Sozialismus und der Kampf gegen Internetzensur

Die folgende Rede hielt Andre Damon auf der Internationalen Online-Maikundgebung des IKVI 2018. Damon ist ein führendes Mitglied der Socialist Equality Party in den USA.

Als die World Socialist Web Site vor einem Jahr diese Maikundgebung durchführte, befand sie sich auf dem Höhepunkt ihrer neunzehnjährigen Geschichte.

Im Jahr davor hatten fast zehn Millionen Menschen unsere Seite besucht. Im Vormonat besuchten 900.000 einzelne Besucher die WSWS, was einen Anstieg um fünfundzwanzig Prozent in nur vier Monaten bedeutete. Nur wenige Tage später wurde ein Video von uns erstmals mehr als eine Million Mal angeklickt.

Dieses Wachstum kam in den Reden auf der letztjährigen Maiveranstaltung zum Ausdruck. Wir erklärten: „Ohne unbescheiden erscheinen zu wollen, haben das Internationale Komitee und seine Sektionen das volle Recht, im Jubiläumsjahr der Russischen Revolution mit Zuversicht in die Zukunft zu blicken. Der Einfluss der World Socialist Web Site, der Stimme des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, nimmt mit großem Tempo zu.“

Es war eine schlichte Feststellung über den wachsenden Einfluss der WSWS, in dem sich die Ausbreitung sozialistischer Ansichten in der Arbeiterklasse ausdrückte. Zu dieser Einschätzung kamen offenbar auch die Vertreter der Finanzoligarchie bei ihren Beratungen in den sprichwörtlichen verrauchten Hinterzimmern.

Alarmiert durch die Ausbreitung sozialistischer Ansichten, beschloss die herrschende Klasse, dagegen vorzugehen. Sie hat es mit einer unruhigen Arbeiterklasse zu tun, die Krieg und soziale Ungleichheit ablehnt, und die nach jahrzehntelangen Lohnsenkungen und sozialen Angriffe fühlt, dass sie handeln muss. Deshalb kam die herrschende Klasse zum Schluss, dass sie den wachsenden sozialen Widerstand nur eindämmen könne, wenn sie – wie übrigens jedes Polizeiregime der Geschichte – gegen dessen vermeintliche Quelle vorginge: gegen die kritischen Medien.

Ein bekannter Vertreter dieser Ansicht erklärte, die Quelle von „Informationsrebellionen“ seien „Medien, die falsche Geschichten verbreiten. Bring die Waffen zum Schweigen, dann wird auch der Beschuss aufhören.“

Mit anderen Worten, diese Leute haben die Ansicht aller herrschenden Klassen übernommen, die in der Geschichte durch Revolutionen gestürzt worden sind: Sie sind der Meinung, dass die Lösung für die soziale Unzufriedenheit der Polizeiknüppel sei.

Bei der letzten Maiveranstaltung wussten wir noch nicht, dass Google nicht einmal eine Woche davor den ersten Schritt auf einem Weg gegangen war, der zur historischen Verwandlung der führenden amerikanischen Social-Media-Konzerne von Nachrichtenquellen in deren Zensoren führen sollte.

Dieser Schritt wurde in einem diskret formulierten Blogpost angekündigt, in dem es hieß, Google habe Maßnahmen zur „Verbesserung seines Suchsystems“ getroffen, damit „die Menschen leichter finden, was sie suchen“. Wie das Unternehmen später einem Reporter mitteilte, sollten diese Maßnahmen angeblich so gestaltet werden, dass sich in ihnen „keine politischen Vorurteile“ ausdrückten.

Im Verlauf des kommenden Jahres erwiesen sich diese Behauptungen sämtlich als Lügen. Google wollte den Menschen nicht helfen, „dass sie finden, was sie suchen“, sondern vielmehr das genaue Gegenteil erreichen. Wie der Kongressabgeordnete Adam Schiff bei einer Anhörung erklärte, hat Google angeblich die „gesellschaftliche Verpflichtung“ dafür zu sorgen, „dass wir an der Spitze unserer Feeds tendenziell das finden, wonach wir suchen“.

Und genau dafür hat Google gesorgt. Das Unternehmen führte eine umfassende Neubewertung von Millionen von Suchbegriffen durch. Es trennte die Verbindungen, die von häufigen Suchbegriffen wie „Ungleichheit“, „Krieg“, „Demokratische Rechte“ und „Sozialismus“ zu wichtigen linken Websites führten.

Das Hauptzielobjekt dieser Zensur war die World Socialist Web Site, im empirischen wie auch im politischen Sinne. Nur drei Monate nach Googles Ankündigung verlinkte kein einziger der wichtigsten 45 Suchbegriffe der WSWS-Nutzer noch auf die Seite. Infolgedessen sank der Suchtraffic auf die World Socialist Web Site über Google um mehr als drei Viertel, und damit deutlich stärker als bei den zahlreichen anderen linken, Antikriegs- und progressiven Websites, die von Googles Maßnahmen betroffen waren.

Durch den Angriff auf die World Socialist Web Site wurde auf negative Weise anerkannt, dass sie die sozialen Interessen der Arbeiterklasse und die politische Strategie des proletarischen Sozialismus am konsequentesten formuliert, und dass sie damit eine existenzielle Bedrohung für die Kapitalistenklasse darstellt.

Auch hat aufgrund dieser historischen Mission von allen geknebelten Webseiten nur die World Socialist Web Site den Kampf gegen die Internetzensur aufgenommen.

Am 25. August veröffentlichte die WSWS einen offenen Brief, in dem sie erklärte: „Google manipuliert Internet-Suchergebnisse, um den öffentlichen Bekanntheitsgrad und den Zugang zu sozialistischen, linken und Anti-Kriegs-Webseiten einzuschränken (…) Zensur in diesem Ausmaß kommt der Erstellung politischer schwarzer Listen gleich.“

Wir haben das Bündnis der Social-Media-Monopolisten mit dem amerikanischen Militär- und Geheimdienstapparat enthüllt. Wir haben entlarvt, dass Google und Facebook als Werkzeuge des Staates bei seinen Versuchen agieren, den ersten Zusatzartikel der Verfassung zu unterhöhlen.

Google war nicht die Ausnahme, sondern vielmehr Vorbild für Facebook, Twitter und viele andere. Mit der Bekanntgabe seiner Pläne, „Fake News“ zu zensieren, hat Facebook deutlich gemacht, dass es sich genau so verhalten wird, wie es die World Socialist Web Site prognostiziert hat. Da das „Abwürgen“ des „öffentlichen Diskurses“ ein „brisantes Thema“ ist, kündigte das Unternehmen an, es werde die Verbreitung von kritischen Inhalten „deutlich reduzieren“, indem es sie „weiter unten im Newsfeed“ anzeigt. Die Nutzer erfahren nichts von dieser Zensur.

Mit anderen Worten, jedes Wort im offenen Brief der World Socialist Web Site hat sich bestätigt.

Genau wie schon früher ist der Griff der Herrschenden zur Zensur ein Akt der Angst und der Verzweiflung. Die herrschende Elite erkennt an, dass sie der Gesellschaft nichts anzubieten hat, sich aber von der breiten Masse der Bevölkerung umzingelt und belagert fühlt.

Doch Zensur ist nur der Versuch, die Stalltüren zu verriegeln, nachdem das Pferd bereits ausgerissen ist. Keine bankrotte Gesellschaftsordnung hat es jemals geschafft, sich mit Polizeistaatsmethoden am Leben zu erhalten.

Die Zielgruppe für revolutionäre sozialistische Politik war noch nie so groß. Im letzten Vierteljahrhundert ist die internationale Arbeiterklasse durch den Eintritt neuer Massen in Indien, China, Lateinamerika und dem Nahen Osten deutlich angewachsen.

So stark wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit sind die Massen heute miteinander vernetzt und verbunden, nicht nur durch den Produktionsprozess, sondern auch durch das World Wide Web, das dieses Jahr seinen 29. Geburtstag feiert. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung hat Zugang zum Internet und damit zu den großen Errungenschaften der menschlichen Kultur. 200 Jahre nach der Geburt von Karl Marx steht dabei die wissenschaftliche Tradition des Sozialismus an erster Stelle.

Die World Socialist Web Site, die erste wirklich internationale Zeitung der sozialistischen Bewegung, die nun schon seit zwanzig Jahren erscheint, ist selbst Ausdruck der wachsenden objektiven Stärke der internationalen Arbeiterklasse und ihrer Vernetzung.

Wir geben uns keinen Illusionen hin. Der herrschenden Elite ist kein Preis zu hoch, um das politische Erwachen der Massen abzuwürgen. Sie würde dafür sogar das riesige internationale Kommunikationssystem zerstören, auf dem die Weltwirtschaft ruht.

Aber mögen sie auch ihr Schlimmstes tun; wir werden unser Bestes tun!

Vor 80 Jahren erklärte Leo Trotzki bei der Gründung der Vierten Internationale, zu einer Zeit, als Stalins Mörder hunderttausende von Bolschewiki massakrierten: „Die Henker glauben in ihrer Stumpfheit und ihrem Zynismus, uns einschüchtern zu können. Sie irren sich! Unter den Schlägen werden wir kräftiger. Die bestialische Politik Stalins ist nur eine Politik der Verzweiflung. Es ist möglich, einzelne Soldaten unserer Armee zu ermorden, aber nicht, sie einzuschüchtern. Freunde, wir wollen es an diesem Festtag noch einmal wiederholen: Es ist nicht möglich, uns einzuschüchtern.“

So erklären auch wir heute: „Es ist nicht möglich, uns zu zensieren!“ Trotz eines drakonischen Zensurregimes, wie es die Internet-Geschichte nie gesehen hat, wächst die Leserschaft der World Socialist Web Site wieder an, denn Arbeiter und Jugendliche nehmen den Kampf auf.

Der lange erwartete Aufschwung der Arbeiterklasse hat bereits begonnen. Von Bahnarbeitern in Frankreich über Flughafenbeschäftigte in Deutschland bis hin zu den Lehrern in Amerika und den Massen in Nordafrika fegt eine Welle von Militanz der Arbeiterklasse über die Welt. Unsere Aufgabe ist genau das, was die Reaktion am meisten fürchtet: Unsere Aufgabe ist es, diesen Aufschwung der Massen mit dem bewussten Kampf für den Marxismus zu verbinden.

Marx, dessen 200. Geburtstag wir mit dieser Veranstaltung feiern, proklamierte den Grundsatz: „Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift.“

Genossen, wir vertrauen darauf, dass das stolze Vermächtnis von Karl Marx die Massen ergreifen wird. Wir werden die World Socialist Web Site auch im zwanzigsten Jahr ihres Bestehens herausgeben, denn wir stehen vor einer neuen Ära sozialistischer Revolutionen.

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