Scharfe Spannungen vor dem G7-Gipfel in Kanada

Der G7-Gipfel, der gestern in der kanadischen Provinz Quebec begann, ist von ungewöhnlich scharfen Spannungen zwischen den Teilnehmern geprägt, insbesondere zwischen den USA auf der einen und Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, Kanada und Japan auf der anderen Seite.

Unmittelbar stehen die Gefahr eines eskalierenden Handelskriegs, die einseitige amerikanische Kündigung des Atomankommens mit dem Iran und der Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen im Zentrum der Konflikte. Aber dahinter verbergen sich geopolitische Verschiebungen, die sich unabhängig davon, wie der Gipfel in Kanada ausgeht, weiter vertiefen werden.

Die Weltlage erinnert zunehmend an die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, als heftige Gegensätze zwischen den imperialistischen Mächten zu zwei verheerenden Weltkriegen, erbitterten Klassenkämpfen und faschistischen Diktaturen führten. Mehrere führende europäische Politiker sprachen vor dem Gipfel ungewohnt deutlich aus, dass sie von einer weiteren Zuspitzung des Konflikts mit den USA ausgehen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron kommentierte die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, Strafzölle auf Stahl- und Aluminium-Importe aus der Europäischen Union erheben, mit den Worten: „Der wirtschaftliche Nationalismus führt zum Krieg. Das ist genau das, was in den 1930er Jahren passiert ist.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel bemerkte in einem langen Interview, das am letzten Sonntag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschien „Wir stehen vor umfassenden Problemen, weil sich die gesamte Weltordnung ändert. Wir erleben, dass nach der Bipolarität des Kalten Krieges die Welt multipolar wird.“ Amerika bleibe zwar Supermacht, bekenne sich „aber nicht in allen Bereichen zu den multilateralen Vereinbarungen“.

Am gestrigen Freitag griff dann der deutsche Außenminister Heiko Maas den amerikanischen Präsidenten in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung scharf an. Maas warf Trump vor, er bedrohe mit der Aufkündigen des Atomabkommens mit dem Iran „unsere Sicherheitsinteressen“ und nehme bei seinen Entscheidungen „bewusst in Kauf, dass die Nachteile sich unmittelbar auf Europa auswirken“.

„Wir waren gewohnt, dass man sich auf das verlassen konnte, was verabredet wurde. Das hat sich grundlegend verändert“, sagte Maas. Er betonte zwar, dass die USA „unser engster Partner außerhalb der EU“ bleiben, fügte aber hinzu: „Diese Partnerschaft müssen wir allerdings neu vermessen. … Es gibt Differenzen, die können wir nicht mehr unter den Teppich kehren.“

Maas kleidet seine Kritik an Trump wie die meisten europäischen Politiker in hohle Phrasen über Werte, Frieden, Sicherheit und Multilateralismus. Tatsächlich bewegen sich Deutschland und Europa in dieselbe Richtung wie die USA unter Trump, und das sowohl in der Außen- wie in der Innenpolitik.

„Die Antwort auf ‚America first‘ kann nur ‚Europa United‘ sein“, verkündete Maas. „Europa wird herausgefordert, nicht nur Deutschland; also brauchen wir eine europäische Antwort.“ Dieses Thema zieht sich wie ein roter Faden durch sein gesamtes Interview: Wir müssen „uns in Europa noch enger zusammenschließen“; „die erste Antwort kann immer nur ein geschlossenes Europa sein“; „unser Ziel muss es sein, die Geschlossenheit Europas zu bewahren“; usw.

Das „geschlossene Europa“, das Maas, Merkel, Macron und anderen vorschwebt, ist nichts weiter als eine europäische Version von Trumps „America first“ – ein schwer bewaffneter Kontinent, dominiert von Deutschland und Frankreich, der imperialistische Interessen mit militärischer Gewalt verfolgt, die Arbeiterklasse einem strikten Sparregime unterwirft, die Grenzen abschottet und durch die Hetze gegen Flüchtlinge ultrarechten Kräften Aufschwung verleiht.

Während die deutsche Regierung alle Forderungen blockiert, die zu einer finanziellen Umverteilung im wirtschaftlich und sozial gespaltenen Europa führen könnten, unterstützt sie Macrons Initiative für eine europäische Armee, die auch unabhängig von der US-dominierten Nato weltweit intervenieren kann.

„Europa muss nach außen und innen handlungsfähig sein, um mit seiner Stimme in der Welt ernst genommen zu werden“, betonte Merkel im FAS-Interview. Ausdrücklich stellte sie sich hinter Macrons Vorschlag einer „Interventionstruppe mit einer gemeinsamen militärstrategischen Kultur“. Die „europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verteidigung“ müsse „durch gemeinsames strategisches Handeln im Einsatz ergänzt werden“, forderte sie. Die Zusammenarbeit im EU-Rahmen könne „für ein Land wie Großbritannien zusätzlich“ geöffnet werden.

Maas ergänzte das Streben nach militärischer Eigenständigkeit um außenpolitische Initiativen, die sich teilweise direkt gegen die USA richten. Er bezeichnete sie als „unterschiedliche Projektpartnerschaften mit anderen Staaten … jenseits der klassischen Bündnisse wie etwa der Nato“. So säßen die Europäer bei der Atomvereinbarung „in einer Interessengruppe mit den Iranern, den Russen und den Chinesen“. Beim „Thema Syrien arbeiten wir mit den Amerikanern, den Saudis und unseren europäischen Partnern an einer Lösung“.

Das Bemühen Deutschlands, Frankreichs und anderer europäischer Mächte, sich militärisch und außenpolitisch von den USA abzukoppeln, stärkt allerdings die zentrifugalen Tendenzen innerhalb Europas. Das Dämpfen der nationalen Gegensätze, die Europa zum Schauplatz zweier Weltkriege gemacht hatten, war nicht zuletzt ein Ergebnis der dominierenden Stellung der USA. Vor allem im Kalten Krieg konnte keine kapitalistische Regierung in Europa auf die militärische Unterstützung der USA verzichten.

Die wachsenden Konflikte mit den USA schweißen die europäische Bourgeoisie nicht zusammen, sondern verschärfen die nationalen Gegensätze in Europa. Erstmals nimmt mit der italienischen eine Regierung an einem G7-Gipfel teil, in der eine rechtsextreme, nationalistische Partei, die Lega Matteo Salvinis, eine tonangebende Rolle spielt.

Maas reagiert auf die wachsenden Spannungen innerhalb der EU mit dem Vorschlag, „das Prinzip der Einstimmigkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik“ zugunsten von „Mehrheitsentscheidungen“ aufzugeben – d.h. kleineren Staaten in Zukunft die Außenpolitik zu diktieren. Das kann die Spannungen innerhalb der EU nur weiter verschärfen.

Das Hauptopfer der zunehmenden Militarisierung der Europäischen Union ist die Arbeiterklasse, die seit Jahren unter den Spardiktaten aus Brüssel und Berlin zu leiden hat. Nun muss sie auch noch die immensen Kosten der Militarisierung tragen und wird zum Hauptziel staatlicher Aufrüstung und Unterdrückung.

Hier regt sich zunehmend Widerstand, der die objektive Voraussetzung für den Kampf gegen Militarismus und Nationalismus auf beiden Seiten des Atlantiks bildet. Die Antwort auf Trump ist nicht die Stärkung des deutschen und europäischen Imperialismus nach dem Motto, „Wir dürfen uns nicht wegducken“ (Maas), das auch von der Linkspartei und den Grünen bis hin zur rechtsextremen AfD unterstützt wird, sondern die Vereinigung der europäischen und amerikanischen Arbeiterklasse im Kampf für sein sozialistisches Programm.

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