Ruhrtriennale 2018: Eine abstoßende Kontroverse über angeblichen Antisemitismus

Die diesjährige Ruhrtriennale und ihre Intendantin, die renommierte Dramaturgin Stefanie Carp, sind zum jüngsten Opfer einer internationalen Kampagne geworden, die jeden als Antisemiten denunziert, der die Politik des Staates Israel kritisiert oder – wie im Falle Carps – mit Künstlern zusammenarbeitet, die dies tun.

Carp hatte für den 18. August die schottische Band Young Fathers zu einem Konzert eingeladen, eine Band, die im vergangenen Jahr einen Aufruf der BDS-Bewegung befolgte und ihre Teilnahme an einem Berliner Pop-Kultur Festival abgesagt hatte. BDS (Boycott, Divestment, Sanctions) setzt sich für die Rechte der Palästinenser ein und nutzt als Kampfmittel den Boykott wirtschaftlicher, kultureller und akademischer Aktivitäten Israels und israelischer Bürger. Viele Künstler und Intellektuelle haben sich BDS angeschlossen, weil sie die Menschenrechte der palästinensischen Bevölkerung verteidigen wollen.

Carp geriet sofort ins Visier von Medien, Politikern, israelischer Botschaft und jüdischen Institutionen. Kaum war die Einladung der Young Fathers bekannt, als sich heftige Proteste dagegen erhoben. Vehement beschwerten sich die Israelische Botschaft, jüdische Organisationen, aber auch Politiker und Journalisten darüber, dass Carp es überhaupt gewagt hatte, diese Band einzuladen. Die FDP forderte gar den Rauswurf von Carp.

Die Ruhrtriennale ist ein seit 2002 stattfindendes, staatlich gefördertes internationales Festival im Ruhrgebiet, bei dem stillgelegte Industriebauten zu Schauplätzen von meist experimentellen Theaterstücken, Konzerten, Lesungen usw. werden. Träger der Ruhrtriennale ist die Kultur Ruhr GmbH Bochum. Die Triennale steht in der Regel unter einem einheitlichen Motto, mit dem sich die jeweiligen Veranstaltungen auf vielfältigste Weise auseinandersetzen.

Der diesjährige Programmschwerpunkt umreißt mit dem Titel „Zwischenzeit“ das höchst aktuelle Thema „Migration und Vertreibung“, dem eine Vielzahl der im Programm angekündigten Darbietungen Rechnung trägt. Es zeugt davon, dass sich im künstlerischen Milieu vermehrt Opposition gegen den politischen Mainstream regt.

Dem entspricht auch das Stück „The Head and the Load“ (Der Kopf und die Last) des südafrikanischen Künstlers William Kentridge, mit dem das Festival am 9. August eröffnet wurde. Die Vorstellung im Landschaftspark Duisburg Nord, dem Gelände eines ehemaligen Stahlwerks, wurde vom Publikum mit großem Beifall quittiert. In dem Stück geht es um die Rolle Afrikas im Ersten Weltkrieg und den Einsatz von Afrikanern in den imperialistischen Armeen.

Die Hip-Hop Band Young Fathers sollte am 18. August bei der Ruhrtriennale ihr neues Album vorstellen. Sie distanziert sich ausdrücklich vom Vorwurf des Antisemitismus. Ihr Boykott des Berliner Pop-Kultur Festivals im vergangenen Jahr habe sich „nicht gegen die Künstlerin gerichtet, die von der [israelischen] Botschaft unterstützt wurde“, erläuterte Band-Mitglied Graham Hastings am 3. März 2018 dem Deutschlandfunk. Mit ihrer Konzertabsage habe die Band zeigen wollen, „dass wir der Regierung kritisch gegenüberstehen“. Die Kritik habe sich „nicht gegen eine Religion oder gegen die Bevölkerung dort“ gerichtet.

Band-Mitglied Kayus Bankole ergänzte: „Wir kritisieren die Regierung Israels. Wir kritisieren aber auch Menschen, die sich antisemitisch äußern. Antisemitismus unterstützen wir nicht im Geringsten.“

Die World Socialist Web Site unterstützt die Taktik von BDS nicht. Wir setzen uns für die Einheit der arabischen und jüdischen Arbeiterklasse ein, um die Rechte der Palästinenser zu erkämpfen und eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen. Boykottaufrufe nehmen dagegen die israelische Bevölkerung als Ganze für die kriminelle Politik der Regierung in Haftung, auch Arbeiter, Künstler und Akademiker, die die Regierungspolitik ablehnen. Das steht der Einheit der Arbeiterklasse entgegen.

Trotz diesen politischen Differenzen muss der Angriff auf die BDS-Bewegung zurückgewiesen werden. Er wird auf der ganzen Welt als Keule benutzt, um jede Kritik an der israelischen Regierung und die Verteidigung der Rechte der Palästinenser als Antisemitismus zu verleumden. Er dient als Vorwand für Auftritts- und Redeverbote und den Angriff auf elementare demokratische Rechte.

Auch die Jugendorganisation der Vierten Internationale ist davon betroffen, obwohl sie BDS nicht unterstützt. So verbot der AStA der Goethe-Universität in Frankfurt den International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) die Nutzung von Räumen an der Universität mit der Begründung, ihr Verhältnis zu Israel scheine zweifelhaft zu sein.

Stefanie Carp sagte das Konzert der Young Fathers unter dem massiven öffentlichen Druck zunächst ab, revidierte später jedoch ihre Entscheidung. Doch nun entschied sich die Band ihrerseits gegen einen Auftritt.

Carp begründete ihre Entscheidung, die Band wieder einzuladen, damit, dass sie „von zwei Kampagnen unter Druck gesetzt“ worden sei. „Die eine sagt: Künstlerinnen und Künstler, die Organisationen unterstützen, die sich gegen die derzeitige Politik der Regierung des israelischen Staates wenden und für die Rechte der Palästinenser eintreten, sind automatisch antisemitisch. Die zweite Kampagne ist die BDS-Kampagne, die sagt: Künstlerinnen und Künstler, die nicht die derzeitige Regierung des Staates Israel boykottieren, stehen automatisch im Verdacht, rassistisch bzw. Gegner der Palästinenser zu sein.“

Sie wolle sich jedoch „die Haltung herausnehmen dürfen, eine Band wie die Young Fathers einzuladen“, auch wenn es für sie als Deutsche schwierig sei, „mit einer Bewegung in Zusammenhang gebracht zu werden, die Israel boykottiert“.

Nachdem sich Carp für das Recht auf Meinungsfreiheit und Freiheit der Kunst entschieden hatte, nahm die Hetze gegen sie an Intensität zu. Vertreter der jüdischen Gemeinschaft in NRW warfen ihr „Unfähigkeit zur Reflexion und Einsicht“ vor und beklagten den „zur Normalität gewordenen Antisemitismus“ von links bis rechts.

Die Diskussionen und Negativschlagzeilen blieben auch nicht aus, als Carp für den ursprünglichen Termin des Konzerts am 18. August eine Podiumsdiskussion zum Thema „Freiheit der Künste/Freedom of Speech“ ankündigte. Eingeladen sind: die NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos), der Komponist Elliott Sharp und der Choreograph Alain Platel, denen nachgesagt wird, sie sympathisierten mit BDS, der Chef der Festival-Förderer Michael Vesper (Grüne) sowie Stefanie Carp selbst. Der aus Bochum stammende Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) soll moderieren.

Auch über ihn fielen einige Medien her, weil er sich dazu bereiterklärt hatte. „Ein noch größeres Elend ist es allerdings, dass ein Norbert Lammert sich dafür hergibt, eine solche Veranstaltung auch noch zu moderieren“, so die Website ruhrbarone. „Eine Veranstaltung, auf deren Podium kein jüdischer Künstler sitzt, der für die Mehrheit der Juden und Israelis steht, eine Veranstaltung, welche die Diskursverschiebung des BDS übernimmt und so von dem eigentlichen Thema, Antisemitismus und Hass gegen Israel und Juden, ablenkt ist nichts anderes als ein Forum für den antisemitischen BDS.“

Tatsächlich waren Vertreter jüdischer Organisationen und Israels zur Podiumsdiskussion eingeladen worden. Sie hatten die Teilnahme u.a. mit der Begründung abgesagt, diese sei bewusst auf den Samstag, den jüdischen Sabbat gelegt worden. Die israelische Botschaft rechtfertigte ihre Ablehnung der Einladung gegenüber der Rheinischen Post mit der Begründung, man werde „nicht das Existenzrecht Israels diskutieren“. Trotz des Sabbat haben sich jedoch jüdische Demonstranten zum Protest vor der Veranstaltung angekündigt.

Nachdem die Teilnehmer der Podiumsdiskussion bekannt waren, sagte auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) einen Besuch des Festivals ab. Er werde weder am Eröffnungsempfang noch an irgendeiner Veranstaltung teilnehmen.

Wie sehr die Kampagne gegen angeblichen Antisemitismus dazu dient, jede künstlerische Auseinandersetzung über das eigentlichen Anliegen des Festivals, das Thema Flucht und Vertreibung, zu unterdrücken, zeigt der Rückzug des türkischen Musikensembles Hezarfen.

Seinem Projekt, „Music of Displacement“, das sich mit Vertreibungen und Fluchtbewegungen in der Türkei während der letzten hundert Jahre befasst, war fälschlicherweise vorgeworfen worden, den Völkermord an den Armeniern zu relativieren, weil es ihn unter den Begriff Displacement (Vertreibung) fasste. Hezarfen begründete die Absage seines geplanten Auftritts mit der Kampagne gegen Carp. Es befürchte, dass „seine sorgfältige Arbeit, bevor sie überhaupt gehört oder gesehen wurde, … für politische Schlagworte und Manipulationen verwendet“ werde.

Über sein Projekt das nun auf der Triennale nicht aufgeführt wird, schreibt das Ensemble, es reflektiere die Konsequenzen von Vertreibung und drücke zugleich „den Reichtum einer uns alle verbindenden Menschlichkeit aus“. Seine Komponisten und Dichter hätten „keine spaltenden, sondern zutiefst menschliche und nachdenkliche Werke erschaffen, welche sich mit diesem Schmerz auseinandersetzen“. Es nehme „absichtlich keine parteipolitische Haltung ein, damit Komponisten, Dichter und Bilder für sich selbst sprechen können.“

Siehe auch:

Gegen rechte Zensur und AfD-Propaganda durch den AStA der Goethe-Uni

Falsche Antisemitismus-Vorwürfe gegen Corbyn und die Labour-“Linke“

Israels Nationalstaatsgesetz: der Zionismus am Ende der Sackgasse

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