Süditalien: Erntehelfer aus Mali erschossen

Soumaila Sacko

In Kalabrien ist am 2. Juni ein junger Mann aus Mali erschossen worden. Soumaila Sacko (29) hinterlässt seine Frau und eine fünfjährige Tochter in Mali und Freunde und Kollegen in Süditalien. Er hat als Erntehelfer gearbeitet und als Aktivist der Basisgewerkschaft USB für die Rechte der afrikanischen Tagelöhner gekämpft.

Soumaila Sacko war einer von tausenden von Arbeitern, die als Erntehelfer und Tagelöhner für einen Hungerlohn auf den Obst- und Gemüseplantagen der Agrarbetriebe im Hinterland von Gioia Tauro schuften, und die in Zelten, Baracken oder improvisierten Hütten aus Holz und Plastikplanen leben müssen.

Das Ereignis ist nicht zu trennen vom Rechtskurs der neuen Regierung in Rom, die am selben Tag vereidigt wurde. Die Koalition aus Lega und Fünf Sternen hat angekündigt, innerhalb von 18 Monaten eine halbe Million Flüchtlinge abzuschieben und alle Sans-Papiers in Internierungslagern einzusperren. Der Innenminister und Vizepremier, Lega-Chef Matteo Salvini, hatte wenige Stunden zuvor ausgerufen: „Den Illegalen rufen wir zu: Die Party ist vorbei!“ Sie sollten „ihre Koffer packen“.

Am selben Samstagabend befand sich Soumaila mit zwei Landsleuten unterwegs auf der Suche nach Baumaterial für eine improvisierte Unterkunft. Auf dem Gelände einer verlassenen, ehemaligen Ziegelfabrik suchten sie nach Blechstücken, als ein Unbekannter seinen Fiat Panda anhielt und begann, mit dem Gewehr auf sie zu schießen. Obwohl sie noch versuchten, sich in Deckung zu bringen, wurde Soumaila in den Kopf getroffen. Er starb auf der Stelle. Ein zweiter wurde am Bein verletzt.

Am Montagmorgen legten über 2000 Erntehelfer in San Fernandino, wo Soumaila gelebt hatte, und in der ganzen Umgebung die Arbeit nieder. An einem Protestzug beteiligten sich hunderte Arbeiter, während die Polizei die Unterkünfte der Wanderarbeiter vor Journalisten abriegelte.

Ein Freund von Soumaila hielt eine Rede, in der er die „absolute Sklaverei und Ausbeutung“ anprangerte und sagte: „Soumaila hat – wie viele Arbeiter hier – für wenige Euro am Tag geschuftet (…) Er war ein Mensch und ein Arbeiter. Er war Erntearbeiter wie tausende in Italien. Wir wollen die volle Wahrheit wissen, wir fordern Gerechtigkeit. Und wir verlangen vernünftige Unterbringung für alle Arbeiter!“

Die Todesschüsse haben erneut den Blick auf die entsetzlichen Umstände gerichtet, unter denen tausende Wanderarbeiter in Süditalien leben müssen, während sie die Orangen, Zitronen, Mandarinen, Tomaten und Kiwi einbringen, die in ganz Europa verkauft werden. Sie erhalten dafür etwa 25 Euro am Tag, von dem aber meist der Vorarbeiter noch einen Pizzo [Schutzgeld] von fünf Euro abzieht. Ein großer Teil der Arbeiter haben gar keinen Arbeitsvertrag, sondern sie werden als Tagelöhner für ein paar Stunden angeheuert und nach gefüllten Kisten bezahlt.

Die Ärzteorganisation Medu, die Sanitätsstellen für die Wanderarbeiter unterhält, hat Berichte über ihre extrem schlechte Versorgung und gesundheitliche Verfassung veröffentlicht. Die Ärzte beklagen, dass die Arbeitgeber weder Mineralwasser noch Arbeitshandschuhe und Sicherheitsschuhe zur Verfügung stellten. Auch müssten die Arbeiter lange Wegstrecken zu Fuß zurücklegen, weil es keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt. Infolge der harten körperlichen Arbeit seien die Arbeiter oftmals krank, und viele seien unterernährt. Die Arbeiter lebten zu Dutzenden zusammengepfercht in Massenunterkünften, die weder über Strom noch über fließendes Wasser verfügten. Auch sei die Toilettensituation katastrophal und völlig unhygienisch.

Der Ort San Fernandino liegt in unmittelbarer Nachbarschaft von Rosarno, der Stadt, in der es vor acht Jahren zu einem Massenaufstand gekommen war. Damals wurden von den Politikern große Versprechungen gemacht, bessere Unterkünfte und Bedingungen für die Wanderarbeiter zu schaffen. Doch im Wesentlichen haben sich nur zwei Dinge geändert: die polizeiliche Präsenz wurde aufgestockt, und außerhalb von Rosarno wurden große Zeltstädte errichtet, in denen die Arbeiter heute genauso elend leben wie damals in den Lagerhäusern.

Die meist jungen Arbeiter stammen aus Mali, Burkina Faso, Ghana, Elfenbeinküste oder Senegal, und viele von ihnen haben keine Papiere und werden deshalb wie Sklaven behandelt. Die Obst- und Gemüseernte wird in wachsendem Maß von der ’Ndragheta, der kalabresischen Mafia, kontrolliert.

Bezeichnenderweise schrieben mehrere Zeitungen zunächst, Soumaila sei beim Stehlen überrascht worden. Das ist offensichtlich nicht wahr, da der Tatort, die stillgelegte Ziegelei, seit Jahren verfallen und verlassen ist. In Wirklichkeit lässt die Tatsache, dass Soumaila aktiver Gewerkschafter war, auch ganz andere Schlüsse zu. In jedem Fall hat hier jemand kaltblütig, bewusst und gezielt auf die afrikanische Arbeiter geschossen.

Am Dienstag wurde ein 43-jähriger Landwirt namens Pontoriero festgenommen. Das Phantombild, das mit Hilfe der zwei Überlebenden erstellt wurde, und die Hinweise auf das Auto führten zu ihm, und Pontoriero wurde unter Mordverdacht festgenommen. Wie die Zeitung Corriere della Sera schreibt, soll die Familie Pontoriero in Verbindung mit der Ndrangheta stehen. Dieser Mafia-Zweig beherrscht in der Region große Teile des Geschäfts mit Gemüse und Zitrusfrüchten.

Am Dienstag und Mittwoch gab es Streiks und Proteste unter anderem in Vibo (Kalabrien), Melfi (Basilicata), Teramo (Abruzzen), Cagliari (Sardinien) und Vicenza (Veneto), während die Basisgewerkschaft USB und mehrere NGOs und andere Organisationen weitere Demonstrationen angekündigt haben. Die Proteste richten sich auch gegen die neue Regierung und ihren erklärten rassistischen Kurs.

Der neue Ministerpräsident, Giuseppe Conte, sah sich in seiner Antrittsrede im Senat gezwungen, auf den Fall einzugehen. „Wir sind durchaus nicht gefühllos“, behauptete Conte, der den Mord an Soumaila Sacko einen „tragischen und beunruhigenden Zwischenfall“ nannte. Die Politik werde sich „um das Drama dieser Personen kümmern“, erklärte Conte.

Offensichtlich ist die Besorgnis der neuen Regierung groß, dass sich die Proteste im Süden mit Streiks und Demonstrationen im Norden verbinden könnten. Für den kommenden Samstag, den 9. Juni soll in Mailand eine größere Demonstration gegen Rassismus und Ausbeutung stattfinden.

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