Große Unterstützung für Tarifkampf im öffentlichen Dienst

Die Warnstreiks im öffentlichen Dienst werden von einer großen Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Wie die Lehrerstreiks in den USA und die Eisenbahnerstreiks in Frankreich sind sie Teil eines neuen Aufschwungs im Klassenkampf. Aber die Gewerkschaften wollen den Streik noch an diesem Wochenende abwürgen und einen miesen Deal mit den Arbeitgebern schließen.

Fraport-Kollegen am Flughafen Frankfurt wehren sich dagegen, dass Neueingestellte ca. 300 Euro weniger verdienen als ihre Kollegen

Am gestrigen Freitag haben sich erneut tausende Arbeiter an den Warnstreiks und Kundgebungen beteiligt. In Städten wie Hamburg, Frankfurt, Bochum, Leipzig und Dresden und zahlreichen weiteren Kommunen standen U-Bahnen, Trams und Busse still, blieben Kitas, öffentliche Ämter, Energieversorger, städtische Bühnen und Sparkassen geschlossen, wurde der Müll nicht abgeholt und waren Kliniken und Pflegeheime nur mit Notdienst versorgt.

Schon am Donnerstag beteiligten sich etwa 45.000 Beschäftigte in elf Bundesländern am Arbeitskampf, mit Kundgebungen von mehreren tausend Teilnehmern in Hamburg, Hannover, Braunschweig, Gießen, Essen und Stuttgart. In der gesamten Woche haben bundesweit etwa 200.000 Beschäftigte die Arbeit niedergelegt. Praktisch überall war die Streikbeteiligung überraschend hoch. „Die Teilnahme war wesentlich höher als erwartet, wir haben heute sehr viel Jugend gesehen“, wie Verdi-Streikleiter Jürgen Lauer am Donnerstag in Gießen sagte.

Die Streiks genießen die Sympathie der Bevölkerung. Eine Umfrage für das ZDF-Barometer am Freitag hat ergeben, dass mehr als 75% der Befragten Sympathie für den Arbeitskampf hegen. Nur 23% sagten, sie hätten kein Verständnis für die Streiks.

Der Grund dafür ist, dass alle Arbeiter die Steigerung der Arbeitshetze und die jahrelangen Reallohnkürzungen kennen, die die öffentlich Beschäftigten auf die Straße treiben. Zudem sind sie selbst davon betroffen, wenn Kitas, Krankenhäuser und Ämter kaputt gespart werden. Der Streik im öffentlichen Dienst ist Ausdruck einer sehr viel breiteren Entwicklung, die sich gegen die sozialen Angriffe der letzten Jahrzehnte richtet.

Gerade deshalb setzt Verdi alles daran, den Streik abzuwürgen und am Dienstag nach der dritten Verhandlungsrunde ein Ergebnis mit den Arbeitgebern zu präsentieren. In Wirklichkeit war das mit den öffentlichen Arbeitgebern, also Bundesinnenminister Thomas de Maizière und seinem Nachfolger Horst Seehofer (CSU) und VKA-Präsident Thomas Böhle (SPD), von Anfang an so geplant.

Die beiden populärsten Forderungen des Streiks wurden von der Gewerkschaft im Wesentlichen schon aufgegeben. Das betrifft zuallererst die Forderung, dass die Lohnerhöhung unabhängig von den Prozentzahlen mindestens 200 Euro im Monat betragen muss. Das würde gerade den Arbeitern zu Gute kommen, die für einen Hungerlohn arbeiten müssen. Außerdem hatte die Gewerkschaft gefordert, dass alle Auszubildenden unbefristet übernommen werden. Diese Forderung hatte Verdi schon oft aufgestellt und genauso oft wieder fallen lassen.

Streikende der baden-württembergischen Rems-Murr-Kliniken

Am Ende will Verdi ein ähnliches Ergebnis gegen die Arbeiter durchsetzen, wie es Anfang des Jahres schon die IG Metall gemacht hatte. Diese hatte wie Verdi sechs Prozent mehr Lohn gefordert und dann eine Erhöhung des Lohnvolumens von gerade 2,2 Prozent unterschrieben, was nicht einmal die reale Inflation ausgleicht.

Inmitten der Warnstreikwoche hat Verdi am Donnerstag einen Abschluss für 62.000 Telekom-Arbeiter unterzeichnet. Noch am Mittwoch davor hatten tausende Telekom-Beschäftigte in Hessen, Saarland, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen an der Seite der Kollegen im öffentlichen Dienst gestreikt. Der Telekom-Abschluss ist bezeichnend: Er sieht keinen Sockelbetrag für die unteren Lohngruppen vor, sondern nur eine Anhebung von 3,1% zum Ersten Mai 2018 und weiteren 2,1% ein Jahr später. Die Laufzeit beträgt 26 Monate.

Doch es ist keineswegs ausgemacht, dass die Arbeiter des öffentlichen Dienstes einen solchen Ausverkauf akzeptieren werden. Auf den zahlreichen Kundgebungen und Demonstrationen war die Stimmung sehr kämpferisch.

Als ein Verdi-Sprecher auf der Kundgebung in Stuttgart behauptete, dass die Gewerkschaft in der dritten Verhandlungsrunde keinen Abschluss „unter sechs Prozent“ akzeptieren werde, rief eine junge Arbeiterin: „Warum streiken wir dann nicht weiter?“ In Diskussionen stimmten viele Arbeiter damit überein, dass die Große Koalition neue soziale Angriffe unter anderem im öffentlichen Dienst plant und der Streik dagegen ausgeweitet werden müsse.

Vertreter der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) verteilten an vielen Orten die Erklärung „Wie weiter im Streik des öffentlichen Dienstes?“ Sie diskutierten über die Rolle von Verdi und die Notwendigkeit, unabhängige Aktionskomitees zu bilden, den Streik in die eigene Hand zu nehmen und sich mit den kämpfenden Arbeitern in Frankreich, Großbritannien und den USA zusammenzuschließen.

In Leipzig reagierten viele Arbeiter sehr interessiert. Ein Erzieher erklärte, dass die Betriebsräte nicht im Sinne der Belegschaft handeln, sondern die Verschlechterungen der Arbeitssituation mittragen. Verdi sei für die miesen Abschlüsse der letzten Jahre verantwortlich. Das Ergebnis sei eine chronische Unterbelegung, die gerade in der Grippezeit verheerende Auswirkungen für Mitarbeiter und die betreuten Kinder habe.

Andreas

Andreas, der in Frankfurt in der Integration von Jugendlichen arbeitet, erklärte, er unterstütze den Kampf für bessere Löhne und Bedingungen im öffentlichen Dienst „grundsätzlich“. Es sei jedoch „ein Drama“ mit den Gewerkschaften, die eng mit der Regierung zusammenarbeiten. „Die Regierung will zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Rüstung ausgeben, da bleibt doch für Erziehung und das Soziale immer weniger Geld übrig“, sagte Andreas. Er wies darauf hin, dass gerade jetzt „massiv gegen Syrien aufgerüstet“ werde. „Die Bundeswehr unterstützt den Angriffskrieg, indem sie ihre militärische Infrastruktur und Stützpunkte wie die Airbase Ramstein zur Verfügung stellt.“ Das Ganze könnte „schlimm eskalieren“, warnte er.

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