Unter dem Vorwand falscher Antisemitismus-Vorwürfe

Verschwörung zur Absetzung von Corbyn oder zur Spaltung der Labour Party

Inmitten der orchestrierten Medienkampagne, in der Jeremy Corbyn und seine Anhänger als Antisemiten verleumdet werden, sind nun Einzelheiten über eine Verschwörung durchgesickert, Corbyn als Vorsitzenden der Labour Party abzusetzen oder die Partei zu spalten, um zu verhindern, dass er jemals Regierungschef wird.

Am 7. August berichtete der Daily Express, dass führende Labour-Abgeordnete „sich heimlich tagelang in einem luxuriösen 5-Hektar-Ferienanwesen in Sussex trafen, um Pläne zur Absetzung von Jeremy Corbyn zu schmieden“.

Diese Zusammenkünfte finden seit Monaten statt. Die „gemäßigten Labour-Abgeordneten“ planen Corbyns Untergang, angeführt von einer 12-köpfigen Kerngruppe und einer größeren Gruppe von „mehr als 20“.

Namentlich nennt der Express die ehemalige Bewerberin um den Parteivorsitz Liz Kendall, die ehemaligen Schattenkabinettsmitglieder Chuka Umunna und Chris Leslie, Stephen Kinnock und Gavin Shuker sowie John Woodcock, der seit seinem Austritt aus der Labour Party parteiloser Abgeordneter ist.

Die Zeitung zitiert einen Informanten mit den Worten: „Irgendwann wird die Führung von Corbyn scheitern und zusammenbrechen, wir müssen nur die Entwicklung des Antisemitismusproblems verfolgen und bereit sein, zuzugreifen, die Führung zu übernehmen, die Partei als eine glaubwürdige Kraft wieder aufzubauen und den angerichteten Schaden zu beheben“.

„Schadensbehebung“ bedeutet in diesem Fall, die offen neoliberale und militaristische Agenda von Labour unter Tony Blair und Gordon Brown zu bekräftigen, auch wenn dies bedeutet, die Konservativen im Amt zu halten.

Der Express berichtet: „Die Diskussionen drehten sich u.a. um Pläne, die Führung zurückzuerobern und eine neue Partei zu gründen ... ein Vorschlag war, einen Wahlsieg Corbyns abzuwarten und dann mithilfe der großen Gruppe der gemäßigten Labour-Abgeordneten zu verhindern, dass er Premierminister wird.“

Einer der Beteiligten sagte, wenn die Konservativen die nächste Wahl verlieren würden, dann „werden wir uns abspalten und entweder eine eigene parlamentarische Labour Party oder eine ganz neue Partei bilden“.

Ein anderer ergänzte: „Es gibt Abgeordnete der Konservativen (Brexit-Gegner) und der Liberaldemokraten, die Interesse an einem Zusammenschluss mit uns haben, sollten wir wegen des Brexits eine neue Partei gründen.“

Als potenzielle Herausforderer für Corbyn werden die ehemaligen Bewerber um den Parteivorsitz Yvette Cooper, Chuka Umunna, Chris Leslie und Stephen Kinnock aufgeführt. Der Express erwartet aber zudem auch eine „linke Herausforderung“ an Corbyn von Schattenkanzler John McDonnell sowie von den „Kompromisskandidaten“ Emily Thornberry (Schatten-Außenministerin) und Sir Keir Starmer (Schatten-Brexitminister).

Die Website Electronic Intifada brachte am selben Tag einen Artikel von Asa Winstanley von der Gruppe Lobby Watch. Darin hieß es, dass im Rahmen einer Propagandakampagne der israelischen Regierung Social-Media-Nutzer mithilfe einer speziellen Online-Plattform namens Act.IL aufgefordert wurden, Corbyn des Antisemitismus beschuldigen.

Die Act.IL App „bittet die Nutzer, auf Facebook einen Artikel der britischen Huffington Post über Corbyns angeblich ,israelfeindliche‘ Bemerkungen zu kommentieren, indem sie einen Kommentar der Facebook-Benutzerin Nancy Saada liken und um eigene kritische Kommentare ergänzen.“

Die Act.IL App, heißt es weiter, sei ein Produkt des israelischen Ministeriums für strategische Angelegenheiten, das „Israels verdeckte Bemühungen zur Sabotage der palästinensischen Solidaritätsbewegung auf der ganzen Welt koordiniert“. Dieses Ministerium wird von einem ehemaligen Geheimdienstoffizier der Armee geleitet und besteht aus Veteranen verschiedener Spionagebehörden, deren Namen geheim gehalten werden.“

An der Destabilisierungskampagne gegen Corbyn beteiligt sich auch der stellvertretende Parteivorsitzende Tom Watson, der am Sonntag in der Zeitung Observer schrieb, dass die Labour Party in einem „Strudel der ewigen Schande“ unterzugehen drohe, wenn sie nicht den Antisemitismus in ihren Reihen bekämpfe. Selbst Rupert Murdochs Zeitung Times musste zugeben, dass „seine Kommentare der Labour Party unter Corbyn nicht helfen, sondern sie destabilisieren sollen“.

Gegen diese Offensive von rechts gibt es viel Widerstand, der sich in Großbritannien und weltweit um die Twitter-Hashtags #WeAreCorbyn und #ResignWatson gruppiert. Vielfach wird der Ausschluss der Verschwörer aus der Labour Party gefordert. Auf der anderen Seite verhält sich Corbyn nach dem sattsam bekannten Muster, seine Gegner zu besänftigen – die daraufhin ihre Offensive verdoppeln.

Die Disziplinarmaßnahmen gegen die Millionärin Margaret Hodge, die Corbyn im Parlament anschrie, er sei ein „fucking Rassist und Antisemit“, wurden eingestellt, weil sie angeblich „ihr Bedauern geäußert“ habe. Doch in einem Schreiben ihrer Rechtsanwältin Mishcon de Reya, das Hodge über Twitter verbreitete, heißt es: „Unsere Klientin wird sich nicht für ihr Verhalten oder ihre Worte entschuldigen, da sie nichts Falsches getan hat.“

Hodge beschwert sich zusammen mit dem ebenso unflätigen Rechtsaußen Ian Austin über eine angebliche Kampagne zur Vertreibung von Antisemitismus-Gegnern aus der Labour Party. „Der neue Politikstil ist Mobbing und Intoleranz anstelle von Achtsamkeit und Ausgleich“, sagte sie gegenüber dem Express, ohne vor Scham zu erröten.

Corbyn hat gegenüber dem Guardian eine Erklärung mitsamt einem Begleitvideo abgegeben, in der er denjenigen, die die Linken als antisemitisch verleumden, weit entgegenkommt.

Es gebe in der Labour Party „ein anhaltendes Problem“ des Antisemitismus, das er „ausrotten“ werde – unter anderem durch die beschleunigte Bearbeitung von Disziplinarfällen und die Einführung eines „Aufklärungs- und Bildungsprogramms in der gesamten Partei“.

Über die Weigerung der Labour Party, alle elf Beispiele aus dem Anhang der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zu übernehmen, gebe es nur „ganz geringfügige Meinungsverschiedenheiten“.

Die von Corbyn als „geringfügig“ bezeichneten Meinungsverschiedenheiten drehen sich um die Frage, ob es antisemitisch ist, die Gründung des Staates Israel als „rassistisches Unterfangen“ zu bezeichnen. Diese Frage zu bejahen, wäre ein Blankoscheck für eine Hexenjagd gegen linke Kritiker der Unterdrückungsmaßnahmen Israels gegen die Palästinenser.

Corbyn appellierte an seine Gegner, anzuerkennen, dass „dies ein schwieriges Jahr im Nahen Osten war, mit der Ermordung vieler unbewaffneter palästinensischer Demonstranten in Gaza und dem neuen israelischen Nationalstaatsgesetz, das die palästinensischen Einwohner Israels zu Bürgern zweiter Klasse macht“. Die Ablehnung dieser Maßnahmen „sollte kein Anlass für Streit“ sein, plädierte er.

Genau dies ist jedoch die Quelle des aktuellen Streits.

Das Netzwerk „Manchester Jewish Action for Palestine“ schrieb zu Recht, dass die Leitlinien der IHRA zur Definition des Antisemitismus „von israelischen Propagandisten im Interesse ihrer zahlreichen Versuche verfasst wurden, die internationale Solidarität mit den Palästinensern per Massenlobby zu stoppen und den Palästinensern das Recht zu verweigern, das Wesen der seit 70 Jahren andauernden Gewalt und des Rassismus Israels ihnen gegenüber zum Ausdruck zu bringen.“

Corbyn bleibt hinter vielen seiner ehemaligen Unterstützer zurück, um den rechten Flügel zu besänftigen sowie – vermeintlich – die Einheit der Partei zu bewahren und Labour zum Wahlsieg zu verhelfen.

McDonnell war einer derjenigen, die die Disziplinarmaßnahmen gegen Hodge eingestellt haben, und unterstützt dem Vernehmen nach die vollständige Übernahme der IHRA-Definition und ‑Beispiele. Zu ihm gesellen sich Jon Lansman, der die fast vollständige Kontrolle über die Corbyn-freundliche Momentum-Gruppe ausübt, und Tim Roache, Generalsekretär der GMB, Großbritanniens drittgrößter Gewerkschaft, der im National Executive Committee von Labour sitzt.

Die Behauptung, dass die Spaltung der Labour Party durch die vollständige Übernahme der IHRA-Definition problemlos behoben werden könne, ist reine Augenwischerei. In Wirklichkeit läuft in der Labour Party eine Regimewechsel-Operation. Wenn sie scheitert, wird eine Spaltung herbeigeführt werden. Die Beschwichtigung des rechten Flügels durch Corbyn et al. demobilisiert nur die Arbeiterklasse angesichts der gegen sie organisierten politischen Verschwörungen.

Corbyns Behauptung, dass Labour in eine Partei verwandelt werden könne, die Widerstand gegen Kürzungspolitik und Krieg leistet, wird durch die geradezu zwanghafte Zerstörung der Partei widerlegt. Dies bestätigt die Warnung der Socialist Equality Party, die in ihrer ersten Erklärung nach Corbyns Wahl zum Parteivorsitzenden im September 2015 schrieb:

„Diese Partei gleicht in ihrer Politik, ihrer Organisation und der sozialen Zusammensetzung ihres Apparats den Tories, nur im Namen unterscheidet sie sich. Niemand kann ernsthaft glauben, man könne Labour in ein Kampfinstrument der Arbeiterklasse verwandeln. Die Geschichte der britischen Labour Party begann nicht mit Blair. Sie ist seit mehr als einem Jahrhundert eine bürgerliche Partei und erwiesenermaßen ein Instrument des britischen Imperialismus und seines Staatsapparats. Ob unter Clement Attlee, James Callaghan oder Jeremy Corbyn: ihr wesentlicher Charakter hat sich nicht geändert.“

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