Perspektive

Der Streik in West Virginia und der Kampf gegen Internetzensur

Die wachsende Welle von Arbeiterunruhen in den USA und der Welt entlarvt und klärt grundlegende politische Fragen. Eine davon ist, worin der eigentliche Zweck der Kampagne der Technologiekonzerne, der US-Regierung und der Massenmedien besteht, das Internet zu zensieren. In Wirklichkeit geht es nicht um den vorgeschobenen Kampf gegen „Fake News“ und „russische Einmischung“, sondern um die Unterdrückung von sozialem Widerstand.

Diese Woche beginnt mit weiteren neuen Kämpfen der Arbeiterklasse. Obwohl die Gewerkschaften den neuntägigen Streik von 30.000 Lehrern und Schulbeschäftigten in West Virginia verraten und beendet haben, breitet sich die Rebellion der Beschäftigten im Bildungswesen im ganzen Land aus. Lehrer in Oklahoma, Kentucky und Arizona drängen auf Streiks wie in West Virginia, für höhere Gehälter und sichere Renten. Dazu nutzen sie hauptsächlich Facebook-Gruppen, die in den letzten Wochen zehntausende Nutzer hinzugewonnen haben.

Dies ist Teil einer breiteren Bewegung der Arbeiterklasse, zu der auch ein Streik von 1.400 Beschäftigten des Telekommunikationsunternehmens Frontier in West Virginia und Virginia gehört, ebenso wie eine Streikabstimmung von 18.000 registrierten Pflegekräften des Krankenhauskonzerns Kaiser Permanente in Kalifornien. Der Tarifvertrag für die Viertelmillion Beschäftigten von United Parcel Service (UPS) läuft zwar erst im Sommer aus, doch bereits jetzt nutzen tausende von ihnen die sozialen Netzwerke, um auf einen Streik zu drängen.

In Großbritannien streiken seit vier Wochen mehr als 40.000 Dozenten von 65 Universitäten im ganzen Land. In Dänemark haben 80.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst mit einem Streik für den 4. April gedroht; die rechte Regierung erklärte daraufhin, sie werde in diesem Fall alle 400.000 staatlichen Beschäftigten aussperren. Dänischen Medien zufolge wäre dies die „schwerste Störung des Industriebetriebs seit Jahrzehnten.“

Innerhalb der herrschenden Klasse mehren sich die Warnungen darüber, wie Arbeiter das Internet benutzen, um ihre Kämpfe zu organisieren und aus der Kontrolle der korporatistischen und arbeiterfeindlichen Gewerkschaften auszubrechen.

In den letzten vier Jahrzehnten konnten die Gewerkschaften die Arbeiterklasse ein ums andere Mal verraten, weil sie ihr Informationsmonopol und die Isolation der Arbeiter ausnutzen konnten, um sie zu belügen, zu bedrohen und einzuschüchtern, sodass diese immer wieder Zugeständnisse akzeptierten. Dieses Monopol beginnt zu zerfallen. Vor allem die sozialen Netzwerke haben es den Arbeitern in unterschiedlichen Branchen und Ländern ermöglicht, direkt miteinander zu kommunizieren, Proteste zu organisieren und Informationen zu teilen.

Die New York Times veröffentlichte am 8. März einen Artikel mit dem Titel „Der Ausstand in West Virginia als Lehre über den Einfluss eines Crowdsourced-Streiks“. Darin klagte sie, die Lehrer in West Virginia hätten „Mittel gefunden, sich außerhalb der üblichen Parameter des traditionellen Gewerkschaftswesens zu organisieren und zu handeln. Lehrer und öffentlich Beschäftigte im ganzen Bundesstaat äußerten ihre Frustration in einer riesigen Facebook-Gruppe, und an ihrem Ausstand beteiligten sich schließlich Mitglieder von drei verschiedenen Gewerkschaften und viele, die keiner Gewerkschaft angehörten.“

Die Times schreibt, die Rebellion der Lehrer gegen die Anweisung der Gewerkschaften, die Arbeit wieder aufzunehmen, war ein „entscheidender und aufschlussreicher Wendepunkt. Nicht die Gewerkschaftsführung hat den Ton angegeben, sondern die Basis.“

Joseph A. McCartin, Sozialhistoriker an der Universität Georgetown, erklärte der Times: „Die Gewerkschaften haben über den Großteil ihrer Geschichte hinweg nicht Unruhe angestrebt, sondern Stabilität. Wenn sie geschwächt sind, wird eine Rückkehr von Instabilität und Militanz wahrscheinlicher, und so etwas haben wir in West Virginia erlebt.“

Die Demokratische Partei und die Geheimdienste behaupten, Russland würde „Fake News“ verbreiten und „Zwietracht und Spaltungen“ in den USA säen, um ihre Forderungen an Facebook, Google und andere Internetkonzerne nach aggressiven Zensurmaßnahmen zu rechtfertigen. Doch wie die WSWS erklärt, und wie die derzeitigen Entwicklungen beweisen, muss die „Zwietracht“ nicht erst „gesät“ werden. Sie besteht bereits, und sie bricht offen aus.

Wenn die herrschende Klasse den Widerstand der Bevölkerung mit „russischer Einflussnahme“ in Verbindung bringt, versucht sie jeden politischen Dissens zu kriminalisieren und die freie Meinungsäußerung im Internet zu zensieren. Mit dem Anwachsen des Klassenkampfs wird sich die Kampagne zur Zensur des Internets in den USA und weltweit noch weiter verschärfen und immer offenere Formen annehmen.

In den Medien kommt immer häufiger die Forderung nach einer ausdrücklichen Zensur von linken Ansichten als Teil eines Kampfs gegen „Extremismus“ auf. Die New York Times veröffentlichte am Sonntag eine Kolumne mit dem Titel „YouTube, der große Radikalisierer“, in der sie klagte, YouTubes Algorithmen würden die Nutzer zu „linken verschwörerischen Argumenten über die Existenz geheimer Regierungsbehörden“ führen. Die Autorin des Artikels, Zeynep Tüfekçi vom Berkman Center for Internet and Society an der Universität Harvard, klagt: „YouTube [das zu Google gehört] ist wohl eines der mächtigsten Radikalisierungsinstrumente des 21. Jahrhunderts.“

Tüfekçi schreibt: „Menschen haben viele natürliche Tendenzen, die im Kontext des modernen Lebens aufmerksam überwacht werden müssen“, so als ob ein Interesse an linker Politik mit der Sucht nach Zucker und fettigen Nahrungsmitteln vergleichbar wäre. Weiter schreibt sie: „Die Situation ist besonders gefährlich, wenn man bedenkt, wie viele – und vor allem junge – Menschen ihre Informationen von YouTube beziehen.“

Ihr Plädoyer für autoritäre Kontrolle über die sichtbaren Inhalte im Internet schließt sie mit den Worten: „Dieser Zustand ist inakzeptabel, aber nicht unvermeidlich.“ Mit anderen Worten, es sind noch weitere Zensurmaßnahmen notwendig.

Am Sonntag veröffentlichte das Internetmagazin Wired einen Kommentar von Joshua Geltzer, Juraprofessor an der Universität von Georgetown und ehemaliges Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats unter US-Präsident Obama, unter dem Titel „Schlechte Akteure nutzen soziale Netzwerke genau so, wie sie gemacht sind“. Geltzer erklärte, „schlechte Akteure“ wie Russland würden Facebook, Twitter und andere soziale Netzwerke nicht missbrauchen. Sie würden nur dessen „inhärente Merkmale“ benutzen, darunter die Möglichkeit, „Ideen schnell mit der ganzen Welt zu teilen.“

Geltzer schreibt, es sei für Technologiekonzerne notwendig, „mit mutigeren Ansätzen an den Zugang von bösartigen Akteuren zu ihren Dienstleistungen zumindest zu experimentieren.“ Dazu würden auch Versuche gehören, künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen zu benutzen und „die zunehmende Forderung ernstzunehmen, schlechte Akteure zu erkennen und aufzuhalten, bevor sie radikalisierende Inhalte posten oder sicherstellen können, dass sich ihre sozial polarisierenden Botschaften verbreiten.“

Die „sozial polarisierendste“ Botschaft, vor der sich die herrschende Klasse am meisten fürchtet, ist der Sozialismus. Deshalb war die World Socialist Web Site eines der Hauptziele der Zensurkampagne seit der Einführung von Googles neuen Suchalgorithmen im letzten April.

Die herrschende Klasse hat nicht übersehen, dass tausende von Lehrern während des Streiks in West Virginia die WSWS gelesen haben. Die Forderung der WSWS nach der Bildung von Basiskomitees der Streikenden, die den Gewerkschaften die Kontrolle über die Führung des Streiks entreißen und zu einer unabhängigen Bewegung der ganzen Arbeiterklasse ausbauen sollen, die u.a. einen Generalstreik vorbereitet, entspricht der objektiven Logik des Klassenkampfs selbst.

Die Verteidigung der Freiheit des Internet und der Widerstand gegen alle Formen von Zensur ist eine Klassenfrage. Der Schutz der Freiheit, im Internet zu kommunizieren und Informationen auszutauschen, ist für die Arbeiterklasse von entscheidender Bedeutung. Arbeiter müssen verstehen, welch weitreichende Bedeutung die Zensurkampagne hat und dass sie darauf abzielt, ihren wachsenden Widerstand gegen soziale Ungleichheit und Krieg zu unterdrücken. Die Kräfte, die gegen sie Stellung bezogen haben – die beiden Parteien des Großkapitals und ihre Anhängsel, der Gewerkschaftsapparat, die Massenmedien – werden alles tun, um das Gesellschafts- und Wirtschaftssystem zu erhalten, von dem ihr Reichtum abhängt.

In der Arbeiterklasse herrscht großer Rückhalt für demokratische Rechte und eine instinktive Ablehnung gegenüber den Versuchen der Regierung und der Technologiekonzerne, die freie Meinungsäußerung einzuschränken. Dieser Widerstand muss bewusst organisiert und politisch gegen die Ursache von Austerität, Zensur und Krieg gelenkt werden: gegen das kapitalistische System.

Um den zunehmenden Kurs auf Zensur zu entlarven und Widerstand dagegen aufzubauen, organisieren die World Socialist Web Site, die International Youth and Students for Social Equality und die Socialist Equality Party eine Reihe von Veranstaltungen in den USA mit dem Titel „Organizing Resistance to Internet Censorship.“ Wir rufen alle Leser auf, an diesen Treffen teilzunehmen, sie so weit wie möglich bekannt zu machen, sich mit der WSWS in Verbindung zu setzen und eine Veranstaltung in ihrer Nähe zu organisieren.

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