Puigdemont aus Gefängnis entlassen

Der ehemalige katalanische Regionalpräsidenten Carles Puigdemont wurde gestern Mittag aus der Auslieferungshaft entlassen. Allerdings ist Puigdemont nicht frei. Er darf Deutschland bis auf Weiteres nicht verlassen, musste eine Kaution in Höhe von 75.000 Euro hinterlegen und muss sich wöchentlich bei der Polizei in Neumünster melden.

Am Donnerstagabend hatte das Oberlandesgericht (OLG) in Schleswig entschieden, Puigdemont nicht wegen des Vorwurfs der Rebellion an Spanien auszuliefern. Der Senat des OLG hat jedoch den zweiten Vorwurf der Veruntreuung öffentlicher Gelder nach wie vor aufrechterhalten. Deswegen könnte der ehemalige katalanischen Regionalpräsident immer noch an Spanien ausgeliefert werden. Der Haftbefehl wurde lediglich unter Auflagen „außer Vollzug“ gesetzt, erklärte eine Sprecherin des Gerichts.

In einer Pressemitteilung begründete das Gericht seine Entscheidung folgendermaßen: „Das dem Verfolgten zur Last gelegte Verhalten wäre in der Bundesrepublik Deutschland nach hier geltendem Recht nicht strafbar.“ Der in Betracht kommende Straftatbestand des Hochverrats sei nicht erfüllt, weil man den Angeklagten nicht mit Gewalt in Verbindung bringen könne.

Damit widersprach das OLG sehr direkt der Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein, die Anfang der Woche erklärt hatte, dass ein zulässiges Auslieferungsersuchen vorliege und Fluchtgefahr bestehe. Am Dienstag hatte der Generalstaatsanwalt in Schleswig-Holstein festgestellt, eine „intensive Prüfung“ des von der spanischen Justiz erwirkten Europäischen Haftbefehls habe ergeben, dass ein zulässiges Auslieferungsersuchen vorliege.

Die Staatsanwaltschaft argumentierte, der von der spanischen Justiz erhobene Vorwurf der Rebellion gegen Puigdemont beinhalte „im Kern den Vorwurf der Durchführung des als verfassungswidrig eingestuften Referendums über eine Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien – trotz zu erwartender gewaltsamer Ausschreitungen“. Dieser Vorwurf der Rebellion finde eine vergleichbare Entsprechung im deutschen Strafrecht in den Paragrafen 81 und 82 des Strafgesetzbuchs (Hochverrat). Eine wortgleiche Übereinstimmung der deutschen und spanischen Vorschriften sei gesetzlich nicht gefordert. Genau diese Einschätzung wies das Oberlandesgericht nun zurück.

Die Entscheidung des OLG hat weitreichende Konsequenzen.

Puigdemont kann nun nicht mehr wegen „Rebellion“ an Spanien ausgeliefert werden. Die Gerichtsentscheidung ist für die Bundesregierung bindend. Nach geltendem Recht kann Puigdemont nun weder in Spanien noch in einem anderen Land für dieses Vergehen belangt werden. Ob der Vorwurf der Untreue aufrechterhalten werden kann, ist sehr fraglich, weil es sich nicht um den Vorwurf der persönlichen Korruption handelt. Die spanischen Behörden werfen Puigdemont vor, als damaliger Regionalpräsidenten Kataloniens, das verbotene Unabhängigkeitsreferendum mit 1,6 Millionen Euro öffentlicher Gelder finanziert zu haben. Wenn das Referendum aber kein Aufruf zur Rebellion war, ist es sehr fraglich, ob die Finanzierung tatsächlich den Tatbestand der Veruntreuung von öffentlichen Geldern erfüllt.

Die ersten Reaktion auf das Urteil in Deutschland waren geteilt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung erklärte in einem wütenden Leitartikel, dass Puigdemont trotz des Urteils „ein Straftäter“ bleibe, „der sich der Justiz nicht entziehen kann“. Gelinge „es ihm, einer Auslieferung zu entgehen“, dann werde „ihm nicht viel anderes übrigbleiben, als sich weiter in Belgien oder anderswo vor der spanischen Justiz zu verstecken. Wird er ausgeliefert, so geht er in Spanien ins Gefängnis.“

Medien und Politiker die befürchten, eine Auslieferung von Puigdemont könne heftige Proteste in Katalonien und auch in Deutschland auslösen, begrüßten das Urteil. „Wenn es gut geht, wenn es ganz gut geht, dann ist der Spruch der deutschen Richter der Beginn für eine politische Lösung, der Einstieg in Verhandlungen“, kommentierte die Süddeutsche Zeitung.

Gregor Gysi von der Linkspartei forderte die Bundesregierung auf, Druck auf die spanische Regierung und Justiz auszuüben. „Jetzt erwartete ich mal, dass unser Außenminister vielleicht nach Spanien fährt und versucht, bestimmte Dinge ihnen auch auszureden und nicht, dass unsere Regierung dasitzt und sagt, wir müssen jetzt deren Haftbefehle vollstrecken, für Dinge, die in Deutschland gar nicht strafbar sind“.

Tatsächlich hat die Bundesregierung, die sich gestern weigerte das Urteil zu bewerten, genau das vorgehabt. Der Spiegel berichtet, dass die Bundesregierung bereits am Tag der Festnahme von Puigdemont ihr Vorgehen in einer Telefonkonferenz abgestimmt habe. Nach Spiegel-Informationen telefonierten am Wochenende vor Ostern Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD), Außenminister Heiko Maas (auch SPD und früherer Justizminister), Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) und Hans-Georg Engelke, Staatssekretär im Bundesinnenministerium und früherer Leiter der Abteilung „Terrorismus/Islamismus“ im Bundesamt für Verfassungsschutz, um die Haltung der Regierung festzulegen. Dabei sei vereinbart worden, dass die Regierung gegen eine mögliche Auslieferung Puigdemonts kein Veto einlegen werde.

Wenige Tage später habe sich die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig mit dem Bundesjustizministerium „ins Benehmen“ gesetzt, um das weitere Vorgehen abzusprechen, schreibt Der Spiegel. Mit anderen Worten: Als die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein Anfang dieser Woche Auslieferungshaft für Carles Puigdemont beantragte und dies damit begründete, dass der Vorwurf der Rebellion berechtigt sei und „eine vergleichbare Entsprechung im deutschen Strafrecht in den Paragrafen 81 und 82 des Strafgesetzbuchs (Hochverrat)“ finde, war dieses Vorgehen und diese Argumentation mit höchsten Regierungsstellen abgesprochen.

Damit ist klar, dass die Bundesregierung nicht nur das undemokratische Vorgehen der spanischen Regierung unterstützt, sondern die Verhaftung von Puigdemont nutzen wollte, um einen Präzedenzfall für die Verfolgung jeder Form von Protest und Widerstand gegen die herrschenden Mächte zu schaffen.

Besonders ihre Bezugnahme auf den Hochverratsparagrafen macht deutlich, in welcher Tradition die Regierung steht und wie bewusst sie daran arbeitet, einen europäischen Polizeistaat aufzubauen. Der Hochverrat ist ein auf den gewaltsamen Umsturz im Innern gerichtetes Unternehmen, heißt es im Rechtslexikon. Es handelt sich um eine Straftat, bei der der Täter „es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen oder die auf dem Grundgesetz beruhende verfassungsmäßige Ordnung zu ändern, d.h. also praktisch einen Umsturz (eine Revolution) herbeizuführen.“

Der Paragraf wurde bereits bei der Gründung des Deutschen Reichs 1871 eingeführt und seitdem immer wieder eingesetzt, um Gegner des kaiserlichen Obrigkeitsstaat und später der Nazi-Diktatur zu verfolgen und zu unterdrücken. Der SPD-Gründer August Bebel wurde auf dieser Grundlage ebenso verfolgt, wie die KPD-Führer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Während der Nazizeit wurden Hans und Sophie Scholl gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ auf dieser Grundlage zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Jetzt greift die Bundesregierung wieder auf diese brutalen Formen der Unterdrückung zurück, um jede Form von Opposition, Widerstand und Protest einzuschüchtern und im Keim zu unterdrücken.

Es ist kein Zufall, dass die Kriminalisierung von Widerstand und die Einführung von Polizeistaatsmaßnahmen in Europa mit der Streikbewegung in Frankreich gegen die Arbeitsmarktgesetze der Macron-Regierung und vermehrten Warnstreiks in Deutschland zusammenfällt. In Spanien ist die wirtschaftliche und soziale Krise besonders zugespitzt. In der vergangenen Woche streikten nicht nur Amazon-Arbeiter, auch Rentner organisierten Massendemonstrationen, um eine angemessene Rente und verbesserte Sozialleistungen zu erreichen.

Auch wenn das Urteil des Oberlandesgerichts in Schleswig dazu führt, dass Puigdemont nicht wegen „Rebellion“ ausgeliefert und angeklagt wird, setzt die Bundesregierung ihren Rechtskurs fort.

Die World Socialist Web Site und die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) haben die Verhaftung von Puigdemont von Anfang an verurteilt und seine Freilassung gefordert. Wir schrieben: „Das Vorgehen der deutschen Behörden gegen ihn ist eine Warnung. Der einzige Weg, den Aufbau eines Polizeistaats und die Rückkehr zu Krieg und Militarismus zu verhindern, ist die Entwicklung einer sozialistischen Bewegung, die die europäische und internationale Arbeiterklasse im Kampf gegen soziale Ungleichheit, Diktatur und Krieg vereint.“

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