Frankreich: Bahnarbeiter demonstrieren nach Votum gegen Macrons Privatisierung

Nachdem die Arbeiter der staatlichen französischen Eisenbahngesellschaft SNCF in einem internen Referendum mit 95 Prozent gegen Präsident Emmanuel Macrons geplante Privatisierung des Unternehmens gestimmt hatten, fanden in ganz Frankreich Protestveranstaltungen statt. Am Donnerstag und Freitag kam es u.a. in Paris, Bordeaux, Avignon und Périgueux zu Protesten. Gleichzeitig wächst unter Arbeitern der Widerstand gegen die militaristische Austeritätspolitik von Macron und der Europäischen Union (EU).

Der Konflikt zwischen der wachsenden Militanz der Arbeiterklasse und der feigen Politik der Gewerkschaften tritt immer offener zutage. Die Gewerkschaftsbürokratien kündigen widersprüchliche Schritte an, spalten die Kämpfe und versuchen gleichzeitig, eine Reform auszuhandeln, die von den Beschäftigten bereits abgelehnt wurde. Jetzt kündigen sie an, die Streiks möglicherweise einzustellen.

Dies bestätigt die Bedeutung des Aufrufs der WSWS zur Bildung von Basiskomitees, die unabhängig von den Gewerkschaften agieren, ihnen die Kontrolle über den Kampf entziehen und sich zu einer politischen Bewegung mit dem Ziel vereinen, die Macron-Regierung zu stürzen. Die Gewerkschaften sind bereits dabei, die Streiks der Bahnarbeiter, im öffentlichen Dienst, bei Air France und in der Elektrizitätsbranche zu spalten und aufzulösen, um die Entwicklung zu einem Generalstreik wie im Mai und Juni 1968 zu verhindern. Ohne Basiskomitees werden sie bald versuchen, die Proteste gegen Macron abzuwürgen.

Reporter der WSWS sprachen mit Farid, der für ein Subunternehmen arbeitet, das an einem der großen Pariser Bahnhöfe Züge wartet. Er begrüßte das Votum der Bahnarbeiter gegen Privatisierung und gegen die Versuche, das Statut der Eisenbahner für neu eingestellte Beschäftigte der SNCF abzuschaffen: „Sie haben Recht! Die Reformen würden bedeuten, dass neu Eingestellte nicht die gleichen Rechte haben wie andere, obwohl sie die gleiche Arbeit machen. Deswegen war es richtig, dass sie das abgelehnt haben.“

Farid wies auf die Folgen hin, die die Abschaffung des Statuts haben würde, und kritisierte die Ungleichheit zwischen Arbeitern, die durch das Statut geschützt werden, und denen von Subunternehmen: „Im Gegensatz zu ihnen verdienen wir nur den Mindestlohn. Die Bahnarbeiter verdienen 2.000 oder sogar 2.500 Euro im Monat, wir bekommen nur den Mindestlohn oder mit Glück bis zu 1.600 Euro. Die Bahnarbeiter haben sich diese Rechte vor langer Zeit erkämpft.“ Farid fügte hinzu, dass die Beschäftigten in Subunternehmen auch schlechtere Bedingungen bei Renten und Zugreisen haben.

Farid erklärte sich bitter enttäuscht über Macron: „Ärmere Leute interessieren ihn überhaupt nicht. Er hat am Anfang so viel versprochen, und jetzt sind wir so enttäuscht. Nicht nur die Bahnarbeiter beschweren sich, sondern alle.“ Er erklärte auch, er sei angewidert über den schnellen Anstieg der Vermögen der Milliardäre in Frankreich: „Man hört das und spürt den Ekel in der Magengrube. Es ist völlig unverschämt, dass nur für die Reichen Geld da ist.“

Er fügte hinzu, viele Arbeiter würden in den Streik treten, wenn sie eine klare Perspektive sehen würden, um ihr Leben zu verbessern. Über die Vorteile, die die Bahnarbeiter durch ihr Statut haben, sagte er: „Natürlich hätten wir sie auch gerne, und wir würden mit ihnen streiken, wenn wir glaubten, wir könnten sie auch bekommen. [...] Wenn ich glauben würde, ich könnte diese Rechte bekommen, dann würde ich mit Sicherheit streiken. Und ich wäre nicht der einzige.“

Allerdings betonte er, dass er nach der jahrelangen Arbeit für das Subunternehmen kein Vertrauen habe, dass die Gewerkschaften einen Kampf organisieren werden. Zum einen kritisierte er die widersprüchliche Politik der Gewerkschaften: „Es gibt zu viele unterschiedliche, konkurrierende Gewerkschaften. Sie kritisieren sich gegenseitig und niemand kann verstehen, was sie wirklich sagen. Die Bosse können sich durchsetzen, weil der eine etwas sagt, der andere das Gegenteil, und keiner mit irgendwem einer Meinung ist.“

Vor allem betonte Farid, er glaube nicht, dass die Gewerkschaften einen Kampf organisieren würden, der das Leben der Arbeiter verbessern würde: „Nein, das glauben wir wirklich nicht mehr. Immer wenn wir Gewerkschaftsdelegierte wählen, halten sie ihre aufmunternden Reden: ‚Stimmt für uns, wir werden dies und das tun.‘ Dann sehen wir sie erst zur nächsten Wahl wieder. Es ist immer das Gleiche. Wir sind es mittlerweile echt gewohnt. [...] Wir sind von ihnen enttäuscht, wir würden lieber unabhängig kämpfen oder uns sonst mit dem abfinden, was passiert.“

Bei den Protesten in Avignon kritisierten die Arbeiter Macrons Reform. Diese setzt er mit Dekreten durch, die sich auf das Arbeitsgesetz stützen, das die Vorgängerregierung unter der Parti Socialiste (PS) trotz Massenprotesten und der Ablehnung von 70 Prozent der Bevölkerung durch das Parlament gepeitscht hatte.

Ein Eisenbahner erklärte gegenüber Jean-François Césarini, dem Repräsentanten von Macrons Partei La Republique en Marche (LRM) für Avignon: „LRM ist ein Verein von Verrätern, der gewählt wurde, indem er die Überzeugungen der Leute verraten hat. Ihr treibt die Bevölkerung in die Armut. [...] Verhandeln bedeutet nicht, dass man der Bevölkerung seinen Willen mit Dekreten aufzwingt. Das ist kein Dialog, sondern Diktatur.“

Es ist unbedingt nötig, vor der Rolle der französischen Gewerkschaften zu warnen. Sie versuchen nicht, das eindeutige Votum der Bahnarbeiter gegen die Reform zu benutzen, um den Kampf gegen Macron zu verschärfen. Stattdessen fürchten sie den wachsenden Widerstand der Arbeiterklasse gegen die Regierung, mit der sie einen Deal aushandeln wollen, und suchen eine Möglichkeit, den Streik auf Kosten der Arbeiter und durch eine Kapitulation vor allen Forderungen der Regierung zu beenden.

Sie haben bereits Verhandlungen mit Premierminister Edouard Philippe zugesagt, obwohl dieser erklärt hat, die Abschaffung des Statuts der Eisenbahner, die Privatisierung der SNCF und die von der EU geforderte Öffnung der französischen Eisenbahn für den internationalen Wettbewerb stünden nicht zur Disposition. Philippe erklärte, er werde nur darüber verhandeln, welchen Teil der Schulden der SNCF der Staat übernehmen könne. Somit signalisieren die Gewerkschaften durch ihre Verhandlungen mit Philippe, dass sie bei den Hauptforderungen der Eisenbahner zur Kapitulation bereit sind.

Am Freitag traf sich Philippe mit den Gewerkschaften und schlug vor, der Staat könnte von den 54,5 Milliarden Euro Schulden der SNCF 35 Milliarden übernehmen.

Der Eisenbahnerbund des nationalen Gewerkschaftsbundes Union nationale des syndicats autonomes (UNSA) reagierte darauf mit dem Versprechen auf eine „sehr schnelle“ Entscheidung über ein Ende des Streiks. Philippe hat in keiner Form angedeutet, dass er seine Haltung zur Abschaffung des Eisenbahnerstatuts oder zur Privatisierung der SNCF ändern werde. Trotzdem erklärte der Generalsektretär des UNSA-Eisenbahnerbundes Roger Dillenseger zufrieden, Philippe habe „uns wirklich zugehört“ und behauptete: „Verhandlungen zahlen sich aus.“

Die stalinistische CGT erklärte zwar, sie werde die Streiks fortsetzen, begrüßte aber Philippes Vorschlag zu den Schulden der SNCF und schlug einen „runden Tisch“ mit der Regierung vor.

Macron, der sich gerade auf Staatsbesuch in Russland bei Präsident Wladimir Putin befand, forderte die Gewerkschaften auf, den Streik zu beenden. Er erklärte, Philippe habe das „letzte Angebot“ der Regierung vorgelegt und die Gewerkschaften sollten keinen weiteren Widerstand mehr organisieren: „Es gibt legitime Kritik an der Reform der SNCF. Aber jetzt sage ich Ihnen, wir sind am Ende des Prozesses angekommen. Der Senat wird den Gesetzentwurf am Dienstag vorgelegt bekommen.“

Wenn sich die Gewerkschaften Macrons Diktat beugen, käme das einem Versuch gleich, die von ihnen ausgerufenen Streiks zu verraten und die historischen Errungenschaften großer Teile der Arbeiterklasse zu verkaufen. Trotzdem ist klar, dass sie genau das vorhaben. Die einzige tragfähige Perspektive für die Arbeiterklasse ist es, sich unabhängig von den Gewerkschaften zu organisieren, um einen politischen Kampf für die Verteidigung ihrer Rechte und für den Sturz der Macron-Regierung zu führen.

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