Demonstration von 18.000 Bauarbeitern in Zürich

Am 23. Juni haben in Zürich über 18.000 Bauarbeiter für die Beibehaltung einer Frührente ab 60 Jahren demonstriert. Der Schweizer Baumeisterverband will das Rentenalter für Bauarbeiter wieder auf 62 Jahre anheben oder ihre Frührenten massiv kürzen.

Deutlich mehr als erwartet waren gekommen, wie Nico Lutz, Sektorleiter Bau der Gewerkschaft Unia, einräumte. Es sei „die größte Bauarbeiterdemo, die Zürich je gesehen hat“. Die Bauarbeiter marschierten im roten T-Shirt mit großer 60 drauf in einem Zug, den ein Schaufelbagger anführte, vom Central (nahe des Hauptbahnhofs) zum Helvetia-Platz am See.

Der Zug der Bauarbeiter durch Zürich

Kurz zuvor hatte eine Umfrage der Unia unter 20.000 Arbeitern auf den Baustellen ergeben, dass 93,1 Prozent einen Streik gegen die angekündigten Angriffe der Bauunternehmer begrüßen würden. Die Frührente mit 60, eine für Bauarbeiter existenzielle Frage, ist vor 16 Jahren durch einen nationalen Streik erkämpft worden.

Sie wird seit 2003 über die Stiftung Flexibler Altersrücktritt (FAR) und die nationale Pensionskasse BVG finanziert. Die BVG hat im Mai den Vertrag mit der Baubranche aufgekündigt, weil angeblich zu viele Bauarbeiter die Frührente in Anspruch genommen hätten. Das bedeutet, dass die heute 59-Jährigen nicht mehr zu den alten Bedingungen aufgenommen werden und gezwungen sein werden, länger zu arbeiten oder eine um mehrere hundert Franken verminderte Rente zu akzeptieren.

Das wäre ein großer Betrug an den Bauarbeitern, die jeden Monat zwei Prozent ihres Lohnes extra dafür einzahlen, um die Frührente zu finanzieren. Auch die Baumeister legen 6 Prozent des Arbeiterlohns in die FAR ein. Allerdings sind diese Beiträge der Unternehmer durch Lohnverzicht teuer erkauft. Die Gewerkschaften haben nämlich in den letzten Jahren trotz boomender Baukonjunktur ausdrücklich auf Lohnerhöhungen verzichtet und Sorge getragen, dass es nicht zum Arbeitskampf kommt.

Dadurch ermutigt, argumentieren die Baumeister jetzt, dass die „demografische Entwicklung unterschätzt“ worden sei, und dass die Frührente ab 60 auf dem Bau nicht mehr finanzierbar sei. In Wirklichkeit waren sie von Anfang an gegen diese Frührente, die der Baumeisterverband als „marodes und ineffizientes System“ bezeichnet, und haben schon mehrfach versucht, sie wieder rückgängig zu machen.

Dabei gehört die Bauindustrie zu den lukrativsten Wirtschaftszweigen überhaupt. Die Bruttowertschöpfung im Schweizer Baugewerbe hat sich in zehn Jahren, von 2006 bis 2016, um rund zehn Milliarden, von 25 auf 35 Milliarden Schweizer Franken, erhöht.

Nicht genug mit dem Angriff auf die Frührente, hat der Schweizerische Baumeisterverband eine Reihe von weiteren Angriffen angekündigt, die er zum Ende dieses Jahres durchsetzen will, wenn der Landesmantelvertrag (LMV) ausläuft. Dieser Vertrag gilt für rund 80.000 Beschäftigte im Bauhauptgewerbe.

Neben dem Vorschlag, das Frührentenalter auf 62 Jahre zu erhöhen oder die Frührente massiv zu kürzen, wollen die Bauunternehmer die Löhne für ältere Bauarbeiter senken, die Kündigungsfristen verkürzen und die maximale Wochenarbeitszeit auf 50 Stunden anheben. Momentan liegt die normale wöchentliche Arbeitszeit bei maximal 45 Stunden, und für Überstunden werden Zuschläge fällig.

Viele Bauarbeiter trugen in Zürich Plakate mit Lohnforderungen und protestierten gegen die Bedingungen von Stress, Termindruck und Überstunden, die am Bau vorherrschen.

Besonders bedroht sind zurzeit die älteren Arbeitnehmer. Immer öfter werden ältere, fest eingestellte Bauarbeiter entlassen und durch Zeitarbeiter ersetzt. Eine Sendung des Schweizer Fernsehens SRF deckte vor wenigen Tagen auf, dass immer mehr Unternehmer in der Baubranche Kündigungen vornehmen und dann ihre Maurer, Eisenflechter, Schaler, Betonierer oder Zimmerleute über Personalvermittler temporär einstellen.

Gerade Arbeiter im Alter von 50 bis 55 Jahren werden entlassen und finden nur noch über Zeitarbeit eine Anstellung. Es kommt auch vor, dass sie bei ihrem alten Betrieb als Zeitarbeiter zu schlechteren Bedingungen wieder eingestellt werden. Einer Untersuchung zufolge hat unter den Über-Fünfzigjährigen der Anteil der temporär Beschäftigten allein im Jahr 2016 um 20 Prozent zugenommen.

Diese Arbeiter verlieren oftmals auch ihren Anspruch auf Rente mit 60, weil sie dafür nach den FAR-Regeln in den letzten sieben Berufsjahren nicht mehr als zwei Jahre arbeitslos sein dürfen, während sie als Zeitarbeiter in den Wintermonaten sehr oft keine Arbeit finden.

Auf vielen Baustellen arbeiten Schweizer Bauarbeiter Hand in Hand mit Kollegen aus den umliegenden Ländern. Vor allem im alpinen Straßen- und Tunnelbau schuften zahlreiche Grenzgänger aus Italien, die dafür täglich stundenlange Arbeitswege auf sich nehmen. Italienische Bauarbeiter verdienen oft deutlich weniger als ihre Schweizer Kollegen. Von ihrem Lohn könnten sie sich in der teuren Schweiz niemals niederlassen.

Dennoch haben viele von ihnen an der Zürcher Bauarbeiterdemonstration teilgenommen. Aus Lugano fuhr ein Extrazug nach Zürich, und die Tessiner Abteilung stellte an der Demonstration das größte Kontingent.

Die Gewerkschaften sind jedoch weder in der Lage noch willens, die Interessen der Bauarbeiter konsequent zu vertreten. Sie vertreten dieselbe nationalistische und bürgerliche Perspektive wie die Schweizer Unternehmer.

Auf den Baustellen in der Schweiz wird neben schweizerdeutsch, französisch und italienisch oft auch deutsch, polnisch, kroatisch, spanisch, portugiesisch oder englisch gesprochen. Die Gewerkschaften tragen jedoch eher zur Spaltung zwischen schweizerischen und ausländischen Arbeitern bei.

Zum Beispiel fassen sie ein großes Problem in der Baubranche, das Lohndumping durch ausländische Subunternehmer, als rein nationale Frage auf. Sie versuchen, Schweizer Löhne und Standards durch stärkere Abschottung und Kontrollen zu bekämpfen, und unterstützen sogar Razzien der Polizei auf den Großbaustellen. Diese gehen aber vor allem zu Lasten der nicht-angemeldeten ausländischen Arbeiter, während dubiose Subunternehmer sich rechtzeitig absetzen oder ihre Namen wechseln.

Die Gewerkschaften und vor allem Unia, die größte unter ihnen, sind enger Partner der Sozialdemokratie. Diese sitzt mit vier anderen bürgerlichen Parteien permanent in der Schweizer Regierung. Gemeinsam mit den Wirtschaftsverbänden setzen diese Parteien seit Jahren Privatisierungen und Deregulierungen durch und bauen Renten-, Sozial- und Krankenversicherung ab. Dadurch hat sich in der Schweiz, einem der reichsten Länder der Erde, die soziale Polarisierung enorm verschärft.

Es liegt auf der Hand, dass die Bauarbeiter sich gegen die Angriffe von Unternehmern und Banken nur verteidigen können, wenn sie sich unabhängig von der Gewerkschaftsbürokratie international zusammenschließen. Dafür brauchen sie ein sozialistisches und internationales Programm.

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