Seehofers „Masterplan“: Internierungslager für Flüchtlinge und Massenabschiebungen

Am Dienstag stellte Bundesinnenminister Horst Seehofer seinen berüchtigten „Masterplan Migration“ vor. Mit ihm übernimmt die Große Koalition endgültig die Flüchtlingspolitik der rechtsextremen AfD. Seehofers Plan sieht unter anderem die brutale Abschottung der „Festung Europa“, nationale Maßnahmen zur Grenzsicherung, die Errichtung geschlossener Lager für Flüchtlinge in Deutschland und ganz Europa und Massenabschiebungen in die Kriegsgebiete des Nahen und Mittleren Ostens vor.

Bezeichnenderweise pries die Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion Alice Weidel Seehofers „Masterplan“ als eine „Ankündigung in die richtige Richtung“. Er beinhalte durchaus „programmatische AfD-Punkte“. Der Vorsitzende der AfD Alexander Gauland erklärte: „Herr Seehofer hat einige richtige Punkte angesprochen. Sachleistungen statt Geldleistungen, das würden wir auch so sehen.“ Eine „Asylwende“ könne man die Pläne nennen, „wenn wirklich zurückgewiesen würde an den deutschen Grenzen“. Deutschland werde sich dem „selbst unter dieser Bundeskanzlerin nicht verschließen können, weil wir sonst auf all den Flüchtlingen sitzen bleiben“.

Seehofer betonte auf seiner Pressekonferenz zwar mehrmals, dass sein „Masterplan“ die Handschrift des Innenministeriums trage, aber andere hochrangige Regierungsvertreter ließen keinen Zweifel daran, dass er im Kern von allen Regierungsparteien unterstützt wird. „Der Masterplan, der jetzt vorgestellt wird vom Bundesinnenminister, der ist in der Koalition abgestimmt“, so der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Volker Kauder. „Jetzt wird der Masterplan ja in der Regierung umgesetzt und wir unterstützen das.“ Man habe sich „mit der SPD verständig und das führt auch dazu, dass wir in den Bundesländern vorankommen.“

Bereits Ende letzter Woche hatten sich CDU, CSU und SPD auf ein reaktionäres Asylpaket geeinigt. Es sieht unter anderem vor, Flüchtlinge, die bereits in einem anderen Land registriert wurden, an der deutsch-österreichischen Grenze zurückzuweisen. Außerdem können Flüchtlinge von der Bundespolizei verhaftet und 48 Stunden inhaftiert werden, ehe sie entweder abgeschoben oder in sogenannte Ankerzentren überführt werden.

Seehofers provokatives Auftreten auf der Pressekonferenz vermittelte einen Eindruck davon, mit welcher Geschwindigkeit und Brutalität die herrschende Klasse nun ihre Offensive gegen Flüchtlinge verschärft. Mit zynischem Grinsen kommentierte der Innenminister die bislang größte Massenabschiebung nach Afghanistan vor wenigen Tagen mit den Worten: „Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war“.

Seehofers „Masterplan“ pocht explizit auf die Durchführung nationaler Grenzkontrollen und den Aufbau geschlossener Flüchtlingslager auch in Deutschland. Im Abschnitt „Binnengrenzen“ heißt es: „An der deutsch-österreichischen Grenze wird ein neues Grenzregime ausgestaltet, das sicherstellt, dass Asylbewerber, für deren Asylverfahren andere EU-Länder zuständig sind, an der Einreise gehindert werden. Wir richten dafür Transitzentren ein, aus denen die Asylbewerber direkt in die zuständigen Länder zurückgewiesen werden (Zurückweisung auf Grundlage einer Fiktion der Nichteinreise).“

Die bereits bestehenden Massenlager in Europa und Afrika, in denen Flüchtlinge nahezu rechtlos sind – und wie ihn Libyen sogar gefoltert, versklavt und getötet werden – sollen massiv ausgeweitet werden. In Punkt 22 des Masterplans steht: „Festigung der Strukturen an der Außengrenze: Unterstützung der Erstaufnahmezentren in Italien und Griechenland durch ausreichend Personal der Mitgliedstaaten. Ausweitung des Konzepts für Hotspots / kontrollierte Einrichtungen im Sinne der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 28. Juni 2018.“

Und in Punkt 23 heißt es: „Entwicklung eines Standardmodells für europäische Erstaufnahmeeinrichtungen: Erarbeitung einer deutschen Initiative gegenüber der EU-Kommission zur Entwicklung eines Standardmodells für Hotspots / kontrollierte Einrichtungen. Dadurch Gewährleistung der Übertragbarkeit auf andere Regionen im Bedarfsfall.“ Punkt 11 fordert die „Einrichtung von sog. ‚Sicheren Orten‘ zur Verhinderung weiterer Flucht- und Migrationsbewegungen“ in Nordafrika und in der Sahel-Region.

Die Entwicklung eines derart umfassenden Systems geschlossener Lager – nichts anderes sind die „Hotspots“, „Transfer-“ bzw. „Ankerzentren“ und „Sicheren Orte“ – ist eine ernste Warnung. Wie die ersten Konzentrationslager in den 1930er Jahren werden sie sich gegen politische Oppositionelle richten und letztlich gegen die Arbeiterklasse insgesamt. Eine genauere Lektüre von Seehofers „Masterplan“ lässt keinen Zweifel daran, dass die herrschende Klasse wieder an ihre faschistischen Traditionen anknüpft. Ganze Passagen erinnern an die bürokratischen Maßnahmen und Bezeichnungen, mit denen die Nazis ihre Terrorherrschaft organisiert haben.

Zur „besseren Identifizierung und Sicherheitsüberprüfung von Drittstaatsangehörigen“ wird in Punkt 37 etwa die „Nutzung der AZR-Nummer zur eindeutigen Identifizierung“ und der „Ausbau des Ausländerzentralregisters (AZR) zum alleinigen zentralen Ausländerdateisystem“ gefordert. Die Nummerierung von Flüchtlingen soll dabei europaweit erfolgen und dient explizit der Vorbereitung von Massendeportationen. „Ausweitung der Speichertatbestände im AZR zur besseren Steuerung von Rückführungen und freiwilligen Ausreisen sowie gewährten Ausreiseförderungen und bessere Identifizierung bei Rückführungen“, heißt es im gleichen Punkt.

Selbst vor Kindern und Jugendlichen macht die Gewalt nicht halt. Unter anderem sollen das „Mindestalter für die Abnahme von Fingerabdrücken auf den Zeitpunkt der Vollendung des sechsten Lebensjahres“ herabgesetzt werden. Bei „Zweifeln an der Minderjährigkeit“ stünde eine „verbindliche medizinische Altersfeststellung“ an.

Innerhalb und außerhalb der Lager werden Flüchtlinge regelrecht tyrannisiert. „Wir wollen keine Zuwanderung in unsere Sozialsysteme. Unsere Sozialleistungen dürfen keinen Anreiz für den Zuzug nach Deutschland bieten. Deswegen muss die Ausgabe von Sachleistungen gegenüber Geldleistungen Vorrang haben“, heißt es in der Präambel. Punkt 39 will die „Bezugsdauer von niedrigeren Leistungen... auf 36 Monate, statt aktuell 15 Monate“ verlängern und verlangt die „Ermöglichung der Aufnahme von gemeinwohlorientierter Erwerbstätigkeit […] zur Strukturierung des Tagesablaufs“. Die euphemistische Ausdrucksweise kann nicht darüber hinwegtäuschen, was hiermit gemeint ist: schlecht bezahlte Zwangsarbeit.

Die Ruf nach Massendeportationen zieht sich wie ein roter Faden durch das Dokument. „Vollziehbar Ausreisepflichtige müssen unser Land zeitnah verlassen“, heißt es im Abschnitt „Rückkehr“. Und: „Die Zahlen der freiwilligen Rückkehr und der Rückführung müssen deutlich gesteigert werden.“ Bereits in der Präambel wird das Ziel formuliert: „Es gilt das Versprechen, die Zahl der nach Deutschland und Europa flüchtenden Menschen nachhaltig und auf Dauer zu reduzieren, damit sich eine Situation wie die des Jahres 2015 nicht wiederholen wird und kann.“

Punkt 59 fordert die „praktikablere Ausgestaltung der Abschiebungshaft“ sowie die „Sicherstellung der tatsächlichen Greifbarkeit von Ausreisepflichtigen und Verhinderung von Untertauchen im Falle bevorstehender Abschiebung“. Sämtliche „Ressourcen für Abschiebungshaft“ müssten genutzt und die Länder „zum Aufbau ausreichender Haftplätze für Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam“ angehalten werden. An Verkehrsflughäfen gelte es „eigene Gewahrsamseinrichtungen… zur Erleichterung von Sammelabschiebungen“ zu schaffen.

Der gesamte „Masterplan“ der großen Koalition macht deutlich, dass sich das brutale Vorgehen gegen Flüchtlinge gegen die Arbeiterklasse insgesamt richtet und darauf abzielt einen veritablen Überwachungs- und Polizeistaat zu errichten. Das Papier fordert u.a. den „Ausbau und die Stärkung der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit“ sowie den „Ausbau des Verbindungsbeamten-Netzwerkes der Bundespolizei in den Herkunfts- und Transitländern“.

Die Staatsaufrüstung nach innen ist dabei direkt mit der Verschärfung der neokolonialen Kriegspolitik nach außen verbunden. Es gehe um die „Weiterentwicklung der zivilen VN- und EU-Polizei-Missionen in Herkunfts- und Transitländern zur Stabilisierung der Sicherheitslage in betroffenen Staaten“ und die „Bildung eines Personalpools zum Ausbau der deutschen Beteiligung an internationalen Polizeieinsätzen und somit Erleichterung der Entsendung in Auslandseinsätze“, heißt es gleich im ersten Abschnitt.

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