Polizeirazzia bei Mélenchon:

Staat attackiert Partei La France insoumise

Am Dienstag überfiel die französische Polizei bei Razzien die Wohnung von Jean-Luc Mélenchon und die Zentrale seiner Partei La France insoumise (LFI, Unbeugsames Frankreich) in Paris. Dabei handelt es sich nicht nur um einen schwerwiegenden Angriff auf demokratische Rechte, sondern auch um eine politische Operation unter falschem Vorwand gegen eine Partei, die in der Präsidentschaftswahl 2017 zwanzig Prozent der Stimmen erhalten hatte. Zwar war Mélenchon das unmittelbare Ziel, doch tatsächlich richtet sich der Angriff gegen den wachsenden Widerstand in der Arbeiterklasse gegen die Regierung von Präsident Emmanuel Macron.

Laut Schätzungen von LFI wurde Mélenchon von etwa 100 Polizisten aufgeweckt, die sein Apartment und die seiner Berater durchsuchten und alle Daten auf den Computern in der Parteizentrale von LFI sicherstellten. Das gleiche geschah in der Zentrale der Parti de Gauche (Linkspartei), die Mélenchon 2009 gegründet hatte, und die mit LFI verbündet ist.

Mélenchon filmte die Besetzung seines Apartments durch die Polizei und rief seine Anhänger auf, während der Razzia vor der LFI-Parteizentrale zu protestieren. Er erklärte dazu: „Ich sehe komisch aus, weil seit sieben Uhr heute morgen die Polizei meine Wohnung und die Zentralen der PG und von LFI durchsucht. Mein ganzes Apartment ist voll mit Leuten: bitte sagt allen, dass es sich um einen politischen Akt handelt, einen Akt politischer Aggression.“

Berichten zufolge führte die Staatsanwaltschaft für die Razzia zwei Gründe an: zum einen die Vorwürfe vom letzten Jahr, Mélenchon habe LFI-Personal rechtswidrig mit Geldern bezahlt, die für die Berater von LFI-Europaabgeordneten vorgesehen waren; zum anderen Korruptionsvorwürfe bezüglich der Wahlkampffinanzierung von LFI.

Diese dubiosen Vorwürfe sind keine Rechtfertigung für die Polizeirazzia gegen LFI. Der erste wurde letztes Jahr von der neofaschistischen Europaabgeordneten Sophie Montel erhoben, die später erklärte, sie habe sich damit lediglich für die Korruptionsvorwürfe des Staates gegen den Front National rächen wollen. Damals drohte Mélenchon mit einer Klage wegen übler Nachrede, und die Geschichte geriet schnell in Vergessenheit.

Der zweite Vorwurf wurde von mehreren Quellen erhoben, u.a. von der Anti-Korruptions-Organisation Anticor. Sie wirft LFI vor, Mélenchon habe Partnern zu viel für Dienstleistungen gezahlt. Einige dieser Klagen, etwa die von Mélenchons PR-Chefin im Wahlkampf Sophia Chirikou gegen das Unternehmen Médiascop, wurden bereits abgewiesen. Staatliche Behörden haben Mélenchons Wahlkampffinanzierung mittlerweile abgesegnet.

Die politischen Differenzen zwischen der Parti de l’égalité socialiste (PES) und dem antimarxistischen und antitrotzkistischen Populismus des ehemaligen Mitglieds der sozialdemokratischen Parti Socialiste (PS) und Ministers Jean-Luc Mélenchon sind dokumentiert. Doch eine solche Polizeioperation gegen die LFI ist ein Angriff auf demokratische Rechte, der eine Gefahr für alle darstellt. Die PES verteidigt LFI gegen diesen Angriff, der durch die faktische Zusammenarbeit zwischen der Polizei, der extremen Rechten und der Macron-Regierung vorbereitet wurde.

Die Politik hat die Entscheidung getroffen, diese Vorwürfe als Vorwand zu benutzen, um in der Zentrale der Partei, die im Jahr 2017 die meisten linken Stimmen erhalten hat, Durchsuchungen und Beschlagnahmungen durchzuführen. Solche und ähnliche Vorwürfe sind mittlerweile in französischen Wahlen üblich und werden u.a. gegen den Wahlkampf von Macron und seiner Partei La République en Marche (LRM) erhoben. Gegen sie fanden hingegen natürlich keine Polizeirazzien statt.

Selbst wenn die Gerichte tatsächlich Korruptionsvorwürfe untersuchen sollten, würde dies nicht die Sicherstellung aller elektronischen Daten einer Organisation mit etwa 240.000 Sympathisanten rechtfertigen, von denen die überwältigende Mehrheit nichts mit den Fällen zu tun hat. Daraus ergeben sich ernste Fragen. Welche Daten haben die Sicherheitskräfte über Sympathisanten und Wähler von LFI sichergestellt? Und was wollen sie mit den Unmengen von Daten tun, die sie gesammelt haben?

Diese Fragen sind besonders drängend angesichts der rapiden Entwicklung zu Polizeistaatsmethoden und der Feindschaft der herrschenden Klasse gegenüber allen sozialen und demokratischen Rechten, die die europäische Arbeiterklasse im zwanzigsten Jahrhundert nach der Russischen Revolution und der Niederlage des Faschismus' erkämpft hat. Zehn Jahre nach dem Beginn der tiefen Krise des Kapitalismus infolge des Wall Street-Crashs von 2008 geht die Bourgeoisie mit immer brutaleren Methoden gegen sozialen Widerstand vor.

Macron wird in der Arbeiterklasse als „Präsident der Reichen“ verachtet. Seine Angriffe auf die Löhne und Arbeitsbedingungen der Bahnarbeiter und staatlichen Beschäftigten sowie seine geplanten und historischen Kürzungen bei der Rente, im Gesundheitswesen und der Arbeitslosenversicherung haben in der Arbeiterklasse starken Widerstand ausgelöst, der das politische Establishment in Schrecken versetzt. Darauf reagiert es mit dem Aufbau eines Polizeistaats, um den Widerstand gegen die Bereicherung der Finanzaristokratie und die Bereitstellung von hunderten Milliarden Euro für das Militär zu unterdrücken. Diese Politik wird jedoch in ganz Europa betrieben.

Von 2015 bis 2017 herrschte in Frankreich der Ausnahmezustand. In dieser Zeit wurden demokratische Rechte ausgesetzt und die Befugnisse der Polizei, Razzien durchzuführen und Hausarreste ohne Anklage zu verhängen, massiv ausgeweitet. Die Polizei benutzte diesen Ausnahmezustand als Vorwand, um mit aller Härte gegen die Massendemonstrationen gegen das drakonische und arbeiterfeindliche Arbeitsgesetz der Parti Socialiste (PS) vorzugehen.

Macron ist so unpopulär, dass er nach den Rücktritten zahlreicher Minister erst nach zwei Wochen Nachfolger für seine neue Regierung finden konnte. Diese Ablehnung innerhalb der Bevölkerung ist Teil einer Herrschaftskrise und des Zusammenbruchs der europäischen Demokratie. In Italien droht eine neofaschistische Regierung mit der Massenabschiebung von Flüchtlingen. In Deutschland haben führende Staats- und Regierungsvertreter wie Innenminister Horst Seehofer ihre Unterstützung für Neonazi-Ausschreitungen in Chemnitz erklärt, bei denen Randalierer ein jüdisches Lokal angegriffen haben.

Dass die europäische Demokratie immer schneller zerfällt, bestätigt die Kritik der PES an Mélenchon. Nachdem er in seinem Buch L'ère du peuple (Die Ära des Volkes) die Linke und den Sozialismus für tot erklärt hatte, weigerte er sich im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl zwischen Macron und der neofaschistischen Kandidatin Marine Le Pen irgendeine politische Linie herauszugeben. Damit ignorierte er die Forderung der PES nach einem aktiven Boykott der Wahl und kapitulierte vor der Behauptung, Macron sei die demokratische Alternative zu Le Pen.

Dieses Jahr unterstützte Mélenchon die Politik der Gewerkschaften, die die Privatisierung der staatlichen Eisenbahngesellschaft SNCF ausgehandelt haben sowie die Angriffe auf Bahnarbeiter. Bei der Sommerschulung der LFI lud er außerdem Vertreter der politischen Rechten zu Diskussionen über Krieg und militärische Fragen ein. Dazu erklärte er damals: „Wenn es um den Schutz des Staates und der republikanischen Normen geht, kommen wir mit den Rechten zusammen, und ich habe keine Angst, das zu sagen.“

Mélenchon erntet jetzt die vergifteten Früchte der Illusionen, die er gesät hat, und der rechten Kräfte, die er kultiviert hat. Am Dienstag fragte er in der Nationalversammlung, ob Frankreich noch immer ein demokratisches Regime sei, während er von konservativen Abgeordneten verhöhnt wurde.

Die entscheidende Aufgabe ist es, die Arbeiterklasse in einer internationalen revolutionären Bewegung zur Verteidigung demokratischer und sozialer Rechte und gegen Krieg und die Militarisierung der Gesellschaft zu vereinen und zu mobilisieren. Das bedeutet, den Kampf für den Sozialismus aufzunehmen und rücksichtslos mit Nationalismus, den Rechten und der Sozialdemokratie zu brechen, die von Mélenchon unterstützt werden. Angesichts der Gefahr, die der Angriff auf LFI enthüllt hat, gehört dazu auch die Verteidigung der Rechte Mélenchons und seiner Bewegung gegen den Polizeistaat.

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