Perspektive

Die Massendemonstrationen gegen die AfD und der Rechtsruck der etablierten Parteien

Die Massendemonstrationen, die am Sonntag in Berlin gegen einen Aufzug der rechtsradikalen AfD stattfanden, haben den tiefen Graben zwischen dem gesamten politischen Establishment und der großen Mehrheit der Bevölkerung sichtbar gemacht. Während Zehntausende gegen Fremdenfeindlichkeit, Militarismus und Nationalismus auf die Straße gingen, reagieren sämtliche Bundestagsparteien, indem sie eben diese Politik vorantreiben und weiter nach rechts rücken.

Die Veranstalter sprachen von 70.000 Teilnehmern auf insgesamt 13 Demonstrationen und Kundgebungen, die sich den zwei bis dreitausend AfD-Anhängern in den Weg stellten. Die oft sehr jungen Teilnehmer zeigten sich von der braunen Hetze der AfD angewidert und machten deutlich, dass sie eine Rückkehr zur Politik der 1930er Jahre nicht akzeptieren werden.

Viele verbanden den Kampf gegen die Rechtsextremisten mit der Ablehnung von Kriegspolitik, Staatsaufrüstung und der Deportation von Flüchtlingen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Mehrheit der Demonstranten nicht nur die AfD, sondern die rechte Politik sämtlicher Parteien zurückwies.

Die Demonstrationen waren Ausdruck der Linksentwicklung der gesamten europäischen und internationalen Arbeiterklasse. Am Samstag protestierten zehntausende Arbeiter und Jugendliche in ganz Frankreich gegen die Kürzungspolitik von Präsident Macron. In Irland stimmte eine Zwei-Drittel-Mehrheit gegen das drakonische Abtreibungsverbot, und in Deutschland mehren sich Proteste gegen die soziale Katastrophe.

Überall reagiert die herrschende Klasse auf dieses Aufleben des Klassenkampfs mit Diktatur, Nationalismus und Krieg. Das ist der Grund, weshalb von CSU bis Linkspartei alle offiziellen Parteien in Deutschland auf die Massenproteste antworten, indem sie die AfD umarmen und selbst nach rechts rücken. Der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland wurde nur Stunden nach seiner Hetzrede auf der Demonstration zur besten Sendezeit in die ARD-Talkshow von Anne Will eingeladen, wo er seine menschenverachtende Propaganda fortsetzte und unter Zustimmung der anderen anwesenden Politiker die Massendeportation von hunderttausenden Flüchtlingen forderte.

Kurz zuvor war bereits Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vor die Kameras des ZDF getreten und hatte einen „Masterplan“ zur Flüchtlingspolitik angekündigt, der bis aufs Komma dem AfD-Programm entspricht. Unter anderem will Seehofer riesige Internierungslager für Flüchtlinge schaffen, Abschiebungen beschleunigen und die „Begrenzung der Zuwanderung“ sicherstellen. Er werde diesen Plan noch mit anderen Politikern abstimmen und in der nächsten Woche präsentieren, erklärte der Minister.

Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles hatte ihre Unterstützung für Seehofers Internierungslager und Massendeportationen erst am Samstag in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse bekräftigt. Darin sprach sie sich auch für die von der Bundesregierung angekündigte massive Aufrüstung der Bundeswehr aus.

Auch die Linkspartei teilt diese Agenda. Ihre Fraktionschefin Sahra Wagenknecht arbeitet gerade an einer neuen „Volksbewegung“, die sich auf Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit gründen soll. Ein vorab veröffentlichen Konzeptpapier hetzt gegen „Hassprediger eines radikalisierten Islam“ und macht das Flüchtlingsaufkommen in rechtsradikaler Manier für den „Mangel an Sozialwohnungen, überforderte Schulen oder fehlende Kita-Plätze“ verantwortlich.

Die Reaktionen der Vertreter sämtlicher Parteien bestätigen die Einschätzung der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) und ihrer Jugendorganisation, den International Youth and Students for Social Equality (IYSSE). Sie verteilten auf den Demonstrationen als einzige Partei eine politische Erklärung gegen den Aufstieg der Neofaschisten, die deutlich ausspricht, dass die AfD das Produkt der herrschenden Klasse und des Rechtsrucks des gesamten politischen Establishments ist.

„Unter Bedingungen der tiefsten Krise des Kapitalismus seit den 1930er Jahren, weltweiter Kriege und wachsender Konflikte zwischen den Großmächten hat die herrschende Klasse die neofaschistische Kraft gezielt aufgebaut, um ihre Politik des Militarismus, der inneren Aufrüstung und des Sozialabbaus gegen die wachsende Opposition in der Bevölkerung durchzusetzen“, heißt es in dem gemeinsamen Aufruf.

Dass die AfD Fleisch aus dem Fleische der übrigen Parteien ist, zeigt sich schon an ihrer Zusammensetzung. Gauland gehörte 40 Jahre lang der CDU an, bevor er 2013 die AfD mit gründete. Guido Reil, der die Demonstration in Berlin mit organisiert hat, ist Mitglied der Gewerkschaft IG BCE und war 26 Jahre lang Mitglied der SPD. Vor zwei Jahren wechselte er zur AfD. Der Vorsitzende der Berliner AfD, Georg Pazderski, ist ein ehemaliger Oberst der Bundeswehr.

Die rechtsradikalen Standpunkte der AfD wurden in den letzten Jahren von Politik und Medien systematisch salonfähig gemacht. Als Gauland kurz vor den letzten Bundestagswahlen seinen Stolz „auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“ verkündete, konnte er sich auf eine Kampagne stützen, die bereits drei Jahre zuvor im Nachrichtenmagazin Der Spiegel begonnen hatte. Im Februar 2014 erschien dort ein Artikel unter dem Titel „Der Wandel der Vergangenheit“, der eine Neubewertung der deutschen Schuld an den beiden Weltkriegen vornahm.

Als Kronzeugen führte er zwei Professoren der Humboldt-Universität, Herfried Münkler und Jörg Baberowski an, die beide eng mit der Regierung und dem Staatsapparat vernetzt sind. Münkler wurde mit der Aussage zitiert, dass es „hanebüchen“ sei, Deutschland eine Hauptschuld am Ersten Weltkrieg zuzuschreiben. Auf dieser Grundlage lasse sich heute keine verantwortliche Außenpolitik betreiben, so Münkler.

Baberowski übernahm die Aufgabe, die Verbrechen der Nazis zu verharmlosen. Er stellte sich hinter den Nazi-Apologeten Ernst Nolte und erklärte: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.“ Den Holocaust setzte Baberowski auf eine Stufe mit angeblichen Erschießungen während des russischen Bürgerkriegs: „Im Grunde war es das Gleiche: industrielle Tötung.“

Diese bodenlose Geschichtsfälschung kombinierte Baberowski mit einer üblen Hetze gegen Flüchtlinge und der Verharmlosung von Brandanschlägen auf ihre Unterkünfte. Außerdem sprach er sich für Auslandseinsätze der Bundeswehr im Nahen Osten aus, die nicht gewonnen werden könnten, ohne „Geiseln zu nehmen, Dörfer niederzubrennen und Menschen aufzuhängen und Furcht und Schrecken zu verbreiten“, so der Professor.

Als SGP und IYSSE diesen rechtsradikalen und militaristischen Positionen in Flugblättern und auf Veranstaltungen entgegentraten und die schamlose Beschönigung der Nazi-Verbrechen verurteilten, waren sie mit einem Schwall von Verleumdungen und Angriffen konfrontiert. Funktionäre der AfD und rechtsradikale Publikationen wie die Junge Freiheit arbeiteten dabei Hand in Hand mit großen Zeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dem Cicero, der Zeit und der taz sowie mit Vertretern sämtlicher im Bundestag vertretenen Parteien.

Die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Evrim Sommer, lud Baberowski zu einer Veranstaltung ein, verteidigte ihn gegen Kritik und verwies jeden des Saales, den sie verdächtigte, den Professor zu kritisieren. Die SPD-Politikerin und Präsidentin der Humboldt-Universität, Sabine Kunst, verteidigte Baberowski nicht nur, sondern erklärte gar in einem offiziellen Statement „mediale Angriffe“ auf ihn für „inakzeptabel“. Sie erhielt dieses Statement auch aufrecht, nachdem bekannt geworden war, dass Baberowski der Gründer eines rechtsradikalen Netzwerkes ist.

Nun zeigt sich die volle Bedeutung der Offensive der SGP und der IYSSE gegen die Fälschung der Geschichte und gegen die ideologische Kriegsvorbereitung an den Universitäten. Dieselben Parteien, die Baberowski verteidigt und die IYSSE denunziert haben, übernehmen die Politik der AfD, organisieren die Massendeportation von Flüchtlingen, rüsten Polizei, Geheimdienste und Bundeswehr auf und propagieren Nationalismus.

Der Grund dafür liegt wie vor 80 Jahren in der tiefen, globalen Krise des Kapitalismus, der extremen sozialen Polarisierung und den wachsenden Konflikten zwischen den Großmächten. Unter diesen Bedingungen kehrt die herrschende Klasse zu den übelsten Traditionen ihrer Vergangenheit zurück und greift zunehmend offen zu diktatorischen und faschistischen Methoden.

Die Reaktionen der Parteien auf die Massendemonstrationen gegen die AfD zeigen, wie weit diese gefährliche Entwicklung schon vorangeschritten ist. Sie unterstreicht, dass der Kampf gegen rechts nur auf der Grundlage eines sozialistischen Programms geführt werden kann. Die wichtigste Lehre aus der deutschen Geschichte lautet, dass der Kampf gegen Faschismus und Krieg untrennbar vom Kampf gegen ihre Ursache, den Kapitalismus, und gegen alle Parteien ist, die diese bankrotte System verteidigen.

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