was wir in Europa und für unseren Kampf in Frankreich benötigen, das ist gerade eine Gruppe, die mit allen andern politischen Formationen bricht und die ausschließlich und kompromisslos die Interessen des Volks vertritt“, erklärte er. Viola Carofalo beteuerte ihrerseits, welch große Inspiration La France Insoumise für die eigene Bewegung sei.

Mélenchon, der 30 Jahre lang in der französischen Sozialistischen Partei Karriere machte und unter Premierminister Lionel Jospin einen Regierungsposten bekleidete, bemüht sich, den Widerstand gegen die Regierung von Präsident Emmanuel Macron in eine nationalistische Sackgasse zu lenken. Kürzlich griff er Macron von rechts an, weil er nicht schnell genug aufrüste.

Potere al Popolo ist keine Antwort auf die soziale und politische Krise, vor der die Arbeiterklasse in Italien steht, sondern eine ihrer Ursachen. Die angestaute soziale Wut und Empörung können nur einen fortschrittlichen Ausweg finden, wenn die Arbeiterklasse einen bewussten Kampf für eine internationale, sozialistische Perspektive aufnimmt. Das erfordert den Aufbau einer italienischen Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

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