Britische Premierministerin diskutiert mit französischem Präsidenten über Brexit

Am letzte Freitag unterbrach die britische Premierministerin Theresa May ihren Urlaub für ein Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in seinem Feriendomizil Fort de Brégançon an der Mittelmeerküste. Berichten zufolge begann um 17:30 Uhr ein zweistündiges Treffen, das ohne eine Erklärung oder Ankündigung vor der Presse endete.

Laut zahlreichen Berichten versuchte May bei ihrem Besuch, Macron zu überzeugen, den Plan für einen „weichen Brexit“ zu unterstützen, den sie letzten Monat auf ihrem Landsitz in Chequers präsentieren hatte. Dieser Plan hatte eine Revolte in Mays konservativer Partei ausgelöst und beinahe ihre Regierung zu Fall gebracht. Im Vorfeld des Treffens in Fort de Brégançon erschienen mehrere Berichte, nach denen die Macron-Regierung das größte Hindernis innerhalb der Europäischen Union gegen die Übernahme des Plans von Chequers darstellt.

Ein hochrangiger Vertreter der britischen Regierung sagte dem Guardian: „Die Deutschen machen tatsächlich deutlich, dass sie einen Deal wollen. May hat konstruktive Diskussionen mit Merkel geführt. Auch die Niederländer waren entgegenkommend. Nur die Franzosen verpassen immer wieder allem, was die Briten wollen, einen Dämpfer. Kein anderes Land ist auch nur annähernd so ungefällig. Deshalb ist dieses Treffen sehr wichtig.“

Ein weiteres Mitglied des britischen Kabinetts erklärte: „Die Franzosen sagen einfach zu allem Nein und sind mit großem Abstand die Schwierigsten. Wenn May bei ihnen Fortschritte machen könnte, hätte das einen überproportional positiven Effekt auf die Verhandlungen.“

Man kann annehmen, dass Macron und May keine Erklärung zu ihrem Treffen veröffentlicht haben, um den Brexit-Unterhändler der EU Michel Barnier nicht zu düpieren. Dieser verhandelt im Namen der übrigen 27 EU-Staaten, zu denen auch Frankreich gehört, direkt mit London über die Bedingungen des Brexits. Tatsächlich stellten mehrere Berichte in der britischen Presse Macrons Entscheidung für ein Treffen mit May als Abfuhr für Barnier dar, durch das er faktisch an die Seite gedrängt wurde.

Während der Stichtag für den Brexit im März 2019 näher rückt, mehren sich in Wirtschaftskreisen auf beiden Seiten des Ärmelkanals die Anzeichen für wachsende Besorgnis, dass die EU und Großbritannien sich nicht auf ein Handelsabkommen einigen können, bevor es zu einem „harten“ oder „No-Deal-Brexit“ kommt. In diesem Fall würden die bestehenden Freihandelsabkommen auslaufen, und der Handel zwischen Großbritannien und der EU käme praktisch zum Erliegen. Davon wären Exporte von Waren und Dienstleistungen zwischen den größten Volkswirtschaften Europas im Wert von hunderten Milliarden Euro betroffen.

Der britische Notenbankchef Mark Carney sagte im Sender BBC, die Gefahr eines Brexits ohne Abkommen sei „ungemütlich hoch“ und „äußerst unerwünscht“.

Angesichts der zunehmenden Spekulationen, es könnte nach dem Brexit zu Engpässen bei Nahrungsmittelimporten nach Großbritannien kommen, und Panikmache in der Presse bezüglich eines möglichen Militäreinsatz beim „nationalen Ausnahmezustand“ nach dem Brexit, erklärte Carney in der BBC-Sendung Today, die Bank of England liefere mehr Bargeld an die Banken: „Wir haben dafür gesorgt, dass die Banken das notwendige Kapital und die nötige Liquidität besitzen, und wir haben Notfallpläne vorbereitet. ... Es gibt sehr viele potenzielle Ergebnisse der Brexit-Verhandlungen, und wir treten in eine kritische Phase ein.“

In Frankreich gehen viele Berichte auf die zunehmenden Gefahren für französische und europäische Exporte ein. Die Zeitung Le Figaro zitiert in einem Artikel mit dem Titel „Brexit kostet französische Firmen vier Milliarden Euro pro Jahr“ eine Studie der Berater Oliver Wyman und Clifford Chance, laut der unter den EU-Staaten Deutschland, die Niederlande und Frankreich am stärksten von einem „harten Brexit“ betroffen wären. Frankreichs Exporte nach Großbritannien in Höhe von 38 Milliarden Euro würden um vier Milliarden sinken, und vor allem kleine Unternehmen in der EU wären besonders schwer von der plötzlichen Wiedereinführung komplexer Importzölle nach einem „harten Brexit“ betroffen.

Vor dem Hintergrund zunehmender Streiks und Wut in der Bevölkerung über Macrons Regierung befürchten die herrschenden Kreise in Frankreich außerdem besonders, dass französische Bauern bis zu fünf Prozent ihrer Einnahmen verlieren könnten, wenn Großbritannien aus der Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU ausscheidet. Das französische Landwirtschaftsministerium erklärte dazu: „Eine so drastische, massive und blinde Senkung darf nicht einfach in Kauf genommen werden. [...] Frankreich kann keine Senkung der direkten Einnahmen der Bauern hinnehmen.“ In einem Kommentar zu Carneys Warnungen zitiert das französische Wirtschaftsmagazin La Tribune Quellen aus dem Elysée-Palast, nach denen Macron bei dem Treffen in Brégançon einen Deal mit May aushandeln wollte: „Emmanuel Macron und Theresa May werden am Freitag darüber diskutieren, welche Hindernisse sie aus dem Weg räumen müssen, um den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union und die weiteren Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu regeln, ohne formell darüber zu verhandeln.“

Das offizielle Schweigen über das Treffen zwischen Macron und May passt zum Rest der Brexit-Kampagne. Sie ist ein politisches Manöver, das von den rechten Kräften innerhalb der herrschenden Elite Großbritannien organisiert wurde, um angesichts wachsender politischer und geostrategischer Spannungen zwischen den Großmächten ihre Beziehungen zur EU neu zu regeln. Die Befürworter eines „weichen Brexit“ oder des Versuchs, das Referendumergebnis zu missachten und in der EU zu bleiben, sind jedoch keinesfalls progressiver. Auch sie führen hinter dem Rücken der Arbeiter in Großbritannien und ganz Europa rücksichtslose Verhandlungen, bei denen Millionen Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen.

Während die Brexit-Befürworter sich enger an der reaktionären Trump-Regierung in Washington orientieren, genießt ein „weicher Brexit“ die Unterstützung von Fraktionen der britischen und europäischen Bourgeoisie, die die EU angesichts der wachsenden Spannungen zwischen Washington und Berlin als unabhängige Militärmacht aufbauen wollen.

Dies bestätigt die Position der Socialist Equality Party (Großbritannien), die zur Mobilisierung der Arbeiterklasse und damit zum aktiven Boykott des Brexits aufgerufen hatte. Der einzige Ausweg aus der eskalierenden Krise der EU ist der Kampf für die Vereinigung der Kämpfe in ganz Europa, auf beiden Seiten des Ärmelkanals, im Kampf gegen die herrschende Klasse in Großbritannien und der EU.

Barnier schilderte letzten Donnerstag in einer Kolumne in Le Figaro die Erwägungen der herrschenden Elite in der EU: „Im derzeitigen geopolitischen Kontext sind wir nicht nur daran interessiert, die Rolle der EU in der Welt zu stärken, sondern auch an der Zusammenarbeit mit Großbritannien als engem Partner. Wie entwickeln wir eine enge Partnerschaft? Vor allem brauchen wir einen geordneten britischen Austritt. Wir sind bereits mit 80 Prozent des Austrittsabkommens einverstanden.“

Barnier betont, der Brexit solle die Aktivitäten der britischen und europäischen Geheimdienste nicht beeinträchtigen, die auch weiterhin die breite Masse der Bevölkerung überwachen. Er schreibt es werde „einen produktiven Austausch von Geheimdienstinformationen geben, damit unsere Polizeikräfte weiterhin zusammenarbeiten können“. Er erklärt zudem, die europäischen und britischen Polizeibehörden würden auch nach dem Brexit weiterhin DNS-Profile, Fingerabdrücke und umfassende Listen von Fluggastdaten austauschen.

Barnier verweist jedoch auf mehrere noch bestehende Unstimmigkeiten, u.a. die EU-Landwirtschaftsprogramme und die britischen Militärbasen in Zypern und Gibraltar. Er sagt weiter, das wichtigste noch zu lösende Problem sei Irland: „Wir müssen sicherstellen, dass der Brexit keine physische Grenze zwischen Irland und Nordirland schafft und dass das Karfreitagsabkommen, das in Nordirland für Frieden und Stabilität gesorgt hat, gewahrt bleibt.“

Zudem ist die EU entschlossen, weitere Austritte aus der EU zu verhindern. Aus diesem Grund versucht sie, Großbritanniens Handel mit der EU für die Zeit nach dem Brexit in irgendeiner Form einzuschränken. Das letzte Hindernis für eine „euro-britische Partnerschaft ... von beispiellosem Umfang und Zielen“, wie es Barnier formuliert, ist Großbritanniens Widerstand gegen den freien Verkehr von „Personen und Dienstleistungen“. Er schreibt: „Seien wir ehrlich: Großbritannien hat beschlossen, den Binnenmarkt zu verlassen, deshalb kann es vom wirtschaftlichen Standpunkt her nicht mehr so eng mit dem Rest der EU zusammenarbeiten.“

Andere Kräfte innerhalb des französischen politischen Establishments teilen Barniers Meinung nicht und fordern ein stärkeres Entgegenkommen mit Blick auf Großbritannien. Nicolas Dupont-Aignan, der Vorsitzende der rechtsextremen Partei Debout la France (Steh auf, Frankreich) und ein politischer Verbündeter der Neofaschistenführerin Marine Le Pen, attackiert Macrons Brexit-Politik in einer Kolumne in der Huffington Post.

Er schreibt: „Frankreich hat einen Handelsbilanzüberschuss gegenüber Großbritannien, viele Arbeitsplätze sind von diesem Handel abhängig. Am 29. März 2019 um genau 23 Uhr wird der Brexit in Kraft treten, und Großbritannien wird die Europäische Union verlassen, egal welcher Deal ausgehandelt wurde oder ob überhaupt einer ausgehandelt wurde. Die französischen Medien haben der Lage in Großbritannien in den letzten Tagen keine Aufmerksamkeit geschenkt.“

Dupon-Aignan blickt auf die britisch-französischen militärischen Beziehungen, die gemeinsame Unterdrückung von Immigranten, die den Ärmelkanal überqueren, und die französische Beteiligung am Atomreaktor Hinckley Point und meint dann: „Die Beziehungen zu Großbritannien sind die wichtigsten, die wir zu irgendeinem Land haben. Unsere gemeinsamen militärischen und wirtschaftlichen Interessen sind enorm.“ Über May schreibt er abschätzig, ihre Politik gegenüber Macron sei „darauf begrenzt, eine Haushaltspolitik zu organisieren, die Banker aus der Londoner City nach Paris lockt, und feste zu beten, dass es dazu kommen wird“.

Keine der reaktionären Fraktionen in dieser Debatte spricht für die Interessen der Arbeiter. Angesichts zunehmender Streikaktivitäten der Bahnarbeiter, Lehrer und der Beschäftigten in der Luftfahrt- und Energiebranche auf beiden Seiten des Ärmelkanals ist die entscheidende Aufgabe der Aufbau einer sozialistischen und internationalistischen politischen Bewegung der Arbeiterklasse im Kampf gegen den europäischen Kapitalismus. Diese vertritt die unabhängigen, gemeinsamen Interessen der Arbeiterklasse in Großbritannien, Frankreich, Europa und weltweit und richtet sich somit gegen die Befürworter wie auch gegen die Gegner des Brexit.

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