Eröffnungsbericht an den Fünften Parteitag der Socialist Equality Party (US)

Der fünfte Parteitag der Socialist Equality Party tritt inmitten einer explosiven Interaktion politischer, wirtschaftlicher und sozialer Prozesse zusammen.

Internationale Bündnisse zwischen imperialistischen Mächten, auf denen die Geopolitik seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs basiert hatte, lösen sich auf. Langjährige Verbündete werden zu Feinden und rüsten militärisch auf. Der Widerspruch zwischen der Verflechtung der Weltwirtschaft und dem kapitalistischen Nationalstaatensystem führt zwangsläufig zum Weltkrieg. Hauptakteur dieser Krise ist der amerikanische Imperialismus, der seine überlegene militärische Macht bedenkenlos einsetzt, um seinen langfristigen wirtschaftlichen Niedergang auszugleichen.

Die fremdenfeindlichen Hetztiraden von Donald Trump sind ein besonders plumper Ausdruck der Entschlossenheit der amerikanischen herrschenden Klasse, die globale Hegemonie der Vereinigten Staaten aufrechtzuerhalten. Trotz des wirklich bösartigen Konflikts zwischen den verschiedenen Fraktionen der amerikanischen Oligarchie wäre es ein schwerer politischer Fehler zu glauben, dass sich die strategischen Ziele von Trump einerseits und den Demokraten und deren Verbündeten in den Geheimdiensten andererseits grundlegendend unterscheiden würden. Mit Sicherheit gibt es innerhalb dieser Konfliktparteien keine Tendenz, die die Interessen der Arbeiterklasse vertritt. Die Entscheidung, wer „schlimmer“ ist – Trump oder seine Gegner in der Demokratischen Partei – ähnelt der Frage, ob man lieber von einer Kobra totgebissen oder von einer Boa Constrictor erwürgt werden möchte.

Manchmal ist man geneigt zu glauben, schlimmer als Trump könne es nicht kommen. Doch wenn man sieht, wie der Senator der Demokratischen Partei, Mark Warner, Russland mit Krieg droht und die Demokraten im Repräsentantenhaus „USA, USA!“ grölen, dann erscheint Trump im Vergleich dazu fast zivilisiert. Die einzig richtige Antwort ist daher, in Anlehnung an Shakespeare: „Zum Teufel beider Sippschaft!“

So erbittert ihre Differenzen über die Taktik auch sein mögen, alle Teile der US-Finanzoligarchie sind sich über das strategische Ziel einig: die Erhaltung der globalen Hegemonie der Vereinigten Staaten. Ob mit der NATO oder gegen sie; ob durch Krieg im Bündnis mit Deutschland gegen Russland oder im Bündnis mit Russland gegen Deutschland; oder ob durch die Anwendung von wirtschaftlichem Druck oder militärischer Gewalt gegen China: Die Vereinigten Staaten werden jedes Mittel einsetzen, das sie für nötig halten, und zwar gegen jedes Land, das sie als Bedrohung ihrer Interessen ansehen. Wie Trotzki bereits 1928 mit erstaunlicher Voraussicht schrieb: „Während der Krise wird sich die Hegemonie der Vereinigten Staaten noch viel vollständiger, offener, schärfer und rücksichtsloser auswirken, als während der Aufstiegsperiode.“[1]

Alle Großmächte rüsten fieberhaft auf. Die Zunahme des Militarismus und der fortgeschrittene Stand der Kriegsvorbereitungen verstärken die wirtschaftliche Belastung der Arbeiterklasse und erfordern immer größere Einschränkungen traditioneller Verfassungsrechte. Die Krise der bürgerlich-demokratischen Herrschaftsformen macht sich überall auf der Welt bemerkbar. Die ägyptische Konterrevolution von 2013 war ein Beispiel dafür, wie brutal die herrschenden Eliten auf einen linken Volksaufstand reagieren werden. Auch wenn die herrschenden Klassen einmal gezwungen sind, mit Zugeständnissen Zeit zu gewinnen, werden sie bei nächster Gelegenheit brutal zurückschlagen. Auf keinen Fall wollen sie zulassen, dass die Arbeiterklasse die Initiative gewinnt. In allen Teilen der Welt erstarken rechte politische Kräfte, eine Tendenz, die von den traditionellen kapitalistischen Parteien begrüßt und gefördert wird.

In Deutschland sind die Neonazis der Alternative für Deutschland zu einer bedeutenden politischen Kraft geworden. 1949, nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde der Reichstag zum Bundestag. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde das alte Gebäude mit einer modernistischen Kuppel ausgestattet. Aber darunter führen Abgeordnete wieder die nur allzu bekannte politische Sprache, die Hitler und Göring verstanden und gebilligt hätten. Und in einer tragischen Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus hat die ultrarechte Regierung Israels, die enge Beziehungen zu faschistischen und antisemitischen Politikern und Regimen in der ganzen Welt unterhält, das rechtliche Äquivalent einer Verfassungsänderung umgesetzt, die ausschließlich jüdischen Menschen einen bevorzugten Rechtsstatus gewährt.

Dies sind nur zwei Beispiele für eine globale Tendenz. Die kapitalistischen Staaten nehmen einen autoritären Charakter an und stärken die repressiven Kräfte der Geheimdienste und der zunehmend militarisierten Polizei. Die Bemühungen, Informationen im Internet zu zensieren und den Zugang zu sozialistischen und kriegsfeindlichen Websites – insbesondere der WSWS – zu blockieren, werden intensiviert. In London, das in der Blütezeit der bürgerlichen Demokratie im 19. Jahrhundert zahllosen Flüchtlingen Asyl gewährte, lebt Julian Assange nach wie vor als politischer Gefangener, dem die sofortige Verhaftung droht, wenn er die ecuadorianische Botschaft zu verlassen wagt. Millionen von Menschen auf der ganzen Welt, die durch imperialistische Kriege und die Folgen extremer wirtschaftlichen Ausbeutung ihre Heimat verloren haben, werden der elementarsten Menschenrechte beraubt und brutal behandelt. In den Vereinigten Staaten werden Kinder ihren Eltern entrissen und in Haftanstalten gesteckt.

Die Entwicklung in Richtung Krieg und Diktatur wurde durch den Wall-Street-Crash 2008 beschleunigt. Die gegenwärtige globale Krise ist das Ergebnis der Politik, mit der die herrschenden Eliten auf diesen Crash reagiert haben. Die Börsen haben sich dadurch zwar erholt, aber keiner der Widersprüche, die den Crash vor zehn Jahren ausgelöst haben, wurde gelöst. Wie sich immer deutlicher zeigt, zögern die Methoden, mit denen die Finanzoligarchie die Krise eindämmt und sich zugleich bereichert, den Tag der Abrechnung nur hinaus.

Der Absturz der Wall Street 1929 löste eine weltweite Krise aus, die eine internationale Radikalisierung der Arbeiterklasse nach sich zog. Aber die politische Degeneration des Sowjetregimes und der Verrat der sozialdemokratischen und stalinistischen Parteien an der Arbeiterklasse in Europa, vor allem in Deutschland, Frankreich und Spanien, führten zum Sieg des Faschismus und innerhalb von 10 Jahren zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.

Auch die Vereinigten Staaten waren Schauplatz massiver sozialer Kämpfe. Der Congress of Industrial Organizations (CIO), der – wie die Pseudolinken gern vergessen – 1935 aus einem Aufstand gegen die American Federation of Labor (AFL) hervorging, wurde zum Mittelpunkt einer Bewegung von Millionen Arbeitern. Die amerikanische herrschende Klasse, weitaus reicher als ihre europäischen Pendants, entschied sich – wenn auch nicht ohne erbitterten Widerstand in ihren eigenen Reihen –, auf die Herausforderung der amerikanischen Arbeiterklasse mit dem Reformprogramm von Roosevelts New Deal zu reagieren, und nicht mit den Varianten des amerikanischen Faschismus, die von Huey Long, Henry Ford, Boss Frank Hague, Pater Coughlin und Charles Lindbergh vertreten wurden. Als Gegenleistung für die Umsetzung der reformistischen New-Deal-Option forderte und erhielt Franklin Delano Roosevelt die uneingeschränkte Unterstützung der neu organisierten Industriegewerkschaftsbewegung für die „Kriegsanstrengungen“ des US-Imperialismus.

Im Gegensatz zu den Nachwirkungen von 1929 wurde in der amerikanischen herrschenden Klasse nach dem Crash von 2008 keine Reformoption vorgeschlagen. Anders als Roosevelt drohte die Obama-Regierung den „Missetätern von großem Reichtum“ nicht mit der Faust und kündigte nicht an, „die Wucherer aus dem Tempel zu vertreiben“. Stattdessen holte Obama die Vertreter der Wucherer in seine Regierung und verhalf den reichen Missetätern zu mehr Geld denn je. Die staatlich organisierte Rettungsaktion für die Banken schloss einen Prozess ab, der sich über mehrere Jahrzehnte entwickelt hatte: die Institutionalisierung eines politisch-ökonomischen Systems, in dem die Börsen mit voller Unterstützung des Staates als Instrument für einen massiven und beispiellosen Transfer von Vermögen in die Taschen der Konzern- und Finanzoligarchie fungieren. Dieses System des extremen Parasitismus spiegelt letztlich den globalen Niedergang der Weltstellung und Industrie des amerikanischen Kapitalismus wider.

Wie die Socialist Equality Party im März 2009 warnte, nur sechs Wochen nach Obamas Amtsantritt:

Die Politik der Obama-Regierung ist ausschließlich von den Interessen der Konzern- und Finanzaristokratie bestimmt. Wer Obama mit Roosevelt vergleicht, macht entweder der Öffentlichkeit oder sich selbst etwas vor. Zwar herrschte auch in den 1930er Jahren eine schwere Wirtschaftskrise, aber die enormen ökonomischen Ressourcen der USA versetzten Roosevelt in die Lage, mit sozialen Reformen zu experimentieren. Diese Option ist heute nicht mehr gegeben. Heute fehlen dem amerikanischen Kapitalismus entsprechende Ressourcen.[2]

Die Obama-Regierung hat die Reichen finanziell gerettet. Aber dabei diskreditierte sie das politische System in den Augen der arbeitenden Bevölkerung. Obamas Versprechen von „change you can believe in“ erwies sich als zynischer Betrug. Es ebnete den Weg für Trump, der wie Le Pen in Frankreich, Gauland in Deutschland und Salvini in Italien eine rechtspopulistische Demagogie betreibt, um die weit verbreitete Wut über die verschlechterten Lebensbedingungen auszunutzen.

Die Vereinigten Staaten befinden sich nun in der größten politischen Krise seit dem Ende des Bürgerkriegs 1865. Man findet kaum historische Erfahrungen, mit denen die gegenwärtige Situation verglichen werden kann. Der unbändige Konflikt, der 1861 ausbrach, war letzten Endes ein Ergebnis der stürmischen kapitalistischen Entwicklung der Vereinigten Staaten. Eine dynamische, progressive, ja sogar revolutionäre Fraktion der amerikanischen Bourgeoisie stellte sich dem reaktionären Aufstand der Sklavenhalter entgegen. Die gegenwärtige Krise, fast 160 Jahre später, ist das Ergebnis des weit fortgeschrittenen Niedergangs der globalen Stellung des amerikanischen Kapitalismus und zeugt von der Degeneration aller Teile der amerikanischen herrschenden Klasse. Ich wiederhole: Es gibt keine progressive Tendenz innerhalb irgendeiner konkurrierenden Fraktion der herrschenden kapitalistisch-imperialistischen Oligarchie.

Mit der Verschärfung dieses Konflikts wird die politische Legitimität aller Institutionen in Frage gestellt, durch die die amerikanische herrschende Klasse innerhalb der Vereinigten Staaten politische Macht ausgeübt und ihre beherrschende Stellung in der Welt behauptet hat. Der Konflikt zwischen verfeindeten Gruppierungen auf den höchsten Ebenen des Staates steht kurz davor in offene Gewalttätigkeiten umzuschlagen.

Die beispiellose Konzentration des Reichtums bei den reichsten fünf Prozent der Bevölkerung, in den Vereinigten Staaten und allen anderen großen kapitalistischen Ländern, nährt einen zunehmenden sozialen Zorn. Der jüngste Ausbruch von Streiks, insbesondere in den Vereinigten Staaten, ist der erste Hinweis auf ein Wiederaufleben des Klassenkampfs. Unter Bedingungen extremer sozialer Polarisierung wird die Arbeiterklasse radikalisiert und beginnt, sich für eine sozialistische Alternative zum Kapitalismus zu interessieren. Obwohl diese Entwicklung in ihrem politischen Verständnis und ihren Zielen noch begrenzt ist, führt die Logik ihrer Entfaltung zu einer zunehmend expliziten antikapitalistischen und revolutionären sozialistischen Orientierung.

Die Organisationen, die sich früher den gesellschaftlichen Fortschritt auf die Fahnen schrieben, haben auf diese Krise reagiert, indem sie sich nach rechts und nicht nach links bewegten. Unter Führungskräften, denen Jahresgehälter in Höhe von Hunderttausenden Dollar gezahlt werden, verstärken die Gewerkschaften – besser gesagt die konzerneigenen Syndikate zur Bändigung der Belegschaften – ihre Anstrengungen, die Opposition der Arbeiterklasse zu unterdrücken, zu zerstreuen und zu demoralisieren. Die pseudolinken Organisationen – insbesondere diejenigen, die von den Tendenzen Shachtmans und Pablos abstammen – agieren immer offener als Agenten der bürgerlichen Parteien und Anhänger des Imperialismus. Kräfte wie Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien und die Führung der Labour Party in Großbritannien versuchen, die wachsende soziale Opposition unter den Massen in die Irre zu leiten und niederzuhalten. Sobald sie politischen Einfluss erlangen, integrieren sie sich unweigerlich in den Staat und üben Verrat an der Arbeiterklasse.

Das schnelle Wachstum der Democratic Socialists of America ist in erster Linie auf den Wunsch der politisch unerfahrenen Jugend nach einer Alternative zur Demokratischen Partei zurückzuführen. Aber die DSA war nie unabhängig von der Demokratischen Partei. Sie wurde von der New York Times und Teilen der Demokratischen Partei gefördert, um die Entwicklung einer linken Bewegung außerhalb des Einflussbereichs der bürgerlichen Politik zu verhindern. Gegenwärtig bläht sich die DSA auf wie ein Ballon, aber diese durch nichts als heiße Luft getragene Ausdehnung wird zwangsläufig in eine politische und organisatorische Krise münden. Die ernsthaftesten linken Elemente unter der studierenden Jugend, die von der DSA angezogen wurden, werden feststellen, dass diese Organisation ein Anhängsel der Demokratischen Partei ist und den Kampf gegen den Kapitalismus ablehnt.

Eklektische politische Improvisationen und schäbige opportunistische Manöver sind ein schlechter Ersatz für ein wissenschaftlich und historisch fundiertes marxistisches Programm. Humanitäre Aufrufe zu einem freundlicheren und rücksichtsvolleren Kapitalismus werden dem unaufhaltsamen Drang nach Diktatur und Krieg nicht Einhalt gebieten. Die DSA wird natürlich in den Medien gefeiert. Aber ihre Hoffnung, auf der Grundlage des Kapitalismus eine Lösung für die Krise zu finden, und das auch noch mit Zustimmung der Demokratischen Partei, ist politisch aussichtslos und theoretisch unhaltbar. Die „Theoretiker“ der DSA – etwa die Herausgeber von Jacobin – prahlen damit, dass ihnen die revolutionären Erfahrungen und Lehren des vergangenen Jahrhunderts gleichgültig sind. Aber eben diese Kombination aus Ignoranz, Selbstgefälligkeit und Zynismus macht DSA-Theoretiker völlig unfähig, die heutige Welt zu verstehen.

Die Alternative, vor der die Arbeiterklasse steht, ist nicht „Reform oder Revolution“, sondern „Revolution oder Konterrevolution“. Trotzkis Warnung im Übergangsprogramm, dem Gründungsdokument der Vierten Internationale, das am Vorabend des Zweiten Weltkriegs verfasst wurde, gilt umso mehr in der heutigen Welt: „Ohne eine sozialistische Revolution, und zwar in der nächsten geschichtlichen Periode, droht der gesamten menschlichen Kultur eine Katastrophe.“[3]

Seit dem Gründungskongress der Socialist Equality Party im Jahr 2008 sind nun schon zehn Jahre vergangen. Die Umwandlung der Workers League in die Socialist Equality Party wurde im Juni 1995 beschlossen und bekanntgegeben. Diese Entscheidung war eine Reaktion auf die Auflösung der UdSSR im Dezember 1991 und den politischen Zusammenbruch aller alten traditionellen Organisationen – Parteien und Gewerkschaften – der Arbeiterklasse.

Die Arbeit des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) musste darauf ausgerichtet sein, Parteien aufzubauen, die die Arbeiterklasse organisieren und aufklären und die Grundlagen für die Erneuerung des bewussten Kampfs für den Sozialismus schaffen.

Im November 1991, nur wenige Wochen vor der Auflösung der Sowjetunion, hielt das Internationale Komitee in Berlin eine Konferenz ab, auf der es die wesentlichen historischen Implikationen der unwiderruflichen Diskreditierung des Stalinismus und seiner Apologeten aufzeigte:

Unsere Berliner Konferenz kennzeichnet ein neues Stadium in der Entwicklung der Vierten Internationale. Das Internationale Komitee ist heute die einzige trotzkistische Weltorganisation auf dem Erdball, die das Recht hat, diesen Namen zu beanspruchen. Das Internationale Komitee ist nicht einfach eine bestimmte Tendenz innerhalb der Vierten Internationale, sondern es stellt die Vierte Internationale als solche dar. Von dieser Konferenz an wird das Internationale Komitee die Führungsverantwortung für die Arbeit der Vierten Internationale als Weltpartei der sozialistischen Revolution übernehmen.[4]

Wie langwierig der objektive historische Prozess auch sein mochte, das Internationale Komitee musste die notwendigen Veränderungen in seiner politischen Arbeit vornehmen. Diese objektive Notwendigkeit stand hinter der Umwandlung der Bünde in Parteien. Die Existenz der Sektionen des Internationalen Komitees in Form von „Bünden“ war durch die lange historische Periode bedingt, in der die wichtigsten taktischen Initiativen darin bestanden, „Forderungen“ an die Massenparteien und Gewerkschaftsorganisationen zu stellen, ob sie nun von Sozialdemokraten, Stalinisten oder sogar, wie in den Vereinigten Staaten, von Unterstützern der Demokratischen Partei geführt wurden. Diese Taktik bedeutete keine Anpassung an diese reaktionären Führungen, geschweige denn eine Versöhnung mit ihnen. Vielmehr wurde sie durch die dominante Rolle dieser Massenorganisationen in den aktiven Kämpfen der Arbeiter und durch ihren immer noch sehr großen Einfluss auf die klassenbewusstesten und militantesten Teile der Arbeiterklasse bedingt. Sozialistische Forderungen an diese Führungen und Organisationen zu stellen wurde als notwendig und unvermeidlich angesehen, um die nach wie vor erheblichen Illusionen zu überwinden, die Massen von Arbeitern in sie setzten. Die Forderung „Labour an die Macht auf der Grundlage sozialistischer Politik“ in Großbritannien, „Für eine KP-CGT-Regierung“ in Frankreich und „Für eine Labor Party gestützt auf die Gewerkschaften“ in den Vereinigten Staaten zielte darauf ab, die antikapitalistischen Bestrebungen der Arbeiterklasse anzusprechen und der Klassenzusammenarbeit der Bürokratien entgegenzustellen.

Aber die ununterbrochene Kette von Verrat durch die alten bürokratischen Organisationen in den 1980er und 1990er Jahren und die Auflösung der stalinistischen Regime in Osteuropa und der Sowjetunion veränderten das Verhältnis dieser Organisationen zur Arbeiterklasse, sowohl im objektiven als auch im subjektiven Sinne. Wenn diese Veränderung nicht wahrgenommen worden wäre, hätte sich eine Taktik, die entwickelt worden war, um Illusionen in die alten Organisationen zu überwinden, in das vergebliche und selbstzerstörerische Bemühen verwandeln können, solche Illusionen aufrechtzuerhalten und sogar zu fördern.

Die SEP erkannte, dass diese Neuorientierung neue Arbeitsformen erfordern würde. Dies führte zur Gründung der World Socialist Web Site im Februar 1998, in engster Zusammenarbeit mit den Sektionen des Internationalen Komitees (die ebenfalls ihre Bünde in Parteien verwandelten).

In den darauffolgenden zehn Jahren machte die Socialist Equality Party sowohl politisch als auch organisatorisch erhebliche Fortschritte. Nach vielen Jahren sehr begrenzten Wachstums begann die Partei, neue Kräfte anzuziehen und zu rekrutieren. Dies hing natürlich mit der politischen Opposition zusammen, die durch den Wahlbetrug von 2000, den Beginn des Kriegs gegen den Terror nach dem 11. September 2001 und dem Einmarsch im Irak 2003 ausgelöst wurde. Aber das der objektiven Situation innewohnende Potenzial konnte nur in dem Maße zum Tragen gebracht werden, wie es erkannt und genutzt wurde. Die politischen und organisatorischen Initiativen der SEP waren von entscheidender Bedeutung.

Hervorzuheben ist auch die theoretische Arbeit der Partei nach der Auflösung der UdSSR. Diese Arbeit konzentrierte sich notwendigerweise auf die Klärung historischer Fragen. Wie auf dem Zwölften Plenum des Internationalen Komitees im März 1992 erklärt wurde:

Wir wollen das politische Bewusstsein des Proletariats auf der Grundlage der gesamten Geschichte der Russischen Revolution entwickeln. Im Moment herrscht eine enorme Verwirrung in der Arbeiterklasse. Ihre Ansichten sind nicht durch ein richtiges historisches Bewusstsein angeleitet. Dieses falsche Bewusstsein wurzelt in vorangegangenen historischen Erfahrungen, durch die die Massen gegangen sind – Erfahrungen, die sie nicht ohne das Eingreifen unserer Partei verarbeiten können.

Die Große Lüge, mit der Millionen desorientiert wurden, ist, dass der Stalinismus Marxismus sei und dass der Zusammenbruch der UdSSR das Versagen des Sozialismus und Marxismus beweise. Es ist notwendig, diese Lügen zu widerlegen und zu beweisen, dass der Stalinismus das Gegenteil des Marxismus und das Produkt der schrecklichsten Konterrevolution in der Geschichte war.[5]

Nach dem Zwölften Plenum startete das Internationale Komitee die „Offensive gegen die postsowjetische Schule der Geschichtsfälschung“, in der unser mittlerweile verstorbener Genosse Wadim Sacharowitsch Rogowin eine außerordentlich wichtige und inspirierende Rolle spielte. Von 1995 bis 1998 sponserte das Internationale Komitee Vorträge des Genossen Rogowin in den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Deutschland und Australien. Ein wichtiger Meilenstein dieser theoretischen Arbeit, die unmittelbar vor dem Start der World Socialist Web Site stattfand, war die „Sommerschule“, die Anfang Januar 1998 in Sydney unter der Schirmherrschaft der australischen Sektion des IKVI abgehalten wurde. In den Vorträgen auf dieser Schulung wurden die grundlegenden historischen, politischen, philosophischen und ästhetischen Fragen zusammengefasst, an denen der Kader des IKVI in den 1990er Jahren gearbeitet hatte.

Themen dieser Vorträge waren: die Widerlegung der Behauptung, dass es keine realistische Alternative zum Stalinismus in der Sowjetunion gegeben habe; die Anwendung von Trotzkis Theorie der permanenten Revolution auf eine Kritik des Castroismus und verwandter Formen des bürgerlichen Nationalismus; die Untersuchung der Widersprüche des Kapitalismus am Ende des 20. Jahrhunderts; die Analyse des Verhältnisses der Gewerkschaften zum revolutionären Kampf für den Sozialismus und die Rolle der Kunst in der Kritik der kapitalistischen Gesellschaft.

Erwähnenswert ist auch die von Genossen Fred Williams besorgte Veröffentlichung des Sammelbands mit Texten des Linksoppositionellen Alexander Woronski, der 1998 auf Englisch (Art as the Cognition of Life) bei Mehring Books und 2003 auf Deutsch (Die Kunst, die Welt zu sehen) beim Arbeiterpresse Verlag erschien. Die Veröffentlichung und das Studium dieses Bands, insbesondere die Kritik an den Theorien von Sigmund Freud, halfen der Partei sehr dabei, die Kluft zwischen dem Marxismus einerseits und der Frankfurter Schule sowie der Postmoderne andererseits genauer zu verstehen. Diese Klärung erwies sich als entscheidende Voraussetzung für die Bekämpfung des schädlichen theoretischen Einflusses und der reaktionären kleinbürgerlichen Politik der Pseudolinken, die Fragen der individuellen ethnischen, rassischen, geschlechtlichen und sexuellen Identität höher stellten als die Klassenzugehörigkeit.

Im August 2005 veranstaltete die SEP in Zusammenarbeit mit dem IKVI eine neunteilige Vortragsreihe zum Thema „Marxismus, Oktoberrevolution und die historischen Grundlagen der Vierten Internationale“. Weniger als sechs Monate später, Ende Januar 2006, war die australische SEP Gastgeber einer Sitzung der internationalen Redaktion, auf der 13 Berichte vorgelegt wurden, die einen umfassenden Überblick über die weltpolitische Lage aus marxistischer Sicht gaben.

Im Mai 2006 wurde eine detaillierte Kritik an Professor Rockmores Angriff auf Engels und den philosophischen Materialismus veröffentlicht. Einen Monat später, im Juni 2006, schickte ich einen langen Brief mit dem Titel „Marxismus, Geschichte und sozialistisches Bewusstsein“ an Steiner und Brenner. Der Hauptzweck war nicht, sie von ihren Irrwegen abzubringen, sondern im Einzelnen zu beleuchten, wie die Verteidigung des Materialismus gegen alle Formen des subjektiven idealistischen Irrationalismus mit dem Aufbau der revolutionären proletarischen Partei in der Arbeiterklasse zusammenhängt.

Im Mai 2007 veröffentlichte die World Socialist Web Site eine detaillierte Widerlegung der verleumderischen Anti-Trotzki-Biographien der britischen Akademiker Ian Thatcher und Geoffrey Swain. Diese gesamte Arbeit wurde parallel zur täglichen Veröffentlichung der World Socialist Web Site geleistet.

Ich rufe diese Arbeit, die im Vorfeld des Gründungskongresses der Socialist Equality Party stattfand, deshalb in Erinnerung, weil sie den wesentlichen Zusammenhang zwischen theoretischer, politischer und organisatorischer Arbeit verdeutlicht. Die Erfahrungen des IKVI und der SEP in den Jahren von 1995 bis 2008 haben bestätigt, dass große politische und organisatorische Fortschritte einer nachhaltigen theoretischen Vorbereitung bedürfen. Lenin hatte recht: „Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben.“

2008 waren die Vorbereitungsarbeiten so weit gediehen, dass der offizielle Gründungskongresses stattfinden konnte. Offen gesagt wäre er wohl auch schon einige Jahre früher möglich gewesen. Doch 2008 bestand innerhalb der Parteiführung ein sehr starker Konsens darüber, dass ein Gründungskongress, auf dem das politische Programm und die organisatorischen Regeln der Partei formell beschlossen werden, nicht länger aufgeschoben werden konnte. Grundlage dieses Konsenses war unsere Einschätzung der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise und ihrer politischen Auswirkungen. Am 11. Januar 2008 veröffentlichte die WSWS den Bericht, den ich eine Woche zuvor auf einer nationalen Mitgliederversammlung der SEP in Ann Arbor gegeben hatte. Er begann mit den Worten:

Das Jahr 2008 wird von einer bedeutenden Verschärfung der ökonomischen und politischen Krise des kapitalistischen Weltsystems geprägt sein. Die Unruhe auf den Weltfinanzmärkten ist nicht bloß Ausdruck eines konjunkturellen Abschwungs, sie zeigt vielmehr eine tief greifende Störung des Systems an, die bereits die internationale Politik destabilisiert.

Weiter hieß es darin:

Das Platzen der Immobilienmarkt-Blase in den Vereinigten Staaten, die durch unkontrollierte spekulative Investitionen in Hypotheken mit mangelhafter Kreditwürdigkeit rasend schnell angewachsen war, hat bei internationalen Banken und anderen Finanzinstituten zu weltweiten Verlusten von Hunderten Milliarden Dollar geführt. Die Finanzinstrumente mit ihren undurchsichtigen Bezeichnungen – SIVs (Structured Investment Vehicles), CDOs (Collateralized Debt Obligations), usw. – erfand man, um die Hypotheken mit mangelhafter Kreditwürdigkeit „abzusichern“, ihren fragwürdigen Charakter zu verschleiern und die Risiken auf eine große Anzahl von Instituten zu verteilen. Das Ergebnis ist eine internationale Finanzkrise, die, in den Worten eines Analysten, die Lebensfähigkeit und Legitimität des anglo-amerikanischen kapitalistischen Systems in Frage stellt.

Diese Analyse führte zu folgenden Schlussfolgerungen: Erstens standen die USA und die Welt am Rande der größten Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren. Zweitens würde diese Krise zu einem Aufschwung des Klassenkampfs führen. Drittens würde die Intensivierung des Klassenkampfs die Arbeiterklasse radikalisieren, das Interesse am Sozialismus und Marxismus wiederbeleben und beispiellose Möglichkeiten schaffen, die fortschrittlichsten Teile der Arbeiterklasse für das Programm des Internationalen Komitees, für den Trotzkismus, zu gewinnen.

Der Gründungskongress wurde am 3. August 2008 eröffnet. Die Delegierten verabschiedeten Parteistatuten, eine Grundsatzerklärung und das wichtigste Dokument des Parteitags: Die historischen und internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party. In ersten Abschnitt dieses Dokuments wird die Bedeutung der Geschichte für die Arbeit der SEP erläutert:

Eine revolutionäre sozialistische Strategie kann nur auf der Grundlage der Lehren aus den vergangenen Kämpfen entwickelt werden. Vor allem erfordert die Ausbildung von Marxisten ein detailliertes Wissen über die Geschichte der Vierten Internationale. Die Entwicklung des Marxismus zum theoretischen und politischen Wegbereiter der sozialistischen Revolution hat ihren höchsten Ausdruck in den Kämpfen der Vierten Internationale seit ihrer Gründung 1938 gefunden. Sie richteten sich gegen den Stalinismus, den Reformismus, den pablistischen Revisionismus und alle anderen Formen des politischen Opportunismus.

Politische Übereinstimmung innerhalb der Partei in den wesentlichen Fragen des Programms und der Aufgaben ist nur möglich, wenn Einigkeit in der historischen Einschätzung des 20. Jahrhunderts und seiner strategischen Lehren besteht. Rosa Luxemburg beschrieb die Geschichte einmal als die „Via dolorosa“ der Arbeiterklasse. Nur wenn die Arbeiterklasse aus der Geschichte lernt – nicht nur aus ihren Siegen, sondern auch aus ihren Niederlagen –, ist sie auf die Anforderungen vorbereitet, die eine neue Periode revolutionärer Kämpfe an sie stellt. [6]

Der Gründungskongress endete am Samstag, dem 9. August 2008. Genau fünf Wochen und zwei Tage später, am 15. September 2008, meldete Lehman Brothers Insolvenz an und der Dow Jones Industrial Average fiel um 504 Punkte. Durch intensive Bemühungen zur Stabilisierung der Märkte konnte der Absturz der Börsenkurse vorübergehend gestoppt werden. Doch am 29. September gab es kein Halten mehr, und die schwerste Rezession seit den 1930er Jahren nahm ihren Lauf. In den folgenden Monaten verdoppelte der Kongress die Staatsverschuldung, und die Federal Reserve sagte Hunderte von Milliarden Dollar zur Rettung der Wall-Street-Anleger zu. Nachdem der Markt im März 2009 seinen Tiefpunkt erreicht hatte, setzte eine spektakuläre Erholung ein. Die Last der Krise wurde vollständig auf die Arbeiterklasse verlagert: Zwangsversteigerungen von Wohnhäusern, brutale Lohnkürzungen, die Zerstörung von Millionen Arbeitsplätzen und rabiate Kürzungen bei den Sozialausgaben.

Inwieweit haben die Ereignisse des vergangenen Jahrzehnts die Prognose der SEP zu Beginn des Jahres 2008 bestätigt? Die vorausgesagte massive Wirtschaftskrise hat zweifellos eingesetzt. Der Aufschwung des Klassenkampfs, obwohl er sich langsamer entwickelt hat als in den 1930er Jahren, ist eindeutig im Gange. Seine verlangsamte Entwicklung ist durch mehrere historisch bedingte Faktoren zu erklären, vor allem durch die langfristigen Auswirkungen des historischen Verrats des Stalinismus und der Sozialdemokratie auf das politische Bewusstsein der Arbeiterklasse. Jahrzehntelang hat der Stalinismus die Geschichte gefälscht, monströse Verbrechen begangen, der Welt eine pervertierte und korrupte Verzerrung des Marxismus präsentiert und die Arbeiterklasse vom Sozialismus entfremdet. Schließlich hinterließ die rasche Auflösung der stalinistischen Regime in Osteuropa und der Sowjetunion zwischen 1989 und 1991 einen tief sitzenden Pessimismus hinsichtlich der Möglichkeit einer Alternative zum Kapitalismus.

Der Rückgang des Klassenbewusstseins, insbesondere nach 1991, spiegelte eine breitere kulturelle und geistige Degeneration der bürgerlichen Gesellschaft wider. In ihrem Krieg gegen den Marxismus errang die herrschende Klasse einen Pyrrhussieg, denn sie fand sich in einer intellektuellen Wüste wieder, ohne bedeutende Ideen und Perspektiven, unfähig, ernsthafte kulturelle Werke zu inspirieren, und abhängig von den Diensten einer zynischen und feigen postmodernen Pseudo-Intelligenz an den Universitäten.

Die übelsten Eigenschaften dieses sozialen Milieus – unaufhörliche Nabelschau, Jagd nach persönlichem Reichtum und Status, Vorrangigkeit persönlicher Anliegen vor gesellschaftlicher Verantwortung, Gleichgültigkeit gegenüber demokratischen Rechten und eine tief verwurzelte Feindseligkeit gegenüber der Arbeiterklasse – sind in der Identitätspolitik verkörpert. Dieses in Politik und Theorie reaktionäre Umfeld – in dem das historische, progressive soziale und demokratische Bewusstsein unterdrückt wird – war ein wesentlicher Faktor für die verzögerte Entwicklung des Klassenkampfs.

Diese kulturellen und theoretischen Faktoren werden verstärkt durch die korporatistischen Gewerkschaften, die jeden Anlauf der Arbeiterklasse, sich zu verteidigen und gegen kapitalistische Ausbeutung zu kämpfen, physisch unterdrückt. Die enormen Ressourcen in den Händen der – mit dem Staat und den Unternehmen verbündeten – Bürokratie wurden in den letzten 30 Jahren konsequent eingesetzt, um Streiks, die elementarste Form des Arbeiterkampfs, zu verhindern.

Aber die jüngste Streikwelle, die von Lehrern ohne offizielle Genehmigung durchgeführt wurde, markiert den Beginn einer Rebellion gegen die Gewerkschaften. Der Klassenkampf nimmt zu und, wie von der SEP 2008 erwartet, geht dies mit einer Erneuerung des Klassenbewusstseins und des Interesses am Sozialismus einher. Die Herausforderungen – theoretisch, politisch und organisatorisch –, die sich aus dem Aufschwung des Klassenkampfs und der Radikalisierung des Arbeiterbewusstseins ergeben, sind das wesentliche Thema unserer Perspektivresolution: Das Wiederaufleben des Klassenkampfs und die Aufgaben der Socialist Equality Party.

Das Internationale Komitee und die Socialist Equality Party sehen die gegenwärtige Lage mit Realismus und Optimismus. Diese beiden Elemente widersprechen sich nicht. Beide sind wesentliche Bestandteile einer revolutionären Perspektive. Während der Pessimismus, wie es im Perspektiventwurf heißt, „die kurzsichtigste und nutzloseste Form des ahistorischen Subjektivismus“ darstellt, gründet sich der Optimismus auf ein Verständnis der historischen Gesetze, die sich, wie komplex und widersprüchlich auch immer, in der menschlichen Gesellschaft niederschlagen. Unser Optimismus, das muss betont werden, ist keine fatalistische Hoffnung oder die Erwartung, frei nach Dickens Mr. Micawber, dass sich schon alles irgendwie richten wird. Als Materialisten verstehen wir, dass wir entscheidend zum Ausgang der Ereignisse beitragen. Wie es im Perspektiventwurf heißt:

In dieser historischen Situation ist die revolutionäre Partei selbst ein immenser Faktor für den Ausgang der objektiven Krise. Eine Einschätzung der objektiven Situation und eine realistische Bewertung der politischen Möglichkeiten, die das Eingreifen der revolutionären Partei nicht berücksichtigen, sind dem Marxismus völlig fremd. Die marxistische revolutionäre Partei kommentiert und analysiert die Ereignisse nicht nur, sondern nimmt auch an den Ereignissen teil, die sie analysiert, und versucht, durch ihre Führungsrolle im Kampf für Arbeitermacht und Sozialismus die Welt zu verändern.

Der Absatz, den ich zitiert habe, steht am Beginn des Abschnitts „Achtzig Jahre Vierte Internationale“. Diese Perspektivresolution enthält viel Neues. Mit dieser Resolution hat die Partei ihr Verständnis der politischen Lage wesentlich weiterentwickelt und die Erfahrungen ihrer aktiven Beteiligung an wichtigen politischen und sozialen Kämpfen in den Vereinigten Staaten und auf internationaler Ebene ausgewertet und einbezogen. Darüber hinaus wird der Zusammenhang zwischen der objektiven Entwicklung des Klassenkampfs und der Tätigkeit der Partei herausgearbeitet, und es werden die politischen und praktischen Initiativen präzisiert, die sie nach Abschluss dieses Kongresses ergreifen muss.

Meiner Ansicht nach stellen allerdings die Abschnitte des Entwurfs, die sich mit der Geschichte der Vierten Internationale befassen, den theoretischen und politischen Kern des Dokuments dar. Dieser Teil des Perspektivenentwurfs fasst die historischen Erfahrungen, das Programm und die Prinzipien, auf denen die Arbeit der Socialist Equality Party beruht, knapp und präzise zusammen.

Der Grund für das Interesse unserer Partei an Jahrestagen liegt nicht in einem akademischen Interesse an der Geschichte oder in der formalen Würdigung unserer politischen Abstammung, und am allerwenigsten in sentimentalen Erinnerungen an frühere Zeiten. Vielmehr bieten uns diese Jubiläen Gelegenheit, die wichtigen Erfahrungen, durch die die Arbeiterklasse und die revolutionäre Bewegung gegangen sind, im Lichte der heutigen Situation zu überprüfen. Für Marxisten war das Studium vergangener Erfahrungen immer eine wichtige Vorbereitung auf die bevorstehenden Kämpfe.

Das wichtigste Kapitel von Trotzkis Ergebnisse und Perspektive, das die Grundlage für die Ausarbeitung der Theorie der permanenten Revolution bildete, trägt den Titel „1789-1848-1905“. Durch einen historischen Rückblick auf die Entwicklung der bürgerlichen Revolution über einen Zeitraum von fast 120 Jahren gewann Trotzki einen tiefen Einblick in die neue Rolle der Arbeiterklasse im Kampf gegen die Autokratie. Dies hatte weitreichende Implikationen für die revolutionäre marxistische Strategie im 20. Jahrhundert, in Russland und weltweit. Lenins Staat und Revolution, geschrieben im Sommer 1917, bestand hauptsächlich aus einer detaillierten Untersuchung der Schriften von Marx und Engels über die Pariser Kommune von 1871. Die Schlussfolgerungen, die Lenin aus dieser Studie zog, bildeten die theoretische Grundlage des Kampfes, den er im September und Oktober 1917 führte, um innerhalb der Bolschewistischen Partei Unterstützung für die Machteroberung zu gewinnen.

Das Internationale Komitee und seine Sektionen tragen nicht nur Parolen und Forderungen in die Kämpfe der Arbeiterklasse. Diese sind zwar äußerst wichtig, aber nicht ausreichend für die Ausbildung der Arbeiterklasse und die Hebung ihres politischen Bewusstseins auf die Ebene, die für die sozialistische Revolution notwendig ist. Um die Krise und die Aufgaben zu verstehen, vor denen sie steht, muss die Arbeiterklasse das Wesen der historischen Epoche verstehen, in der sie lebt und kämpft.

Zudem muss sich die Arbeiterklasse ein ausreichendes Wissen über die wichtigen politischen Ereignisse und revolutionären Kämpfe des letzten Jahrhunderts aneignen, um eine revolutionäre Strategie und die entsprechenden Taktiken zu entwickeln. Und schließlich muss die Arbeiterklasse, um die Organisationen und Tendenzen zu bewerten, die ihre Interessen zu vertreten behaupten, deren Geschichte, politische Herkunft und ihre Rolle in früheren Kämpfen kennen.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale verkörpert eine enorme historische Erfahrung. Sein kontinuierliches Studium der Geschichte, die Assimilation der Lehren daraus und die Bedeutung seines historischen Wissens für die Formulierung des Programms und die Ausrichtung der Praxis unterscheiden das IVKI von jeder anderen politischen Organisation und Tendenz, die sich auf den Sozialismus beruft.

Im Perspektiventwurf heißt es:

In dieses Jahr fällt der achtzigste Jahrestag der Gründung der Vierten Internationale im September 1938. In 65 dieser 80 Jahre entwickelte sich die Arbeit der Vierten Internationale unter der Leitung des Internationalen Komitees. Rückblickend steht 2018 außer Frage, dass die historische Analyse, die Prinzipien und das Programm, die der Gründung der Vierten Internationale 1938 zugrunde lagen und die im Offenen Brief zur Gründung des Internationalen Komitees 1953 bekräftigt wurden, durch den gesamten Verlauf der historischen Entwicklung bestätigt worden sind.

Trotzkis Schriften haben sich außerordentliche Relevanz bewahrt, weil die politischen Themen, mit denen er sich auseinandergesetzt hat, objektiv auch die Fragen der heutigen Zeit sind. Darüber hinaus wurden das Programm und die Prinzipien, für die er kämpfte, in der Arbeit des Internationalen Komitees der Vierten Internationale kontinuierlich weiterentwickelt. Eine kontinuierliche und intensive Beziehung zu den zeitgenössischen Kämpfen macht den wesentlichen Inhalt der Geschichte des Trotzkismus aus. Die Geschichte der Vierten Internationale dokumentiert die bewusste Reaktion des fortschrittlichsten Teils der Arbeiterklasse auf politische Fragen und Konflikte, die sich aus der Krise des kapitalistischen Weltsystems ergaben, und deren Widerspiegelung im Klassenkampf und im Bewusstsein der Arbeiterklasse.

Das Internationale Komitee kann seine Geschichte in allen Einzelheiten darlegen. Es kann das Geschehene nicht nur dokumentieren, sondern auch erklären, welche gesellschaftlichen und politischen Ursachen den großen politischen Auseinandersetzungen zugrunde lagen, welche Bedeutung die Differenzen innerhalb der Vierten hatten und wie sie mit den objektiven gesellschaftlichen Prozessen und politischen Konflikten zusammenhingen, an denen Millionen von Menschen beteiligt und von denen sie betroffen waren.

Im Vorwort zur neuen Ausgabe von Das Erbe, das wir verteidigen gehe ich auf die Versuche der Historiker Daniel Gaido und Velia Luparello ein, die Morrow-Goldman-Fraktion als heroische Führer einer Opposition innerhalb der SWP zu verherrlichen, die von James P. Cannon grausam verfolgt wurde. Gaido und Luparello gehen so weit zu erklären, dass der Sieg der Cannon-Fraktion die Vierte Internationale zur Ohnmacht verdammt habe. Auf dieser Grundlage wird die gesamte Geschichte der SWP nach dem Ausscheiden der Morrow-Goldman-Fraktion und die Geschichte des Internationalen Komitees als mehr oder weniger bedeutungslos abgetan. Sie schreiben:

Wenn diese Analyse richtig ist, dann begann die Krise der Vierten Internationale nicht, wie oft behauptet, mit der Kontroverse, die durch Michel Pablos Taktik des „tiefen Entrismus“ 1953 ausgelöst wurde, sondern zehn Jahre zuvor, weil die SWP-Führung nicht in der Lage war, ihre Taktik an die neue Situation anzupassen, die in Europa nach dem Sturz Mussolinis 1943 einsetzte und mit der nachfolgenden Politik der demokratischen Konterrevolution durch die kapitalistischen Klassen Westeuropas und des US-Imperialismus verbunden war.[7]

Gaido und Luparello stellen nebenbei fest, dass Morrow und Goldman die Wiedervereinigung der SWP mit der von Workers Party befürworteten, die Max Shachtman nach der Trennung der kleinbürgerlichen Minderheit von der SWP 1940 gegründet hatte. Sie beziehen sich kryptisch, ohne näher darauf einzugehen, auf das „unrühmliche Ende“ der Morrow-Goldman-Tendenz. Dieses „unrühmliche Ende“, zu dem sie sich nicht weiter auslassen, bestand darin, dass Morrow und Goldman zusammen mit ihrem Verbündeten Jean Van Heijenoort in das Lager des pro-imperialistischen Antikommunismus wechselten. Sie befassen sich auch nicht mit der politischen Entwicklung von Max Shachtman und seiner Workers Party. Dies ist nicht nur von antiquarischem und akademischem Interesse, da der Geist und die Politik von Shachtman in der Politik der International Socialist Organization, der Democratic Socialists of America und, nicht zu vergessen, auch der heutigen neokonservativen Bewegung fortleben.

1953 schrieb Shachtman einen Essay, der in Labor Action, der Zeitung der Workers Party, veröffentlicht wurde. Er begann mit den Worten:

Die Außenpolitik der Vereinigten Staaten ist eine Katastrophe. Das war es unter des verstorbenen Roosevelts War Deal, blieb es unter Trumans Fair Deal, und verschlimmerte sich in den ersten 100 Tagen der Eisenhower-Administration.

Shachtman fuhr fort:

Im Laufe des Zweiten Weltkriegs gelang es den Stalinisten, totalitäre Macht in einem Dutzend Ländern Europas und Asiens zu erobern und zu festigen. Kaum jemals zuvor in der Geschichte dürfte ein Imperium von vergleichbarer Größe und Bedeutung mit so wenig Widerstand und zu so geringen Kosten errichtet worden sein, kaum dass ein Schuss abgefeuert wurde. All dies veränderte das Antlitz der Erde, vielleicht radikaler als in jeder vergleichbaren Periode der Geschichte.

Und doch: Die Führer und Staatsmänner aller kapitalistischen Mächte, einschließlich der mächtigen USA, sahen ohnmächtig zu, unfähig, diese stalinistischen Siege zu verhindern, und rührten einen Finger lediglich dazu, sich die Haare zu raufen. Etwas Vergleichbares haben wir in unserem Leben nie gesehen.

Und doch: Die Wahrheit ist, dass die mehr oder weniger verantwortlichen Reaktionäre keine Alternative zur Außenpolitik von gestern haben. Diese Politik ist heute das, was sie unter Roosevelt und Truman war – eine Politik des Imperialismus, die an die besondere Stellung und die Bedürfnisse des amerikanischen Imperialismus angepasst ist.

Wer in der heutigen Welt, deren herausragendes gemeinsames Merkmal der Hass auf den Imperialismus und die Entschlossenheit ihn loszuwerden ist, eine imperialistische Politik zu betreiben versucht, wird eine Katastrophe ernten und nichts anderes. Und das gilt auch dann, wenn sich die Politik gegen den Stalinismus richtet, der die despotischste und imperialistischste Macht der Welt ist.

Daraus, dass es keine praktische reaktionäre Alternative zur gegenwärtigen Washingtoner Politik gibt, folgt nicht, dass der Kampf gegen den Stalinismus hoffnungslos ist. Es gibt eine Alternative zur Eisenhower-Truman-Roosevelt-Politik.

Und das ist: eine demokratische Außenpolitik.

In Wirklichkeit bot Shachtman dem amerikanischen Imperialismus einfach eine neue Publicity-Kampagne an, bei der das Hauptquartier des Außenministeriums und die CIA einen neuen Anstrich erhalten und die alten Insignien des Imperialismus durch neue der Demokratie ersetzt werden.

Shachtman hatte noch einen weiteren Vorschlag. Damit die demokratische Neuverpackung des US-Imperialismus in Übersee ernst genommen würde, müsste diese Kampagne die amerikanischen Gewerkschaften einbeziehen, die sich als Apostel einer freien und unabhängigen Arbeiterbewegung präsentieren sollten. Wie Shachtman am Ende seines Aufsatzes verkündete:

Es gibt eine große Chance – aber nur, wenn die amerikanische Arbeiterbewegung, angefangen bei ihren fortschrittlichsten Elementen, die Verantwortung dafür mit ihrer eigenen Stimme übernimmt – der Stimme der mächtigsten Bewegung der heutigen Welt – und mit dieser Stimme die unermüdliche Hingabe der Arbeiter an die Außenpolitik der Demokratie verspricht.

Die AFL, die bald mit der CIO fusionieren sollte, folgte Shachtmans Ruf und stellte umfangreiche Mittel für die „Außenpolitik der Demokratie“ bereit. Shachtman und seine Schützlinge wie Tom Kahn wurden einflussreiche Berater von George Meany, dem reaktionären Präsidenten der neu vereinten AFL-CIO. Shachtman selbst setzte sich vorbildlich für eine „Außenpolitik der Demokratie“ ein, indem er die Invasion der Schweinebucht, die er als Aktion militanter kubanischer Gewerkschafter bezeichnete, und den Überfall der USA auf Vietnam unterstützte. Eine weitere Sache, die Shachtman mit großem Eifer im Namen des Kampfs für demokratische Selbstbestimmung verfocht, war die Befreiung der Ukraine vom sowjetischen Imperialismus.

Die Außenpolitik der ISO ist die zeitgenössische Inkarnation von Shachtmans „Außenpolitik der Demokratie“ und äußert sich besonders übel in ihrer Kampagne für die Intervention des US-Imperialismus in Syrien.

Wie im Vorwort zur neuen Ausgabe von Das Erbe, das wir verteidigen aufgezeigt wird, kann nur das Internationale Komitee erklären, „welche objektiven gesellschaftlichen und politischen Prozesse den Konflikten in der Vierten Internationale zugrunde lagen – Prozesse, die aus den Widersprüchen des Weltkapitalismus und aus der globalen und nationalen Entwicklung des Klassenkampfs im Anschluss an den zweiten imperialistischen Weltkrieg hervorgingen“.

Rückblickend auf einen Zeitraum von 80 Jahren ist es möglich, die objektive historische Bedeutung aller entscheidenden Episoden in der Geschichte der Vierten Internationale zu verstehen: der Kampf gegen die kleinbürgerliche Minderheit in der Socialist Workers Party 1940, die Ablehnung des rechtsgerichteten sozialdemokratischen Programms von Morrow-Goldman 1946, die Herausgabe des Offenen Briefes und die Gründung des Internationalen Komitees 1953, die Ablehnung der Wiedervereinigung mit den Pablisten durch das Internationale Komitee 1963, die Opposition, die sich von 1982 bis 1985 in der Workers League gegen den Opportunismus der britischen Workers Revolutionary Party entwickelte und in der Suspendierung der WRP am 16. Dezember 1985 gipfelte, und die endgültige Spaltung im Februar 1986. In jeder dieser kritischen Episoden stand das Schicksal der trotzkistischen Bewegung – also die Fortsetzung des bewussten Kampfes für den Weltsozialismus – auf dem Spiel.

Die Entwicklung der Weltkrise und die politische Entwicklung aller Tendenzen, die die strategischen Konzeptionen des Trotzkismus ablehnten und zu revidieren versuchten, haben die Kämpfe der Vierten Internationale bestätigt, die in ihrem 80-jährigen Bestehen seit 65 Jahren vom Internationalen Komitee geführt wird.

Shachtmans Behauptung, die sowjetische Bürokratie repräsentiere eine neue Klasse, wurde durch die Ereignisse von 1989-1991 entschieden widerlegt. Niemals in der Geschichte hat eine Klasse ihren Staat freiwillig aufgelöst und die Zerstörung der Eigentumsformen hingenommen, die die Grundlage ihres Reichtums und ihrer gesellschaftlichen Identität bildeten. Was den Pablismus anbelangt, so wurde die revolutionäre Rolle, die er der stalinistischen Bürokratie zuschrieb – sie sollte den Sozialismus für mehrere Jahrhunderte in Form von „deformierten Arbeiterstaaten“ verwirklichen – ebenfalls durch die Selbstauflösung der stalinistischen Regime widerlegt.

Die Geschichte hat die Prinzipien und das Programm der Vierten Internationale bestätigt. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die Socialist Equality Party verkörpern eine große politische Kampferfahrung, die sich über 80 Jahre erstreckt. Die Kader dieser Bewegung sind nun aufgerufen, diese Erfahrung im Klassenkampf bewusst zu nutzen und die klassenbewusstesten und kämpferischsten Arbeiter und Jugendlichen für das Programm der sozialistischen Weltrevolution zu gewinnen.

Anmerkungen:

[1] Leo Trotzki, Die Dritte Internationale nach Lenin, Arbeiterpresse Verlag, Essen 1993, S. 29

[2] David North, „Die kapitalistische Krise und die Rückkehr der Geschichte“, World Socialist Web Site, 31. März 2009, verfügbar unter: https://www.wsws.org/de/articles/2009/03/nort-m31.html

[3]Leo Trotzki, Das Übergangsprogramm, Arbeiterpresse Verlag, Essen 1997, S. 84

[4] David North, „Ein historischer Sieg für die Arbeiterklasse und die Vierte InternationaleW, Bericht an die Internationale Arbeiterkonferenz gegen imperialistischen Krieg und Kolonialismus, 16. November 1991, in: Vierte Internationale, Jg. 19, Nr. 1, S. 20

[5] David North, „Nach dem Ende der UdSSR: Der Kampf für den Marxismus und die Aufgaben der Vierten Internationale“, Bericht an das Zwölfte Plenum des IKVI, 11. März 1992, in: Vierte Internationale, Jg. 19, Nummer 1, S. 79

[6] Die historischen und internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party, der zitierte Abschnitt ist verfügbar unter https://www.wsws.org/de/articles/2008/12/sep1-d17.html. Die übrigen Teile dieses Dokuments können im Monatsarchiv der WSWS (Dezember 2008) abgerufen werden.

[7] Daniel Gaido und Velia Luparello, „Strategy and Tactics in a Revolutionary Period: U.S. Trotskyism and the European Revolution, 1943-1946“ in: Science & Society, Vol. 78, No. 4, Oktober 2014

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